12. September 2025
Insolvenzverwalter Schweiz
Restrukturierung und Insolvenz

Die Schweiz: Eine Büchse der Pandora für ausländische Insolvenzverwalter 

Nicht selten staunen ausländische Insolvenzverwalter, wenn sie auf ein Auskunftsersuchen an eine Schweizer Bank zu möglichen Vermögenswerten eines Schuldners von der angefragten Bank in die Schranken gewiesen werden und keine Auskunft erhalten. 

Hintergrund dieses Vorgehens ist, dass das schweizerische internationale Insolvenzrecht noch immer vom Prinzip der passiven Territorialität beherrscht wird. Infolgedessen können ausländische Insolvenzverfahren (und dies trifft auch auf Sanierungsverfahren in Eigenverwaltung zu) ohne gerichtliche Anerkennung des Insolvenzeröffnungsentscheids durch ein Schweizer Gericht keine Wirkungen auf in der Schweiz gelegene Vermögenswerte haben. Ausländischen Insolvenzverwaltern werden daher unter anderem die Befugnisse abgesprochen, in der Schweiz gelegene Vermögenswerte ins Ausland zu transferieren, Ansprüche klageweise vor Schweizer Gerichten geltend zu machen oder Forderungen in einem Schweizer Insolvenzverfahren anzumelden. Schliesslich verfügen ausländische Insolvenzverwalter auch nicht über die Befugnis, Auskunft über mögliche Vermögenswerte bei Schweizer Banken einzuholen. Machen sie es dennoch (was in der Praxis nicht selten vorkommt) riskieren sie gar eine Verurteilung nach Art. 271 des Strafgesetzbuches vom 21. Dezember 1937, SR 311.0 (StGB), dem Tatbestand der verbotenen Handlungen für einen fremden Staat. Ausländischen Insolvenzverwaltern sind somit – vor der der gerichtlichen Anerkennung eines ausländischen Insolvenzeröffnungsentscheids – in der Schweiz die Hände gebunden. 

Nachfolgend wird dargestellt, welche Hürden ein ausländischer Insolvenzverwalter überwinden muss, um Vermögenswerte an die ausländische Insolvenzmasse abführen zu können. 

Rechtsgrundlagen

Art. 166-174c des Bundesgesetzes über das Internationale Privatrecht vom 18. Dezember 1987, SR 291 (IPRG), regelt die Anerkennung ausländischer Konkurseröffnungsentscheide sowie die diesbezüglichen Rechtsfolgen. Für die Anerkennung ausländischer Nachlassverfahren und Nachlassverträge, d.h. gerichtlicher Sanierungsverfahren und Sanierungspläne, sieht Art. 175 IPRG vor, dass die Art. 166-170 sowie die Art. 174a-c IPRG sinngemäss gelten. Durch diesen – aus verschiedenen Gründen – in sich nicht stimmigen Verweis, sind bedauerlicherweise zahlreiche Rechtsfragen zur Anerkennung ausländischer Sanierungsverfahren und -pläne sowie den diesbezüglichen Wirkungen ungeklärt.

Die Wirkungen ausländischer Insolvenzeröffnungsentscheide insbesondere über Banken, Versicherungsunternehmen, Investmentgesellschaften mit variablem Kapital (SICAV), Kommanditgesellschaften für kollektive Kapitalanlagen sowie Investmentgesellschaften mit festem Kapital (SICAF) richten sich nach Spezialbestimmungen, die in verschiedenen Bundesgesetzen enthalten sind. Allen Regelungen ist gemeinsam, dass die Wirkungserstreckung des ausländischen Insolvenzverfahrens der Anerkennung durch die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (FINMA) bedarf. 

Schließlich bestehen drei sehr alte Staatsverträge im Verhältnis der Schweiz bzw. verschiedener Schweizer Kantone zu einzelnen Teilen Deutschlands (namentlich zur „Krone Württemberg“, zum „Königreich Bayern“ sowie zum „Königreich Sachsen“). Diese Staatsverträge führen zu einer Art gegenseitig anerkannter Universalität der Konkursverfahren und haben damit eine wesentliche Bevorzugung jener deutscher Insolvenzverwalter zur Folge, die vom Anwendungsbereich einer dieser Staatsverträge erfasst sind. 

Anerkennungsverfahren

Im Anwendungsbereich des IPRG wird ein ausländischer Insolvenzeröffnungsentscheid auf Antrag des ausländischen Insolvenzverwalters, des Schuldners oder eines Gläubigers des Schuldners durch das zuständige Schweizer Gericht anerkannt, wenn die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind (vgl. Art. 166 Abs. 1 IPRG):

  1. Der Insolvenzeröffnungsentscheid ist im Staat, indem er ergangen ist, vollstreckbar.
  2. Es liegt kein Verweigerungsgrund nach Art. 27 IPRG vor, d.h. die Anerkennung verstößt nicht gegen den formellen oder materiellen ordre public.
  3. Der Insolvenzeröffnungsentscheid ist entweder im (Wohn-)Sitzstaat des Schuldners oder im Staat des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen des Schuldners ergangen, vorausgesetzt dieser hatte im Zeitpunkt der Eröffnung des ausländischen Verfahrens seinen (Wohn-)Sitz nicht in der Schweiz.

Rechtsfolgen der Anerkennung

Die Anerkennung eines ausländischen Insolvenzeröffnungsentscheids, zieht, soweit das IPRG nichts anderes vorsieht, die insolvenzrechtlichen Folgen des schweizerischen Rechts nach sich (vgl. Art. 170 Abs. 1 IPRG sowie Art. 175 i.V.m. Art. 170 Abs. 1 IPRG). Dies hat zur Folge, dass der Anerkennung folgend, ein Partikularinsolvenzverfahren, in der Form eines Partikularkonkurs- oder eines Partikularnachlassverfahrens, durch das Anerkennungsgericht eröffnet wird. 

Verzicht auf die Durchführung des Partikularinsolvenzverfahrens

Seit einigen Jahren kann ein ausländischer Insolvenzverwalter beantragen, dass auf die Durchführung des Partikularinsolvenzverfahrens zu verzichten sei (Art. 174a Abs. 1 IPRG). Voraussetzung für die gerichtliche Bewilligung des Verfahrensverzichts ist die ausbleibende Anmeldung bevorrechtigter Forderungen im Sinne von Art. 172 Abs. 1 IPRG (d.h. keine Eingabe von (a) pfandgesicherten Forderungen nach Art. 219 des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung- und Konkurs vom 11. April 1889, SR 281.1 (SchKG), (b) nicht pfandgesicherten, aber privilegierten Forderungen von Gläubigern mit (Wohn-)Sitz in der Schweiz und (c) Forderungen aus Verbindlichkeiten, die auf Rechnung einer im Handelsregister eingetragenen Zweigniederlassung des Schuldners eingegangen worden sind) im Schweizer Partikularinsolvenzverfahren (Art. 174a Abs. 1 IPRG). Haben Gläubiger, die ihren (Wohn-)Sitz in der Schweiz haben, andere als die in Art. 172 Abs. 1 IPRG erwähnten Forderungen angemeldet, kann das Gericht auf die Durchführung des Partikularinsolvenzverfahrens verzichten, wenn die Forderungen dieser Gläubiger im ausländischen Insolvenzverfahren angemessen berücksichtigt werden (Art. 174a Abs. 2 IPRG).

In Anlehnung an die in Art. 21 der Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2015 über Insolvenzverfahren (EuInsVO) enthaltene Regelung sieht Art. 174a Abs. 4 IPRG vor, dass im Falle des Verzichts auf die Durchführung des Partikularinsolvenzverfahrens der ausländische Insolvenzverwalter unter Beachtung des schweizerischen Rechts alle Befugnisse ausüben darf, die ihm nach dem Recht des Staates der ausländischen Insolvenzeröffnung, d.h. nach der lex fori concursus, zustehen. Der ausländische Insolvenzverwalter darf insbesondere Vermögenswerte ins Ausland verbringen und Prozesse führen. Die ihm infolge des Verfahrensverzichts zukommenden Befugnisse umfassen jedoch nicht die Vornahme hoheitlicher Handlungen, die Anwendung von Zwangsmitteln oder das Recht, Streitigkeiten zu entscheiden. 

Anzumerken ist an dieser Stelle, dass von Gesetzes wegen die Anerkennung zwingend zur Eröffnung eines Partikularinsolvenzverfahrens führt (vgl. Art. 170 Abs. 1 IPRG bzw. Art. 175 i.V.m. Art. 170 Abs. 1 IPRG). Auf dessen Durchführung kann erst nach dem Schuldenruf verzichtet werden, sofern die für einen Verzicht erforderlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Die Gerichtspraxis einiger Kantone hat sich nun dahingehend entwickelt, dass mit dem Anerkennungsentscheid einstweilen auf die Eröffnung eines Partikularinsolvenzverfahrens verzichtet wird und über den Verfahrensverzicht nach Durchführung des Schuldenrufs entschieden wird. Hinsichtlich der Anerkennung ausländischer Konkurseröffnungsentscheide hat die dargestellte Gerichtspraxis zur Folge, dass nicht das Konkursamt, sondern das Anerkennungsgericht den Schuldenruf durchführt.

Durchführung des Partikularinsolvenzverfahrens 

Sind die Voraussetzungen für einen Verfahrensverzicht nicht erfüllt oder wird ein solcher gar nicht erst beantragt, führt dies zur Durchführung des Partikularinsolvenzverfahrens. Infolgedessen verfügt der ausländische Insolvenzverwalter in der Schweiz über nahezu keine Befugnisse. Die auf Schweizer Territorium gelegenen Vermögenswerte betreffenden Handlungen erfolgen durch das das Schweizer Partikularinsolvenzverfahren administrierende Organ, d.h. im Falle der Anerkennung eines ausländischen Konkurseröffnungsentscheids durch das zuständige Konkursamt.

Erst nach Befriedigung der bevorrechtigten Gläubiger und der Anerkennung des ausländischen Kollokationsplans (der in etwa der Insolvenztabelle deutscher Insolvenzverfahren entspricht) durch das zuständige Schweizer Gericht können etwaige Vermögenswerte an den ausländischen Insolvenzverwalter ausgehändigt werden.

Eingeschränkte Anerkennungsmöglichkeit ausländischer Anfechtungsentscheide

Eine weitere Erschwerung trifft ausländische Insolvenzverwalter mit der äusserst eingeschränkten Anerkennungs- und Vollstreckungsfähigkeit ausländischer Anfechtungsentscheide. Bis vor einigen Jahren war die Rechtslage noch viel ausschliessender. So war vor 2019 mangels gesetzlicher Grundlage die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheide über Anfechtungsansprüche in der Schweiz schlicht nicht möglich. Auf den 1. Januar 2019 wurde Ar. 174c IPRG in Kraft gesetzt, der unter eingeschränkten Voraussetzungen die Anerkennung und Vollstreckung solcher Entscheide ermöglicht. So können nun ausländische Entscheide über Anfechtungsansprüche und andere gläubigerschädigende Handlungen, die in einem engen Zusammenhang mit einem in der Schweiz anerkannten Insolvenzeröffnungsentscheid stehen, anerkannt werden, wenn sie im Ursprungsstaat des Insolvenzeröffnungsentscheids ergangen sind oder in diesem Staat anerkannt werden und der Beklagte seinen (Wohn-)Sitz nicht in der Schweiz hatte. Voraussetzung für eine Anerkennung und Vollstreckung eines ausländischen Anfechtungsentscheids ist aber einmal mehr zunächst die gerichtliche Anerkennung des ausländischen Insolvenzeröffnungsentscheids im Sinne der vorstehend dargestellten Grundsätze.

Die vorstehenden Ausführungen zeigen, dass durch die weiterhin fehlende indirekte Anerkennungszuständigkeit im Falle des schweizerischen (Wohn-)Sitzes des Anfechtungsschuldners der Anwendungsbereich von Art. 174c IPRG erheblich eingeschränkt ist. Dies hat zur Folge, dass im Ausland erstrittene Anfechtungsentscheide hinsichtlich in der Schweiz ansässiger Anfechtungsschuldner, soweit die Vollstreckung in der Schweiz gelegene Vermögenswerte erfassen soll, ausgeschlossen ist. In diesen Konstellationen soll die Zuständigkeit für Anfechtungsverfahren zwingend bei den Schweizer Gerichten liegen. 

Gewisse deutsche Insolvenzverwalter erfahren eine bevorzugte Behandlung

Die folgenden Staatsverträge bzw. Übereinkünfte gewähren Handlungsfreiheit für gewisse deutsche Insolvenzverwalter, wobei zahlreiche Fragen zum Anwendungsbereich umstritten sind:

  • Übereinkunft zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Krone Württemberg betreffend die Konkursverhältnisse und gleiche Behandlung der beiderseitigen Staatsangehörigen in Konkursfällen vom 12. Dezember 1825/13. Mai 1826;
  • Übereinkunft zwischen den schweizerischen Kantonen Zürich, Bern, Luzern, Obwalden, Nidwalden, Freiburg, Solothurn, Basel-Stadt, Basel-Landschaft, Schaffhausen, St. Gallen, Graubünden, Aargau, Thurgau, Tessin, Waadt, Wallis, Neuenburg und Genf sowie Appenzell-Ausserrhoden und dem Königreich Bayern über gleichmäßige Behandlung der gegenseitigen Staatsangehörigen in Konkursfällen vom 11. Mai/27. Juni 1834;
  • Übereinkunft zwischen den schweizerischen Kantonen Zürich, Bern, Luzern, Uri, Schwyz, Zug, Freiburg, Solothurn, Basel-Stadt, Basel-Landschaft, Schaffhausen, Graubünden, Aargau, Thurgau, Tessin, Waadt, Wallis, Neuenburg und Genf sowie Appenzell-Ausserrhoden einerseits und dem Königreich Sachsen andererseits über die gleichmäßige Behandlung der gegenseitigen Staatsangehörigen in Konkursfällen vom 4./18. Februar 1837.

Nachdem die Gültigkeit der vorgenannten Staatsverträge umstritten und die Aufhebung bzw. Kündigung durch die schweizerischen Behörden angedacht war, davon jedoch wieder Abstand genommen wurde, hat das Bundesgericht vor Kurzem die Gültigkeit der Übereinkunft mit dem Königreich Bayern ausdrücklich bestätigt (BGer, Urteil v. 29. April 2024 – 5A_751/2023, 4.5.2). Infolgedessen ist im Anwendungsbereich der Übereinkunft mit dem Königreich Bayern für die Erstreckung der Wirkung des deutschen Insolvenzverfahrens die Anerkennung des deutschen Insolvenzeröffnungsentscheids nach Art. 166 ff. IPRG nicht erforderlich. In Anbetracht der neusten bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist davon auszugehen, dass dies auch für die Übereinkunft mit der Krone Württemberg und die Übereinkunft mit dem Königreich Sachen gilt. Entsprechend verfügen Insolvenzverwalter, die in Insolvenzverfahren über Schuldner eingesetzt wurden, welche in den örtlichen Zuständigkeitsbereich der vorgenannten Staatsverträge fallen, über weitreichende Befugnisse auf Schweizer Territorium, ohne dass eine gerichtliche Anerkennung des Insolvenzeröffnungsentscheids erforderlich ist.

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