17. Mai 2021
Insolvenzanfechtung 16 EuInsVO
Restrukturierung und Insolvenz

EuGH: Keine Insolvenzanfechtung nach deutschem Recht bei der Erfüllung eines Vertrags, der ausländischem Recht unterliegt

Die Anwendung des anfechtungsfreundlichen deutschen Rechts wird immer häufiger durch ein anfechtungsfeindlicheres ausländisches Recht gesperrt. Dies können sich Unternehmen bereits bei Vertragsschluss durch eine geschickte Rechtswahl zunutze machen.

Grenzüberschreitende Insolvenzanfechtungen gewinnen mit der weiter zunehmenden Internationalisierung des Wirtschaftsverkehrs stetig an Bedeutung. Der EuGH hat klargestellt, dass eine Insolvenzanfechtung nach deutschem Recht gemäß Art. 16 EuInsVO gesperrt ist, wenn die angefochtene Zahlung auf einen Vertrag erfolgt, der einem ausländischen Recht unterliegt (EuGH, Urteil v. 22. April 2021 – C-73/20 – Oeltrans Befrachtungsgesellschaft).

Art. 16 EuInsVO als Ausnahme zur Geltung des Insolvenzstatuts

Bei einem in Deutschland eröffneten Insolvenzverfahren prüft der Insolvenzverwalter standardmäßig auf Grundlage des gemäß Art. 7 Abs. 1 EuInsVO anwendbaren deutschen Insolvenzrechts, ob von der insolventen Gesellschaft vor der Insolvenz geleistete Zahlungen anfechtbar sind. Wenn die Zahlung Berührungspunkte zu einer anderen Rechtsordnung aufweist – wie etwa bei der Erfüllung eines Vertrags, der einem ausländischen Recht unterliegt – so muss entschieden werden, wie mit den in dieser fremden Rechtsordnung statuierten Anforderungen an die Wirksamkeit der Zahlung umzugehen ist. 

Die Lösung der dadurch hervorgerufenen Kollision der beiden Rechtsordnungen weist Art. 16 EuInsVO: Danach ist dem Anfechtungsgegner grundsätzlich der Einwand erlaubt, dass das auf die Zahlung anwendbare Recht – anders als das deutsche Insolvenzrecht – im konkreten Fall eine Anfechtbarkeit oder sonstige Unwirksamkeit der Zahlung nicht vorsieht. Wenn dieser Einwand zutreffend ist, entfaltet Art. 16 EuInsVO zugunsten des Anfechtungsgegners eine Sperrwirkung und der Insolvenzverwalter kann die Zahlung nicht anfechten. Die abweichende Wertentscheidung der anderen Rechtsordnung muss in diesem Fall respektiert werden.

Anwendung des deutschen Insolvenzrechts immer häufiger gesperrt

In der Praxis führt dies dazu, dass die Anwendung des anfechtungsfreundlichen deutschen Insolvenzrechts immer häufiger von nicht ebenso anfechtungsfreundlichen ausländischen Rechtsordnungen „gesperrt″ wird. Die Anwendung des Art. 16 EuInsVO hat somit oftmals durchgreifende Folgen für das gesamte Insolvenzverfahren. Gleichzeitig sind viele Aspekte hinsichtlich der konkreten Anwendung der Norm noch nicht endgültig geklärt. Dies ist äußert unbefriedigend, da gerade für den komplexen und in der Praxis wichtigen Art. 16 EuInsVO klare Leitlinien (insbesondere für Unternehmen sowie Rechtsanwälte und Insolvenzverwalter) notwendig wären. 

Vor diesem Hintergrund ist es umso erfreulicher, dass der EuGH nun – auf Vorlage des BGH – jedenfalls hinsichtlich der Anwendung der Norm auf Erfüllungshandlungen Klarheit geschaffen hat.

EuGH: Die Vertragserfüllung ist nur nach dem Vertragsstatut anfechtbar

In der Entscheidung ging es um den Vertrag zwischen einer deutschen Gesellschaft und einer niederländischen Gesellschaft, der niederländischem Recht unterlag. Unter diesem Vertrag schuldete die deutsche Gesellschaft noch eine Zahlung, die in der Folge aber nicht von dieser selbst, sondern von einer anderen deutschen Gesellschaft (einer Konzerngesellschaft) vorgenommen wurde. Nachdem die zahlende Gesellschaft später in Insolvenz gefallen war, verlangte der deutsche Insolvenzverwalter die Zahlung auf Grundlage einer Insolvenzanfechtung nach dem gemäß Art. 7 Abs. 1 EuInsVO grundsätzlich anwendbaren deutschen Insolvenzrecht von der niederländischen Gesellschaft zurück. Die niederländische Gesellschaft verteidigte sich gegen diese – nach deutschem Recht wirksame – Anfechtung über Art. 16 EuInsVO mit dem Argument, die Zahlung unterliege niederländischem Recht und sei nach diesem Recht nicht anfechtbar. 

Der EuGH hat entschieden, dass die Zahlung als Erfüllungshandlung dem niederländischen Vertragsstatut unterliegt und eine Anfechtung nach deutschem Insolvenzrecht deswegen ausscheidet. Entscheidend war für den EuGH insbesondere der Vertrauensschutz des Zahlungsempfängers: Dieser könne bei Erhalt der Zahlung gar nicht vorhersehen, ob gegen den Vertragspartner oder den zahlenden Dritten später eventuell ein Insolvenzverfahren eröffnet werde und in welchem Mitgliedstaat dieses gegebenenfalls erfolge. Danach bestünde für ihn eine erhebliche Unsicherheit darüber, ob die Zahlung nicht später noch nach einer ihm nicht bekannten Rechtsordnung angefochten wird (EuGH, Urteil v. 22. April 2021 – C-73/20 – Oeltrans Befrachtungsgesellschaft).

Art. 16 EuInsVO wäre ohne Anwendung des Vertragsstatuts weitgehend wirkungslos

Zudem betont der EuGH, dass Art. 16 EuInsVO gerade den Einwand der Unanfechtbarkeit nach fremdem Recht erlauben wolle. Die Norm wäre deswegen weitgehend wirkungslos, wenn sich die Anfechtbarkeit von Zahlungen zur Erfüllung einer vertraglichen Verbindlichkeit stets nach dem Insolvenzstatut richte. Ein solches Verständnis würde somit dem Ziel des Art. 16 EuInsVO zuwiderlaufen.

Zuletzt ergebe sich auch aus der Regelung des Art. 12 Abs. 1 lit. b Rom I-VO, dass Erfüllungshandlungen dem Vertragsstatut unterlägen. Diese Norm sieht vor, dass das Vertragsstatut auch für die Erfüllung der durch ihn begründeten Verpflichtungen gilt.

Urteil des EuGH bringt Klarheit bei der Anwendung des komplexen Art. 16 EuInsVO

Das Urteil des EuGH ist uneingeschränkt zu begrüßen, da es Klarheit bei der Anwendung des Art. 16 EuInsVO schafft und sich die Anwendung des deutschen Rechts auf die unter dem niederländischen Vertrag erfolgende Zahlung ohnehin kaum begründen lässt. 

Aus dem Vorlagebeschluss des BGH (Beschluss v. 23. Januar 2020 – IX ZR 94/19) wurde seinerzeit nicht einmal hinreichend deutlich, welche Argumente der Anwendbarkeit niederländischen Rechts überhaupt entgegenstehen sollen. Der BGH ging wohl davon aus, dass man im Rahmen des Art. 16 EuInsVO alternativ zum Vertragsstatut auch an die Zahlung des Dritten als Erfüllungshandlung anknüpfen könne. Diese unterliegt grundsätzlich dem zwischen dem Zahlenden und seiner Bank geltenden Recht – hier wohl deutschem Recht. Diesen Ansatz hat der BGH in seinem Vorlagebeschluss aber nur angedeutet, weswegen der EuGH den BGH augenscheinlich so verstanden hat, als wolle dieser Art. 16 EuInsVO bei Zahlungen Dritter gar nicht anwenden. 

Dieses Missverständnis war hier aber letztlich nicht entscheidend, da beide Ansätze nicht überzeugend sind und nach der zutreffenden Würdigung des EuGH dem Sinn und Zweck des Art. 16 EuInsVO widersprechen. Weder das Insolvenzstatut noch eine gesonderte Anknüpfung an die Erfüllungshandlung sind für den Zahlungsempfänger erkennbar. Art. 16 EuInsVO soll aber gerade dazu dienen, den Empfänger einer auf die Erfüllung einer vertraglichen Pflicht gerichteten Zahlung in seinem Vertrauen darauf zu schützen, dass eine Anfechtung dieser Zahlung letztlich nur nach dem auf diesen Vertrag anwendbaren Recht möglich ist. 

Die Bedeutung des Art. 16 EuInsVO wird weiter zunehmen

Es ist davon auszugehen, dass grenzüberschreitende Insolvenzanfechtungen – und damit auch die Anwendung des Art. 16 EuInsVO – noch weiter an Bedeutung gewinnen wird. Die vorliegende Entscheidung zeigt dabei eindrücklich, wie weit die Sperrwirkung des Art. 16 EuInsVO reicht: Der Empfänger einer vertraglich geschuldeten Zahlung kann sich bei einer späteren Insolvenz des Zahlenden – unabhängig davon ob es sich um den Vertragspartner oder einen erfüllenden Dritten handelt – regelmäßig darauf berufen, dass die Zahlung nach dem auf den Vertrag anwendbaren Recht nicht anfechtbar ist. Gerade gegenüber dem anfechtungsfreundlichen deutschen Recht spielt dieser Einwand eine erhebliche Rolle.

In der Praxis lädt dieser Mechanismus freilich zu einem Missbrauch der Regelung ein. So kann durch die geschickte Wahl eines anfechtungsfeindlichen Rechts selbst bei einem Vertrag zwischen zwei deutschen Unternehmen der Schutz einer beliebigen fremden Rechtsordnung in Anspruch genommen werden. Zwar hat der EuGH insofern bereits entschieden, dass Art. 16 EuInsVO jedenfalls dann nicht angewendet werden kann, wenn das fremde Recht in betrügerischer oder missbräuchlicher Weise gewählt wurde (EuGH, Urteil v. 8. Juni 2017 – C-54/16 – Vinyls Italia). Unternehmen werden auf Grundlage der aktuellen Entscheidung des EuGH – gerade bei Verträgen mit finanziell angeschlagenen Vertragspartnern – in Zukunft aber noch häufiger versuchen, ein anfechtungsfeindliches Recht zu wählen, um im Falle einer späteren Insolvenz bestmöglich geschützt zu sein. 

Es bleibt abzuwarten, wie die nationalen Gerichte damit umgehen werden. Eines dürfte aber klar sein: Die vorliegende Entscheidung war nicht die letzte Entscheidung des EuGH zu Art. 16 EuInsVO.

Tags: 16 EuInsVO ausländisches Recht Insolvenzanfachtung Vertragserfüllung