Was eine Insolvenz für Gesellschafter, Kontokorrent oder Cash-Pools bedeutet, ist häufig unsicher. Hier hilft das BGH-Urteil v. 27. Juni 2019 – IX ZR 167/18.
Häufig machen sich Gesellschafter erst in der Krise oder der Insolvenz ihres Unternehmens Gedanken, welche Folgen diese für sie bzw. ihre Gesellschafterstellung haben.
Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat der Insolvenzverwalter das zur Insolvenzmasse gehörige Vermögen der Gesellschaft zu sichern und zu ordnen, während die insolvente Gesellschaft selbst die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis darüber verliert.
Für den Gesellschafter bedeutet die Insolvenz seiner Gesellschaft zunächst, dass er neben seinem Einfluss regelmäßig insbesondere auch die zur Finanzierung der Gesellschaft aufgewandten Mittel verliert. Darüber hinaus bestehen zusätzlich Anfechtungsrisiken. Diese führen insbesondere bei kontokorrentähnlichen Darlehensverhältnissen oder auch konzerninternen Cash-Pools zu erheblichen Unsicherheiten und zusätzlichen Risiken für den Gesellschafter selbst.
Ein Blick auf die aktuelle Rechtsprechung des BGH mit Urteil vom 27. Juni 2019 – IX ZR 167/18 soll helfen, diese Unsicherheiten zu bewältigen und entsprechende Risiken besser einzuschätzen.
Nachrangigkeit von Forderungen aus Gesellschafterdarlehen
Der Verlust der zur Finanzierung der Gesellschaft aufgewandten Mittel beruht häufig auf dem Nachrang solcher Forderungen. Hintergrund ist, dass die Gewährung von Gesellschafterdarlehen nicht durch das Gesellschaftsvermögen gesichert werden soll. Der Gesellschafter soll das mit seiner Finanzierungsentscheidung verbundene Risiko nicht auf die übrigen Insolvenzgläubiger abwälzen können. Dies ist die Kehrseite dessen, dass der Gesellschafter die Geschäfte der insolventen Gesellschaft nicht unmittelbar selbst betreibt und wirtschaftlich verantwortet, sondern die Gesellschaft nur durch Ausstattung mit Kapital finanziert, um sodann mittelbar von den Erträgen der so finanzierten Geschäftstätigkeit zu profitieren.
Insolvenzrechtlich wird ein Risikogleichgewicht gegenüber anderen Gesellschaftsgläubigern darüber sichergestellt, dass für alle Gesellschafterdarlehen und alle vergleichbaren Sachverhalte der Nachrang angeordnet ist, vgl. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO. So werden die nachrangigen Insolvenzforderungen erst nach den allgemeinen Insolvenzforderungen berücksichtigt, also erst wenn letztere zu 100% befriedigt sind. Dafür reicht die vorhandene Insolvenzmasse gemeinhin nicht aus. Der Gesellschafter fällt mit seinen Forderungen regelmäßig vollständig aus.
Bei Insolvenz: Anfechtung von Leistungen an den Gesellschafter
Diese Einschränkung wird flankiert durch die Anfechtungsregeln in § 135 InsO. Für den Gesellschafter besteht zusätzlich das Risiko, dass von der insolventen Gesellschaft an ihren Gesellschafter zur Rückgewähr von Darlehen gezahlte Mittel im Wege der sogenannten Insolvenzanfechtung vom Insolvenzverwalter zurückverlangt werden.
Die Voraussetzungen regelt § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Erfasst wird ein Zeitraum von bis zu einem Jahr vor dem Insolvenzantrag und die Zeit danach. Der Grundsatz des Schutzes der allgemeinen Gläubiger und die Beschränkung des Gesellschafters wird durch die anfechtungsrechtlichen Vorschriften bereits in das Vorfeld der Insolvenz ausgedehnt. Nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO ist jede Befriedigung der Forderung eines Gesellschafters auf Rückgewähr eines Darlehens im Sinne des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO oder für eine gleichgestellte Forderung anfechtbar, wenn sie die übrigen Gläubiger auch nur mittelbar benachteiligt.
Die BGH-Rechtsprechung schafft Klarheit in Bezug auf das Insolvenzanfechtungsrisiko
Mit dieser Gemengelage waren für den Gesellschafter bislang zahlreiche Unsicherheiten verbunden.
Klarheit bringt insoweit die ausgesprochen umfangreiche Entscheidung des BGH mit Urteil vom 27. Juni 2019 – IX ZR 167/18. Der BGH gibt darin umfassende Hinweise zum gesamten Anfechtungsrecht und trifft insbesondere eine grundlegende Entscheidung zum Begriff der darlehensgleichen Forderung und dem Recht der Gesellschafterdarlehen.
Was als Gesellschafterdarlehen einzuordnen ist, richtet sich allein nach wirtschaftlichen Gesamtumständen
Dem BGH kommt es für die Einordung einer Vereinbarung als Gesellschafterdarlehen oder eine entsprechend gleichgestellte Forderung weniger auf die tatsächliche Darlehensvereinbarung als auf die Einordnung der Gesamtumstände der Leistung des Gesellschafters an. Die Form ist unerheblich. Entscheidend ist allein die zeitweise Gewährung von Kapital. Eine einem Gesellschafterdarlehen gleichgestellte Forderung liegt demnach vor, wenn der Gesellschafter der Gesellschaft einen Geldbetrag zur Verfügung stellt und beide Parteien von vornherein und durchgängig darüber übereinstimmen, dass eine Verpflichtung zur Rückzahlung besteht.
Sofern zwischen Gesellschaft und Gesellschafter ein regelmäßiger Austausch in Form von taggleichen Hin- und Herzahlungen bzw. Ab- und Zuführung von Liquidität über Verrechnungen besteht, kommt es darauf an, ob der aus dem Vermögen des Gesellschafters zur Verfügung gestellte Geldbetrag zu einer zusätzlichen Kreditierung führt. Sind bei derartigen kontokorrentähnlichen Verhältnissen diese Voraussetzungen erfüllt, ist mit der durch den BGH erlassenen Entscheidung ebenfalls von einer darlehensgleichen Forderung auszugehen.
Für die Anwendung der insolvenzrechtlichen Verteilungsregel und die Einordnung als nachrangig ist damit allein die wirtschaftliche Funktion des jeweiligen Geschäftes entscheidend.
Risiko und Umfang einer Insolvenzanfechtung bei Gesellschafterdarlehen
Dafür, dass diese Regelung auch konsequent eingehalten und nicht unterlaufen wird, sorgen die Anfechtungstatbestände des § 135 InsO.
Dem mit der Kapitalüberlassung verbundenen Risiko der Nachrangigkeit steht für den Fall der Befriedigung des Rückzahlungsanspruches das Risiko der Anfechtung gegenüber und damit das Risiko, zur Herausgabe der zur Rückführung des Gesellschafterdarlehens oder gleichgestellten Forderungen erhaltenen Zahlungen verpflichtet zu sein.
Problematisch war bislang, welchen Umfang ein Anspruch aus Anfechtung der Rückgewähr von Gesellschafterdarlehen in kontokorrentähnlichen Verhältnissen oder in einem zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften betriebenen Cash-Pooling haben könnte. Unklar war, ob jede einzelne Rückzahlung an den Gesellschafter erfasst wird, oder ob eine differenziertere Betrachtung zwischen den jeweiligen Salden maßgeblich ist. Ausweislich der Rechtsprechung kommt es nunmehr nicht auf die einzelnen Zahlungen im Anfechtungszeitraum, sondern auf die Rückführung des höchsten Sollsaldos an. Maßgeblich für einen etwaigen Anfechtungsanspruch ist damit die Differenz zwischen dem höchsten Saldo und dem Endsaldo.
Die Rechtsprechung setzt ihre hinsichtlich der Einordnung einer darlehensgleichen Forderung aufgestellten Anforderungen konsequent fort. Entscheidend ist, dass der Gesellschaft ein von ihrem Gesellschafter überlassener Geldbetrag nur dann tatsächlich zugeflossen und einem Gesellschafterdarlehen vergleichbar ist, wenn er auch zur Kapitalnutzung zur Verfügung stand. Wird dieser Betrag lediglich taggleich hin- und hergezahlt, hat dies keinen wirtschaftlichen Effekt. Maßgeblich ist insoweit nur, ob wechselseitige Zahlungen den bestehenden Saldo erhöhen. Nichts anderes gilt für die Bezifferung des Anfechtungsanspruchs.
Das BGH-Urteil liefert ein anschauliches Beispiel zu Hin- und Herzahlungen im Rahmen kontokorrentähnlicher Gesellschafterdarlehen
In dem dem BGH-Urteil vom 27. Juni 2019 IX – ZR 167/18 zugrundeliegenden Sachverhalt hatte die Muttergesellschaft der Tochtergesellschaft ein Darlehen gewährt, woraufhin zwischen Tochter- und Muttergesellschaft Hin- und Herzahlungen teilweise am selben Tag erfolgten.
Die Tochtergesellschaft zahlte, isoliert betrachtet, mit insgesamt 610 Überweisungen rd. 356 Mio. Euro an die Muttergesellschaft zurück. Demgegenüber betrug die Differenz zwischen Höchst- und Endsaldo im für die Anfechtung maßgeblichen Zeitraum lediglich 65 Mio. Euro. Statt der einzelnen Rückzahlungen, denen bei wirtschaftlicher Betrachtung auch Kapitalauszahlungen in die andere Richtung gegenüberstanden, war ausweislich des BGH-Urteils für den Anfechtungsanspruch nur der Saldo maßgeblich.
Das Ergebnis überzeugt und verhindert ein unbegründetes Ausufern des Anfechtungsanspruches.
Risiken bei Cash-Pooling
Weil sich durch das Hin- und Herzahlen Parallelen zwischen kontokorrentähnlichen Verhältnissen und dem durch den BGH in seinem Urteil nicht explizit erwähnten Cash-Pooling ergeben, liegt eine Übertragung der Rechtsprechung auf Cash-Pooling-Systeme dennoch nahe. Gerade der Blick auf konzerninterne Cash-Pools, in denen typischerweise ebenfalls wöchentlich oder täglich Hin- und Herzahlungen erfolgen, zeigt die Dimension der bisherigen Unsicherheit in dieser Frage und wie unbeherrschbar das Anfechtungsrisiko war. Auch hier ist das Urteil und die damit verbundene Begrenzung der Anfechtung dementsprechend von besonderem Interesse.
Grundsätzlich keine Insolvenzanfechtung von Darlehnszinsen
Ein weiterer, durch den BGH behandelter Punkt ist die Anfechtbarkeit von Zinszahlungen. Auch hier beseitigt die Rechtsprechung bisher bestehende Unklarheiten.
An die Muttergesellschaft gezahlte Darlehenszinsen unterliegen grundsätzlich nicht der Insolvenzanfechtung nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Grund ist, dass diese nicht die Rückzahlung des überlassenen Kapitals, sondern ein Entgelt für dessen Nutzung darstellen. Diese Klarstellung verbindet der BGH mit dem Hinweis, dass dies grundsätzlich nur für marktübliche Zinsen gilt.
Überhöhte Zinsen könnten eine Teilrückzahlung des Darlehens darstellen und insoweit ihrerseits anfechtbar sein. Allerdings findet die Angemessenheitskontrolle erst im Zuge der Prüfung eines damit verbundenen Anfechtungsanspruchs statt, sodass in der Praxis eine gewisse Restunsicherheit bleibt. Bei der nachträglichen Kontrollfrage, was für eine Gesellschaft, über die innerhalb der Jahresfrist des § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde, marktüblich gewesen wäre, dürften nicht zu enge Grenzen gezogen werden.
Sonstige Kapitalüberlassung
Neben der Behandlung von Zinsen geht der BGH auch auf mögliche Konsequenzen des Stehenlassens oder Stundens von Zinsforderungen ein.
Lässt der Gesellschafter die Zinsforderung gegenüber der Gesellschaft stehen oder stundet er diese, kann dies eine Finanzierungsfunktion erfüllen. Der Sachverhalt wäre insoweit einer Darlehensforderung gleichgestellt. Auch hier würde der Gesellschaft durch ihren Gesellschafter ein Kapitalwert zur Nutzung überlassen.
In dem BGH-Urteil konnte eine Entscheidung hierzu jedoch offengelassen werden, da die in dem streitgegenständlichen Fall einschlägigen Zeiträume zwischen fünf und höchstens 94 Tagen noch als verkehrsübliche Handhabung in kontokorrentähnlichen Verhältnissen beurteilt wurden. Laut BGH ist im Rahmen eines Kontokorrents auch eine quartalsweise Zahlung der Zinsen üblich.
Insolvenzanfechtung bei Gesellschafterdarlehen im Blick haben: Aktiv über die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft informieren
Haben Sie als Gesellschafter die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft stets im Blick.
Gerade die Ausführungen zu den Anfechtungen bei Gesellschafterdarlehen zeigen, dass sich das finanzielle Risiko in der Insolvenz eines Tochterunternehmens nicht auf die Uneinbringlichkeit ausstehender Rückgewähransprüche aus Gesellschafterdarlehen beschränkt. Das Anfechtungsrecht erweitert die unmittelbaren Risiken des Gesellschafters bereits auf die Zeit vor der Insolvenz und damit auf die Krise. Der Gesellschafter ist insoweit gut beraten, sich stets aktiv über die wirtschaftliche Lage seiner Gesellschaft zu informieren. Die Einführung eines Frühwarnsystems für Krisenzeiten kann dabei sowohl dem Gesellschafter als auch den übrigen Beteiligten (auf Ebene der Gesellschaft) zugutekommen.
Mit Blick auf die differenzierte Behandlung der Rückzahlung des überlassenen Kapitals und Darlehenszinsen ist es überdies wichtig, in der Praxis auf eine präzise Zuordnung der jeweiligen Leistungen zu achten. Bei der Festlegung des jeweiligen Darlehenszinses gilt es ebenfalls, ein gesundes Augenmaß zu bewahren.
Wer sich an diese Maßgaben hält und in Zweifelsfällen fachkundigen Rat, ggf. in Form von Zweitmeinungen, einholt, schützt sich vor einer späteren Haftung.