Der Richtlinienentwurf der EU-Kommission hat die Diskussion über die Einführung eines präventiven Restrukturierungsverfahrens für Unternehmen neu entfacht.
Der Richtlinienentwurf der EU-Kommission vom 22. November 2016 (COM(2016) 723 final) hat die Diskussion über die Einführung eines Verfahrens zur präventiven Restrukturierung von Unternehmen in Deutschland neu entfacht.
Derzeit kommt kaum eine der vielen Fachveranstaltungen um das Thema herum. Im Folgenden gehen wir darauf ein, worum es genau geht und wie eine Verbesserung der außergerichtlichen Restrukturierung von Unternehmen in Europa erreicht werden soll. Ein weiterer Beitrag wird auf die arbeitsrechtlichen Schlussfolgerungen eingehen.
Vorinsolvenzliche Sanierung in Deutschland bislang ungeregelt
Der Großteil aller Bemühungen zur Restrukturierung und Sanierung von Unternehmen findet außerhalb eines Insolvenzverfahrens statt. Erst wenn die Bemühungen im Vorfeld scheitern oder wenn sie nicht rechtzeitig greifen, bietet die Insolvenzordnung weitergehende Instrumente.
Mit Hilfe der Insolvenzordnung können im Kern funktionsfähige Unternehmen wieder auf Kurs gebracht oder abgewickelt werden, um die Gläubiger aus neuen Umsätzen oder dem Erlös der Liquidation zu befriedigen.
Allgemeine Regelungen des Wirtschafts- und Zivilrechts bieten nur wenig Hilfe bei Restrukturierungen
Bevor der Anwendungsbereich der Insolvenzordnung greift, gelten die allgemeinen Regelungen des Zivil-, Handels- und Gesellschaftsrechts. Diese bieten nur in einzelnen Punkten Erleichterungen bei Unternehmensrestrukturierungen.
Das Hauptproblem dabei ist, dass sich ein Unternehmen grundsätzlich mit allen relevanten Gläubigern oder Beteiligten einigen muss, wenn es Sanierungsmaßnahmen wie etwa Forderungsverzichte, Stundungen oder andere Maßnahmen umsetzen möchte. Dies kann dazu führen, dass einzelne Beteiligte ihre Zustimmung von der Einräumung besonderer Zugeständnisse abhängig machen. Dadurch wird der gesamte Prozess der Restrukturierung aufgehalten.
Bei Sanierungs- und Restrukturierungssituationen sind grundsätzlich schnelle Entscheidungen und ein schnelles Handeln gefragt. Denn mit dem Voranschreiten der Krise wird in der Regel auch die Liquidität immer knapper. Gehen die liquiden Mittel aus, bevor operative Sanierungsmaßnahmen ihre Wirkung entfalten, tritt Zahlungsunfähigkeit ein und ein Insolvenzantrag muss gestellt werden. Dadurch können die Sanierungsbemühungen insgesamt scheitern.
Mehrheitsprinzip im Mittelpunkt des Ansatzes der EU-Kommission
Hier setzt der Richtlinienentwurf der EU-Kommission an und fordert von den Mitgliedstaaten die Schaffung eines Rechtsrahmens für präventive Restrukturierung. Innerhalb dieses Rahmens sollen die Beteiligten unter bestimmten Voraussetzungen – außerhalb eines Insolvenzverfahrens und mit möglichst geringer Einbeziehung von Gerichten – erforderliche Sanierungsmaßnahmen nach dem Mehrheitsprinzip beschließen können. Auf diesem Weg können Beschlüsse mit der notwendigen Rechtssicherheit gefasst und umgesetzt werden.
Dadurch soll ein drohendes Blockadepotenzial vermieden und die Sanierung von Unternehmen außerhalb eines Insolvenzverfahrens insgesamt gestärkt werden. Die EU‑Kommission verspricht sich davon positive volkswirtschaftliche Effekte. Zudem möchte sie durch die Setzung von Mindeststandards bestehende Hürden bei länderübergreifenden Restrukturierungen abbauen und so den europäischen Binnen- und Kapitalmarkt fördern.
Vorinsolvenzliche Sanierung und Restrukturierung in Deutschland bisher umstritten
Die Schaffung eines Rechtsrahmens auf dem Feld der vorinsolvenzlichen Sanierung wird in Deutschland schon seit Jahrzehnten diskutiert. Die Gegner einer solchen Regelung verweisen dabei in der Vergangenheit – wie auch heute – im Kern stets darauf, dass die bestehenden Regelungen bereits hinreichend gut funktionieren. Neue Strukturen würden zudem stets die Gefahr von Missbrauch durch unredliche Unternehmer erhöhen, indem sie ihnen neue Schlupflöcher böten.
Beides überzeugt nicht. Kaum ein anderes Rechtsgebiet ist so sehr mit den Erfordernissen des Wirtschaftslebens verwoben, wie das Insolvenz- und Restrukturierungsrecht. Es unterliegt nicht erst seit der Schaffung der Konkursordnung im Jahr 1877 einem ständigen Wandel. Es hat sich immer wieder gezeigt, dass sich auch die rechtlichen Instrumente anpassen müssen, um den sich stetig ändernden Anforderungen des Wirtschaftslebens gerecht zu werden.
Sich auf dem Status Quo auszuruhen bedeutet zugleich, die zukünftigen Herausforderungen aus den Augen zu verlieren. Es erinnert an den Unternehmer, der die Digitalisierung für obsolet hält, weil er es gerade geschafft hat, seinen alten Maschinenpark optimal zu justieren und sich damit unausweichlich selbst zum Sanierungsfall macht.
Funktionalität des Gesetzes muss gewahrt werden
Die Gefahr von Missbrauch durch Umgehungsversuche besteht ständig und überall. Natürlich müssen auch künftige Regelungen Mechanismen finden, um dies nach Möglichkeit zu vermeiden. Allerdings darf dies nicht dazu führen, dass gesamte Verfahren und Sanierungsinstrumente ihre Funktionalität verlieren und dadurch unbrauchbar werden.
Die Geschichte ist voll von solchen Beispielen. Weil man den Gläubigern misstraute, wurden Insolvenzangelegenheiten vor der Schaffung der Konkursordnung streng gerichtlich behandelt. Dies erwies sich als ungeheuer ineffizient, sodass die Einbindung der Gläubiger in das Konkursverfahren bereits 1877 ein zentraler Baustein der Konkursordnung war.
Im nur wenig später eingeführten Schuldverschreibungsgesetz von 1899 und auch in der Vergleichsordnung von 1927 waren die Anforderungen an eine Mehrheitsentscheidung zur Umsetzung von Sanierungsmaßnahmen übermäßig hoch. Grund hierfür war ein überhöhter Minderheitenschutz aus Angst vor Missbräuchen. Das wiederum führte dazu, dass diese Mechanismen nur in den seltensten Fällen sinnvoll angewendet werden konnten und die Gesetze über Jahrzehnte hinweg ihre Bedeutung verloren.
Ausgleich zwischen Funktionalität und Minderheitenschutz ist Aufgabe des Gesetzgebers
Es ist die Aufgabe des Gesetzgebers, einen Ausgleich zwischen der Funktionalität eines künftigen präventiven Restrukturierungsverfahrens und dem erforderlichen Maß an Minderheitenschutz, sowie dem Schutz berechtigter Interessen vor Missbräuchen herzustellen. Die in Deutschland geführte Diskussion läuft bereits in die bedauerliche Richtung, dass der Richtlinienentwurf der EU-Kommission so restriktiv wie möglich gehandhabt werden sollte.
Dies zeigt sich unter anderem in der Forderung nach einer Beschränkung des Anwendungsbereichs auf Finanzgläubiger. Besonders aber in dem Ruf nach möglichst hohen Mehrheitserfordernissen zur Fassung von Beschlüssen.
Teilweise wird sogar eine besonders hohe Teilnahmequote (Quorum) für Abstimmungen verlangt. Die Beteiligten könnten so allein durch ihr Fernbleiben von der Abstimmung eine Beschlussfassung verhindern. Das wiederum würde neue Blockademöglichkeiten schaffen. Selbiges hat bereits in der Vergangenheit zur Funktionslosigkeit von Sanierungsinstrumenten geführt.
Es bleibt zu hoffen, dass der Gesetzgeber im Umgang mit dem Richtlinienentwurf der EU‑Kommission und der Umsetzung eines präventiven Restrukturierungsverfahrens mit Augenmaß vorgeht, alte Fehler nicht wiederholt und dennoch das verfassungsrechtlich gebotene Maß achtet.
Das deutsche Insolvenz- und Sanierungsrecht ist unbestritten im internationalen Vergleich herausragend in seiner Funktion. Das bedeutet jedoch nicht, dass es nicht weiter ergänzt und verbessert werden könnte. Die heutigen Errungenschaften wurden nur durch ständigen Wandel erreicht. Stillstand kann kaum eine erfolgreiche Strategie für künftige Herausforderungen sein.