Anders als die Insolvenzordnung, sieht die EU-Richtlinie zum vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahren keine Einschränkung der Arbeitnehmerrechte vor.
Die Europäische Kommission hat am 22. November 2016 ihren Richtlinienentwurf über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie 2012/30/EU veröffentlicht (COM (2016) 723).
Bereits berichtet haben wir über die Grundsätze des vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens und wie eine Verbesserung der außergerichtlichen Restrukturierung von Unternehmen in Europa erreicht werden soll. Im Folgenden gehen wir auf die arbeitsrechtlichen Aspekte ein.
Der Richtlinienentwurf sieht für Unternehmen einen weitgehend einheitlichen Rechtsrahmen für vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren vor. Allerdings sind bestimmte Schuldner wie Kreditinstitute von der Richtlinie ausgenommen.
Seine Verabschiedung vorausgesetzt, würde es deutschen Unternehmen erstmals ermöglicht, die Problematik des sogenannten „Hold-Out″ zu überwinden. Das heißt, einzelne Gläubiger sollen eine Unternehmenssanierung zukünftig nicht mehr blockieren können.
Faktisch soll dies mit dem Instrumentarium des Restrukturierungsplans umgesetzt werden, der per Mehrheitsvotum gefasst werden kann. Insgesamt bietet der Entwurf insoweit deutliche Chancen, nach deutscher Rechtslage vorhandene Lücken im Bereich der vorinsolvenzlichen Sanierung von Unternehmen zu schließen.
Der Restrukturierungsplan ist das Kernstück des Verfahrens
Kernstück des vorinsolvenzlichen Restrukturierungsverfahrens ist der zwischen Schuldner und Gläubigern auszuhandelnde Restrukturierungsplan. Dessen Inhalt (Art. 8 Abs. 1 des Richtlinienentwurfs) ist im Wesentlichen mit dem eines Insolvenzplans (§§ 217 ff. InsO) vergleichbar. In erster Linie regelt er die Rechtsbeziehungen zwischen Schuldner und Gläubigern neu. Der Restrukturierungsplan muss unter anderem auch Informationen dazu beinhalten, welche Gläubiger betroffen sein werden und welche nicht.
Nur die betroffenen Gläubiger sind sodann berechtigt, über die Annahme des Restrukturierungsplanes abzustimmen. Hierzu sind sogenannte Klassen zu bilden, in denen Gläubiger mit gemeinsamen Interessen und ähnlichen Ansprüchen oder Beteiligungen zu einer homogenen Gruppe zusammenzufassen sind.
Nach Art. 9 Abs. 4 des Richtlinienentwurfs gilt der Restrukturierungsplan als von den betroffenen Parteien angenommen, wenn in jeder Klasse eine von den Mitgliedstaaten festzulegende Mehrheit erreicht wird. Jedoch darf dabei die erforderliche Mehrheit nicht mehr als 75% des Betrages der Ansprüche oder Beteiligungen in jeder Klasse betragen.
Der Richtlinienentwurf ist aber auch aus arbeitsrechtlicher Sicht spannend. Denn das deutsche Arbeitsrecht wird oftmals im vorinsolvenzlichen Stadium eher als sanierungshemmend wahrgenommen. Hier stellt sich vor allem die Frage, ob sich aus dem Richtlinienentwurf Neuerungen bzw. Sanierungserleichterungen ergeben (könnten):
Voller arbeitsrechtlicher Schutz während des präventiven Sanierungsverfahrens
Nach Erwägungsgrund (34) des Richtlinienentwurfs „sollten″ die Arbeitnehmer während der gesamten Dauer der präventiven Sanierungsverfahren den vollen arbeitsrechtlichen Schutz genießen. Insbesondere soll die Richtlinie die Arbeitnehmerrechte unberührt lassen, die in den Richtlinien 98/59/EG (Massenentlassungsrichtlinie), 2001/23/EG (Betriebsübergangsrichtlinie), 2002/14/EG (Rahmenrichtlinie zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer), 2008/94/EG (Richtlinie zum Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers) und 2009/38/ EG (Richtlinie über europäische Betriebsräte) garantiert werden. Die möglichen Folgerungen sind:
Vorinsolvenzliche Restrukturierung ist eine „normale″ arbeitsrechtliche Restrukturierung
Sanierungserleichterungen wie etwa verkürzte Kündigungsfristen, Durchbrechung von Sonderkündigungstatbeständen oder vereinfachte Verfahren im Rahmen der Massenentlassungsregelungen oder Erleichterungen bei der Sozialplandotierung sieht der Richtlinienentwurf gerade nicht vor. Insoweit ist aus deutscher Sicht die „vorinsolvenzliche″ Restrukturierung eine „normale″ arbeitsrechtliche Restrukturierung. Dies hat zwei wesentliche Auswirkungen:
Die Einschnitte in den Arbeitnehmerschutz nach den insolvenzarbeitsrechtlichen Vorgaben der §§ 113 InsO gelten gerade nicht. Im Falle eines (Teil)Betriebsübergangs (häufig bei Erwerb von wesentlichen assets) gelten die oftmals ein Sanierungshindernis darstellenden Regelungen des § 613a BGB „ganz normal″.
Auch sonst keine Besonderheiten bezüglich Beteiligungsrechten der Arbeitnehmervertretungen
Auch im Hinblick auf die sonstigen Beteiligungsrechte der Arbeitnehmervertretungen sind keine Änderungen gegenüber dem „normalen″ Arbeitsrecht vorgesehen. Sie finden bei dem vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahren also uneingeschränkt Berücksichtigung.
Konkret sieht der Richtlinienentwurf vor, dass
im Einklang mit der Richtlinie 2002/14/EG die Verpflichtung des Arbeitgebers, die Arbeitnehmervertreter über den Beschluss, ein präventives Restrukturierungsverfahren in Anspruch zu nehmen, zu unterrichten und dazu zu hören, unberührt bleibt.
Für Deutschland würde dies grundsätzlich bedeuten, dass einerseits ein etwa gebildeter Wirtschaftsausschuss über den Beschluss des Arbeitgebers, ein vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren durchzuführen, zu unterrichten wäre. Andererseits würde der Beschluss über die Inanspruchnahme des vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens nach derzeitiger Rechtslage noch keine Beteiligungsrechte des Betriebsrats auslösen. Denn es handelt sich hierbei nicht um eine Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG.
Grundsätzlich auch keine Aussetzung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen bei Arbeitnehmeransprüchen
Zur Sicherung der Verhandlungen und zur Bewahrung der Aussichten auf eine Restrukturierung des Unternehmens können Schuldner eine Aussetzung einzelner Vollstreckungsmaßnahmen der Gläubiger in Anspruch nehmen. Allerdings nur soweit sie bei der Aushandlung des Restrukturierungsplans mit den Gläubigern beteiligt sind (Art. 6 des Richtlinienentwurfs).
Die Befugnis des Schuldners, eine Aussetzung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen zu beanspruchen, bezieht sich grundsätzlich jedoch nicht auf unerfüllte Arbeitnehmeransprüche. Auch unabhängig davon, ob diese Ansprüche vor oder nach Gewährung der Aussetzung entstanden sind.
Eine Rückausnahme besteht nur in den Fällen, in denen die Erfüllung dieser Ansprüche nach nationalem Recht auf einem Schutzniveau garantiert ist, das dem in den nationalen Rechtsvorschriften zur Umsetzung der Richtlinie 2008/94/EG (Richtlinie zum Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers) vorgesehenen, mindestens gleichwertig ist.
Demnach könnte sich der Arbeitgeber als Schuldner wohl auch gegen Zwangsvollstreckungsmaßnahmen von Arbeitnehmern wehren, sofern der einzelne Arbeitnehmer für den entsprechenden Zeitraum durch Insolvenzgeld nach § 165 SGB III abgesichert ist.
Dennoch neue Möglichkeiten des Arbeitgebers zur effektiven Durchsetzung von Restrukturierungsmaßnahmen
Besondere Eingriffsberechtigungen für den Arbeitnehmer sieht der Richtlinienentwurf – wie gezeigt – nicht vor. Es wird dem Arbeitgeber zum Beispiel nicht ermöglicht, zum Zwecke der effektiven Sanierung unter erleichterten Voraussetzungen Personal abzubauen oder den arbeitsrechtlichen Schutz einzuschränken.
Die Arbeitnehmer sind aber als Gläubiger – bei „Betroffenheit″ – nach dem Entwurf auch im Rahmen der Aufstellung von Restrukturierungsplänen zu berücksichtigen. Dies trifft zum Beispiel die Fälle einer Absenkung des Tarifniveaus oder die Flexibilisierung von Entgelten. Bei nur unwesentlichen Auswirkungen des Restrukturierungsplans auf die Arbeitnehmer sind diese dagegen wohl eher nicht „betroffen″ in diesem Sinne.
Demnach geht der Entwurf davon aus, dass auch insoweit Regelungen zu Ansprüchen der Gruppe der Arbeitnehmer (die eine eigene „Klasse″ bilden könnte) getroffen werden könnten. Materiell könnte hier vereinbart werden, dass Gehälter gekürzt oder in der Fälligkeit verschoben werden. Besonders spannend ist indes, wie es sich auswirkt, sofern nur einzelne Arbeitnehmer dies verweigern, also dem Restrukturierungsplan nicht zustimmen.
Nach der in Art. 10 Abs. 2 vorgesehenen behördlichen „Absegnung″ des Restrukturierungsplans sieht Art. 14 Abs. 1 die Verbindlichkeit des Restrukturierungsplans für jeden betroffenen Arbeitnehmer vor. Insoweit dürfte Einiges dafür sprechen, dass der Gesetzgeber dies zumindest so umsetzen könnte, dass eine solche Maßnahme auch bei Widerstand einzelner Arbeitnehmer jedenfalls nicht am arbeitsrechtlichen Günstigkeitsprinzip scheitert. Allerdings müssen die zwingenden Standards wie etwa der Mindestlohn weiterhin eingehalten werden.
Möglicherweise ergibt sich aus einem solchen Plan dann also doch ein weiteres vorinsolvenzliches Mittel für Arbeitgeber, zu hohe Personalkosten zu reduzieren. Solche Kosten sind meist mitursächlich für die Unternehmenskrise. Dies könnte wiederum insbesondere dann relevant werden, wenn die üblichen Sanierungsoptionen (Betriebsänderungen, Verhandlung von Sanierungstarifverträgen) nicht zur Verfügung stehen beziehungsweise ausgeschöpft sind.
Es bleibt hier jedoch wie immer abzuwarten, wie die Richtlinie in nationales Recht umgesetzt wird und insbesondere, wie der Gesetzgeber mit dem „best interest of creditor test″ umgeht. Er ist Voraussetzung für die Absegnung eines Restrukturierungsplans auch entgegen einzelner Arbeitnehmerstimmen.
Keine Eingriffe in die Rechtspositionen der Arbeitnehmer
Aus arbeitsrechtlicher Sicht sieht der der Richtlinienentwurf zum vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahren gerade keine Eingriffe in die Rechtspositionen von Arbeitnehmern vor. Dies ist zugleich der entscheidende Unterschied zu den arbeitsrechtlichen Sonderregelungen der §§ 113 InsO. Über den Restrukturierungsplan könnten – jedenfalls bei entsprechender Ausgestaltung auf nationaler Ebene – indes durchaus auch sanierungserleichternde Modifikationen im Hinblick auf Arbeitnehmeransprüche umgesetzt werden. Impulse des deutschen Gesetzgebers insoweit sind allerdings eher wenig wahrscheinlich.
Hier stellt sich aus arbeitsrechtlicher Sicht schon die Frage, ob nicht einer vorinsolvenzlichen Sanierung – sofern man diese erleichtern möchte – auch auf europäischer Ebene flankierend ein Instrumentarium ähnlich der §§ 113 InsO zur Seite gestellt werden sollte. Die weitere Entwicklung bleibt mit Spannung abzuwarten.