Hat ein Erwerber von Geschäftsanteilen an einer Immobiliengesellschaft ein Sonderkündigungsrecht für bestehende Miet- oder Pachtverhältnisse?
Durch die aktuelle Krise in der Immobilien- und Baubranche stellen sich vermehrt Fragen zu den vielseitigen Möglichkeiten einer Sanierung und dem insolvenzrechtlichen Einfluss auf vertragliche Gestaltungsoptionen. Bei einem direkten Erwerb einer vermieteten Immobilie tritt der Erwerber* gem. § 566 BGB in das Mietverhältnis ein, wodurch Mieter grundsätzlich geschützt werden sollen. Abweichend von § 566 BGB sieht § 111 InsO in der Insolvenz des Vermieters, vergleichbar dem Fall der Zwangsversteigerung nach § 57a ZVG, eine Ausnahme von dem Grundsatz „Kauf bricht nicht Miete“ vor. Denn der Erwerber erhält nach dieser Norm ein einmaliges Sonderkündigungsrecht.
Muss dem Erwerber daher dasselbe Sonderkündigungsrecht zustehen, wenn nicht die Immobilie als solche, sondern die Anteile an einer die Mietsache haltenden Immobiliengesellschaft von dem Insolvenzverwalter der Muttergesellschaft aus der Insolvenzmasse veräußert werden?
Zielsetzung des § 111 InsO: Erleichterung einer Verwertung durch den Insolvenzverwalter bei einer Veräußerung an Dritte
In der Vermieterinsolvenz hat der Insolvenzverwalter grundsätzlich keine besonderen Lösungsrechte von dem Miet- oder Pachtvertrag. Denn nach § 108 InsO bestehen Miet- oder Pachtverhältnisse über unbewegliche Gegenstände oder Räume in der Insolvenz fort.
Das Erfüllungswahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO ist in Bezug auf diese Dauerschuldverhältnisse ausgeschlossen, da es zu unzumutbaren Belastungen der Mieter und Pächter führen würde. Der plötzliche Wegfall von Geschäftsräumen, Betriebsstätten oder der Wohnung würde den jeweiligen Vertragspartner vor erhebliche Schwierigkeiten stellen.
Damit in der Vermieterinsolvenz den Verwertungsinteressen des Insolvenzverwalters dennoch Rechnung getragen werden kann, normiert § 111 InsO ein Sonderkündigungsrecht des Erwerbers für den Fall, dass der Insolvenzverwalter vom Schuldner vermietete oder verpachtete Objekte veräußert und der Erwerber anstelle des Schuldners in das Miet- oder Pachtverhältnis eintritt. Durch das von § 111 InsO geschaffene Sonderkündigungsrecht wird die Verwertung durch den Insolvenzverwalter bei einer Veräußerung an Dritte erleichtert.
Bedürfnis nach einem Sonderkündigungsrecht bei einem Anteilserwerb
Es stellt sich die Frage, ob die Regelung des § 111 InsO im Falle der Veräußerung von Geschäftsanteilen an einer Immobiliengesellschaft, welche sich im Vermögen des Schuldners befinden, entsprechend herangezogen werden kann. Die Situation scheint auf den ersten Blick zumindest vergleichbar zu sein. Die Veräußerung von Anteilen an einer Immobiliengesellschaft gestaltet sich ebenso wie die Veräußerung der Immobilie als solche schwieriger, wenn hinsichtlich der der Gesellschaft gehörenden Immobilie etwaige Miet- oder Pachtverhältnisse bestehen, die auch nach Veräußerung der Anteile an der Gesellschaft fortbestehen. In beiden Konstellationen steht die Immobilie im Mittelpunkt. Ob der Erwerber Eigentum an der Immobilie erwirbt oder durch den Anteilserwerb Gesellschafter der Immobiliengesellschaft wird, macht für ihn hinsichtlich der ihm unerwünscht erscheinenden bestehenden Miet- oder Pachtverhältnisse keinen Unterschied. Zweifelhaft erscheint, ob die Organisation über eine Immobiliengesellschaft und die damit einhergehende Veräußerung von Anteilen anstelle der Veräußerung der Immobilie einen qualitativ so großen Unterschied machen kann, dass eine andere rechtliche Bewertung geboten erscheint.
Voraussetzungen des Sonderkündigungsrechts nach § 111 InsO
Der wirksame Eintritt des Erwerbers in das Mietverhältnis anstelle des Schuldners ist Voraussetzung für die Entstehung des Sonderkündigungsrechts nach § 111 InsO, wobei sich die Voraussetzungen für diesen Eintritt grundsätzlich nach § 566 BGB richten. Für die Anwendung des § 111 InsO ist demnach – wie auch für § 566 BGB – der Eigentumserwerb als dingliches Rechtsgeschäft maßgeblich. § 111 InsO steht demgemäß im direkten Zusammenhang mit der Vorschrift des § 566 BGB, die sich ausdrücklich mit der Übertragung des Eigentums an der Immobilie und nicht der Veräußerung von Anteilen an einer Immobiliengesellschaft befasst.
Keine Veränderung der Eigentumslage beim Anteilserwerb
Der durch die Veräußerung von Anteilen eintretende Gesellschafterwechsel berührt die Eigentumslage hingegen nicht, sodass § 566 BGB nicht erfüllt ist. Dies gilt jedenfalls, wenn die Gesellschaft eine juristische Person ist (AG, GmbH etc.) oder wenn sie als Trägerin eigener Rechte und Pflichten (teil-)rechtsfähig ist (KG, OHG, Außen-GbR, Partnerschaftsgesellschaft). Zuordnungsobjekt des Eigentums ist die Gesellschaft selbst, die vor und nach der Übertragung der Anteile identisch ist. Die Gesellschafter sind hingegen keine Eigentümer der Immobilie. Somit ändert sich die Identität des Vermieters anders als bei der Eigentumsübertragung nicht.
Gesetz spricht gegen ein Sonderkündigungsrecht beim Anteilserwerb
Bereits die Zielsetzung des § 111 InsO, dem Insolvenzverwalter trotz eingeschränkter Gestaltungsmöglichkeit der schuldnerischen Miet- und Pachtverträge eine Verwertung der Immobilie zu ermöglichen, kommt im Fall des Anteilserwerbs nicht zum Tragen. Denn der Insolvenzverwalter der Muttergesellschaft kann keine Erfüllungswahl nach § 103 InsO über die Miet- und Pachtverträge zu der Immobilie treffen. Dies spricht gegen eine vergleichbare Interessenlage und damit gegen eine entsprechende Anwendbarkeit des § 111 InsO.
Dass darüber hinaus bei einem Erwerb von Anteilen an einer Immobiliengesellschaft kein Eintritt in das Mietverhältnis erfolgt, was § 111 InsO jedoch voraussetzt, spricht dafür, dass der Gesetzgeber kein Sonderkündigungsrecht für diesen Fall vorgesehen hat.
Außerdem handelt es sich bei dem Sonderkündigungsrecht des § 111 InsO um eine Ausnahme zur bewusst mietschützenden Regelung des § 566 BGB. Bei der Heranziehung von Ausnahmevorschriften auf einen vermeintlich ähnlich gelagerten Fall ist stets Vorsicht geboten.
Andere Optionen bei Miet- und Pachtverhältnissen
Womöglich besteht auch kein Bedürfnis, § 111 InsO in der Konstellation der Immobiliengesellschaft entsprechend anzuwenden. Denn der Insolvenzverwalter kann unter Umständen als Gläubiger der Immobiliengesellschaft auch eine Zwangsversteigerung über die von der Immobiliengesellschaft gehaltene Immobilie in Gang setzen bzw. setzen lassen, damit der Ersteher ein Sonderkündigungsrecht nach den Vorschriften der Zwangsversteigerung erhält. Der Weg über die Zwangsversteigerung kann eine Alternative darstellen, wenn sich die Verwertung der Geschäftsanteile aufgrund der bestehenden Miet- und Pachtverhältnisse schwierig gestaltet.
Eine weitere Option wäre, dass über das Vermögen der Immobiliengesellschaft selbst ein Insolvenzverfahren eröffnet wird. Dadurch könnte die Immobilie selbst veräußert werden, mit der Folge, dass § 111 InsO zur Anwendung kommt.
Diese Möglichkeiten zur bestmöglichen Verwertung der Insolvenzmasse relativieren zumindest das Bedürfnis des Insolvenzverwalters nach einem Sonderkündigungsrecht bei der Veräußerung von Geschäftsanteilen an einer Immobiliengesellschaft.
Individuelle Transaktionsstruktur ist entscheidend
Zwar bestehen mehrere Optionen, um den Schwierigkeiten bei der Verwertung der Geschäftsanteile an einer Immobiliengesellschaft zu begegnen, jedoch sind deren Vorteile stark einzelfallabhängig. Im Falle von bestehenden Miet- und Pachtverhältnissen sind bei der Transaktionsgestaltung stets die Vorschriften zu beachten, die Mieter oder Pächter schützen und die Möglichkeiten einer vorzeitigen Kündigung einschränken.
Ein Sonderkündigungsrecht eines Erwerbers von Geschäftsanteilen an einer Immobiliengesellschaft würde die Attraktivität und den Marktwert der Insolvenzmasse steigern. Jedoch gibt es in den gesetzlichen Grundlagen mehr Anknüpfungspunkte, die gegen ein Sonderkündigungsrecht in dieser Konstellation streiten. Weder in der Literatur noch in der Rechtsprechung wurde bislang ein dahingehender Standpunkt vertreten. Es bleibt abzuwarten, ob die Gerichte – sollten sie sich einmal mit dieser Frage beschäftigen – einen anderslautenden Standpunkt vertreten werden und so die Verwertungsmöglichkeiten des Insolvenzverwalters und die Flexibilität der Erwerber verbessern.
Um einen Anteilserwerb in jedem Falle rechtssicher zu strukturieren und die eigene Position in der branchenweiten Krise zu stärken, sollte jede Transaktionsgestaltung diese besonderen Herausforderungen im Blick behalten.
* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.