Wer mit der Schifffahrtsbranche zu tun hat, dem muss der Begriff „Rule B Attachment″ nicht erläutert werden. Basierend auf einer Entscheidung aus dem Jahr 2002 konnten in New York Überweisungen in US-Dollar mit recht geringem Aufwand „eingefroren″ und die betreffenden Beträge im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gepfändet werden, wenn dem Arrestanspruch eine maritime Streitigkeit zugrunde lag.
Dies führte zu unzähligen „Zahlungsarresten″ und war ein effektives Mittel, Sicherheit für Forderungen zu erlangen, bis die fragliche Rechtsprechung im Oktober 2009 aufgegeben wurde.
Liest man eine Pressemitteilung des Rats der Justiz- und Innenminister vom 3. Dezember 2013, könnte man meinen, die EU wolle nun ein ähnlich effizientes Instrument in Europa einführen. Es geht um den geplanten Europäischen Beschluss zur vorläufigen Kontenpfändung (European Account Preservation Order), den der Rat am kommenden Freitag weiter voranbringen soll. Hierzu heißt es in der Pressemitteilung:
By way of this new European procedure a creditor would be able to obtain a preservation order which would block funds held by the debtor in a bank account in a member state and thereby prevent the debtor from dissipating such funds with the aim of frustrating the creditor’s efforts to recover his debt.
The Preservation Order would be available to the creditor in two situations: (1) before he obtains a judgment (that is, both before he initiates proceedings on the substance and during such proceedings) and (2) after he has obtained a title on the substance of the matter.
Das klingt so, als könne man künftig ohne weiteres mit einem einheitlichen Beschluss Gelder in ganz Europa einfrieren.
Die Lektüre des entsprechenden Verordnungsentwurfs (mit den dem Rat am Freitag zur Entscheidung vorliegenden Änderungen) ernüchtert:
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Für den Fall, dass noch kein vollstreckbarer Titel vorliegt, ist ein einheitliches Arrestverfahren vorgesehen. Wie nach deutscher ZPO setzt der Beschluss in diesem Fall jedoch eine Art Arrestgrund voraus, wobei dessen Formulierung und die hierzu abgedruckte Erläuterung stark an § 917 Abs. 1 ZPO und die hierzu ergangene Rechtsprechung erinnern. Es ist zwar denkbar, dass die europäische Rechtsprechung zur neuen Verordnung in Nuancen andere Wege als die deutsche Rechtsprechung gehen wird, einen Systemwandel wird es aber nach heutigem Stand (aus deutscher Sicht) nicht geben.
- Der Umstand, dass dieser (Arrest-)Beschluss in anderen EU-Staaten ohne Vollstreckbarerklärung vollstreckbar sein wird, bringt einen entscheidenden Vorteil: Ein Arrest nach nationalem Recht wird nach der reformierten Brüssel-I-VO zwar grundsätzlich ohne Vollstreckbarerklärung vollstreckbar sein (Art. 42 Abs. 2), nachdem diese am 10.01.2015 in Kraft treten wird. Dies gilt aber nur für eine Entscheidung im kontradiktorischen Verfahren (in Deutschland: Arresturteil), oder für einen ohne rechtliches Gehör der Gegenseite (ex parte) ergangenen Beschluss, der dem Gegner vor Vollstreckung zugestellt wurde (Art. 2 lit. a Abs. 2). Ein Arrest durch einen Europäischen Beschluss zur vorläufigen Kontenpfändung kann hingegen mit dem häufig gewünschten „Überraschungseffekt″ eingesetzt werden.
- Ein zweiter wesentlicher Vorteil des Europäischen Beschlusses zur vorläufigen Kontenpfändung wird sein, dass dieser (wenn er im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes ergeht) eine Kombination aus Arrestbeschluss und Pfändungsbeschluss darstellt, so dass auch weite Aspekte der Arrestvollstreckung einheitlich geregelt sein werden. Nur für die nicht geregelten Aspekte wird auf das Recht des Vollstreckungsstaats verwiesen.
- Fragwürdig ist die Intention des Rats, dass die Pfändung auf Basis eines solchen Beschlusses in ganz Europa möglich sein soll, mit Ausnahme des Staats, in dem er erlassen wird, wenn der Gläubiger in diesem Staat ansässig ist. Für dortige Konten soll der Gläubiger parallel eine zweite Pfändung (und ggf. den vorgelagerten Arrest) nach nationalem Recht beantragen. Wenn ein deutsches Gericht für einen deutschen Gläubiger Konten in Frankreich und Italien pfänden kann, mutet es seltsam an, dass nicht im selben Verfahren auch Konten in Deutschland gepfändet werden können.
- Ärgerlich ist außerdem, dass ein Arrest- und Pfändungsbeschluss nach der Verordnung in der aktuellen Entwurfsfassung wohl nicht möglich wäre, um Sicherheit für eine Forderung zu erlangen, für die in der Hauptsache ein Schiedsgericht zuständig ist.
Vom „Rule B Attachment″ in seiner früheren Gestalt wird sich das neue europäische Instrument also unterscheiden: Neben strengeren Voraussetzungen ermöglicht es eine Pfändung nur dann, wenn der Schuldner Inhaber oder wirtschaftlich Begünstigter des jeweiligen Kontos ist. Gläubiger müssen also zumindest eine Ahnung haben, bei welchen Instituten solche Konten bestehen könnten. Einer ähnlichen Beliebtheit wie das „Rule B Attachment″ wird sich der Europäische Beschluss zur vorläufigen Kontenpfändung auch deshalb nicht erfreuen, weil es im Arrestfall eine Hauptsachezuständigkeit in einem EU-Staat geben muss.