Der Beitrag gibt einen Überblick zur Möglichkeit einer Staatshaftung für rechtswidrige Corona-Verordnungen.
In den vergangenen anderthalb Jahren hatten sich die Verwaltungsgerichte vor allem im vorläufigen Rechtsschutz mit Corona-Eindämmungsmaßnahmen – insbesondere in Gestalt von Rechtsverordnungen – zu befassen. Zumeist ging es um Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO, die darauf gerichtet waren, entsprechende Rechtsverordnungen ganz oder teilweise vorläufig außer Vollzug zu setzen.
Ganz überwiegend lehnten die Gerichte diese Anträge ab. Auf der Grundlage der im vorläufigen Rechtsschutz allein möglichen summarischen Prüfung sei nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass ein Normenkontrollantrag nach § 47 Abs. 1 VwGO in der Hauptsache begründet sein werde, sich die angegriffenen Regelungen also als rechtswidrig erweisen würden. Angesichts der offenen Erfolgsaussichten in der Hauptsache komme es auf eine allgemeine Folgenabwägung an: Es seien die Folgen gegenüberzustellen, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, der Normenkontrollantrag aber Erfolg hätte, und die Nachteile, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Normenkontrollantrag aber erfolglos bliebe (sog. Doppelhypothese).
Mit Blick auf die große Bedeutung des Grundrechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG), dessen Schutz die Corona-Eindämmungsmaßnahmen bezweckten, und wegen weitreichender dem Verordnungsgeber zuzugestehender Beurteilungs- und Einschätzungsspielräume, fiel auch diese allgemeine Folgenabwägung in den allermeisten Fällen zum Nachteil der Antragsteller aus.
Bislang: Stark zurückgenommene Prüfungsmaßstäbe durch die Verwaltungsgerichte im vorläufigen Rechtsschutz
Insgesamt kann man sagen, dass die Verwaltungsgerichte aufgrund dieser stark zurückgenommenen Prüfungsmaßstäbe im vorläufigen Rechtsschutz nur in seltenen Ausnahmefällen eingegriffen haben, in denen sie Maßnahmen als auf der Hand liegend rechtswidrig ansahen. Gleiches gilt grundsätzlich auch für die Verfassungsgerichte, soweit sie mit entsprechenden Eilverfahren befasst waren.
Neue Phase des Rechtsschutzes: Erste Hauptsacheentscheidungen
Die gerichtliche Aufarbeitung der Corona-Maßnahmen ist inzwischen in die nächste Phase eingetreten: Nach und nach ergehen die ersten Hauptsacheentscheidungen, und nicht selten kommen die Gerichte nun – nach eingehender Prüfung – zu der Einschätzung, dass Regelungen der Corona-Verordnungen ganz oder teilweise rechtswidrig waren.
Zwar sind die meisten dieser Regelungen inzwischen längst außer Kraft getreten. Wichtig können Entscheidungen, in denen nachträglich die Rechtswidrigkeit entsprechender Regelungen festgestellt wird, aber vor allem für etwaige Staatshaftungsansprüche sein.
Gewerbetreibenden, die von Betriebsschließungen oder -beschränkungen auf der Grundlage rechtswidriger Corona-Verordnungen betroffen waren, könnten namentlich Ansprüche gegen den Staat aus Amtshaftung nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG zustehen. In Betracht kommen zudem Ansprüche nach dem jeweiligen Polizei- und Ordnungsrecht (beispielsweise nach § 39 Abs. 1 Buchstabe b OBG NRW) oder auf der Grundlage der ungeschriebenen Haftungstatbestände des deutschen Staatshaftungsrechts für rechtswidriges hoheitliches Handeln (sog. enteignungsgleicher Eingriff bei Eingriffen in das Eigentum und sog. aufopferungsgleicher Eingriff bei Eingriffen in andere Grundrechte).
Erfolgreiches Hauptsacheverfahren vor dem VGH Bayern zur ersten bayerischen „Ausgangssperre“
In jüngster Zeit sorgten gleich mehrere Gerichtsentscheidungen für Aufsehen, in denen die Verwaltungsgerichte Regelungen früherer Corona-Verordnungen für rechtswidrig erachteten. So entschied der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) mit Beschluss vom 4. Oktober 2021 (Az.: 20 N 20.767), dass die im ersten „Lockdown″ im Frühjahr 2020 durch den Freistaat Bayern verhängte „Ausgangssperre″ (formal juristisch: eine Ausgangsbeschränkung) unverhältnismäßig und deshalb rechtswidrig gewesen sei. Überdies beanstandete er auch einen anfänglichen Bekanntmachungsfehler der entsprechenden Rechtsverordnung: Schon deshalb sei sie für den Zeitraum bis 7. April 2020 unwirksam gewesen.
Es habe sich bei der „Ausgangssperre“ zwar um ein geeignetes Mittel gehandelt, die Ausbreitung des Coronavirus durch Kontaktreduktion einzudämmen. Es habe jedoch mildere, gleich geeignete Mittel gegeben, nämlich Kontaktbeschränkungen im öffentlichen und privaten Raum. Daher sei die Regelung schon nicht erforderlich gewesen (Rn. 76 ff.). Der VGH betonte dabei auch bemerkenswert deutlich, dass der
vom Antragsgegner vertretene gedankliche Schluss, dass die restriktivere Maßnahme [im Sinne einer strengeren Grundrechtseinschränkung, die Verf.] im Vergleich immer ‚die besser geeignete Maßnahme‘ ist, […] in dieser Allgemeinheit unzutreffend
sei (Rn. 79). Im Übrigen sei die Regelung auch unangemessen gewesen. Denn es sei nicht ersichtlich,
warum die Gefahr der Bildung von Ansammlungen eine landesweite Ausgangsbeschränkung rechtfertigen sollte, zumal diese Gefahr lediglich an stark frequentierten Lokalitäten bestanden haben dürfte.
Zudem sei Bayern durch die Ausgangsbeschränkung von einem damaligen Bund-Länder-Beschluss abgewichen, der lediglich Kontaktbeschränkungen vorgesehen habe (Rn. 80 ff.).
Erfolgreiches Hauptsacheverfahren vor dem Thüringer OVG zur „800-Quadratmeter-Regelung“ bei Einzelhandelsgeschäften
„JUVE″ berichtete kürzlich ebenfalls über eine erfolgreiche Hauptsacheentscheidung des Thüringer Oberverwaltungsgerichts (OVG) (die allerdings noch nicht im Volltext frei zugänglich ist). Darin habe das OVG die zeitweise auch in einer Corona-Verordnung des Freistaates Thüringen enthaltene sog. „800-Quadratmeter-Regelung“ bei Einzelhandelsgeschäften wegen eines Formfehlers für unwirksam erachtet. Im vorläufigen Rechtsschutz hatte es das OVG noch abgelehnt, eine entsprechende Regelung vorläufig außer Vollzug zu setzen.
Zum Hintergrund: In Thüringen mussten (ebenso wie in verschiedenen anderen Bundesländern) Geschäfte mit einer Verkaufsfläche von mehr als 800 Quadratmetern nach dem ersten „Lockdown“ im Frühjahr 2020 ihre Verkaufsfläche zunächst auf 800 Quadratmeter begrenzen. Zudem galten im zweiten „Lockdown“ Ende 2020 für Verkaufsflächen, die 800 Quadratmeter überstiegen, strengere Vorgaben hinsichtlich der maximal erlaubten Personenzahl als für die Fläche bis 800 Quadratmeter. Der Verordnungsgeber begründete diese Differenzierung insbesondere damit, dass Einzelhandelsgeschäfte mit einer Verkaufsfläche von mehr als 800 Quadratmetern typischerweise über ein breiteres Angebot als Läden gleicher Art mit weniger Fläche verfügten und deshalb – mit nachteiligen Folgen für den Infektionsschutz – eine große Kundenzahl anzögen.
Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Zitiergebot – ein folgenschwerer Formfehler
Laut „JUVE“ beanstandete das Thüringer OVG die „800-Quadratmeter-Regelung“ auch in seiner jüngsten Hauptsacheentscheidung offenbar nicht in der Sache, obgleich entsprechende Regelungen auch hinsichtlich ihrer Verhältnismäßigkeit und Vereinbarkeit mit dem allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG stark umstritten sind.
Vielmehr stützte es seine Entscheidung auf einen Formfehler, den zuvor bereits der Thüringer Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 1. März 2021 (Az.: VerfGH 18/20) dem Grunde nach festgestellt hatte. Hiernach hatte der Verordnungsgeber in Thüringen gegen das Zitiergebot nach Art. 44 Abs. 1 S. 2 und Art. 84 Abs. 1 S. 3 der Verfassung des Freistaates Thüringen (ThürVerf) i.V.m. Art. 80 Abs. 1 S. 3 GG verstoßen.
Art. 44 Abs. 1 S. 2 ThürVerf verbürgt das Rechtsstaatsprinzip. Eine besondere Ausprägung desselben ist das in Art. 80 Abs. 1 S. 3 GG (und daneben auch in Art. 84 Abs. 1 S. 3 ThürVerf) geregelte Zitiergebot im Zusammenhang mit Rechtsverordnungen, das hier verletzt worden sei. Konkret habe der Verordnungsgeber es versäumt, hinreichend präzise auf die formell-gesetzliche Ermächtigungsgrundlage (§ 32 S. 2 IfSG) zu verweisen, die ihm erlaubt, die Befugnis zum Verordnungserlass von der Landesregierung auf eine andere Stelle, insbesondere ein einzelnes Ministerium, weiter zu übertragen (sog. Subdelegation, Rn. 410 ff.).
Der vom Thüringer Verfassungsgerichtshof und OVG gerügte „handwerkliche Fehler“ des Verordnungsgebers hat angesichts der verfassungsrechtlichen Bedeutung des Zitiergebotes rechtlich weitreichende Folgen: Fehlt es an der erforderlichen Zitierung der Ermächtigung zur Subdelegation in einer Rechtsverordnung, ist die subdelegierende Verordnung grundsätzlich unwirksam. Dies führt zugleich auch zur Unwirksamkeit der subdelegierten Verordnung.
Im konkreten Fall war deshalb auch die Corona-Verordnung, die die streitgegenständliche „800-Quadratmeter-Regelung“ enthielt, unwirksam. Mangels wirksamer Zuständigkeitsübertragung war die Thüringer Landesregierung (als Kollektivorgan) zu ihrem Erlass zuständig geblieben. Die Corona-Verordnung stammte aber vom Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie, mithin von einer unzuständigen Stelle.
Gleichwohl noch immer einige Fallstricke bei der Geltendmachung von Staatshaftungsansprüchen
Bei „JUVE“ heißt es hierzu:
Für das Land ist der Beschluss ein Desaster. Nach JUVE-Informationen hat es den Fehler nach spätestens drei Monaten korrigiert. Sämtliche bis dahin erlassenen Corona-Verordnungen des ersten Lockdowns haben allerdings nie gegolten. Nicht nur für Karstadt Kaufhof [die Antragstellerin im zugrunde liegenden Gerichtsverfahren, die Verf.] steigen also die Chancen auf Entschädigungszahlungen, sondern auch für andere seinerzeit betroffene Warenhäuser, Hotels und Gaststätten.
Auch wenn Verwaltungsgerichte (rechtskräftig) die Rechtswidrigkeit und sogar Unwirksamkeit von Corona-Verordnungen (oder einzelnen Regelungen solcher Verordnungen) festgestellt haben, gibt es im Hinblick auf Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche aber diverse Fallstricke, die letztlich dazu führen können, dass betroffene Gewerbetreibende gleichwohl leer ausgehen. Im Folgenden sollen drei dieser Fallstricke bezüglich der Amtshaftung kurz skizziert werden.
Das Dogma der fehlenden Haftung für „normatives Unrecht“ bei Amtshaftungsansprüchen
Gemeinhin gilt der Grundsatz: „Keine Haftung für normatives Unrecht“. Damit ist gemeint: Zwar kann (natürlichen wie juristischen) Personen, denen durch eine rechtswidrige hoheitliche Maßnahme ein Schaden entsteht, ein Anspruch auf Schadensersatz aus Amtshaftung nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG zustehen. Allerdings setzt ein Anspruch aus Amtshaftung stets u.a. voraus, dass ein Amtswalter gegen eine „ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht“verstoßen hat.
Nach bislang herrschender Auffassung führt dieses Erfordernis der sog. Drittgerichtetheit der Amtspflicht, gegen die verstoßen worden sein soll, in aller Regel dazu, dass den Staat keine Haftung für „normatives Unrecht“ trifft, d.h. für den Erlass von Gesetzen, die gegen höherrangiges Recht verstoßen (sollen). Denn im Allgemeinen soll die Rechtssetzung ausschließlich im Allgemeininteresse erfolgen. Dies soll für formelle Gesetze ebenso gelten wie für untergesetzliche Rechtsnormen wie Rechtsverordnungen (wobei in Bezug auf formelle Gesetze häufig auch von einer fehlenden Haftung für „legislatives Unrecht“ gesprochen wird). Eine Ausnahme komme lediglich bei Einzelfall- und Maßnahmengesetzen in Betracht (sowie bei der kommunalen Bauleitplanung).
Geht man von dieser Prämisse aus, ist es schon mit Blick auf das Erfordernis der Drittgerichtetheit fraglich, ob sich Ansprüche wegen Betriebsschließungen und -beschränkungen auf die Amtshaftung stützen lassen. Auch wenn die Corona-Verordnungen der Eindämmung der COVID-19-Pandemie dienten, insoweit „anlassbezogen“ waren und bestimmte Gewerbetreibende (beispielsweise Gastronomen oder die Veranstaltungsbranche) ganz besonders trafen, galten die entsprechenden Regelungen doch allgemein und für eine Vielzahl von Personen. Es erscheint insofern zwar nicht ausgeschlossen, zumindest aber zweifelhaft, ob sie sich unter die Ausnahme für Einzelfall- und Maßnahmengesetze fassen lassen.
Allerdings ist der Ausschluss einer Haftung für „normatives Unrecht“ auch generell umstritten. Greift der Gesetz- oder Verordnungsgeber (gezielt) in Grundrechte ein, erscheint es schwer nachvollziehbar, drittgerichtete Amtspflichten im Kern allein wegen der abstrakt-generellen Geltung von Rechtsnormen pauschal zu verneinen. Schließlich dienen Grundrechte gerade dem Individualschutz (vgl. Wieland, in: Dreier, GG, Bd. 2, 3. Aufl. 2015, Art. 34 Rn. 49 f. und Gurlit, in: von Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 34 Rn. 61). Es bleibt daher abzuwarten, inwiefern sich der Ausschluss einer Haftung für „normatives Unrecht“ – auch vor dem Hintergrund europarechtlicher Ingerenzen – auf Dauer wird aufrechterhalten lassen.
Verschulden erforderlich für Bejahung einer Amtshaftung
Mit Blick auf die Amtshaftung nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG ist überdies zu beachten, dass sie ein Verschulden voraussetzt. Das bedeutet grundsätzlich, dass der jeweilige Amtswalter vorsätzlich oder fahrlässig gegen die ihm obliegende drittgerichtete Amtspflicht verstoßen haben muss. In Betracht kommt allerdings auch ein Organisationsverschulden.
Soweit man annimmt, dass „normatives Unrecht“ überhaupt zu Amtshaftungsansprüchen führen kann, ergibt sich aus dem Verschuldenserfordernis eine (weitere) hohe Hürde – insbesondere in Fällen, in denen – wie im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie – oftmals gerade auch wissenschaftliche Erkenntnisse und Prognosen entscheidend sind.
Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens bei bloßer formeller Rechtswidrigkeit
Im Hinblick auf bloß formelle Fehler wie die vom Thüringer Verfassungsgerichtshof und OVG gerügte Missachtung des Zitiergebotes bei Rechtsverordnungen kommt in Bezug auf Staatshaftungsansprüche schließlich noch eine weitere Schwierigkeit hinzu: Bei Maßnahmen, die lediglich formell rechtswidrig sind, gesteht die Rechtsprechung dem Staat in weitem Umfang die Berufung auf ein sog. rechtmäßiges Alternativverhalten zu, also den Einwand, dass ein Schaden auch dann entstanden wäre, wenn sich der Anspruchsgegner rechtmäßig verhalten hätte. Greift dieser Einwand, scheiden Staatshaftungsansprüche aus.
Auch im Thüringer Fall könnte dieser Argumentationsansatz den Freistaat ggf. noch entlasten. Denn erachtet man die „800-Quadratmeter-Regelung“ nicht auch für materiell rechtswidrig, hätte der Verordnungsgeber die Möglichkeit gehabt, rechtmäßige Zustände herzustellen: Er hätte lediglich in der subdelegierenden Verordnung (präzise) auch auf die formell-gesetzliche Ermächtigung zur Subdelegation Bezug nehmen müssen. Die Schäden der Einzelhändler durch die Begrenzung der Verkaufsfläche wären dann gleichwohl entstanden.
Es bleibt abzuwarten, ob und ggf. wie sich der Freistaat Thüringen im Hinblick auf etwaige Amtshaftungsansprüche erfolgreich auf ein rechtmäßiges Alternativverhalten wird berufen können. Ausgeschlossen wäre der Einwand jedenfalls, soweit die für Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche zuständigen ordentlichen Gerichte die „800-Quadratmeter-Regelung″ nicht nur für formell, sondern auch für materiell-rechtlich rechtswidrig erachten sollten. Zumindest im Rahmen etwaiger Klagen auf Schadensersatz bzw. Entschädigung könnte dieser Punkt daher grundsätzlich nicht offenbleiben, sondern müsste geklärt werden.
(Zwischen-)Fazit: Staatshaftungsrechtliche Aufarbeitung der COVID-19-Pandemie hat erst begonnen – neue Brisanz und Dynamik durch erfolgreiche verwaltungs- und verfassungsgerichtliche Hauptsacheverfahren
Insgesamt lässt sich als (Zwischen-)Fazit festhalten, dass die staatshaftungsrechtliche Aufarbeitung der COVID-19-Pandemie erst begonnen hat. Mit einer steigenden Zahl an erfolgreichen verwaltungs- und verfassungsgerichtlichen Hauptsacheentscheidungen, in denen (nachträglich) die Rechtswidrigkeit von Corona-Eindämmungsmaßnahmen festgestellt wird, wird sich auch zunehmend die Frage stellen, ob und inwieweit aus dieser Rechtswidrigkeit mithilfe des Staatshaftungsrechts auch spürbare (finanzielle) Konsequenzen für den Staat zu ziehen sind. Gerade das Staatshaftungsrecht könnte dabei einen Beitrag leisten, die gravierenden Grundrechtseingriffe, die seit Frühjahr 2020 erfolgt sind, rechtsstaatlich aufzuarbeiten, nachdem dies im vorläufigen Rechtsschutz vor den Verwaltungsgerichten teilweise nur unzureichend gelungen ist und die bloße nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit zwar ideelle Bedeutung hat, aber eingetretene Folgen nicht mehr aus der Welt zu schaffen vermag.
Abschließend sei in diesem Zusammenhang auch darauf hingewiesen, dass Hauptsacheentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts über die zahlreichen Verfassungsbeschwerden gegen die sog. „Bundesnotbremse″ (§ 28b IfSG) noch ausstehen. Ähnlich wie in der Einleitung mit Blick auf die Verwaltungsgerichte geschildert, hatte es zwar auch das Bundesverfassungsgericht abgelehnt, bereits im vorläufigen Rechtsschutz einzugreifen: Diverse Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 32 BVerfGG (siehe zusammenfassend hier, hier und hier) hatte es Frühjahr/Frühsommer abgelehnt (und zwar mit teils eher enttäuschender Begründungstiefe). In der Hauptsache dürfte es aber ebenso wie der VGH im Fall der bayerischen „Ausgangssperre″ während des ersten „Lockdowns″ sehr viel genauer und kritischer „hinsehen″. Zuletzt hatte das Bundesverfassungsgericht im Rahmen einer Pressemitteilung vom 20. August 2021 angekündigt, über mehrere ausgewählte Hauptsacheverfahren noch im Oktober/November 2021 entscheiden zu wollen.
Soweit das Bundesverfassungsgericht Regelungen der „Bundesnotbremse″ nach § 28b IfSG für verfassungswidrig erachten sollte, dürfte die Frage nach etwaigen staatshaftungsrechtlichen Ansprüchen deutlich an Brisanz und Dynamik gewinnen.
In unserer Blogserie zu „Coronavirus: Handlungsempfehlungen für Unternehmen″ zeigen wir anhand der aktuellen Situation unternehmensbezogene Stolpersteine auf, die in Krisenzeiten zu beachten sind. Bereits erschienen sind Beiträge zu Verhandlungen, Verjährungen und Verfristungen sowie Haftungsfragen bei Absagen von Messen und Veranstaltungen, zum Datenschutz trotz Corona und zu Möglichkeiten von Aktiengesellschaften zur Cash-Ersparnis sowie Vermögensübertragungen zu steuergünstigen Konditionen. In weiteren Beiträgen gehen wir ein auf die Erstellung eines Notfallplans, auf Vertriebsverträge und Tipps für Lieferanten in Krisenzeiten und auf Auswirkungen auf Lebensmittel- und Hygieneverordnungen. Im Anschluss haben wir uns mit der streitigen (gerichtlichen) Auseinandersetzung befasst, sind auf kartellrechtliche Auswirkungen sowie die Bedeutung für den Kapitalmarkt eingegangen. Näher befasst haben wir uns auch mit „infizierten″ Vertragsverhandlungen, den Änderungen in Mittel- und Osteuropa sowie mit klinischen Studien und dem neuen EU-Leitfaden für Sponsoren uns Prüfärzte. Weiter geht es mit Pflichten zur Abgabe der Steuererklärung und eventuell steuerstrafrechtlichen Haftungsrisiken, dem Moratorium für Zahlungsverpflichtungen von Verbrauchern und Kleinstunternehmern, Unterstützungsmaßnahmen für Start-ups, das Kurzarbeitergeld, sowie den Erleichterungen für Stiftungen und Vereine und GmbH-Gesellschafterbeschlüssen. Es folgten weitere Beiträge zu Kooperationen im Gesundheitswesen und zu Sachspenden an Krankenhäuser, zum Marktzugang für persönliche Schutzausrüstung und Medizinprodukte, zur Beschlagnahmemöglichkeit von Schutzausrüstung durch den Staat und zu Auswirkungen auf laufende IT-Projekte. Zuletzt haben wir auf die Haftung bei betrieblichen Corona-Schutzimpfungsprogrammen hingewiesen.