16. Januar 2019
Anscheinsbeweis kartellrechtlicher Schadensersatz
Kartellrecht

BGH klärt sehr praxisrelevante Frage zum kartellrechtlichen Schadensersatz

Der BGH verneint einen Anscheinsbeweis für den Schaden dem Grunde nach bei einem Quoten- und Kundenschutzkartell ("Hardcore-Kartell").

Der BGH hat nach einigen klägerfreundlichen Entscheidungen in einem aktuellen Urteil (12. Dezember 2018 – KZR 26/17Schienenkartell) eine eher beklagtenfreundliche Entscheidung erlassen. Nachdem die Instanzgerichte regelmäßig bei sog. Hardcore-Kartellen, zu denen auch Quoten- und Kundenschutzkartelle zählen, einen Beweis des ersten Anscheins für den Eintritt eines Schadens beim Abnehmer des Kartellanten angenommen haben, hat der BGH einen solchen Anscheinsbeweis – jedenfalls für Quoten- und Kundenschutzkartelle – verneint.

Unternehmen legt Follow-on-Klage gestützt auf einen Anscheinsbeweis ein

Die Beklagte hatte in der Zeit von Mai 2001 bis Mai 2011 mit anderen Unternehmen Absprachen zu Quoten und Kunden für Gleisbauobermaterialien (vor allem Schienen) getroffen. Hierfür hatte das Bundeskartellamt gegen die Beklagte ein Bußgeld verhängt.

Die Klägerin hatte in der Zeit von 2004 bis Mai 2011 in 16 Fällen Gleisbauobermaterialien von der Beklagten erworben. Die Klägerin machte, gestützt auf einen Anscheinsbeweis für die ihr entstandenen Schäden, gerichtlich kartellrechtlichen Schadensersatz geltend (follow-on-Klage).

BGH: Fehlerhafte Beweiswürdigung der Vorinstanzen

Nachdem das LG Mannheim und das OLG Karlsruhe durch Grundurteile festgestellt hatten, dass der Klägerin – jedenfalls dem Grunde nach – ein kartellrechtlicher Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte zustehe, hob der BGH das Urteil des OLG Karlsruhe auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung zurück.

Nach Ansicht des BGH könne die Beweiswürdigung für die Annahme eines Schadens der Klägerin dem Grunde nach nicht auf einen Anscheinsbeweis gestützt werden, wie es die Vorinstanzen getan haben.

Nach Ansicht des BGH habe die Vorinstanz einen Verfahrensfehler begangen, indem sie bei der Beweiswürdigung für die Annahme eines Schadens der Klägerin dem Grunde nach einen Anscheinsbeweis angenommen hat. Einen solchen Anscheinsbeweis gäbe es im zu entscheidenden Fall nicht.

Kein Anscheinsbeweis für eine allgemein preissteigernde Wirkung des Kartells

Es bestehe – so der BGH –  keine sehr hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass das vom Bundeskartellamt festgestellte Quoten- und Kundeschutzkartell erfolgreich umgesetzt werde. Damit entspräche die Erzielung höherer Preise durch ein solches Kartell keinem typischen Geschehensablauf.

Ob und in welcher Höhe wettbewerbsbeschränkende Absprachen tatsächlich zu einem Preiseffekt auf dem Markt führen, werde von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst, die im Verlauf der Zeit erheblichen Veränderungen unterlägen. Zudem dürfe nicht aus dem Blick verloren werden, dass alle an einer solchen Absprache beteiligten Unternehmen jeweils ihre eigenen Interessen verfolgten. Deswegen sei es auch nicht sehr wahrscheinlich, dass sich diese Unternehmen durchgehend an die Kartellabsprache hielten.

Aus alledem folgert der BGH, dass es an der für die Anwendung eines Anscheinsbeweises erforderlichen Typizität einer allgemein preissteigernden Wirkung bei einem Quoten- und Kundenschutzkartell fehle.

Überdies: Kein Anscheinsbeweis für die Kartellbefangenheit der Beschaffungsvorgänge

Der BGH verneinte zudem –  wieder entgegen der instanzgerichtlichen Rechtsprechung zu Hardcore-Kartellen –  einen Anscheinsbeweis für die Kartellbefangenheit von Beschaffungsvorgängen der Abnehmer der Kartellanten bei einem Quoten- und Kundenschutzkartell. Dies gelte selbst dann, wenn die Beschaffungsvorgänge sachlich, räumlich und zeitlich in den Bereich der kartellrechtswidrigen Absprache fielen.

Auch hier fehle es – so der BGH – an der Typizität des Geschehensablaufs: Es könne nicht hinreichend gesichert der Schluss gezogen werden, dass eine sehr große Wahrscheinlichkeit bestehe, dass Quoten- und Kundenschutzkartelle jedes Mal beachtet und umgesetzt würden, wenn die Kartellanten die von dem Quoten- und Kundenschutzkartell erfassten Produkte vertreiben.

Neben den bereits gegen die preissteigernde Wirkung sprechenden Gesichtspunkten sprächen bei der Kartellbefangenheit der Beschaffungsvorgänge noch folgende Argumente gegen eine Typizität: Zumindest in der Anfangsphase eines Kartells bestünden praktische Schwierigkeiten bei der Umsetzung des Kartells. Hierbei komme insbesondere dem Umstand Bedeutung zu, dass der für eine Umsetzung des Kartells erforderliche Informationsaustausch Einschränkungen unterliege; dies beruhe darauf, dass die Kartellanten bei der Kommunikation besondere Vorsicht walten ließen, um die Gefahr der Entdeckung des Kartells gering zu halten.

Hieraus folgert der BGH, dass es keinen typischen Geschehensablauf gäbe, wonach jeder einzelne Auftrag bei einem Quoten- und Kundenschutzkartell kartellbefangen sei.

Jedoch: Entscheidung nach freier Beweiswürdigung ohne Berücksichtigung des Anscheinsbeweises notwendig

Der BGH hat zwar Anscheinsbeweise für den Schaden dem Grunde nach verneint. Nach Ansicht des BGH bestehe jedoch eine tatsächliche Vermutung dafür, dass ein gegründetes und durchgeführtes Kartell preissteigernde Wirkung habe und dass Aufträge kartellbefangen seien, wenn sie in den sachlichen, räumlichen und zeitlichen Bereich der Absprache fielen. Diesen tatsächlichen Vermutungen komme im Rahmen der freien Beweiswürdigung durch den Tatrichter regelmäßig eine starke indizielle Bedeutung zu.

Da das OLG Karlsruhe den Schaden dem Grunde nach allein auf die Anscheinsbeweise stützte und alle weiteren Argumente nicht im Rahmen einer Gesamtabwägung berücksichtigte, wird es in seiner künftigen Entscheidung alle vorgebrachten Argumente in freier Beweiswürdigung (ohne Anscheinsbeweis) abwägen und auf dieser Grundlage dann erneut entscheiden müssen.

Der BGH selbst hat noch nicht abschließend entscheiden können, da das OLG Karlsruhe die vom BGH aufgestellten Grundsätze für die Beweiswürdigung noch nicht berücksichtigt hatte. Dies wird das OLG Karlsruhe nun nachholen müssen.

Schlussfolgerungen aus dem BGH-Urteil für Anscheinsbeweise bei anderen Kartellrechtsverstößen

Nach diesem Urteil des BGH können sich von einem Quoten- und Kundenschutzkartell betroffene Kunden von Kartellanten nicht mehr allein auf einen Anscheinsbeweis für den Eintritt eines Schadens dem Grunde nach berufen. Für die Darlegung einer preissteigernden Wirkung eines solchen Kartells wird der Geschädigte nun eine höhere Substantiierungslast erfüllen müssen.

Da der BGH erneut bestätigt hat, dass § 287 Abs. 1 ZPO für die Frage gilt, ob der Klägerin durch den Kartellrechtsverstoß ein Schaden entstanden ist, könnte das bedeuten, dass die Substantiierung mithilfe desjenigen ökonomischen Privatgutachtens erfolgt, das Kläger bei einer Leistungsklage regelmäßig zur Frage der Schadenshöhe vorlegen. Es ist jedenfalls nicht denkbar, dass ein Ökonom in seinem Gutachten zu einem Schaden der Höhe nach kommt, den Schaden dem Grunde nach aber ausschließen würde.

Ist demnach die Schlacht zum Anscheinsbeweis bei einem Quoten- und Kundenschutzkartell durch das Urteil des BGH ausgefochten, stellen sich künftig zwei Fragen:

  1. Greift ein Anscheinsbeweis für die Annahme eines Schadens bei anderen Hardcore-Kartellen als Quoten- und Kundenschutzkartellen?
  2. Welche Bedeutung wird die tatsächliche Vermutung mit regelmäßig starker indizieller Bedeutung im Rahmen der freien Beweiswürdigung für den Schaden dem Grunde nach haben, wenn kein Anscheinsbeweis greifen sollte?

Im Übrigen könnte sich die Frage des Umfangs der Akteneinsicht bei dem Bundeskartellamt stellen. Bisher hatte das Bundeskartellamt diese auf den Bußgeldbescheid beschränkt, weil dem Kläger damit alle für seine Klage relevanten Informationen vorlägen.

Für Schadensersatzansprüche nach 27. Dezember 2016 gilt § 33a Abs. 2 GWB

Es sollte bei diesem Urteil des BGH aber nicht vergessen werden, dass diese Rechtsgrundsätze zum Anscheinsbeweis nur für kartellrechtliche Schadensersatzansprüche gelten, die vor dem 27. Dezember 2016 entstanden sind. Für alle danach entstandenen oder entstehenden kartellrechtlichen Schadensersatzansprüche greift die neue (widerlegliche) gesetzliche Vermutung, dass ein Kartell einen Schaden verursacht (§ 33a Abs. 2 GWB).

Jedenfalls kein Anscheinsbeweis bei bloßen Informationsaustausch

Mittelbar bestätigt werden durch das Urteil des BGH die instanzgerichtlichen Entscheidungen, die einen Beweis des ersten Anscheins für einen Schaden dem Grunde nach bei einem bloßen Informationsaustausch verneint hatten. Wenn bereits bei einem Quoten- und Kundenschutzkartell kein solcher Anscheinsbeweis greift, dürfte für alle Verstöße gegen das Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen, die kein Hardcore-Kartell darstellen (wie bspw. der kartellrechtswidrige Informationsaustausch), erst recht kein Anscheinsbeweis für den Schaden dem Grunde nach greifen.

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