Der BGH klärt wichtige Fragen des Informationsherausgabe- und Auskunftsanspruch nach § 33g GWB (im Folgenden einheitlich: Auskunftsanspruch).
Nachdem sich bereits einige Instanzgerichte mit dem Auskunftsanspruch nach § 33g GWB beschäftigt haben, hat sich nun erstmals der BGH zu dem seit 2017 geltenden Auskunftsanspruch geäußert und wichtige Auslegungsfragen entschieden. So hat der BGH die Bedeutung des maßgeblichen Begriffs der Glaubhaftmachung in § 33g GWB geklärt. Außerdem hat der BGH die zivilprozessualen Schwierigkeiten bei einer gemeinsamen Geltendmachung des Auskunftsanspruchs mit dem kartellrechtlichen Schadensersatzanspruch deutlich gemacht.
Niedrige Anforderungen an die Darlegung für den Auskunftsanspruch
Seit Inkrafttreten des Auskunftsanspruchs nach § 33g GWB war umstritten, was „Glaubhaftmachung“ bedeuten soll. Jetzt befasst sich der BGH mit der Fragestellung.
In der Literatur wird vertreten, dass der in § 33g GWB verwendete Begriff so wie im Zivilprozessrecht (§ 294 ZPO) zu verstehen sei. Das würde für die Glaubhaftmachung bedeuten, dass der Kläger Tatsachen vortragen muss, die es für das Gericht als überwiegend wahrscheinlich erscheinen lassen, dass der Kläger Inhaber eines kartellrechtlichen Schadensersatzanspruches ist.
Der BGH entscheidet sich gegen diese Rechtsansicht und folgt der Gegenauffassung in der Literatur: der kartellrechtliche Schadensersatzanspruch sei im Sinne von § 33g GWB glaubhaftgemacht, wenn der Anspruch schlüssig dargelegt ist und aufgrund konkreter Anhaltspunkte eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass der Kläger Inhaber eines kartellrechtlichen Schadensersatzanspruches ist.
Der BGH meint, der Begriff der Glaubhaftmachung sei wegen seines Ursprungs im Europarecht eigenständig, d.h. ohne Rückgriff auf das deutsche Zivilprozessrecht, auszulegen. Bei dieser Auslegung verweist der BGH auf die Erwägungsgründe der Kartellschadensersatzrichtlinie, nach denen sich der Auskunftsanspruch die Informationsasymmetrie zwischen dem Kartellbeteiligten und dem Gläubiger eines kartellrechtlichen Schadensersatzanspruchs verringern solle. Der Auskunftsanspruch soll hierdurch zu mehr prozessualer Waffengleichheit zwischen dem Kartellbeteiligten und dem Geschädigten führen. Für seine Rechtsansicht verweist der BGH darauf, dass die Glaubhaftmachung im Sinne des § 33g GWB keine besondere Form der Beweisführung sei, sondern eine eigenständige Voraussetzung des Auskunftsanspruchs. Die zu erteilenden Auskünfte sollen – so der BGH – einem etwaigen Gläubiger eines kartellrechtlichen Schadensersatzanspruchs in manchen Fällen erst in die Lage versetzen, seinen kartellrechtlichen Schadensersatzanspruch näher zu prüfen und bei positivem Ausgang der Prüfung näher zu begründen. Schließlich weist der BGH noch darauf hin, dass dieser niedrige Darlegungsmaßstab seiner Auffassung nach nicht dazu führen werde, dass der Gläubiger eines Auskunftsanspruchs einen ungerechtfertigten Zugang zu Geschäftsgeheimnissen des Kartellbeteiligten erlangt oder eine unzulässige Ausforschung des Kartellbeteiligten täters zu befürchten sei. Beiden Bedenken sei durch die im Gesetz geregelten Ausschlussgründe für den Auskunftsanspruch Rechnung getragen.
Zivilprozessuale Besonderheiten des Auskunftsanspruchs
Der BGH entscheidet auch über einige interessante zivilprozessuale Fragen, die sich bei einer Kombination von Auskunfts- und Leistungsklagen bei kartellrechtlichen Schadensersatzansprüchen stellen. Dem lag – etwas verkürzt – folgende zivilprozessuale Situation zugrunde: Die Klägerin begehrte mit der Leistungsklage kartellrechtlichen Schadensersatz von zwei Beklagten, die gesamtschuldnerisch haften sollten. Daneben verlangte die Klägerin im Wege der Stufenklage von einer der zwei Beklagten Informationsherausgabe und Auskunftserteilung gestützt auf § 33g GWB. Das bedeutet, nach dem Begehren der Klägerin sollte das Gericht zunächst – auf der ersten Stufe – über den Auskunfts- und Informationsherausgabeantrag gegen eine der zwei Beklagten und nach Erteilung dieser Auskünfte und Herausgabe der Informationen durch eine der zwei Beklagten auf der zweiten Stufe über den kartellrechtlichen Schadensersatzanspruch gegen beide Beklagten entscheiden.
Der BGH sieht hierin in mehrfacher Hinsicht ein zivilprozessual unzulässiges Vorgehen der Klägerin:
- Die Stufenklage sei von vornherein unzulässig, soweit die Klägerin auf der zweiten Stufe von einer der Beklagten Zahlung des kartellrechtlichen Schadensersatzes verlange, von dieser Beklagten jedoch auf der ersten Stufe keine Informationen oder Auskünfte verlange. Eine Stufenklage setze nach Ansicht des BGH immer voraus, dass die Klägerin die Beklagte sowohl auf der ersten als auch auf der zweiten Stufe ihrer Klage in Anspruch nehme. Im vorliegenden Fall verklagte die Klägerin eine der Beklagten zwar auf Zahlung des kartellrechtlichen Schadensersatzanspruchs, diese Beklagte sollte aber nach dem Begehren der Klägerin keine Informationen an die Klägerin herausgeben oder Auskünfte an die Klägerin erteilen, weshalb die Stufenklage unzulässig sei.
- Nach Ansicht des BGH sei auch die Stufenklage gegen die zweite Beklagte unzulässig, obwohl diese Beklagte nach dem Begehren der Klägerin Schuldnerin des Auskunftsanspruchs und des kartellrechtlichen Schadensersatzanspruchs sein sollte. Der BGH führt aus, die Klägerin benötige die von der Beklagten verlangten Auskünfte und Informationen nicht, um die Schadenshöhe des kartellrechtlichen Schadensersatzanspruchs darzulegen, der auf der zweiten Stufe geltend gemacht werde. Zivilprozessual stehe die Stufenklage jedoch nicht für Auskunftsansprüche zur Verfügung, die nicht der konkreten Bestimmung des Leistungsanspruchs (im Fall der Schadenshöhe des kartellrechtlichen Schadensersatzanspruchs) dienen, sondern dem Kläger allgemeine Informationen über seine Rechtsverfolgung verschaffen und der prozessualen Waffengleichheit zwischen Kläger und Beklagten dienen. Die Stufenklage komme bei dem kartellrechtlichen Schadensersatzanspruch jedoch nicht in Betracht, wenn der kartellrechtliche Schadensersatzanspruch mit dem Auskunftsanspruch nach § 33g GWB kombiniert werde und die Klägerin die Auskünfte des Beklagten nicht zur Bestimmung der Schadenshöhe begehrt.
Der BGH prüft darüber hinaus, ob der Klägerin durch eine Umdeutung geholfen werden könne:
- Der BGH prüft, ob die unzulässige Stufenklage der Klägerin zivilprozessual zulässigerweise umgedeutet werden könne. Bei der Stufenklage gegen die Beklagte, die Schuldnerin des Auskunftsanspruchs nach § 33g GWB ist, sei – nach Ansicht des BGH – eine Umdeutung der Stufenklage in eine objektive Klagehäufung nach § 260 ZPO möglich. Dem stehen die prozessualen Handlungsoptionen eines Gerichts nach § 89b GWB nicht entgegen. Der BGH stellt klar: die zivilprozessualen Handlungsoptionen für das Gericht nach § 89b GWB haben keine Sperrwirkung für die gleichzeitige Geltendmachung des kartellrechtlichen Schadensersatzanspruchs und des Auskunftsanspruchs nach § 33g GWB in objektiver Klagehäufung. Über die Streitfrage, was unter dem Zwischenurteil über den Auskunftsanspruch nach § 89b GWB zu verstehen sei, entscheidet der BGH hingegen nicht.
- Bei der anderen Beklagten sei nach Ansicht des BGH eine Umdeutung der Stufenklage in eine objektive Klagehäufung zivilprozessual nicht zulässig. Eine objektive Klagehäufung gegen die zweite Beklagte sei zivilprozessual nur dann möglich, wenn diese zweite Beklagte nach dem Begehren der Klägerin Schuldnerin der Auskunftsansprüche und des kartellrechtlichen Schadensersatzanspruchs wäre. Da sie dies nicht ist, ist eine Umdeutung der Stufenklage in eine objektive Klagehäufung nicht möglich.
- Der BGH bringt jedoch eine andere Art Umdeutung ins Spiel: Der unbedingte Antrag der Klägerin auf kartellrechtlichen Schadensersatz gegen die zweite Beklagte könne von der Klägerin mit einem Antrag auf Aussetzung des Verfahrens nach § 89b Abs. 4 GWB kombiniert werden. Damit könne das Verfahren über den kartellrechtlichen Schadensersatzanspruchs gegen die zweite Beklagte so lange ausgesetzt werden, bis das Gericht über die Auskunftsklage der Klägerin gegen die andere Beklagte entschieden hat. Die Vorinstanz wies die Klägerin nicht auf diese Möglichkeit der Aussetzung des Verfahrens hin, sodass der BGH die Stufenklage gegen die zweite Beklagte nicht vollständig abweist, sondern die Klage auch gegen die zweite Beklagte an die Vorinstanz zurückverweist. Im weiteren Verfahren wird die Klägerin sich entscheiden müssen, ob sie die Aussetzung der Klage auf kartellrechtlichen Schadensersatz gegen die zweite Beklagte nach § 89b Abs. 4 GWB beantragt.
Informationsherausgabe: Von der Ausnahme zur Regel in der Rechtsprechung?
Gläubiger vermeintlicher kartellrechtlicher Schadensersatzansprüche könnten künftig einfacher an die für die Darlegung des kartellrechtlichen Schadensersatzanspruchs erforderlichen Informationen gelangen. Sie müssen das Gericht nur davon überzeugen, dass ihr kartellrechtlicher Schadensersatzanspruch mit gewisser Wahrscheinlichkeit bestehe, wobei dieses Wahrscheinlichkeitsurteil auf konkreten Anhaltspunkte beruhen muss. Denkbar ist für den BGH, dass diese gewisse Wahrscheinlichkeit des kartellrechtlichen Schadensersatzanspruchs allein aus der Existenz einer Verpflichtungszusagenentscheidung gegen den Beklagten folgt. Dies bleibt für den BGH aber der Prüfung des Einzelfalls vorbehalten. Da die Instanzgerichte in der Vergangenheit Informationsansprüche in der Regel nicht gewährten, könnte sich eine Wende in der Rechtsprechung ergeben und die Gerichte eher geneigt sein, Auskunftsansprüche zu gewähren.