14. Februar 2022
Investitionsprüfung
Kartellrecht

Investitionsprüfung – Untersagung durch Nichtentscheidung

Das Fristenregime der deutschen Investitionsprüfung wird zum Stolperstein für das Long-Stop-Date.

Unter den Voraussetzungen der §§ 55, 60 ff. Außenwirtschaftsverordnung (AWV) kann das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) den Erwerb deutscher Unternehmen durch ausländische Investoren einer außenwirtschaftsrechtlichen Investitionsprüfung unterziehen. Deren Fristenregelung erlaubt jedenfalls in problematischen Fällen keine verlässliche Prognose zur voraussichtlichen Verfahrensdauer. Im Fall der nunmehr gescheiterten Siltronic-Übernahme wurde die unerwartet lange Prüfung dem Erwerber zum Verhängnis.

Fall Siltronic: Long-Stop-Date verstrich ohne Entscheidung des BMWK 

Am 9. Dezember 2020 gab der taiwanische Hersteller GlobalWafers ein Übernahmeangebot für den deutschen Waferhersteller Siltronic AG für über EUR 4 Mrd. ab. Der Vollzug des Angebots stand unter der aufschiebenden Bedingung der Erteilung der erforderlichen regulatorischen Freigaben. Neben zahlreichen fusionskontrollrechtlichen Freigaben gehörte dazu auch die Erteilung einer Unbedenklichkeitsbescheinigung durch das BMWK. Die Erwerbsparteien vereinbarten ein Long-Stop-Date zum 31. Januar 2022. 

Das Bundeskartellamt gab den Fall bereits im Februar 2021 frei, es folgten Fusionskontrollfreigaben u.a. aus Japan, Taiwan und den USA. Größere Probleme bereitete das Vorhaben bei der chinesischen Kartellbehörde und in der Investitionsprüfung des BMWK. Am Ende war China, sonst häufig Träger der roten Laterne, schneller als das BMWK. Peking erteilte am 21. Januar 2022 die Freigabe, allerdings nur unter Auflagen und Bedingungen.

Ebendies wurde nun beim BMWK zum Sargnagel für die Übernahme. Spätestens seit der Ad-hoc-Meldung von Siltronic am 14. Januar 2022 war klar, dass das BMWK erhebliche Vorbehalte gegen den Erwerb hatte. Als dann wenige Tage später die chinesische Behörde fusionskontrollrechtliche Auflagen machte, wollte das BMWK analysieren, ob diese Auflagen die öffentliche Ordnung und Sicherheit Deutschlands oder eines EU-Staates beeinträchtigen könnten. 

GlobalWafers versuchte Ende Januar noch, im einstweiligen Rechtsschutz feststellen zu lassen, dass die Prüffrist des BMWK schon abgelaufen sei und deswegen die Genehmigungsfiktion gelte. Damit scheiterte GlobalWafers in erster und zweiter Instanz.

Auch weil die begründete Entscheidung der chinesischen Kartellbehörde (in Mandarin) erst am 26. Januar 2022 vorlag, konnte das BMWK seine Prüfung nicht mehr bis zum 31. Januar 2022 abschließen. Das Long-Stop-Date verstrich und der Erwerb scheiterte, ohne dass das BMWK eine förmliche Entscheidung erlassen hat.

Beobachtungen für die Praxis: Kartellauflagen in einem Staat können den Sicherheitsinteressen eines anderen Staates zuwiderlaufen

Die Halbleiterindustrie in Deutschland zu stärken, um die Abhängigkeit der Industrie von ausländischen Zulieferern zu reduzieren, ist erklärtes Ziel von Wirtschaftsminister Habeck. Als nach Ablauf des Übernahmeangebots der Erwerb von Siltronic scheiterte, zeigte sich das Regierungslager erfreut darüber, dass es nicht zur „Veräußerung von Tafelsilber“ kam. Im Markt besteht daher der Eindruck, das BMWK sei nicht unzufrieden damit, dass sich der Fall Siltronic durch bloße Nichtentscheidung regeln ließ und eine andernfalls ggf. erforderliche, diplomatisch aber immer etwas heikle förmliche Untersagung entbehrlich war. 

Zur Klarstellung: Das BMWK hat vertragliche Long-Stop-Dates im Normalfall durchaus im Blick und versucht, seine Verfahren in diesem Zeitrahmen zu entscheiden – vorausgesetzt, der zur Verfügung stehende Zeitraum ist nicht zu kurz bemessen. 

Allerdings offenbart der Fall Siltronic für die M&A-Praxis ein neues Problem, wenn Transaktionen in mehreren Ländern sowohl der Fusionskontrolle als auch der Investitionskontrolle unterworfen sind: Dass das BMWK vor seiner Entscheidung zunächst die Auswirkungen der fusionskontrollrechtlichen Auflagen aus China auf eine etwaige Beeinträchtigung deutscher Sicherheitsinteressen hin prüfen wollte, zeigt, dass die Interessen zum Schutz des Wettbewerbs in einem Staat den Sicherheitsinteressen eines anderen Staates zuwiderlaufen können. 

Was tun, wenn die Wettbewerbsbehörde des einen Staates etwas verlangt, was die Behörde des anderen Staates aus sicherheitspolitischen Gründen gerade nicht will? Zu denken wäre hier etwa an Lieferpflichten oder die Aufrechterhaltung bestimmter Betriebsstätten. Zudem ist fraglich, ob bereits erteilte Freigaben durch das BMWK widerrufen werden könnten, wenn eine Kartellbehörde erst nach dem BMWK entscheidet und Auflagen macht, die das BMWK nicht für akzeptabel hält. Diese Fragen gewinnen zusätzlich an Gewicht, weil die Grenze zwischen Sicherheitspolitik und Industriepolitik zunehmend verschwimmt.

Im Ergebnis erfordert dies eine noch enger abgestimmte Vorbereitung der verschiedenen fusions- und investitionskontrollrechtlichen Verfahren der Behörden betroffener Länder unter Berücksichtigung der lokal geltenden Fristenregime in M&A-Prozessen. 

Vorausplanung notwendig: Verzögerungsrisiken durch die Investitionsprüfung

Je nach Nationalität der unmittelbaren oder mittelbaren Erwerber und abhängig von der Aktivität des deutschen Zielunternehmens muss der Erwerb bestimmter Stimmrechtsanteile (10 %, 20 %, 25 %, 40 %, 50 % und 75 %) beim BMWK gemeldet werden und darf vor Freigabe nicht vollzogen werden. Besteht keine Meldepflicht, kann das BMWK in einem Zeitraum von bis zu fünf Jahren seit Abschluss des Kaufvertrages von sich aus Fälle aufgreifen und prüfen, wenn der unmittelbare oder mittelbare Erwerber keine EU- oder EFTA-Person ist und bestimmte Stimmrechtsanteile (25 %, 40 %, 50 % und 75 %) erwirbt. Gleiches gilt im Falle „atypischer Kontrollerwerbe“. Um diese Phase der Rechtsunsicherheit zu vermeiden, kann der Erwerber auch eine freiwillige Meldung machen oder eine Unbedenklichkeitsbescheinigung anfordern und so die fristgebundenen Verfahren auslösen. 

Die Rechtslage hat sich in den letzten Jahren mehrfach geändert, insbesondere das Fristenregime wurde im Jahr 2020 neu ausgestaltet – eigentlich mit dem Ziel, mehr Verfahrenssicherheit zu schaffen. Die Regelungen sehen aber für Auskunftsverlangen durch Verwaltungsakt und v.a. während der Verhandlung von Sicherheitsvereinbarungen eine Hemmung der Verfahrensfristen vor. 

Auch wenn es durchaus sehr zügige Entscheidungen durch das BMWK gibt, können problematischere Verfahren ohne Weiteres zwölf Monate oder noch längere Zeit in Anspruch nehmen. 

Tags: Außenwirtschaftsrecht Corporate / M&A Internationale Übernahmen Investitionsprüfung Kartellrecht