Das OLG Hamburg wendet das Coty-Urteil des EuGH zum Verbot von Drittplattformen (Amazon, eBay) auf Nicht-Luxusgüter an. Gegenwind für das Bundeskartellamt.
Mit Urteil vom 22. März 2018 hat das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg (3 U 250/16) entschieden, dass ein Hersteller von Nahrungsergänzungsmitteln, Kosmetika, Fitnessgetränken sowie Körperpflegeprodukten den Vertriebshändlern seines qualitativen selektiven Vertriebssystems wirksam den Vertrieb über bestimmte Online-Verkaufsplattformen untersagen darf (sog. Drittplattformverbot). Das Urteil knüpft an das sog. Coty-Urteil des Europäischen Gerichtshofs („EuGH″) zu Drittplattformverboten beim selektiven Vertrieb von Luxusgütern vom 6. Dezember 2017 an (C-230/16) (dazu bereits unsere erste Analyse vom 6. Dezember 2017)), erweitert dieses aber auf Nicht-Luxusprodukte.
Hohe Qualität und marktspezifisches Image der Produkte
Die Klägerin vertreibt im Rahmen eines geschlossenen Vertriebssystems über das sog. Network Marketing deutschlandweit Nahrungsergänzungsmittel, Kosmetika, Fitnessgetränke sowie Körperpflegeprodukte. Im Vergleich zu den Produkten ihrer Wettbewerber verwendet die Klägerin hochwertige Rohstoffe mit einem hohen Wirk- und Reinheitsgrad. Die Produkte, die auch von Spitzensportlern verwendet werden, weisen daher eine hohe Qualität auf. Zudem hat sich die Klägerin mit ihrem Konzept auch ein marktspezifisches Image geschaffen, das sie durch begleitende Beratungs- und Betreuungsleistungen für den Kunden pflegt. Insgesamt soll dem Kunden ein anspruchsvolles, qualitativ hochwertiges und höherpreisiges Endprodukt angeboten und ein besonderes Produktimage aufgebaut und erhalten werden.
Vertrieb über eBay entgegen der Unternehmensrichtlinien
Die sog. Unternehmensrichtlinien der Klägerin stellen spezifische Vorgaben hinsichtlich Umfang, Inhalt und Darstellung der Präsentation der Waren, auch im Internet, auf. Insbesondere untersagen die Unternehmensrichtlinien „derzeit″ den Vertrieb über eBay und vergleichbare Internethandelsplattformen. „Nach aktuellem Stand″ genügt der Verkauf über diese Kanäle nicht den hochwertigen Ansprüchen der Klägerin. Vertriebspartner, die gleichwohl auf eBay ihre Waren vertrieben, erhielten von der Klägerin eine Abmahnung. Eine solche Abmahnung war Grundlage des vom Hanseatischen Oberlandesgericht zu entscheidenden Rechtsstreits.
Selektiver Vertrieb: Metro-Rechtsprechung des EuGH
Das Kartellverbot in Artikel 101 AEUV/§ 1 GWB verbietet wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen zwischen Unternehmen. Nach der sog. Metro-Rechtsprechung des EuGH fällt die Organisation eines rein qualitativen selektiven Vertriebsnetzes jedoch nicht unter das Kartellverbot, wenn bestimmte Kriterien erfüllt sind.
Das selektive Vertriebssystem ist dann ein mit dem Wettbewerb vereinbarer Bestandteil. Hierzu muss die Beschaffenheit des fraglichen Erzeugnisses, etwa zur Wahrung seiner Qualität und zur Gewährleistung seines richtigen Gebrauchs, ein selektives Vertriebsnetz erfordern und (ii) die Auswahl der Wiederverkäufer anhand objektiver Kriterien qualitativer Art erfolgen, die einheitlich für alle potentiellen Wiederverkäufer festgelegt und unterschiedslos angewendet werden und (iii) nicht über das erforderliche Maß hinausgehen.
Keine Beschränkung des Selektivvertriebs auf Luxuswaren oder technisch hochwertige Erzeugnisse
Das Hanseatische OLG sah die Voraussetzungen der Metro-Rechtsprechung im vorliegenden Fall als erfüllt an. Dies war insofern nicht völlig unproblematisch, als es sich bei den streitgegenständlichen Produkten gerade nicht um mechanische bzw. technische oder langlebige Produkte oder Luxusprodukte handelte. Eben bezogen auf solche Produkte hatte der EuGH in der Vergangenheit seine Metro-Rechtsprechung erlassen bzw. fortentwickelt. Zu einer ausdrücklichen Ausweitung der Rechtsprechung auf bloße Markenprodukte bzw. qualitativ hochwertige Produkte kam es durch den EuGH noch nicht.
Das Hanseatische OLG hat für eine pauschale Unterteilung der Zulässigkeit selektiver Vertriebssysteme für technisch hochwertige Waren bzw. Luxuswaren einerseits und sonstige Waren andererseits indes keine hinreichenden Gründe gesehen. Es fehle insoweit an eindeutigen Abgrenzungskriterien zwischen Luxuswaren und solchen Waren, die, ohne Luxuswaren zu sein, ebenfalls von einer solchen Hochwertigkeit oder sonstigen Besonderheit sind, dass ihr Prestigecharakter einen Selektivvertrieb gerechtfertigt erscheinen ließe.
Auch sehe das Gesetz keine Grundlage für eine Beschränkung des Selektivvertriebs auf Luxuswaren oder technisch hochwertige Erzeugnisse vor. Die Hamburger Richter haben klargestellt, dass auch der Vertrieb qualitativ hochwertiger Produkte ein ergänzendes Präsentations- und Beratungsportfolio erfordern könne, um ein besonderes Images von qualitativer Hochwertigkeit und besonders positiven Eigenschaften des Produkts zu vermitteln.
Zum Drittplattformverbot und zum Coty-Urteil
In seinem viel beachteten Coty-Urteil vom 6. Dezember 2017 hat der EuGH festgehalten, dass ein sog. Drittplattformverbot jedenfalls in einem qualitativen selektiven Vertrieb für Luxuswaren zulässig ist. Ein solches geht nicht über das hinaus, was für ein selektives Vertriebssystem erforderlich ist. Nach dem Hanseatischen OLG gilt dies letztlich auch für die streitgegenständlichen Nicht-Luxusprodukte; die Hamburger Richter hatten keine kartellrechtlichen Bedenken gegen das Verbot.
Anders als im Coty-Fall lag aber kein „endgültiges″ Verbot des Drittplattformvertriebs vor. Vielmehr hatte das Verbot nur „derzeit″ Geltung, weil der Verkauf über eBay „nach aktuellem Stand″ nicht den hochwertigen Ansprüchen der Klägerin genügt. Inwieweit eine solche Formulierung einen echten Unterschied macht, erscheint aber fraglich.
Einordnung und Ausblick
Das Hanseatische OLG hat die Metro-Rechtsprechung auf anspruchsvolle, qualitativ hochwertige und höherpreisige Endprodukte mit einem besonderen Produktimage ausgedehnt. Dies ist im Grundsatz zu begrüßen, und dürfte auch ohne ausdrückliches obergerichtliches Urteil der bisherigen Praxis entsprochen haben.
Zum einen ist die Abgrenzung zwischen echten Luxuswaren und bloßen Markenprodukten schwer oder kaum durchführbar. Es fehlen praktisch handhabbare Kriterien. Zum anderen ist nicht einzusehen, wieso ein Markenprodukt mit einem besonderen Produktimage und einer hohen Qualität nicht von den rechtlichen Bedingungen profitieren kann, um selbst irgendwann den Sprung ins Luxussegment zu schaffen. Hinter der Metro-Rechtsprechung des EuGH steht die Erwägung, dass es legitim sein kann, den auf qualitativen Elementen beruhenden Wettbewerb zu Lasten des Preiswettbewerbs zu fördern. Ein solcher Qualitätswettbewerb ist aber per se nicht auf bestimmte mechanische bzw. technische Produkte oder Luxusprodukte beschränkt.
Dass das Hanseatische OLG zudem die Coty-Entscheidung faktisch auf Nicht-Luxusprodukte ausgeweitet hat, ist ebenso zu begrüßen. Dies ist auch die Auffassung der Europäischen Kommission. Diese hat im Anschluss an das Coty-Urteil, in deutlicher Abgrenzung zum Twitter-Schnellschuss des Bundeskartellamts, klargestellt, dass sie bei der Frage, ob Drittplattformverbote Kernbeschränkungen i.S.d. Vertikal-GVO sind, nicht zwischen Produktkategorien unterscheidet (Competition Policy Brief 2018-01). Auch das dürfte indes nur die halbe Wahrheit sein, schließlich wird man wohl immer noch den Kontext des selektiven Vertriebs und damit eine bestimmte Produktbeschaffenheit verlangen müssen. Insofern verschiebt sich auch mit dem Urteil aus Hamburg nur die durch die Rechtsprechung bestätigte Grenzlinie von Luxus und Nicht-Luxus auf qualitativ hochwertige Waren und andere Waren.