Spanplatten, Betonrohre, Pflastersteine, Feuerlöschfahrzeuge, Eisenbahnschienen, Dampfkessel, Bunkeröl, aber auch Milch, Mehl, Instant-Cappuccino, Röstkaffee, Schokolade und Gummibärchen – alles Produkte, bei denen das Bundeskartellamt im letzten Jahr Bußgelder wegen Kartellverstößen verhängt hat, insgesamt 316 Millionen Euro. Das freut den Bundesfinanzminister, lässt aber folgende Frage offen: Wie hoch ist die Kartellstrafe im Einzelfall?
Die Antwort des Gesetzes ist nicht sehr genau: Bei Personen beträgt die Geldbuße höchstens 1 Million Euro, gegen Unternehmen können (noch) höhere Geldbußen verhängt werden, die aber 10 Prozent des im letzten Geschäftsjahr vor der Behördenentscheidung erzielten Gesamtumsatzes nicht übersteigen dürfen; dabei ist Gesamtumsatz gleich Konzernumsatz. Begeht VW einen Kartellverstoß, ergibt sich daraus folgender Rahmen: mindestens 5 Euro (gesetzlicher Mindestbetrag) und maximal 19,3 Milliarden Euro (193 Milliarden Euro Umsatz in 2012 x 10 Prozent). Dieser Zustand ist äußerst unbefriedigend, manche sagen verfassungswidrig. Übertragen auf den Straßenverkehr wäre es etwa so, als ob die Strafe für zu schnelles Fahren mindestens 5 Euro und maximal 10 Prozent des Jahreseinkommens des Fahrers betragen würde.
Um diesen Zustand zu verbessern, hat das Bundeskartellamt 2006 Bußgeldleitlinien herausgegeben, die es kürzlich neu gefasst hat. Grund für diese Neufassung ist der Grauzement-Beschluss des BGH vom 26. Februar 2013 (KRB 20/12). Der BGH hat entschieden, die gesetzliche Regelung sei nicht zu unbestimmt und damit nicht verfassungswidrig, könne aber nicht so ausgelegt werden, wie es bisher das Bundeskartellamt getan hat. Dementsprechend hat das Bundeskartellamt neue Bußgeldleitlinien erarbeitet, deren wesentlicher Inhalt folgender ist:
Zunächst wird (wie auch schon bisher) der tatbezogene Umsatz ermittelt. Tatbezogener Umsatz ist derjenige, der von den Kartellverstößen sozusagen infiziert ist. Besteht das Kartell über mehrere Jahre, ist der tatbezogene Umsatz auch mehrjährig. Das Bundeskartellamt geht von einem „Gewinn‑ und Schadenspotential″ in Höhe von 10 Prozent des tatbezogenen Umsatzes aus und legt den sich daraus ergebenden Betrag der weiteren Bußgeldbemessung zugrunde.
Beispiel: Ein Möbelhersteller (M) hat mit der Konkurrenz über drei Jahre die Preise für Tische abgesprochen. Der bei M in diesen Jahren betroffene Umsatz beträgt 45, 50 und 55 Millionen Euro und damit insgesamt 150 Millionen Euro. 10 Prozent davon sind 15 Millionen Euro.
Vom Bundeskartellamt wird dann (und das ist neu) ein Multiplikationsfaktor herangezogen, der sich nach der Unternehmensgröße richtet. Bei einem Umsatz von bis zu 100 Millionen Euro ist der Faktor 2, bei einem Umsatz von 1 Milliarde Euro ist der Faktor 4 und bei einem Umsatz von 100 Milliarden Euro ist der Faktor 6. Es kommen dann allgemeine Zumessungskriterien hinzu – insbesondere Art und Dauer der Zuwiderhandlung, Auswirkungen auf den Markt, Organisationsgrad, Rolle des Unternehmens im Kartell, Vorsatz oder Fahrlässigkeit sowie auch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Natürlich bleibt es bei der gesetzlichen Obergrenze von 10 Prozent des Gesamtumsatzes.
Fortführung des Beispiels: M erzielt einen Gesamtumsatz von 100 Millionen Euro, so dass sich aufgrund des Multiplikationsfaktors von 2 ein Bußgeld von 30 Millionen Euro (15 Millionen Euro x 2) ergibt. Beträgt Ms Gesamtumsatz 1 Milliarde Euro, erhöht sich der Multiplikationsfaktor auf 4 und damit das Bußgeld auf 60 Millionen Euro (15 Millionen Euro x 4).
Gleiche Taten können also zu sehr unterschiedlichen Bußgeldern führen. Ungerecht? Nein, sagt das Bundeskartellamt, da Ausdruck unterschiedlicher Leistungsfähigkeit und damit der „Ahndungsempfindlichkeit″.