Knie, Hüften, jetzt auch Augen: Gesundheit ist ein wichtiges Feld für den 3D-Druck. KI gibt der Technologie neuen Schub. Wie und wo greift das Medizinprodukterecht?
Seit einigen Jahren mehren sich praktische Anwendungsfelder von 3D-Druckverfahren in der Gesundheitsbranche, etwa in der Zahntechnik oder bei der Herstellung von Endoprothesen. Zuletzt wurde sogar über große Fortschritte bei Augen aus dem 3D-Drucker berichtet. In 3D-Druckern werden – vereinfacht ausgedrückt – durch das schichtweise Aneinanderfügen von Materialien (z.B. Kunststoffe, Metalle oder Harz) dreidimensionale Objekte hergestellt. Künstliche Intelligenz (KI) beeinflusst den 3D-Druck positiv und gibt der Technologie neuen Schub. So können durch KI die Effizienz erhöht, Qualität gesteigert und die Anwendungsmöglichkeiten erweitert und verbessert werden.
Mit steigender Relevanz des 3D-Drucks werden auch die rechtlichen Fragestellungen rund um diese Technologie präsenter. Dieser Beitrag nimmt die medizinprodukterechtliche Seite des 3D-Drucks in den Blick.
I. Medizinprodukt oder nicht?
Da sich in der EU-Medizinprodukteverordnung 2017/745 („MDR″) keine speziellen Regelungen zum 3D-Druck finden, bestimmt sich nach der allgemeinen Legaldefinition in Art. 2 Nr. 1 MDR, ob ein Produkt als Medizinprodukt zu qualifizieren ist. Für die Einordnung als Medizinprodukt ist vor allem die medizinische Zweckbestimmung des Produkts maßgeblich, die der Hersteller seinem Produkt gegeben hat, sofern diese nicht wissenschaftlich unhaltbar oder widersprüchlich ist (BGH, Urteil vom 18. April 2013 – I ZR 53/09).
1. Zweckbestimmung des gedruckten Produkts
Zunächst bestimmt sich nach den allgemeinen Regeln, ob die mit einem 3D-Drucker hergestellten Produkte („3D-Modelle″) Medizinprodukte darstellen. Die Definition in Art. 2 Nr. 1 MDR verlangt neben der medizinischen Zweckbestimmung unter anderem, dass „die bestimmungsgemäße Hauptwirkung des Produkts im oder am menschlichen Körper″ erreicht wird. Produkte wie etwa Zahnimplantate, künstliche Knie- oder Hüftgelenke sowie andere Prothesen stellen demnach Medizinprodukte dar, wenn sie direkt am menschlichen Körper wirken. Sofern sie nur mittelbar auf Menschen einwirken (zum Beispiel, weil sie nur als Übungsmodell für Ärzte dienen sollen), erfüllen die gleichen Produkte regelmäßig nicht die Medizinproduktedefinition.
2. 3D-Drucker kein Medizinprodukt
3D-Drucker als solche fallen grundsätzlich nicht unter die Legaldefinition des Medizinprodukts, da diese regelmäßig branchenunspezifisch sind und nicht unmittelbar einem medizinischen Zweck dienen. Zum anderen werden 3D-Drucker in der Regel nicht unmittelbar am menschlichen Körper angewendet sondern erzeugen als Produktionsmittel nur Produkte, die dann gegebenenfalls ihrerseits Medizinprodukte darstellen.
3D-Drucker dürften auch nicht als „Zubehör″ im Sinne des Art. 2 Nr. 2 MDR einzustufen sein. Eine Einordnung als Zubehör hätte zur Folge, dass gemäß Art. 1 Abs. 1 MDR die für Medizinprodukte geltenden Normen Anwendung finden würden. 3D-Drucker erfüllen aber nur die Zubehöreigenschaft, wenn sie vom Hersteller dazu bestimmt wurden, zusammen mit einem oder mehreren bestimmten Medizinprodukten verwendet zu werden und die Verwendung des Medizinprodukts erst ermöglichen oder unmittelbar unterstützen. Die Zubehöreigenschaft des 3D-Druckers wird regelmäßig zu verneinen sein. Zwar ermöglicht er als Produktionsmittel die Verwendung des erzeugten Medizinprodukts. Aber er wird nach Abschluss des Herstellungsprozesses nicht zusammen mit dem Medizinprodukt entsprechend der Zweckbestimmung verwendet. Das Produktionsmittel ist nicht als Zubehör des produzierten Produkts anzusehen.
Auf 3D-Drucker finden allerdings andere nicht-bereichsspezifische Regelungen auf europäischer Ebene Anwendung, wie etwa die Verordnung (EU) 2023/1230 („Maschinenverordnung″), durch die unter anderem Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen für Maschinen, einschließlich 3D-Drucker, festgelegt werden.
3. Sonderfall Software
Die einem 3D-Drucker zugrunde liegende Software kann hingegen als Medizinprodukt zu qualifizieren sein. Entscheidend ist auch hier die Zweckbestimmung, die der Hersteller seiner Software gegeben hat. Eine Software ist als Medizinprodukt einzuordnen, wenn sie selbst für einen der in der MDR genannten medizinischen Zwecke bestimmt ist. Sofern die Software hingegen lediglich für allgemeine Zwecke bestimmt ist, stellt sie kein Medizinprodukt dar, selbst wenn sie im Zusammenhang mit der Gesundheitspflege verwendet wird (vgl. EuGH, Urteil vom 7. Dezember 2017, C-329/16 („Syndicat national de l’industrie des technologies médicales (Snitem)/Premier ministre u. a.″)).
Der Veranschaulichung dienen folgende Beispiele:
- Der EuGH hat die medizinische Zweckbestimmung verneint bei Software, die z.B. (i) lediglich medizinische Patientendaten speichert, (ii) dem behandelnden Arzt nur das Generikum zu einem Medikament angibt oder (iii) in allgemeiner Form auf in der Gebrauchsanweisung genannte Kontraindikationen hinweist (vgl. Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 7. Dezember 2017, C-329/16).
- Als Medizinprodukt angesehen werden könne hingegen Software, die Patientendaten mit verschriebenen Medikamenten abgleicht und diese analysiert, um etwa mögliche konkrete Kontraindikationen festzustellen (vgl. Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 7. Dezember 2017, C-329/16).
Die 3D-Druckern zugrunde liegende Software hat in der Regel keinen selbständigen medizinischen Zweck. Der Zweck der Software liegt stattdessen regelmäßig in der Herstellung des 3D-Modells, welches wiederum medizinischen Zwecken dient. So hat etwa die Software, auf deren Basis ein 3D-Drucker individuelle Zahnkronen druckt, keinen eigenständigen medizinischen Zweck, dessen Wirkung im oder am menschlichen Körper erreicht wird. Die Software dient nur der Produktion des 3D-Modells, welches im Falle der Zahnkronen dann einen eigenständigen medizinischen Zweck im menschlichen Körper erreicht. Die Software ist regelmäßig branchenunspezifisch.
Etwas anderes könnte aber gelten, wenn die Software eine medizinische Wertung trifft, wenn also mittels der Software die medizinisch optimale Geometrie für eine Zahnkrone ermittelt werden soll oder unter Einsatz von 3D-produzierten Bohrschablonen die optimale Position, Bohrtiefe und Bohrwinkel ermittelt werden sollen. Sofern Software solche medizinischen „Planungsfunktionen″ erfüllt, wie es insbesondere bei KI denkbar ist, verfolgt sie unter Umständen einen eigenständigen medizinischen Zweck. In einem solchen Fall dürfte die Software selbst ein Medizinprodukt darstellen.
II. 3D-Modelle als Sonderanfertigungen
Sofern 3D-Modelle als Medizinprodukte zu qualifizieren sind, muss weiter differenziert werden, ob diese Sonderanfertigungen im Sinne des Art. 2 Nr. 3 MDR darstellen. Sonderanfertigungen werden nämlich im Gegensatz zu „normalen″ Medizinprodukten weitreichend privilegiert. So ist etwa bei Sonderanfertigungen keine CE-Kennzeichnung und eine weniger umfangreiche technische Dokumentation erforderlich. Zudem ist nur ein eingeschränktes Konformitätsbewertungsverfahren durchzuführen (außer bei implantierbaren Sonderanfertigungen).
Sonderanfertigungen zeichnet aus, dass diese patientenindividuell ohne Anwendung eines industriellen Verfahrens hergestellt werden und nicht im Rahmen eines standardisierten und reproduzierbaren Prozesses.
Laut eines Q&A-Dokuments der Medical Devices Coordination Group der EU-Kommission (vgl. MDCG 2021-3, Questions and Answers on Custom-Made Devices, abrufbar unter Guidance – MDCG endorsed documents and other guidance – European Commission (europa.eu)) stellen 3D-Modelle unter folgenden Voraussetzungen Sonderanfertigungen dar:
- Es liegt eine schriftliche Verordnung einer berechtigten Person (z.B. Ärzten und Zahnärzten) vor, welche Angaben über die genauen Merkmale des herzustellenden 3D-Modells für die patientenindividuelle Anfertigung festlegt;
- das 3D-Modell dient subjektiv nur einem einzigen Patienten und dessen individuellem Zustand und individuellen Bedürfnissen;
- das 3D-Modell wurde nicht serienmäßig hergestellt.
Sonderanfertigungen müssen abgegrenzt werden von sog. „adaptable devices″, die grundsätzlich serienmäßig hergestellt werden, aber angepasst werden müssen, um den spezifischen Anforderungen eines Anwenders zu entsprechen und sog. „patient-matched devices″, die gemäß den schriftlichen Verordnungen einer dazu berechtigten Person serienmäßig in industriellen Verfahren hergestellt werden. Für adaptable devices und patient-matched devices muss im Gegensatz zu Sonderanfertigungen der Standard-Regulierungspfad durchlaufen werden.
Der Begriff der Sonderanfertigung wird eng ausgelegt und umfasst speziell Produkte des „Gesundheitshandwerks″, d.h. der individuellen Fertigung von Medizinprodukten für einen einzigen Patienten. Als Sonderanfertigungen können beispielhaft folgende Medizinprodukte angesehen werden:
- Hüftpfannenimplantate, die auf der Basis der Verordnung eines Orthopäden hergestellt werden, der zusätzlich zu den DICOM-konformen Scanbildern patientenspezifische Anforderungen zur Rekonstruktion der Hüftpfanne für die Herstellung mittels 3D-Drucks übermittelt hat.
- Patientenindividuelle Zahnkronen, die nach einer Verordnung eines Zahnarztes angefertigt werden und spezifische Konstruktionsmerkmale für einen bestimmten Patienten enthalten, unabhängig davon, ob die Zahnkrone per 3D-Druck oder auf konventionellem Weg im zahntechnischen Labor gefertigt wird.
Im Lichte des Aufstiegs von KI kann erwartet werden, dass die Einordnung als Sonderanfertigung weiter Bedeutung erlangen wird. Da ein Attribut von KI ist, dass sie auf eine stetige Weiterentwicklung ausgelegt ist und nicht auf das repetitive Erbringen identischer Leistungen, spricht viel dafür, dass zahlreiche 3D-Modelle, die von 3D-Druckern mit Hilfe von KI hergestellt werden, aufgrund ihrer individuellen und nicht serienmäßigen Fertigung unter die Definition der Sonderanfertigung fallen könnten. Durch KI unterstützte 3D-Drucker bergen das Potential, basierend auf individuellen Daten Medizinprodukte herzustellen, die auf die spezifischen Bedürfnisse einzelner Patienten zugeschnitten sind.
III. Mit der Entwicklung Schritt halten
Die praktischen Anwendungsfelder des 3D-Drucks nehmen rasant zu. Regelmäßig liest man von neuen Fortschritten im Bereich des 3D-Drucks. Erst kürzlich wurde über Fortschritte, die Forscher bei der Herstellung von maßgeschneiderten Augenprothesen mittels 3D-Drucks gemacht haben, berichtet (siehe etwa Forschung macht große Fortschritte bei Augen aus dem 3D-Drucker (t3n.de)). Der Aufstieg von KI gibt dieser Entwicklung neuen Schub.
Die Fortschritte im Bereich des 3D-Drucks könnten für Medizinproduktehersteller nicht zu verachtende Einsparpotentiale an Zeit, Geld und Ressourcen bei einer gleichzeitigen Steigerung der Qualität der Medizinprodukte bedeuten. Die Entwicklungen könnten aber gleichzeitig auch den Marktzugang für Unternehmen aus anderen Bereichen erleichtern. Aus regulatorischer Sicht könnte zudem die Einstufung der Medizinprodukte als Sonderanfertigungen den regulatorischen Aufwand verringern.
Unternehmen sollten die Chance nutzen und mögliche praktische Anwendungsfelder evaluieren, um von Innovationen im Bereich des 3D-Drucks zu profitieren und wettbewerbsfähig zu bleiben.