25. Juni 2012
Kassenärzte, Bestechung
Life Sciences & Healthcare

Straflos: Kassenärzte und das Thema Bestechung

Macht sich ein niedergelassener Kassenarzt strafbar, wenn er Vorteile dafür annimmt, dass er Medikamente eines bestimmten Herstellers verschreibt? Muss auch der Mitarbeiter des Herstellers mit Strafe rechnen? Die mit Spannung erwartete Antwort des Bundesgerichtshofs (BGH Beschluss vom 29. März 2012 – GSSt 2/11) lautet: Nein. Die Grundsatzentscheidung (PM hier) schafft vorerst Rechtssicherheit. Doch vor Fehlschlüssen für die Praxis sei gewarnt: Nicht alles, was nicht strafbar ist, ist auch erlaubt…

Ausgangsfall

Im konkreten Fall hatte die Referentin eines Pharma-Unternehmens Kassenärzten Schecks über einen Gesamtbetrag von rund 18.000 Euro übergeben. Dies geschah im Rahmen eines Prämiensystems: Der verschreibende Arzt sollte 5% der Herstellerabgabepreise als Prämie dafür erhalten, dass er Arzneimittel des betreffenden Unternehmens verordnete. Diese Zahlungen wurden als Honorar für fiktive wissenschaftliche Vorträge ausgewiesen.

Landgericht: Verurteilung wegen Bestechung

Das mit der Sache befasste Landgericht hielt diese Praxis für strafwürdig. Es verurteilte die Pharmareferentin wegen Bestechung im geschäftlichen Verkehr gemäß § 299 StGB zu einer Geldstrafe.

Knackpunkt dabei war die Frage, ob der Kassenarzt als ein „Beauftragter″ im Sinne der Norm anzusehen ist. Gemäß § 299 StGB ist nur strafbar, wer

„als Angestellter oder Beauftragter eines geschäftlichen Betriebes im geschäftlichen Verkehr einen Vorteil für sich oder einen Dritten als Gegenleistung dafür fordert, sich versprechen läßt oder annimmt, daß er einen anderen bei dem Bezug von Waren oder gewerblichen Leistungen im Wettbewerb in unlauterer Weise bevorzuge″,

oder wer einem solchen Angestellten oder Beauftragten einen entsprechenden Vorteil gewährt. Wer nicht Angestellter oder Beauftragter im Sinne der Norm ist – also etwa der Inhaber – kann zumindest wegen Vorteilsannahme bezüglich seines eigenen Betriebes nicht bestochen werden.

Das Landgericht hatte die Stellung des Vertragsarztes als Beauftragter bejaht. Verneint hatte es demgegenüber eine – strengere – Strafbarkeit wegen Bestechung von Amtsträgern nach § 334 StGB.

Die Angeklagte ging gegen das Urteil vor. Auf ihre Revision hin legte der zuständige Strafsenat des BGH – was sehr selten vorkommt – dem Großen Senat für Strafsachen die beiden Fragen vor, die der Große Senat nun beantwortet hat. Das Ergebnis ist bemerkenswert: Der BGH verneint sowohl die Strafbarkeit nach § 334 StGB als auch nach § 299 StGB.

Bundesgerichtshof: Geltendes Strafrecht greift nicht

Eine Strafbarkeit nach § 334 StGB scheide aus, weil der niedergelassene, für die vertragsärztliche Versorgung zugelassene Arzt bei der Verordnung von Arzneimitteln nicht als Amtsträger im Sinne des § 11 StGB handele. Der freiberuflich tätige Kassenarzt sei nicht dazu bestellt, im Auftrag der gesetzlichen Krankenkassen Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrzunehmen. Er werde auf Grund der individuellen, freien Auswahl des gesetzlich Versicherten – also der Patienten – tätig. Sein Verhältnis zum Versicherten werde wesentlich von persönlichem Vertrauen und Gestaltungsfreiheit gekennzeichnet. Diese sei der Bestimmung durch die gesetzlichen Krankenkassen weitgehend entzogen.

Anders als das Landgericht verneint der BGH auch die Strafbarkeit nach § 299 StGB wegen Bestechung im privatwirtschaftlichen Bereich. Der zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassene Arzt handele bei der Verordnung von Medikamenten nicht als „Beauftragter eines geschäftlichen Betriebes″. Schon vom Wortsinn her verlange der Begriff des „Beauftragten″ die Übernahme einer Aufgabe im Interesse des Auftraggebers, der sich den Beauftragten frei auswählen und ihn bei der Ausübung seiner Tätigkeit anleiten könne.

Daran fehle es hier. In seiner umfangreichen Begründung stellt der BGH vor allem auf das durch § 72 Abs. 1 Satz 1 SGB V vorgegebene Konzept des gleichgeordneten Zusammenwirkens zwischen Vertragsarzt und Krankenkasse sowie die fehlende Entscheidungsmacht der Krankenkasse über das Zustandekommen des Behandlungsverhältnisses mit dem Patienten ab. Der Vertragsarzt werde vom Versicherten als „sein″ Arzt wahrgenommen, den der Patient beauftragt habe und dem er sein Vertrauen schenke. Der Vertragsarzt werde in erster Linie im Interesse des Patienten – und nicht der Krankenkasse – tätig.

Folgen für die Praxis

Die mit Spannung und nicht von allen Beobachtern so erwartete Entscheidung schafft vorerst Rechtssicherheit für Kassenärzte und Pharmaunternehmen. Das ist zu begrüßen. Nach dem Beschluss steht fest: Da ein selbstständiger Kassenarzt weder als Amtsträger noch als Beauftragter der gesetzlichen Krankenkassen zu qualifizieren ist, greifen die geltenden Antikorruptions-Vorschriften des Strafgesetzbuches nicht. Viele bereits laufende Strafverfahren werden jetzt eingestellt werden.

Doch vor Fehlschlüssen sei gewarnt: Anders als so mancher unmittelbar nach dem Beschluss veröffentlichte Kommentar nahezulegen scheint, ist die Entscheidung keineswegs ein Freibrief für das Gewähren oder die Annahme von Provisionen, Prämien oder Geschenken. Es gibt zahlreiche Regelungen, die Korruption im Gesundheitswesen auch nach dem BGH-Beschluss verhindern und ahnden.

So betont der BGH in seiner Entscheidung selbst, dass er lediglich zu entscheiden hatte, ob korruptives Verhalten von Kassenärzten und Mitarbeitern von Pharmaunternehmen nach dem geltenden Strafrecht strafbar sei. Also nur nach dem Strafrecht, und nur nach dem geltenden Strafrecht.

Letzteren Aspekt verbindet der BGH mit einer unmissverständlichen Botschaft an den Gesetzgeber: Ob Korruption im Gesundheitswesen strafwürdig sei und durch Schaffung entsprechender Straftatbestände verfolgt werden könne, könne nur der Gesetzgeber entscheiden. Diesen deutlichen Appell wird der Gesetzgeber kaum ignorieren können. Es ist zu erwarten, dass er sich schon bald des Themas annehmen und bereits begonnene gesetzgeberische Initiativen  zur Bekämpfung korruptiven Verhaltens im Gesundheitswesen aufnehmen wird (vgl. etwa BT-Ds 17/3685). Die Straflosigkeit entsprechenden Verhaltens könnte also nur von kurzer Dauer sein.

Im Übrigen ist zu bedenken, dass der Beschluss die Situation von nicht-selbstständigen Ärzten – insbesondere Ärzten, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis stehen – sowie anderen Angestellte im medizinischen Bereich unberührt lässt. Hier greift das Strafrechts nach wie vor.

Aber auch selbstständige Ärzte dürfen jetzt – anders als der ein oder andere Medienbericht titelt – nicht auf einmal Geschenke annehmen und Provisionen kassieren: Sie unterliegen nach wie vor dem ärztlichen Berufsrecht, das detaillierte Regelungen für die Zusammenarbeit mit Dritten – etwa Pharma-Unternehmen – enthält. Die Unabhängigkeit des Arztes und das Handeln zum Wohle des Patienten sind darin besonders hervorgehoben. So ist es Ärztinnen und Ärzten insbesondere nicht gestattet, Geschenke oder andere Vorteile für sich zu fordern oder anzunehmen, wenn hierdurch der Eindruck erweckt wird, dass die Unabhängigkeit der ärztlichen Entscheidung beeinflusst wird. Darüber hinaus unterwirft die Selbstregulierung der pharmazeutischen Industrie die Kooperation zwischen Pharma-Unternehmen und Ärzten strengen Regelungen, etwa der FSA-Kodex Fachkreise oder des EFPIA-Code.

Vor diesem Hintergrund ist auch in Woche 1 nach der Entscheidung des BGH immer genau hinzuschauen – denn nicht alles, was nicht strafbar ist, ist auch erlaubt.

Tags: Amtsträger Beschluss vom 29. März 2012 – GSSt 2/11 Bestechung Gesundheitswesen Prämiensystem Strafrecht Vertragsarzt