Incoterms wie EXW, FCA, FOB, CIF oder DDP sind ein wesentlicher Bestandteil vieler Kaufverträge. Im September 2019 hat die Internationale Handelskammer (ICC) eine neue Fassung der Incoterms veröffentlicht, die sog. "Incoterms 2020".
Wer mit den Incoterms 2010 vertraut ist, wird in dem neuen Text der Incoterms 2020 wenig Revolutionäres entdecken. In diversen Publikationen aus dem ersten Halbjahr 2019 wurde die Erwartungshaltung geschürt, dass mit wesentlichen Änderungen zu rechnen sei. So werde etwa die Streichung von Klauseln wie EXW, FAS und DDP geprüft. Nichts dergleichen hat sich bewahrheitet.
In nahezu allen Kernpunkten entsprechen die Rechte und Pflichten der Parteien des Kaufvertrags nach den Incoterms 2020 den heute üblichen Bedingungen. Größere systematische Änderungen, wie es sie vor zehn Jahren bei Einführung der Incoterms 2010 gab, wurden in der aktuellen Revision nicht vorgenommen.
Neuer Text der Incoterms 2020 vor allem anwenderfreundlich gestaltet
Dennoch lohnt es sich gerade für den Praktiker, die neue Publikation der ICC mit den Incoterms 2020 anzuschaffen. Legt man die 2010er Fassung neben das neue Werk, stellt man fest, dass dieses mehr Seiten hat und dabei enger bedruckt ist. Grund dafür sind vor allem die umfangreiche „Einführung″ und die „erläuternden Kommentare″ vor Beginn jeder Incoterms-Klausel. Diese erklärenden Texte sind ausführlicher und verständlicher als bisher gefasst und stellen einen Mehrwert gerade für Anwender dar, die sich nicht tagtäglich mit den rechtlichen Details der einzelnen Incoterms befassen.
Auch die Änderungen im Text der eigentlichen Incoterms-Klauseln dienen überwiegend der besseren Lesbarkeit. Beispielsweise findet man die zentralen Fragen der „Lieferung″ und des „Gefahrübergangs″ nun weit vorne im Text der einzelnen Klauseln (Abschnitte A2/B2 und A3/B3). Ein anderes Beispiel ist Abschnitt A9/B9, der jeweils einen Gesamtüberblick über die Kostenverteilung geben soll, so dass der Anwender die entsprechenden Regelungen nicht mehr heraussuchen muss.
DPU statt DAT
In der Liste der Klauseln der Incoterms 2020 findet man eine vermeintlich neue Klausel DPU (delivered at place unloaded), es fehlt dagegen die 2010 neu eingeführte Klausel DAT (delivered at termimal). Diese Neuerung ist lediglich eine sprachliche: Die Klausel DPU entspricht der Klausel DAT.
Neu ist nur, dass der Lieferort nicht mehr als „terminal″ bezeichnet wird. Wie schon bisher entspricht diese Klausel im Wesentlichen DAP (delivered at place), mit dem Unterschied, dass bei DAP der Käufer / Empfänger das Transportmittel entladen muss, bei DAT/DPU der Verkäufer / Frachtführer (daher der Begriff „unloaded„, was entladen / ausgeladen meint). Die neue Bezeichnung DPU hat sicher den Vorteil, dass man schon dem Namen der Klausel einen Hinweis darauf entnehmen kann, worin der Unterschied zu DAP liegt.
In der Praxis wird sich die Klausel aber weiterhin vor allem bei einer Lieferung beispielsweise an einem Containerterminal anbieten (Port oder Rail), weil der Frachtführer, der den Container dorthin verbringt, in der Regel eine Vereinbarung mit dem Terminalbetreiber hat, auf deren Basis das Schiff oder der Zug entladen werden.
Wer beispielsweise im Lkw-Verkehr DPU (oder bisher DAT) an seinen Kunden liefert, muss sich auf ungewöhnlich hohe Transportkosten einstellen, weil sein Frachtführer im Normalfall nicht das Entladen des Lkw schuldet, so dass hier besondere Vereinbarungen mit dem Frachtführer zu treffen wären, um DPU zu liefern.
Transportvorbereitung und Lieferzeitpunkt bei EXW und den F-Klauseln
Wer mit den Klauseln EXW, FCA, FOB oder FAS arbeitet, sollte bei Umstellung auf die neuen Incoterms 2020 zunächst Abschnitt A8/B8 der jeweiligen Klausel lesen. Dort wurden die Pflichten des Verkäufers bezüglich der Prüfung, Verpackung und Kennzeichnung der Kaufsache teils neu formuliert.
Neu ist insbesondere, dass es nicht mehr ausreicht, spezifische Verpackungsanforderungen vor Vertragsschluss mitzuteilen (so Abschnitt A9/B9 der 2010er-Fassung); vielmehr müssen diese vereinbart werden. Bei gründlicher Vertragsgestaltung wird das keinen Unterschied machen, wenn sich der Vertrag aus einer Serie von E-Mails ergibt, könnte diese Neuerung aber entscheidend sein.
Bei den F-Klauseln wurde außerdem die Regelung zum Lieferzeitpunkt neu gefasst (Abschnitt A2 der F-Klauseln). Hier sind – wie bisher – verschiedene Varianten geregelt: Primär ist abzustellen auf den vereinbarten Liefertag (bisher „Zeitpunkt″) – wenn ein solcher vereinbart wurde. Wurde stattdessen ein Zeitraum (neue Begriffe „Lieferfrist″ und „Lieferzeitraum″) vereinbart, während dessen zu liefern ist, muss – wie bisher – in diesem Zeitraum geliefert werden. Neu ist insoweit die Klarstellung, dass der Käufer den genauen Liefertermin innerhalb dieser Lieferfrist bestimmt, indem er anzeigt, wann sein Frachtführer / Beauftragter die Ware abholen wird. Schon bisher ergab sich das mittelbar aus Abschnitt B7 der 2010er-Fassung. Eine Lieferfrist nach den F-Klauseln der Incoterms bedeutet also für den Verkäufer, dass er schon zu Beginn dieser Frist lieferbereit sein muss. Wenn – wie in der Praxis häufig anzutreffen – gemeint ist, dass der Verkäufer irgendwann während der Lieferfrist Versandbereitschaft melden muss, ist das also vertraglich gesondert zu regeln.
Incoterms 2020: „Beschaffung“ in fast allen Klauseln
Die Incoterms 2020 übernehmen den Aufbau der Incoterms 2010. Vorweggestellt sind sieben Klauseln für „alle Transportarten″. Danach folgen noch vier Klauseln für Schiffstransporte, teilweise auch als „blaue Klauseln″ bezeichnet (FAS, FOB, CFR, CIF).
Bei den sog. „blauen Klauseln″ wurde in den Incoterms 2010 eine Klarstellung eingefügt, wonach der Verkäufer anstelle einer Lieferung (an Bord des Schiffs) auch die bereits „so gelieferte Ware″ beschaffen kann. Diese Regelung sollte für den Verkauf „schwimmender Ware″ gelten, also den Verkauf von Ware während eines Schiffstransports.
Diese Formulierung („oder die so gelieferte Ware beschafft„) findet sich in den Incoterms 2020 nicht mehr nur in den „blauen Klauseln″, sondern in allen Klauseln mit Ausnahme von EXW. Gerade für Klauseln wie FCA, CPT und CIP ist das sinnvoll, wenn man berücksichtigt, dass diese nach der Empfehlung der ICC insbesondere beim Seetransport von Containern Anwendung finden sollen (statt der klassischen Terms FOB, CFR und CIF). Der Handel „schwimmender Ware″ ist zwar weiterhin vor allem im Rohstoffhandel verbreitet, wo Terms wie FOB und CIF weiterhin prägend sind. Aber natürlich kann auch containerisierte Ware während der Seereise gehandelt werden, so dass die Einfügung gerade in den Klauseln FCA und CIP sehr sinnvoll ist.
Redundante Formulierungen führen in den Incoterms 2020 zu umfangreicheren Text
Weshalb derselbe Passus auch in den Klauseln DAP, DPU und DDP eingefügt wurde, ist unklar. Wer „schwimmende Ware″ auf Basis einer D-Klausel verkauft, muss diese am benannten Bestimmungsort liefern. Selbst wenn ein solches Geschäft erst nach Ankunft am Bestimmungsort geschlossen würde, wäre diese Formulierung immer noch ausreichend. Der Zusatz „oder die so gelieferte Ware beschafft″ erscheint hier als überflüssige Klarstellung.
Dieses Beispiel ist leider kein Einzelfall, sondern Beleg für einen Trend, der neben den ausführlicheren Erläuterungen der zweite Grund für den größeren Textumfang verglichen mit der Vorgängerfassung sein dürfte. Auch an anderer Stelle finden sich redundante Ergänzungen, die mutmaßlich als Klarstellung gemeint sind, ohne dass bei verständiger Anwendung ein Bedarf zur Klarstellung bestand.
So wird beispielsweise in Abschnitt A4 der C-Klauseln CPT und CIP der Begriff eines Vertragsschlusses (des Frachtvertrags) „in üblicher Weise″ ergänzt um den Zusatz „und mit einem Transportmittel der Bauart […], die normalerweise für den Transport der verkauften Warenart verwendet wird.″ Diese Formulierung wurde schon bisher in den „blauen″ Klauseln CFR und CIF verwendet, allerdings anstelle des Begriffs „in üblicher Weise„. Nun hat man beide Formulierungen, die dasselbe bedeuteten, in Abschnitt A4 der Klauseln CPT und CIP aneinandergereiht.
Ein weiteres Beispiel für eine tendenziell redundante Klarstellung ist die Einfügung der Worte „oder organisieren″ in Abschnitt A4 der D-Klauseln. Damit soll verdeutlicht werden, dass die Lieferung an den Lieferort auch durch den Verkäufer selbst erfolgen kann und nicht unbedingt an einen Frachtführer vergeben werden muss. Wenn nicht aus der Vereinbarung der Parteien erkennbar war, dass dies nicht den Interessen der Parteien entsprach, hätte man diese Frage auch ohne eine solche Klarstellung kaum anders entschieden.
Wenig stringent – all risk cover nur bei CIP
Für deutsche Parteien überwiegend erfreulich ist eine Änderung in der Klausel CIP, den Inhalt der vom Verkäufer zu arrangierenden Versicherungsdeckung betreffend (Abschnitt A5). Die dortigen Vorgaben dürften den hiesigen Gepflogenheiten näherkommen, als die eher rudimentären Regelungen in den Incoterms 2010, so dass der Bedarf für Sondervereinbarungen geringer wird.
Besonders wichtig ist dabei, dass der CIP-Verkäufer nun grundsätzlich eine Allgefahrendeckung abschließen muss, anders als bisher (lediglich Versicherung benannter Transportrisiken nach Klauseln (C) der Institute Cargo Klauseln). Da eine Allgefahrendeckung in der Transportversicherung in Deutschland ohnehin marktüblich ist, wird das einen deutschen Verkäufer kaum belasten, und für den deutschen Einkäufer, der das Thema nicht kennt, wird eine Regelungsfalle beseitigt.
Kaum nachvollziehbar ist daher, weshalb diese Änderung in Abschnitt A5 der Klausel CIF nicht umgesetzt wurde. Dort wird weiter auf Klauseln (C) der Institute Cargo Klauseln verwiesen. Ein solch unterschiedlicher Regelungsstand zwischen den Klauseln CIF und CIP birgt hingegen das Risiko von Irrtümern und Gestaltungsfehlern. Hier muss der Klauselverwender künftig besonders sorgfältig agieren.
Meinungsäußerungen im Text der Incoterms 2020 / Bordkonnossemente bei FCA-Lieferung
Die umfangreicheren Erläuterungen in den Incoterms 2020 haben zur Folge, dass im Vergleich zur Fassung aus 2010 die Anzahl der Meinungsäußerungen und Wertungen deutlich gestiegen ist.
Bemerkenswert sind die „Warnungen″ vor der Verwendung der immer noch sehr gebräuchlichen Klausel EXW. Die hierfür angeführten Gründe sind zwar im Einzelnen sachlich nachvollziehbar, aber nicht neu. Der Text der Incoterms 2020 hat an dieser Stelle eher den Charakter eines allgemeinen Rechtsrats an Käufer, als den eines Klauselwerks.
Auch findet sich an verschiedenen Stellen der Hinweis, die Parteien „sollten″ nicht die „blauen Klauseln″ verwenden, wenn es um den Verkauf von Ware gehe, die in Seecontainern befördert wird. Eine solche Empfehlung hatte die ICC bereits bei Veröffentlichung der Incoterms 2010 ausgesprochen. Dennoch sind die klassischen Lieferbedingungen FOB und CIF auch in diesen Fällen noch weit verbreitet. Dies hätte man zum Anlass nehmen können, die Klauseln FOB und CIF um Regelungen für Containertransporte zu ergänzen. Statt einer solch praxisnahen Lösung hat die ICC sich für einen dogmatischen Ansatz entschieden und will offenbar die Klauselverwender „umerziehen″.
In dem Kontext kann man auch die in den Veröffentlichungen zu den ICC 2020 oft erwähnte „Neuregelung″ zu Bordkonnossementen bei FCA-Lieferung sehen. Wenn Ware per Container beispielsweise aus Dalian verschifft wird, empfiehlt die ICC (aus gutem Grund), statt einem Kauf „FOB Dalian″ einen Kauf „FCA Dalian Containterterminal″ zu vereinbaren. Wenn ein solches Geschäft aber über ein Akkreditiv abgewickelt wird und dessen Bedingungen ein Bordkonnossement verlangen, hat der Verkäufer das Problem, dass ihm im Zeitpunkt der Lieferung (Anlieferung des Containers am Terminal) noch nicht das Beförderungsdokument ausgestellt werden kann, dass er zur Bedienung des Akkreditivs benötigt. Vielmehr muss die Reederei dem Verkäufer als Ablader später (nach dem Verladen) noch ein Bordkonnossement ausstellen. Da Vertragspartner der Reederei (unmittelbar oder über einen Spediteur) der Käufer ist, muss der Käufer der Reederei entsprechendes gestatten. Allerdings ist die oft erwähnte diesbezügliche Neuerung in der Klausel FCA (Abschnitt B6 Absatz 2) keine wirkliche Neuerung, denn die dortige Regelung setzt eine „entsprechende Vereinbarung″ voraus. Wenn aber Verkäufer und Käufer vereinbart haben, dass dem Verkäufer als Ablader ein Bordkonnossement ausgestellt werden soll, ist der Käufer auch bei Anwendung der Incoterms 2010 natürlich dazu verpflichtet, „seinen″ Frachtführer entsprechend zu instruieren.
Der Passus in der Klausel FCA ist daher keine Neuregelung, sondern allenfalls ein Merkposten.
Incoterms 2020 erfasst nicht die gesamte regelungsbedürftige Materie
Für den Verwender wichtig ist weiterhin, dass auch die Incoterms 2020 natürlich nur einen Ausschnitt der regelungsbedürftigen Materie eines Kaufvertrags abbilden.
Selbst die eigentlich geregelten Materien wie Transportorganisation und diesbezügliche Kostentragung sind nicht unbedingt vollständig erfasst, wie das Beispiel VGM (verified gross mass) zeigt. In der Einführung zu dem Incoterms 2020 wird klargestellt, dass man sich nicht darauf einigen konnte, in bestimmten Klauseln die Ermittlung und Übermittlung der VGM einer der Parteien des Kaufvertrags ausdrücklich aufzuerlegen. Bei FOB, CFR und CIF wird das in der Regel zur Folge haben, dass mangels abweichender Regelung diese Kosten und Pflichten den Verkäufer treffen, was bei Verwendung von F-Klauseln nicht in allen Fällen den praktischen Usancen entsprechen wird.