Die Verwendung eines Ü-Zeichens auf Bauprodukte mit CE-Kennzeichnung ist nicht mehr zulässig. Wir zeigen die rechtlichen und tatsächlichen Auswirkungen auf.
Die Entscheidung des EuGH vom 16. Oktober 2014 (Rs. C-100/13) hat ihre Wirkungen gezeigt. Das deutsche Ü-Zeichen wurde abgeschafft – zumindest für Bauprodukte mit CE-Kennzeichnung.
Im Nachgang hierzu wurde vielfach behauptet, dass diese Entscheidung im Ergebnis zu „Sicherheitslücken beim Bauen“, der „Preisgabe des bisherigen hohen Schutzniveaus“ bzw. der „Aufgabe der vorbeugenden Gefahrenabwehr“ führen würde.
Derart pauschale Behauptungen sind jedoch unberechtigt.
Ausgangspunkt: EuGH-Entscheidung zum Ü-Zeichen
Das Deutsche Institut für Bautechnik (DIBt) bestimmt mit der Bauregelliste, wann und unter welchen Voraussetzungen ein Bauprodukt in Deutschland verwendet werden darf.
Nach der Bauregelliste B Teil 1 benötigten bestimmte von harmonisierten Europäischen Normen (hEN) erfasste und mit einer CE-Kennzeichnung versehene Bauprodukte zusätzlich ein deutsches Übereinstimmungszeichen (Ü-Zeichen). Dieses Ü-Zeichen soll die Qualität von Bauprodukten zum Schutz der Allgemeinheit und der Umwelt sicherstellen.
Der EuGH (Urt. v. 16.10.2014 – Rs. C-100/13) hält diese Vorgehensweise für unzulässig. Das Ü-Zeichen führe letztendlich zu einer Nachregelung auf dem deutschen Markt und beschränke den freien Wettbewerb innerhalb der Europäischen Union. Die zusätzliche nationale Regelung verstoße gegen die Brauchbarkeitsvermutung nach Art. 4 Abs. 2 der Richtlinien 89/106/EWG, der heutigen Leistungserklärung nach Art. 4 EU-BauPVO. Mit dieser Leistungserklärung übernimmt der Hersteller die Verantwortung für ein Bauprodukt, das er in Verkehr bringt, wenn dieses Bauprodukt von einer hEN erfasst ist oder einer Europäischen Technischen Bewertung entspricht. Die Mitgliedstaaten gehen dann grundsätzlich davon aus, dass die Leistungserklärung genau und zuverlässig ist. Nach Ansicht des EuGH reiche dies aus.
Des Weiteren verstoße das deutsche Ü-Zeichen gegen das Behinderungsverbot des freien Verkehrs nach Art. 6 Abs. 1 Unterabsatz 1 der Richtlinie 89/106/EWG (heute: Art. 8 Abs. 4, 5 EU-BauPVO). Denn Bauprodukte mit einer CE-Kennzeichnung dürfen in Mitgliedstaaten weder untersagt noch behindert werden.
Auch wenn sich die EuGH-Entscheidung ausdrücklich nur auf drei Bauprodukte (Rohrleitungsdichtungen aus thermoplastischem Elastomer, Wärmedämmstoffe für Gebäude aus Mineralwolle und Tore ohne Feuer- und Rauchschutzeigenschaften) bezieht, so ist sie aufgrund der verallgemeinerungsfähigen Begründung auf sämtliche Produkte mit CE-Kennzeichnung übertragbar.
Die Folge: Das Verbot eines zusätzlichen Ü-Zeichens gilt für sämtliche Bauprodukte mit CE-Kennzeichnung.
Konsequenzen: (Geplante) nationale Maßnahmen
Aufgrund vorgenannter EuGH-Entscheidung zum Ü-Zeichen wurden bereits einige nationale Maßnahmen durchgeführt:
- Die Bauregelliste B Teil 1 wurde für die drei von der EuGH-Entscheidung ausdrücklich erfassten Bauprodukte unmittelbar nach der Entscheidung außer Vollzug gesetzt.
- Mittlerweile wurde die Bauregelliste B Teil 1 geändert. Die Änderungen sind am 15. Oktober 2016 in Kraft getreten. Die Verpflichtung, zusätzlich geforderte Verwendbarkeits- und Übereinstimmungsnachweise zu erbringen, ist entfallen.
- Die Musterbauordnung (MBO), an welcher sich die Bauordnungen der einzelnen Bundesländer orientieren, wurde zwischenzeitlich geändert. Auf Grundlage der geänderten MBO ist am 15. Oktober 2016 die geänderte Landesbauordnung in Sachsen-Anhalt in Kraft getreten.
Weitere Maßnahmen wurden bereits angestoßen:
- Die Bauregellisten sowie die Muster-Listen der Technischen Baubestimmungen sollen durch die Muster-Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen (MVV TB) abgelöst werden. Die MVV TB wurde der Europäischen Kommission zur Notifizierung vorgelegt. Da Österreich, Finnland und Spanien Stellungnahmen zu der vorgelegten MVV TB eingereicht haben, wurde die Stillhaltefrist bis zum 23. Januar 2017 verlängert. Die Umsetzung wird sich daher verzögern. Es ist nicht damit zu rechnen, dass die Bauregelliste noch im Oktober 2016 aufgehoben wird.
- Die übrigen Bundesländer werden nachziehen und ihre Landesbauordnungen entsprechend anpassen.
Auswirkungen der EuGH-Entscheidung zum Ü-Zeichen auf den Werkvertrag
Den Parteien obliegt die konkrete Vertragsgestaltung. Maßgeblich ist der werkvertraglich vereinbarte Erfolg. Daran hat auch die EuGH-Entscheidung zum Ü-Zeichen nichts geändert.
Der Auftragnehmer hat dafür einzustehen, dass das Werk den anerkannten Regeln der Technik entspricht, die vereinbarte Beschaffenheit aufweist und in der bestimmungsgemäßen oder vereinbarten Art und Weise genutzt werden kann. Unabhängig von der konkreten Vertragsart (Einheitspreisvertrag, Pauschalpreisvertrag etc.) bestimmt der Auftraggeber den Vertragsinhalt.
Der Auftraggeber kann daher unabhängig von einer CE-Kennzeichnung oder sonstigen Produktkennzeichnungen in technischer und rechtlicher Sicht konkrete Vorgaben machen. Er kann bestimmen, welches Produkt ausgeführt wird, welchen technischen, bauchemischen und bauphysikalischen Anforderungen das Produkt genügen muss und welche Anforderungen an die Haltbarkeit oder Art und Weise der Verwendung gemacht werden. Dies war bislang schon so und wird auch so bleiben. Diese Chance sollte jeder Auftraggeber nutzen, hat doch die Produktqualität nicht nur Auswirkungen auf die Preisgestaltung, sondern auch auf die Qualität des gesamten Bauwerks.
Ob ein mangelfreies Bauwerk vorliegt, bestimmt das vertraglich festgelegte Leistungssoll. Legt daher ein Auftraggeber beispielsweise fest, dass ein verwendetes Produkt bestimmte Anforderungen erfüllen muss (wie diejenige Anforderungen, die bislang für die Vergabe eines Ü-Zeichens erforderlich waren), und verwendet der Auftragnehmer dann ein Produkt mit einer CE-Kennzeichnung, welches aber nicht den vertraglich festgelegten Anforderungen genügt, so liegt ein Mangel vor. Daran ändert dann auch die CE-Kennzeichnung nichts.
Fazit: Durchatmen – alles halb so schlimm!
Ja, das Ü-Zeichen als deutsches Qualitätszeichen ist für Produkte mit CE-Kennzeichnung entfallen. Im Rahmen von privatrechtlichen Ausschreibungen können Auftraggeber jedoch konkrete Vorgaben machen und konkrete Produkte, technische Ziele (was soll erreicht werden) sowie technische Eckpunkte/Eigenschaften (was soll das Produkt können) verlangen.
Auch der öffentliche Auftraggeber sollte sehr sorgfältig ausschreiben und insbesondere die gewünschte Funktionalität der Produkte vorgeben. Auch er kann – allerdings unter Beachtung des Grundsatzes der Produktneutralität sowie des Wettbewerbsgrundsatzes – technische Eckpunkte/Eigenschaften für das Produkt vorgeben.
Also: Bereits vor der Abschaffung des Ü-Zeichens für Produkte mit CE-Kennzeichnung war eine sorgfältige Ausschreibung und Vertragsgestaltung wichtig. Durch die Abschaffung des Ü-Zeichens als zusätzlichem Qualitätsnachweis ist dies jetzt noch wichtiger geworden. Nichts, was man nicht lösen könnte!
Der Beitrag basiert auf dem Aufsatz „Die Welt der Prüfzeugnisse“ der Autorinnen, erschienen in Der Bausachverständige, Heft 5/2016 und in RKW Informationen Bau-Rationalisierung, Heft 3/2016.