2. Februar 2024
DIN-Norm anerkannte Regel der Technik
Real Estate

DIN-Normen als anerkannte Regeln der Technik?

Ist jeder Verstoß gegen DIN-Normen ein Mangel? Wann tragen DIN-Normen überhaupt die Vermutung in sich, die allgemein anerkannten Regeln der Technik wiederzugeben?

Nach althergebrachter Meinung tragen alle DIN-Normen die Vermutung in sich, die allgemein anerkannten Regeln der Technik wiederzugeben. 

Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat sich mit dieser These kritisch auseinandergesetzt und mit einiger Deutlichkeit dahingehend positioniert, dass diese allgemeine Vermutungswirkung nicht ohne weiteres anzunehmen sei (Urteil vom 9. Februar 2023 – 5 U 227/21). Vielmehr ist jeweils die konkrete DIN-Norm in den Blick zu nehmen.

Die Begriffe: anerkannte Regeln der Technik und DIN-Normen

Ausgangspunkt ist, dass die allgemein anerkannten Regeln der Technik den werkrechtlichen Mangelbegriff bestimmen. Ist ein Verstoß gegen die allgemein anerkannten Regeln der Technik gegeben, liegt regelmäßig ein Mangel vor.

Mit der verbreiteten Auffassung, dass technische Regelwerke die Vermutung in sich tragen, allgemein anerkannte Regeln der Technik zu sein, führt dies dazu, dass bei Nichteinhaltung einer DIN-Norm vorschnell auf das Vorliegen eines Mangels geschlossen wird. Ob die konkrete DIN-Norm überhaupt geeignet oder bestimmt ist, allgemein anerkannte Regel der Technik zu sein, gerät dabei aber in Vergessenheit.

Der BGH (BGH, Urteil v. 24. Mai 2013 – V ZR 182/12) erkennt zwar, dass es sich bei DIN-Normen nur um private Regelungen mit Empfehlungscharakter handelt (vgl. BGH, Urteil v. 14. Mai 1998 – VII ZR 184/97) und nicht um Rechtsnormen und dass diese hinter den allgemein anerkannten Regeln der Technik zurückbleiben können oder diese übertreffen können. Doch ist der Schluss, dass DIN-Normen deshalb „nur“ die widerlegbare Vermutung in sich tragen, anerkannte Regel der Technik zu sein und diese nicht unmittelbar darstellen, womöglich in dieser Allgemeingültigkeit immer noch zu weitgehend.

OLG Düsseldorf teilt Kritik an einer uferlosen Vermutungswirkung von DIN-Normen 

Die in der Literatur bereits teilweise vorhandene Kritik an dieser derart weitreichenden Vermutungswirkung von DIN-Normen greift auch das OLG Düsseldorf auf. Nicht jede DIN-Norm trägt danach automatisch die Vermutung in sich, allgemein anerkannte Regel der Technik zu sein. Die Nichteinhaltung einer DIN-Norm stellt deshalb nicht stets einen Verstoß gegen die allgemein anerkannten Regeln der Technik dar und führt deshalb auch nicht reflexartig zu einem Mangel. 

Selbst das Deutsche Institut der Normung als Herausgeber der DIN-Normen geht mit DIN 820-1 Nr. 8 Abs. 1 nicht davon aus, dass sämtliche DIN-Normen anerkannte Regeln der Technik sind oder eine Vermutung dafür in sich tragen, sondern setzt sich als Ziel, dass diese sich als allgemein anerkannte Regeln der Technik etablieren sollen. Etwas, das sich erst etablieren soll, kann logischerweise nicht die Vermutung in sich tragen, bereits allgemein anerkannte Regel der Technik zu sein.

Ausschließlich bei sicherheitstechnischen Festlegungen in DIN-Normen beansprucht der DIN-Normgeber eine konkrete Vermutung dahingehend, dass diese fachgerecht sind, also, dass sie anerkannte Regeln der Technik sind (DIN 820-1 Nr. 8.1 Abs. 2).

Wenn schon der private Normgeber selbst diese Unterscheidung in seinem Regelwerk vornimmt, ist es umso erstaunlicher, dass die Rechtsprechung – so auch die Vorinstanz des zitierten OLG Düsseldorf – so oft bei Nichteinhaltung einer DIN-Norm den Schluss des Verstoßes gegen die allgemein anerkannten Regeln der Technik gezogen hat und so zum Vorliegen eines Mangels gelangt ist. Die Differenzierung von DIN-Normen, die sicherheitstechnische Aspekte betreffen und nach dem DIN-Normgeber allgemein anerkannte Regeln der Technik sein sollen, und solchen DIN-Normen, die beispielsweise nur Feststellungen zu einem nicht sicherheitstechnischen Ausstattungsniveau von Räumlichkeiten treffen, springt Techniker und Jurist gleichermaßen ins Auge. Wieso sollte das Unterschreiten einer DIN-Norm, die Festlegungen über die Ausstattung von Räumen mit Steckdosen ohne Bezug zu sicherheitstechnischen Themen trifft, ohne dabei vertraglich vereinbart zu sein, zu der Annahme eines Mangels führen, wenn die DIN-Norm selbst nicht einmal den Anspruch in sich trägt, allgemein anerkannte Regel der Technik zu sein?

Das OLG Düsseldorf stößt nun mit einiger Klarheit in diesen vom Herausgeber der DIN-Normen offengelassenen Interpretationsspielraum und ebnet der in der Literatur verbreiteten Kritik an einer uferlosen Vermutungswirkung den Weg in die obergerichtliche Rechtsprechung.

Startschuss für einzelfallbezogene Bewertung von DIN-Normen: Vorsicht bei der Vertragsgestaltung und nicht sicherheitstechnischen DIN-Normen

Das Urteil des OLG Düsseldorf hat den Startschuss dafür gegeben, dem weit verbreiteten Rückschluss, dass DIN-Normen stets die (widerlegbare) Vermutung, die allgemein anerkannten Regeln der Technik wiederzugeben, in sich trügen, ein Ende zu bereiten. Jede DIN-Norm ist darauf zu überprüfen, ob sie sicherheitstechnische Regelungen trifft und deshalb die Vermutungswirkung in sich trägt, allgemeine anerkannte Regel der Technik zu sein, oder ob es sich um eine DIN-Norm handelt, die beispielsweise das Ausstattungsniveau behandelt und mit einem allgemeingültigen Standard einer anerkannten Regel der Technik nicht in Zusammenhang zu bringen ist. 

Ist bei einem Bauvorhaben die Einhaltung einer DIN-Norm gewollt, die keine sicherheitstechnischen Aspekte betrifft und keine Vermutungswirkung, allgemein anerkannte Regeln der Technik wiederzugeben, beinhaltet, ist dies vertraglich zu vereinbaren. Die jeweilige DIN-Norm stellt dann eine Beschaffenheitsvereinbarung dar und ein Verstoß führt zu einem Mangel. 

Es bleibt abzuwarten, ob weitere Urteile, die sich mit dieser praxisrelevanten Frage auseinandersetzen müssen, dem OLG Düsseldorf folgen. Dass die Diskussion über den Begriff der allgemein anerkannten Regeln der Technik sowie über technische Regelwerke an Fahrt aufnimmt, hat auch der 9. Baugerichtstag gezeigt. Einerseits kritisierten die tagenden Arbeitskreise, dass das Konstrukt der anerkannten Regeln der Technik beinahe als unumstößlich gegeben erachtet werde, obwohl bei näherem Hinsehen die Definition des Begriffs selbst schon keiner klaren Linie folge. Andererseits erntete die Vermutungswirkung von DIN-Normen Kritik, weil die Verabschiedung solcher Regelungen im DIN-Ausschuss kein einstimmiges Votum erfordere und auch nicht öffentlich gemacht werde, ob eine DIN-Norm nach erheblichem Streit über ihre Richtigkeit verabschiedet worden sei. Die Arbeitskreise forderten deshalb, dass die Herausgeber technischer Regelwerke angehalten sein sollen, den Erarbeitungsprozess nach einheitlichen Standards zu dokumentieren und auf Verlangen Dritten zugänglich zu machen. Nur so könne sichergestellt werden, dass eine DIN-Norm überhaupt die zentralen Elemente einer anerkannten Regel der Technik erfülle.

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