Zur Gefahr der Umgehung der Vinkulierung von Familiengesellschaftsanteilen durch Anteilsübertragung an zwischengeschaltete Gesellschaften.
Der Begriff der Vinkulierung (aus dem Lateinischen, vinculum = Band, Fessel) umschreibt im Gesellschaftsrecht das Zustimmungsbedürfnis der Gesellschafter* zur rechtsgeschäftlichen Übertragung von Anteilen an der Gesellschaft durch einen anderen Gesellschafter. Diese „Fesselung“ der Gesellschafter bei der Übertragung ihrer Anteile bezweckt die Wahrung eines stabilen Gesellschafterkreises, dem das Ausstiegsinteresse einzelner Gesellschafter gegenübersteht.
Dazu, was für die Vinkulierung gilt, wenn einzelne Familiengesellschafter versuchen, es dem berühmten Entfesselungskünstler Houdini gleichzutun, hat das OLG Hamm (Urteil v. 19. Juni 2023 – 8 U 177/22) entschieden.
Bedeutung der Vinkulierung für Familienunternehmen
In Familienunternehmen, die häufig als Personengesellschaften organisiert sind, besteht das Interesse an der Vermeidung eines beliebigen Gesellschafterwechsels meist in besonders hohem Maße. Das Gründerfamilienmitglied hat oftmals den Wunsch, sein Lebenswerk innerhalb der Familie zu halten, um den prägenden Einfluss der Familie auf die Unternehmenskultur dauerhaft zu sichern.
Im Laufe des Generationenwechsels mag es jedoch passieren, dass die nachfolgenden Generationen sich dem Familienunternehmen nicht mehr persönlich verbunden und verpflichtet fühlen oder es Streitigkeiten zwischen oder innerhalb der Familienstämme gibt, die einen Ausstiegswunsch auf der einen oder anderen Seite begründen.
Während es meist nicht sinnvoll ist, die Familienmitglieder auf die Ewigkeit aneinander zu fesseln, muss gleichzeitig einem Totalausverkauf der Gesellschaftsanteile an familienfremde Dritte vorgebeugt werden. Das gestalterische Mittel der Wahl sind dann als Teil der sog. „closed shop-Strategie“ Vinkulierungsklauseln. Ohne Zustimmung nachfolgeberechtigt sind danach meist nur die Abkömmlinge und Mitgesellschafter, manchmal auch die Ehegatten der Gesellschafter.
Obertes Ziel bei der Gestaltung von Gesellschaftsverträgen ist es daher, eine nach Maßgabe der vorgenannten Interessenlage ausbalancierte „Exit“- und Nachfolgestrategie zu entwickeln.
Dabei ist u.a. die Gefahr der Umgehung der Vinkulierung zu beachten. Das gilt auch in Hinblick auf Personengesellschaften – und zwar trotz des dort bereits gesetzlich vorgesehenen Regelfalls der Vinkulierung (anders bei Kapitalgesellschaften, bei denen es einer entsprechenden Gestaltung im Gesellschaftsvertrag bedarf). Dazu hat sich das OLG Hamm in seinem Urteil vom 19. Juli 2023 (8 U 177/22) für die Konstellation der Übertragung von vinkulierten Anteilen an eine zwischengeschaltete Gesellschaft geäußert.
Gefahr der Umgehung der Vinkulierung durch Anteilsübertragung an zwischengeschaltete Gesellschaften
Der von dem OLG Hamm entschiedene Fall betraf eine GmbH & Co. KG als Holdinggesellschaft, an der mehrere Familienstämme in Form von verschiedenen Beteiligungsgesellschaften und einer nicht gemeinnützigen Familienstiftung beteiligt waren. Die übergeordnete Holding hielt rund 99 % der Anteile an einer GmbH, die wiederrum als Holdinggesellschaft für sämtliche operativ tätige in- und ausländische Tochtergesellschaften agierte („Zwischen-Holding“). Bei dieser Unternehmensstrukturierung (sog. „doppelstöckige Holding“) handelt es sich um eine für große Familienunternehmen wegen der steuer-, haftungsrechtlichen und Governance-bezogenen Vorteile übliche Struktur.
Im hiesigen Fall entwickelten wegen erheblicher Differenzen über die Ausrichtung des Familienunternehmens die Mitglieder eines der beiden Familienstämme den Wunsch, auszusteigen. Der Gesellschaftsvertrag sah die Notwendigkeit der Zustimmung der Gesellschafter für die „Veräußerung“ von Gesellschaftsanteilen sowie für sonstige Verfügungen an familienfremde Dritte vor.
Um die Verweigerung der Zustimmung der über eine Sperrminorität verfügenden Mitgesellschafter zu umschiffen, trafen die Mitglieder des ausstiegswilligen Familienstamms mit einem kaufbereiten Finanzinvestor eine Rahmenvereinbarung. Danach sollten die Beteiligungen der Mitglieder des aussteigewilligen Familienstamms zunächst auf drei Vorratsgesellschaften übertragen werden, um anschließend ohne Zustimmung der Mitgesellschafter die Anteile an den Vorratsgesellschaften, an denen das Familienunternehmen bloß mittelbar beteiligt war, an den Finanzinvestor zu übertragen. Dem Finanzinvestor stand dabei ein Weisungsrecht hinsichtlich der Stimmrechte der Mitglieder des veräußerungswilligen Familienstamms zu, das nach dem Rahmenvertrag immer dann greifen sollte, wenn dies „nach vernünftiger Einschätzung des Investors“ für die Durchführung der Transaktion erforderlich ist.
OLG Hamm: Kontrollwechsel durch das Weisungsrecht des Finanzinvestors als Verstoß gegen die Vinkulierungsklausel
Den vollständigen Kontrollwechsel durch das Weisungsrecht des Finanzinvestors sah das OLG Hamm wegen der wirtschaftlichen Identität zwischen den Vorratsgesellschaften und den zuvor an sie übertragenen Kommanditanteilen als Verstoß gegen die Vinkulierungsklausel an.
Allein dem Wortlaut des Gesellschaftsvertrages der Holding-GmbH & Co. KG nach war das gewählte Ausstiegskonstrukt, genauer die Übertragung der Anteile auf die Vorratsgesellschaft, zwar nicht zustimmungsbedürftig. Denn die Vinkulierung galt dem Wortlaut nach nur für die Anteile der übergeordneten Holding, nicht aber für die Anteile von an ihr beteiligten Gesellschaften.
Das OLG Hamm sah im hiesigen Fall aber nach Auslegung des Gesellschaftsvertrags auch diese mittelbare Anteilsübertragung von dem Zweck der Vinkulierungsklausel erfasst.
Zur Begründung greift das OLG Hamm u.a. auf den Grundsatz der subjektiven Auslegung bei Personengesellschaften zurück. D.h. maßgeblich für die Auslegung einer Vinkulierungsklausel ist das individuelle Verständnis der Gründungsgesellschafter. Nach dieser Maßgabe sei hier davon auszugehen, dass sämtliche den Gesellschafterkreis ändernde Übertragungen von Anteilen Grundlagengeschäfte und damit zustimmungsbedürftig seien.
Halte ein Gesellschafter seine Geschäftsanteile über eine Tochtergesellschaft, bestehe ein praktisches Bedürfnis dafür, die Vinkulierung auch auf die dadurch faktisch ermöglichten mittelbaren Anteilsübertragungen zu erstrecken. Die Ratio der Vinkulierung müsse – auch ohne entsprechende explizite Gestaltung – verhindern, dass das durch die Vinkulierung zu vermeidende Ergebnis auf mittelbarem Wege doch herbeigeführt werden könne. Bei der Ausgestaltung der Zustimmungsklausel sei zu prüfen, ob von ihr alle Verfügungen erfasst werden, ob es Einschränkungen geben soll oder ob umgekehrt eine ausdrückliche Ausdehnung auf etwaige „Umgehungsfälle” erfolgen soll.
Das OLG Hamm legte nach o.g. Prämisse den Gesellschaftsvertrag dahingehend aus, dass nach seinem Sinn und Zweck, der vorgesehenen Realstruktur der Familiengesellschaft sowie der gesellschaftsinternen Organstruktur durch Stammesregelungen die beschriebene Transaktion der Vinkulierungsklausel unterfällt und daher jedenfalls schuldrechtlich untersagt ist.
Rechtsfolge eines Verstoßes gegen das schuldrechtlich wirkende Übertragungsverbot ist ein Anspruch auf Unterlassung der Vollziehung des gegen die Vinkulierung verstoßenden Gesellschafterbeschlusses aus § 241 Abs. 1 S. 2 BGB, der aus der gesellschafterlichen Treuepflicht folgt. Schon der Abschluss der schuldrechtlichen Vereinbarung kann – je nach Auslegung der Vinkulierungsklausel – nach dem OLG Hamm eine Verletzung von Pflichten aus dem Gesellschaftsvertrag darstellen. Die Qualifizierung bereits des Abschlusses als Verstoß ermöglicht es den zustimmungsberechtigten Mitgesellschaftern durch einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung frühzeitig intervenieren zu können, um den Unterlassungsanspruch, der allein durch die Vinkulierungsklausel nicht mit dinglicher Wirkung verhindert werden kann, zu sichern.
Fazit: Achtung bei der Vertrags- und Strukturgestaltung
Es empfiehlt sich, bei der Gestaltung des Gesellschaftsvertrags sowie der Beteiligungsstrukturen die Umgehungsgefahr von Vinkulierungsklauseln im Blick zu haben. Dabei ist eine sorgfältige Risiko-Nutzen-Abwägung zu treffen.
Das OLG Hamm musste im hiesigen Fall mit hohem Auslegungsaufwand begründen, dass teils auch mittelbare Anteilsübertragungen und schuldrechtliche Vereinbarungen von der Vinkulierung erfasst sind.
Jedoch macht es in einigen Fällen auch Sinn, die Vinkulierungsklausel normativ weit zu fassen. In diesen Fällen ist das Urteil des OLG Hamm eine wichtige Handreichung für die Beurteilung, ob eine Umgehung dieser weit gefassten Vinkulierungsklausel im Einzelfall vorliegt oder nicht.
* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.