16. Oktober 2015
Einwendungsausschluss, Umweltrecht
Real Estate

Einwendungsausschluss im Umweltrecht europarechtswidrig

Der EuGH kippt die Beschränkung der gerichtlichen Kontrolle durch die Vorschriften zum Einwendungsausschluss für umweltrechtliche Verfahren.

Mit seinem Urteil vom 15.10.2015 – Rs. C-137/14 –  stärkt der EuGH erneut die Umweltverbandsklage. Gleichzeitig erteilt er einem wesentlichen Prinzip des deutschen Umweltrechtsschutzes – dem Einwendungsausschluss (Präklusion) – eine Absage. Danach können Umweltverbände und sonstige Dritte Klagen gegen umweltrechtliche Genehmigungen und Planfeststellungsbeschlüsse nun grundsätzlich auch auf Mängel der Antragsunterlagen stützen, die sie im Genehmigungs- und Planfeststellungsverfahren nicht oder nicht rechtzeitig gerügt haben.

EuGH-Entscheidung mit weitreichenden Konsequenzen

Der EuGH folgt in seinem Urteil vom 15.10.2015 weitgehend den Schlussanträgen des Generalanwalts Wathelet. Rechtsschutz ist danach auch bei zwar durchgeführter, aber fehlerhafter Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) bzw. UVP-Vorprüfung möglich. Diese Erweiterung war bereits in der Altrip-Entscheidung vom 07.11.2014 angelegt. Zudem muss der zeitliche Anwendungsbereich des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz (UmwRG) auf vor dem 25.06.2005 eingeleitete Verwaltungsverfahren erweitert werden.

Für den meisten Sprengstoff sorgt jedoch der zweite der festgestellten Verstöße: Der EuGH hat die Beschränkung von Klagebefugnis und gerichtlicher Kontrolle durch die Präklusionsvorschriften des § 2 Abs. 3 UmwRG (für Umweltverbandsklagen) sowie § 73 Abs. 4 VwVfG (für Klagen gegen Planfeststellungsbeschlüsse) für unionsrechtswidrig erklärt.

Wesentliches Prinzip des deutschen Umweltrechtsschutzes unionsrechtswidrig

Zukünftig könnte ein Umweltverband oder ein sonstiger Dritter etwaige Belange daher auch erst nach Genehmigungserteilung im gerichtlichen Verfahren vorbringen. Hierdurch wird die Funktion der Öffentlichkeitsbeteiligung im Verwaltungsverfahren als Kontrollinstrument einerseits und Rechtsschutzinstrument andererseits geschwächt.

Da eine Heilung von Fehlern nach Genehmigungserteilung ohnehin nur eingeschränkt möglich ist, dürfte die Unanwendbarkeit der Präklusionsregeln die Anzahl von Drittklagen gegen umweltrelevante Vorhaben weiter erhöhen. Zudem dürfte der fehlende Rückgriff auf den Einwendungsausschluss zu noch größerer Rechtsunsicherheit, voraussichtlich auch zu Bauverzögerungen und zu höheren Kosten auf Seiten des Vorhabenträgers führen.

Bedeutung des Einwendungsausschlusses im Umweltrecht

Bisher waren Einwendungen gegen ein Vorhaben bzw. die behördliche Entscheidung im weiteren Verwaltungs- wie auch im Gerichtsverfahren unerheblich, wenn die gerügten Themen nicht rechtzeitig innerhalb der Einwendungsfrist geltend gemacht wurden. Zudem verlangt die Rechtsprechung eine Substantiierung der Einwendungen innerhalb der Einwendungsfrist, wobei die Anforderungen an Umweltverbände höher sind als an „Normalbürger″.

Die Präklusionsvorschriften sollen Betroffene und Umweltverbände dazu anhalten, auf aus den Antragsunterlagen erkennbare Mängel frühzeitig hinzuweisen, um das Verwaltungsverfahren effektiv zu gestalten. Zugleich vermittelte der Einwendungsausschluss dem Vorhabenträger eine gewisse Rechtssicherheit. Er brauchte mit einer späteren Anfechtung der Genehmigung wegen nicht bereits im Verwaltungsverfahren eingewandter Mängel grundsätzlich nicht mehr zu rechnen.

EuGH: Unzulässige Einschränkung durch deutsche Vorschriften

Diese Beschränkung der gerichtlichen Kontrolle durch die Vorschriften zum Einwendungsausschluss hat der EuGH nun jedenfalls für umweltrechtliche Verfahren gekippt. Die hier maßgeblichen umweltrechtlichen Richtlinienbestimmungen verlangten eine umfassende materielle wie verfahrensrechtliche Kontrolle. Diese würde durch die deutschen Präklusionsvorschriften unzulässig eingeschränkt. Im Ergebnis dürfte die Entscheidung das Ende der Präklusion jedenfalls für die meisten umweltrechtlichen Verfahren bedeuten. Denn Präklusionsvorschriften sind im Umweltrecht weit verbreitet. Auch wenn der EuGH die übrigen Vorschriften nicht ausdrücklich benannt hat, regeln diese im Ergebnis dasselbe wie in § 2 Abs. 3 UmwRG und in § 73 Abs. 4 VwVfG (z.B. § 10 Abs. 3 BImSchG für das immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren). Der EuGH mag seine Entscheidung konsequent am Ziel der Richtlinien ausgerichtet haben, dem Umweltschutz durch Eröffnung von Klagemöglichkeiten zur Durchsetzung zu verhelfen. In der Entscheidung findet leider kein Gehör, dass die Öffentlichkeitsbeteiligung nach dem nationalen Recht nicht nur der Überwachung der Einhaltung umweltrechtlicher Vorschriften dient, sondern auch Grundrechtsschutz durch Verfahren vermittelt und zugleich die Präklusionsvorschriften einen Ausgleich zu dem Bedürfnis des Vorhabenträgers nach frühzeitiger Rechtssicherheit schaffen.

Hintergrund der Entscheidung

Das deutsche UmwRG war schon mehrfach Gegenstand von Gerichtsverfahren vor dem EuGH und wurde in der Folge bereits einige Male nachgebessert. Das Gesetz soll Art. 11 Abs. 1 der UVP-Richtlinie bzw. Art. 25 Abs. 1 der IED-Richtlinie (insoweit Nachfolgerin der IVU-Richtlinie) in nationales Recht umsetzen. Nach diesen Vorschriften müssen die Mitgliedstaaten den „Mitgliedern der betroffenen Öffentlichkeit″ einen weiten Zugang zu gerichtlichen Überprüfungsverfahren mit dem Ziel einer umfassenden materiellen und verfahrensrechtlichen Kontrolle von umweltrechtlichen Entscheidungen eröffnen.

Die Europäische Kommission hatte mit ihrer Vertragsverletzungsklage vom 21.03.2014 gegen die Bundesrepublik Deutschland die Feststellung gleich mehrerer Rechtsverstöße gegen die genannten EU-Richtlinien geltend gemacht. In früheren Verfahren hatte der EuGH bereits die Beschränkung der Umweltverbandsklage auf subjektiv-öffentliche Rechte aufgehoben (EuGH, Urteil vom 12.05.2011 – Rs. C-115/09 – „Trianel″). Zudem hatte er nicht nur bei fehlender, sondern auch bei fehlerhafter UVP eine gerichtliche Überprüfung durchgesetzt und im Ergebnis die Beweislast für die (fehlende) Kausalität von Verfahrensfehlern auf die Genehmigungsentscheidung zulasten der Genehmigungsbehörde bzw. des Vorhabenträgers umgekehrt (EuGH, Urteil vom 07.11.2014 – Rs. C-72/12 – „Altrip″).  Über die jeweiligen Entscheidungen und ihre Folgen haben wir bereits hier und hier berichtet.

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