22. Dezember 2021
Koalitionsvertrag Infrastruktur
Ampel 21 – Auswirkungen des Koalitionsvertrages

Koalitionsvertrag: Mehr Fortschritt auch im Bereich der Infrastruktur?

Die Ampelkoalition will nicht im Stillstand verharren und mehr Fortschritt wagen. Gilt dies auch für den Bereich der Infrastruktur?

Die neue Regierung will „mehr Fortschritt wagen“. Diese Handelsmaxime gibt sie als Überschrift des Koalitionsvertrags für die gerade begonnene Legislaturperiode vor. Diese Worte lassen viel erwarten. Die Koalition sieht die Welt im Umbruch, ausgelöst durch die Klimakrise und die Corona-Pandemie. Nicht zu vergessen aber wohl auch die tiefgreifenden Umwälzungen, die mit der weitreichenden Digitalisierung einhergehen. Die Gesellschaft könne deshalb am Beginn des Jahrzehnts „nicht im Stillstand verharren“.

Infrastruktur, das Rückgrat der Gesellschaft

Um in vielen Lebensbereichen fortschreiten zu können, bedarf es einer geeigneten und ausreichenden Infrastruktur. Sie bildet das Rückgrat jeder Gesellschaft. Ohne sie herrscht Stillstand. Doch gerade im Bereich der Infrastruktur scheint sich aus Sicht vieler Bürgerinnen und Bürger in den letzten Jahren eher ein Stillstand als ein Fortschritt abzuzeichnen. Wird sich dies unter der Ampelkoalition ändern? Wird in diesem Bereich mehr Fortschritt gewagt? Hier lohnt ein Blick in den Koalitionsvertrag. 

Energieinfrastruktur: Strom aus erneuerbaren Energien und Wasserstoff 

Die Klimakrise wird von den Koalitionsparteien nach der Corona-Pandemie als zweite Herausforderung für das Land identifiziert. Daher soll mehr Tempo in die Energiewende gebracht werden. Ziel ist, dass bis 2030 80 % des prognostizierten Bruttostrombedarfs aus erneuerbaren Energien stammen. Um dies zu erreichen, will die Koalition neben dem massiven Anlagenzubau den Netzausbau beschleunigen. Die Bedeutung des Netzausbaus wird bereits seit Jahren vom BMWi betont. Die bestehenden Defizite werden daher auch als die „Achillesferse“ der Energiewende bezeichnet. Das Hauptaugenmerk legt die Ampelkoalition auf das Übertragungsnetz, die Stromautobahnen, die den Windstrom aus dem Norden nach Süden transportieren. Sie setzt u.a. auf eine Ausrichtung der Netzentwicklungsplanung auf ein Klimaneutralitätsnetz. Auf dieser Grundlage soll der Bundesbedarfsplan fortgeschrieben werden. Gleichzeitig will die Koalition auch das Verteilernetz modernisieren und digitalisieren. 

Eine stärkere Bedeutung im Bereich der Energieinfrastruktur wird dem Wasserstoff beigemessen. Hierzu sollen zusätzliche Elektrolysekapazitäten geschaffen und soll der Aufbau einer Wasserstoffnetzinfrastruktur gefördert werden. Wasserstoffnetze werden von der Ampelkoalition neben den Stromnetzen als zweites Rückgrat des Energiesystems der Zukunft angesehen. 

Verkehrsinfrastruktur: Die Schiene wächst, die Straße wird erhalten

Die Verkehrsinfrastruktur soll ausgebaut werden. Die Investitionen dafür werden weiter erhöht. Dabei wird der Schiene Priorität gegenüber der Straße eingeräumt: 

Die Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur müssen weiter erhöht und langfristig abgesichert werden. Dabei wollen wir erheblich mehr in die Schiene als in die Straße investieren (…).

Ziel der Ampelkoalition ist es, den Schienengüterverkehr bis 2030 auf 25 % zu steigern und die Verkehrsleistung im Personenverkehr zu verdoppeln. Hierauf sollen die Infrastrukturkapazitäten ausgerichtet werden. Entgegen der Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte bedeutet dies, dass das Schienennetz erweitert, Strecken reaktiviert und Stilllegungen vermieden werden. Ferner soll es eine Pflicht geben, bei neuen Gewerbe- und Industriegebieten immer eine Schienenanbindung zu prüfen. Konkretisierungen zur rechtlichen Umsetzung und zu möglichen Kosten dieser neuen Vorgabe enthält der Koalitionsvertrag nicht.

Im Bereich der Bundesfernstraßen soll der Fokus auf Erhalt und Sanierung gelegt werden mit dem Hauptaugenmerk auf Ingenieurbauwerken wie Brücken. Hervorzuheben ist in diesem Kontext zudem, dass das Nebeneinander von DEGES und Autobahn GmbH aufgehoben werden soll. 

Erwartungsgemäß sollen im Bereich der Verkehrsinfrastruktur der Ausbau und die Modernisierung des Radwegenetzes vorangetrieben werden. Der Koalitionsvertrag sieht vor, dass Mittel hierfür bis 2030, also weit über die Legislaturperiode hinaus, abgesichert werden und die Kombination von Rad und öffentlichem Verkehr gefördert wird. Darüber hinaus bleibt der Koalitionsvertrag im Bereich des Radverkehrs jedoch insgesamt eher vage. 

Neben der Stärkung des Güterverkehrs auf der Schiene soll auch der Schifffahrtsanteil am Güterverkehr zunehmen. Genaue Ziele fixiert die Ampelkoalition hier nicht, sie bekennt sich lediglich zur Verantwortung für die notwendigen Hafeninfrastrukturen. Im Rahmen des Leitgedankens der Nachhaltigkeit soll auch die Binnenschifffahrt ihren Beitrag zum Klimaschutz durch alternative Antriebe und Kraftstoffe leisten. Hier will die Ampel entsprechende Fördermaßnahmen umsetzen. 

Digitale Infrastruktur: Schnelle Netze bis ins Haus 

Damit das Potenzial der Digitalisierung genutzt werden kann, soll die dafür notwendige Infrastruktur ausgebaut werden. Die Corona-Pandemie habe für jeden erkennbar gezeigt, dass hier Nachholbedarf bestehe. Ziel der Ampelkoalition ist eine flächendeckende Versorgung mit Glasfaser und dem neuesten Mobilfunkstandard. Die Glasfaserverbindung soll dabei bis zum Haus der Bürgerinnen und Bürger reichen (Fiber To The Home, FTTH). Dabei will die künftige Bundesregierung dem eigenwirtschaftlichen Ausbau Vorrang einräumen und nur im Bereich weißer Flecken staatliche Investitionen einsetzen. 

Elektromobilitätsinfrastruktur: 1 Mio. öffentliche Ladepunkte bis 2030

Die Ampelkoalition will die Transformation der Automobilindustrie. Deutschland soll zum Leitmarkt der Elektromobilität werden. Sie hat sich das Ziel gesteckt, dass bis 2030 mindestens 15 Mio. vollelektrische PKW unterwegs sind. Um dies zu erreichen, müsse die Ladeinfrastruktur massiv ausgebaut werden, bis 2030 auf 1 Mio. öffentlich zugängliche Ladepunkte. Der Schwerpunkt solle auf einer Schnellladeinfrastruktur liegen. Ein konkreteres Ziel für die wichtigen Schnellladepunkte wird nicht genannt. Um den Ausbau zu erreichen, sollen private Investitionen mobilisiert werden. Wo wettbewerbliche Lösungen keinen Erfolg versprechen, soll eingegriffen werden. Die Koalition sieht auch eine Beschleunigung des Ausbaus eines flächendeckenden Netzes an Schnelllade-Hubs und eine Erhöhung der Anzahl der ausgeschriebenen Hubs vor. Hier muss sich zeigen, wie sich dies auf die bereits laufenden Vergabeverfahren für das Deutschlandnetz auswirken wird. 

Neben der PKW-Ladeinfrastruktur soll auch eine Tank- und Ladeinfrastruktur für Nutzfahrzeuge aufgebaut werden. 

Mehr Tempo beim Infrastrukturausbau durch schlankere Planungs- und Genehmigungsverfahren

Die genannten Ausbauziele bleiben ein Ziel auf dem Papier, wenn sie nicht in die Praxis umgesetzt werden können. Gerade bei Infrastrukturprojekten wird die Dauer der Planungs- und Genehmigungsverfahren immer wieder beklagt. Die Ampelkoalition erkennt an, dass im Bereich des Infrastrukturausbaus ein höheres Tempo erforderlich ist. Gerade vor dem Hintergrund von Generationenprojekten wie der Energiewende oder der Digitalisierung ist dieser Befund zu begrüßen. 

Als ein Hauptproblem hat die Ampelkoalition das Tempo von Planungs- und Genehmigungsverfahren identifiziert. Diese sollen modernisiert, entbürokratisiert und digitalisiert werden. Die Koalition will die Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung bereits im ersten Regierungsjahr anstoßen und umsetzen. Ziel ist es, die Verfahrensdauer mindestens zu halbieren. 

Unter den vorgeschlagenen Instrumenten ist zunächst für bedeutsame Infrastrukturmaßnahmen das Mittel der Legalplanung herauszugreifen. Herausragende Vorhaben sollen durch ein Parlamentsgesetz und nicht im Wege eines Planfeststellungsverfahrens geplant werden. Dieses Instrument soll bei systemrelevanten Bahnstrecken, Stromtrassen und Ingenieurbauwerken wie Brücken angewendet werden. Daneben soll die Plangenehmigung bei Unterhaltungs-, Sanierungs-, Erneuerungs-, Ersatz- und Ergänzungsmaßnahmen stärker genutzt werden. Hierdurch könnte auf die breite Beteiligung der Öffentlichkeit verzichtet werden. Diese Instrumente und Absichtserklärungen sind nicht neu und waren bereits Gegenstand der Diskussion zur Planungsbeschleunigung der bisherigen Regierung. 

Neben diesen beiden Instrumenten sind viele weitere Elemente zur Beschleunigung der Verfahren vorgesehen. Hierzu zählen etwa eine Standardisierung des Artenschutzes, eine Fehlerheilung im Verfahren und eine Verzahnung von Genehmigungsverfahren. 

Ein weiteres Hauptaugenmerk legt die Ampelkoalition zudem auf eine Erhöhung der Personalkapazitäten der Behörden und Gerichte. Die Verfahrensdauer soll auch so verringert werden. 

Bereits zahlreiche Vorgängerregierungen haben sich an der Beschleunigung der Planungs- und Genehmigungsverfahren versucht. Keiner ist dabei ein Durchbruch gelungen. Die Entwicklungen rund um Stuttgart 21 hatten demgegenüber sogar die Einführung zusätzlicher Instrumente der Öffentlichkeitsbeteiligung und damit zusätzliche Verfahrensschritte zur Folge. Zweifel sind angebracht, ob die Ampelkoalition mehr Erfolg haben wird. Die eigentlichen Treiber der langen Verfahrensdauern sind strenge natur- und wasserrechtliche Vorgaben insbesondere aufgrund von EU-Recht und letztlich die fehlende Akzeptanz von Infrastrukturvorhaben in weiten Kreisen der Gesellschaft, die in einer Vielzahl von Klagen von Anwohnern und Naturschutzverbänden zum Ausdruck kommt. Daran müsste gearbeitet werden. 

Ein erstes Zwischenfazit, ob die Koalition ihre Ziele erreicht, wird in einem Jahr zu ziehen sein, denn dann soll der rechtliche Rahmen geschaffen sein.

In unserer Blog-Serie „Ampel 21 – Auswirkungen des Koalitionsvertrages“ halten wir Sie zu den Auswirkungen des Koalitionsvertrages für in den verschiedenen Sektoren tätige Unternehmen auf dem Laufenden.

Tags: Elektromobilität Infrastruktur Koalitionsvertrag Real Estate & Public Verkehr