Die Ampelkoalition hat vor, das Arbeitszeitgesetz zu flexibilisieren – ohne den großen Wurf zu wagen. Eine zentrale Rolle werden Gewerkschaften spielen.
Nun ist es amtlich: Die Ampelkoalition hat sich (koalitions-)vertraglich gebunden. Am 24. November 2021 stellten die SPD, die Grünen und die FDP ihre Pläne für die nächsten fünf Jahre vor. Was das für das Thema Arbeitszeit bedeutet, stellen wir nachfolgend dar.
Achtstundentag als Basis bleibt
Die neue Koalition möchte weiterhin am bisherigen Modell des Achtstundentags festhalten und sieht diesen als Ausgangspunkt für die Gestaltung von Arbeitszeitbedingungen für Beschäftigte*. Doch zeichnet sich ab, dass künftig die tägliche Höchstarbeitszeit flexibler verlängert werden kann. Die derzeitige Höchstgrenze liegt gem. § 3 ArbZG bei zehn Stunden täglich. Es soll probeweise eine befristete Regelung gelten, die den Tarifpartnern mehr Spielräume in Sachen Arbeitszeit in den Tarifverträgen ermöglicht.
Die Koalitionäre haben hiermit bewusst die Regelungszuständigkeit der Gewerkschaften bei der Ausgestaltung von Arbeitsbedingungen gestärkt und ihnen damit eine zentrale Rolle beigemessen. Es ist davon auszugehen, dass die Gewerkschaften von dieser Flexibilität eher sparsam Gebrauch machen werden. Die Betriebsparteien sollen dagegen nicht ohne Weiteres berechtigt sein, abweichende Vereinbarungen zur Höchstarbeitszeit zu treffen, sondern allein dann, wenn Tarifverträge ihrerseits dahingehende Kompetenzen einräumen. Dies war im Sondierungspapier noch anders zu lesen.
Koalitionspläne vs. EU-Richtlinie
Wie die Tariföffnungsklausel im Einzelnen zu verstehen ist, wird sich wohl erst mit der Zeit zeigen.
Möglich wäre jedoch, dass durch diese Tariföffnungsklausel die tägliche Höchstarbeitszeit unter gewissen Vorgaben auf bis zu 13 Stunden ausgedehnt wird (je nachdem wie die Tarifklausel ausgestaltet wird). 13 Stunden, weil es die europarechtlichen Vorgaben zu beachten gilt: Die ArbZ-RL sieht in Art. 6 eine wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden und in Art. 3 eine tägliche Ruhezeit von elf Stunden vor.
Derzeit kann die tägliche Arbeitszeit nur verlängert werden, wenn innerhalb von sechs Kalendermonaten oder innerhalb von 24 Wochen im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden. Ggf. sind auch Änderungen an diesem so genannten Ausgleichszeitraum des § 3 ArbZG durch die Tarifverträge denkbar, wobei ebenfalls ein genauer Blick auf die Arbeitszeitrichtlinie erforderlich ist. Nach Art. 18 Abs. 3 ArbZ-RL ist ein Abweichen von den in der Richtlinie festgesetzten wöchentlichen Höchstarbeitszeiten von 48 Stunden nicht vorgesehen. Damit dürfte von der wöchentlichen Höchstarbeitszeit i.S.d. Richtlinie voraussichtlich nicht abgewichen werden, sodass einer tariflichen Öffnung des Ausgleichzeitraums europarechtliche Vorgaben entgegenstehen.
„Flexiblere“ Arbeit durch Abweichungen bei den Ruhepausen?
Wörtlich heißt es in Zeile 2228 f. des Koalitionsvertrages:
Im Rahmen einer im Jahre 2022 zu treffenden befristeten Regelung mit Evaluationsklausel werden wir es ermöglichen, dass im Rahmen von Tarifverträgen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unter bestimmten Voraussetzungen und in einzuhaltenden Fristen ihre Arbeitszeit flexibler gestalten können.
Da im Folgenden konkret Bezug auf die Höchstarbeitszeiten (s.o.) genommen wird, erscheint es naheliegend, dass damit ein Bezug zu den in den §§ 4 und 5 ArbZG verankerten Ruhepausen und -zeiten hergestellt wird. Gem. § 5 Abs. 1 ArbZG muss Arbeitnehmern nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens 11 Stunden gewährt werden.
Möchte die Ampelkoalition hieran etwas ändern, wären auch hier die europarechtlichen Vorgaben zu beachten. Anders als bei den Höchstarbeitszeiten lässt die ArbZ-RL aber bezüglich der Ruhezeit eine Flexibilisierung durch die Sozialpartner nach Art. 18 Abs. 2 ArbZ-RL zu. Die Abweichung ist aber wohl sehr restriktiv zu handhaben. Insbesondere sind nach Art. 18 Abs. 3 ArbZ-RL entsprechende Ausgleichszeiträume vorzusehen.
Rechtssichere Arbeitszeiterfassung
Gleichzeitig beabsichtigt die Koalition, sich der Umsetzung des EuGH-Urteils zur Arbeitszeiterfassung (EuGH vom 14. Mai 2019 – Az. C-55/18 – CCOO) anzunehmen. Offen bleibt noch, wie dies konkret erfolgen soll. Jedoch enthält der Koalitionsvertrag ein klares Bekenntnis zur Beibehaltung der Vertrauensarbeitszeit, was sowohl aus Arbeitgeber- als auch aus Arbeitnehmersicht zu begrüßen ist.
Die im Koalitionsvertrag angelegten Neuerungen bleiben hinter den Erwartungen der Wirtschaft zurück. Es sieht nicht danach aus, dass die Ampelkoalition eine Arbeitswelt 4.0 mit einem Arbeitszeitgesetz 4.0 flankiert. Die medienwirksam angelegte Kampagne des DGB „Hände weg vom Arbeitszeitgesetz“ hat offenbar ihre Wirkung nicht verfehlt. Die neue Regierung wird sich daran messen lassen müssen, ob sie es schafft, wirtschaftliche Interessen an einer größtmöglichen Flexibilisierung des Arbeitszeitrechts auf der einen sowie Arbeits- und Gesundheitsschutz für die Beschäftigten auf der anderen Seite miteinander in Einklang zu bringen. Ob es aber überhaupt zu einer Änderung des bisherigen Rechtsrahmens kommt, bleibt abzuwarten. Die Änderungsvorhaben, die sich im Koalitionsvertrag der GroKo für die vergangene Legislaturperiode fanden, wurden im aktuellen Koalitionsvertrag nicht behandelt.
In unserer Blog-Serie „Ampel 21 – Auswirkungen des Koalitionsvertrages“ halten wir Sie zu den Auswirkungen des Koalitionsvertrages für in den verschiedenen Sektoren tätige Unternehmen auf dem Laufenden.
*Gemeint sind Beschäftigte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.