15. Januar 2019
Brexit Fusionskontrolle
Brexit

Kartellrechtliche Auswirkungen des Brexits – Teil 1: Fusionskontrolle

Über die zu erwartenden Auswirkungen eines ungeregelten Brexit auf laufende und anstehende Fusionskontrollverfahren informieren wir im Folgenden.

Am 29. März 2019 soll Großbritannien aus der Europäischen Union ausscheiden. Nachdem sich die 27 verbleibenden EU-Mitgliedstaaten und die britische Regierung am 14. November 2018 auf den Entwurf eines Austrittsabkommens geeinigt hatten, kommt es – nachdem die ursprüngliche Abstimmung im Dezember 2018 zunächst verschoben wurde – am 15. Januar 2019 zu der entscheidenden Abstimmung im britischen Parlament. Nach derzeitigem Stand scheint es unwahrscheinlich, dass das Austrittsabkommen vom britischen Parlament angenommen wird. In diesem Fall wird ein ungeregelter Brexit, das sogenannte „No-Deal-Szenario″, immer wahrscheinlicher.

Während der Entwurf des Austrittsabkommens Übergangsregelungen für alle wesentlichen Bereiche – so auch für das Kartellrecht – enthält, stellen sich im Falle eines ungeregelten Brexits in allen kartellrechtlichen Teilgebieten für Unternehmen bedeutsame Folgefragen. Die drängendsten Fragen betreffen dabei das Fusionskontrollrecht für laufende oder anstehende M&A-Transaktionen.

I. Hintergrund Europäische Fusionskontrollverordnung

Unternehmenszusammenschlüsse, die eine bestimmte Größenordnung erreichen, müssen nach den jeweils geltenden fusionskontrollrechtlichen Regelungen bei den zuständigen Kartellbehörden angemeldet werden.

Auf europäischer Ebene ist für die Prüfung größerer Zusammenschlüsse, die Auswirkungen auf mehrere EU-Mitgliedstaaten haben, seit dem Jahr 1989 die Europäische Kommission zuständig („One-Stop-Shop Prinzip″). Die Voraussetzungen für die EU-Fusionskontrolle und die Durchführung des Verfahrens sind in der europäischen Fusionskontrollverordnung („FKVO″) geregelt (VO (EG) Nr. 139/2004 des Rates vom 20.01.2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen).

II. Auswirkungen im Falle eines geregelten Brexits

Sollte das britische Parlament dem Austrittsvertrag mit der EU – gegebenenfalls in modifizierter Form – doch noch zustimmen, oder – zu einem späteren Zeitpunkt vor dem 29. März 2019 – eine Einigung mit der EU erreichen, sind die Auswirkungen des Brexits auf fusionskontrollrechtliche Sachverhalte jedenfalls für die Übergangszeit gering. Auch wenn einzelne Punkte erst sicher sind, wenn der endgültige Text eines Austrittsabkommens verabschiedet ist, lassen sich bereits jetzt folgende Punkte festhalten:

  • Die Europäische Kommission wird insbesondere für laufende bereits angemeldete Unternehmenszusammenschlüsse zuständig bleiben. Entsprechende Übergangsregelungen sind in dem Entwurf des Austrittsabkommens enthalten (vgl. insb. Art. 92 ff. des Entwurfs des Austrittsvertrages).
  • Darüber hinaus wird die Europäische Kommission auch für die Überwachung bereits genehmigter Zusammenschlüsse zuständig bleiben, sofern die Zusammenschlüsse unter Auflagen und Bedingungen freigegeben wurden (sog. commitment oder remedy decisions) (vgl. Art. 95 des Entwurfs des Austrittsvertrages).

Im Übrigen wird die Europäische Kommission – ja nach finaler Ausgestaltung eines Austrittsabkommens – während der Übergangsphase auch weiterhin für die fusionskontrollrechtliche Prüfung von Sachverhalten zuständig bleiben, die Auswirkungen auf Großbritannien haben, sofern diese die Schwellenwerte der FKVO erfüllen. Auch für den Fall einer weiteren Änderung oder Ergänzung des Austrittsabkommens wird sich hieran mit hoher Wahrscheinlichkeit nichts ändern.

III. Auswirkungen im Falle eines ungeregelten „Hard Brexit″

Sollte Großbritannien mit Ablauf des 29. März 2019 ungeregelt aus der Europäischen Union austreten, ist die Europäische Fusionskontrollverordnung sofort nicht mehr anwendbar. Dringende Fragen stellen sich dann insbesondere für solche M&A-Deals, die sich sowohl auf Großbritannien als auch auf die EU auswirken. Dabei sind verschieden Fallkonstellationen zu unterscheiden:

1. Bereits bei der Europäischen Kommission angemeldete Zusammenschlüsse

Die dringendsten Fragen stellen sich im Falle des No-Deal-Szenarios für diejenigen Zusammenschlüsse, die bereits vor dem Austrittsstichtag bei der Europäischen Kommission angemeldet wurden, weil die Europäische Kommission am Austrittsstichtag ihre Jurisdiktion über den britischen Teil des Zusammenschlusses verliert.

Unproblematisch sind Fälle, in denen nach dem Brexit die Aufgreifschwellen der FKVO erfüllt sind, und diejenigen des britischen Fusionskontrollrechtes nicht. In diesem Fall bleibt einzig die Europäische Kommission für die Prüfung des Zusammenschlusses zuständig.

In den folgenden Konstellationen führt ein ungeregelter Brexit jedoch zu bedeutenden fusionskontrollrechtlichen Folgefragen:

a) Aufgreifschwellen der britischen und der EU-Fusionskontrolle erfüllt

In Fällen, in denen nach dem Brexit die Aufgreifschwellen sowohl der Europäischen Fusionskontrolle als auch der britischen Fusionskontrolle erfüllt sind, führt ein ungeregelter Brexit zu folgendem:

  • Europäische Union: Die Europäische Kommission bleibt für die Prüfung des Zusammenschlusses (für die EU 27) zuständig, hat jedoch – wie erwähnt – keine Zuständigkeit mehr für den britischen Teil.
  • Großbritannien: Wenn die Aufgreifschwellen der britischen Fusionskontrollbehörde erfüllt sind (vgl. Sec. 23 des Enterprise Acts 2002), ist unmittelbar mit dem Brexit die britische Customer and Markets Authority (CMA) für die Prüfung des britischen Teils zuständig.

Grundsätzlich sieht das britische Fusionskontrollrecht ein freiwilliges Anmeldesystem vor. Hierbei ist jedoch zu bedenken, dass nach der britischen fusionskontrollrechtlichen Regelung die CMA einen Zusammenschluss bis zu vier Monate nach Vollzug selbstständig aufgreifen und ein Prüfverfahren einleiten kann. In „kritischen″ Transaktionen sind die Zusammenschlussbeteiligten daher gut beraten, eine fusionskontrollrechtliche Anmeldung in Großbritannien frühzeitig und freiwillig einzureichen.

Dies hat für Zusammenschlüsse, die bereits bei der Europäischen Kommission angemeldet sind, zur Folge, dass möglicherweise eine weitere – nachträgliche – fusionskontrollrechtliche Anmeldung bei der CMA vorgenommen werden muss. Weil die CMA erst mit Ablauf des 29. März 2019 Jurisdiktion über diese Zusammenschlüsse erlangt, kann eine solche zusätzliche förmliche Anmeldung nicht vorab erfolgen, wenngleich informelle Kontakte ratsam sind und von der CMA bereits heute empfohlen werden (vgl. auch hier). Dass dies nicht nur ein theoretisches Risiko ist, zeigen nun die ersten praktischen Fälle. So wurde kürzlich bekannt, dass RWE und E.On im Zusammenhang mit ihrem geplanten Asset-Tausch Kontakt mit der CMA dazu aufgenommen haben, wie im Falle eines ungeregelten Brexits mit den fusionskontrollrechtlichen Fragestellungen weiter zu verfahren ist.

Eine weitere denkbare Möglichkeit wäre es, eine Zurückverweisung des britischen Teils von der Europäischen Kommission an die CMA gemäß Art. 4 Abs. 4 FKVO zu beantragen. In diesem Fall bliebe die CMA auch nach einem ungeregelten Austritt für die fusionskontrollrechtliche Prüfung zuständig. Für die Zeitplanung von M&A-Transaktionen ist in diesem Zusammenhang außerdem von Bedeutung, dass die CMA selbst mit zusätzlichen 30 – 50 Transaktionen rechnet, die aufgrund des Brexits künftig von ihr zu prüfen sind. Auch wenn die CMA inzwischen ihr Personal aufgestockt hat, ist fraglich, ob eine zügige Bearbeitung dieser Verfahren sichergestellt ist.

b) Aufgreifschwellen der FKVO nicht (mehr) erfüllt

In Fällen, in denen nach dem Brexit die Aufgreifschwellen der FKVO nicht mehr erfüllt sind, stellt sich die Frage, ob die Europäische Kommission ihre Zuständigkeit (nachträglich) verliert, weil der Zusammenschluss dann keine „gemeinschaftsweite Bedeutung″ mehr im Sinne von Art. 1 Abs. 1 und Abs. 2 FKVO aufweist. Dies wäre der Fall, wenn nach einem ungeregelten Brexit der gemeinsame EU-weite Umsatz unter die Schwellenwerte der FKVO fällt (vgl. Art. 1 Abs. 2 und Abs. 3 FKVO), weil der britische Umsatz dann nicht mehr zu berücksichtigen ist.

Ein Beispiel hierfür wäre, dass nach dem Brexit nur noch ein am Zusammenschluss beteiligtes Unternehmen in der Europäischen Union Umsätze von mehr als EUR 250 Mio. erzielt (vgl. Art. 1 Abs. 2 b) FKVO) und/oder auch die weitere Aufgreifschwelle des Art. 1 Abs. 3 FKVO nicht eingreift.

Die Meinungen zu einer etwaigen fortbestehenden Zuständigkeit der Europäischen Kommission gehen dabei auseinander. Grundsätzlich kennt das EU-Recht für diesen speziellen Fall keine fortgesetzte Zuständigkeit im Sinne einer perpetuatio fori. Eine Grundlage im Primärrecht oder in unmittelbar geltendem EU-Verordnungsrecht, gibt es für diesen Fall – naturgemäß – nicht. Die verbleibenden EU-Mitgliedstaaten könnten sich allerdings für diesen Fall noch vor dem 29. März 2019 auf eine entsprechende Regelung einigen.

Der teilweise bemühte Verweis auf die Ausführungen in der konsolidierten Mitteilung der Europäischen Kommission (Konsolidierte Mitteilung der Kommission zu Zuständigkeitsfragen gemäß der Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen) zu dem „Stichtag″ der Zuständigkeitsprüfung (vgl. Rn. 156 und Rn. 172 ff. der konsolidierten Mitteilungen) ist dabei aus zweierlei Gründen nicht überzeugend.

Zum einen handelt es sich bei der konsolidierten Mitteilung – wie der Name bereits sagt – um eine Mitteilung einer EU-Behörde und nicht um einen bindenden Rechtsakt. Zum anderen betreffen die entsprechenden Regelungen in der konsolidierten Mitteilung Fälle, in denen sich nach der Anmeldung eines Zusammenschlusses Änderungen bei den Parteien ergeben. Im vorliegenden Fall geht es jedoch nicht um Änderungen bei den Parteien, sondern darum, dass aufgrund des Austritts eines EU-Mitgliedstaates die Anwendungsvoraussetzungen bzw. Aufgreifschwellen der FKVO nicht (länger) erfüllt sind.

Die Konsequenz eines Zuständigkeitsverlustes wäre, dass die geplante M&A-Transaktion dann möglicherweise bei einer Vielzahl nationaler EU-Kartellbehörden angemeldet werden müsste, oder zunächst ein Verweisungsantrag von den dann zuständigen nationalen Kartellbehörden an die Europäische Kommission gemäß Art. 4 Abs. 5 FKVO gestellt werden müsste.

2. Geplante, aber noch nicht angemeldete Zusammenschlüsse

Für M&A-Transaktionen, die (noch) nicht bei der Europäischen Kommission angemeldet wurden, stellen sich selbstverständlich dieselben Fragen. Da zum jetzigen Zeitpunkt gänzlich unklar ist, ob bzw. welche gesetzlichen Maßnahmen in diesem Fall noch ergriffen werden, sollte erwogen werden, mit der Anmeldung der Transaktion abzuwarten, soweit dies wirtschaftlich darstellbar ist. In jedem Fall sollte jedoch der frühzeitige – informelle – Kontakt mit der Europäischen Kommission und gegebenenfalls mit der CMA gesucht werden.

IV. Ausblick

Sollte es am 29. März 2019 zu einem ungeregelten Brexit kommen, kann dies in einigen Fällen erhebliche Auswirkungen auf die kartellbehördlichen Prüfungen von M&A-Transaktionen im Rahmen der Fusionskontrolle haben. Es bleibt abzuwarten, ob bis zum Austrittsstichtag durch weitere gesetzliche (Übergangs-)Regelungen jedenfalls für einen Teil der aufgeworfenen Fragen rechtliche Klarheit geschaffen wird.

Im Ergebnis sollte bei jedem Zusammenschluss, der eines der beschriebenen Problemfelder betrifft, erwogen werden, ob die fusionskontrollrechtliche Anmeldung – und damit im Ergebnis auch der Vollzug des Zusammenschlusses – auf ein Datum nach dem 29. März 2019 verschoben wird.

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