2. September 2019
Parlamentspause Brexit Backstop
Brexit

Brexit: Was Sie jetzt wissen müssen

Parlamentspause im Vereinigten Königreich: Noch Chance auf geregelten EU-Austritt? Wie eine realistische Alternative zur Backstop-Lösung aussehen könnte.

Die Uhr bis zum 31. Oktober 2019 tickt und der EU-Austritt des Vereinigten Königreichs unter der Federführung der neuen britischen Regierung ist seit einigen Wochen auch schon wieder Top-Thema.

Mit Ablauf des 31. Oktober 2019 wird das Vereinigte Königreich die EU verlassen, es sei denn es vereinbart mit den EU-27 Mitgliedsstaaten eine weitere Fristverlängerung oder nimmt seine Austrittsmitteilung zurück.

Eine der entscheidenden Fragen ist, ob es der britischen Regierung gelingen wird, die EU zur Neuverhandlung des Austrittsabkommens zu bewegen. Zwar hatte Angela Merkel bei Johnsons Berlin Besuch eine Bereitschaft signalisiert, nochmals an der sog. Backstop-Lösung an der Grenze zwischen der britischen Provinz Nordirland und dem EU-Mitgliedsstaat Irland zu arbeiten. Allerdings sieht sie Großbritannien in der Verantwortung, Lösungsvorschläge zu unterbreiten.

Die Zeit ist knapp. Die EU-Ratssitzung am 17./18. Oktober 2019 dürfte die letzte Möglichkeit für die britische Regierung sein, ein neues Austrittsabkommen mit der EU zu vereinbaren oder einen Antrag auf eine weitere Fristverlängerung zu stellen.

Von Boris Johnson erzwungene Parlamentspause

Jedoch ist durch die Entscheidung von Boris Johnson kurz nach der geplanten Rückkehr der Parlamentarier aus der Sommerpause, die Unterhaussitzungen nochmals zu unterbrechen, die Wahrscheinlichkeit einer Fristverlängerung erheblich gesunken.

Was bezweckt Boris Johnson mit der Parlamentspause? Er hatte mit seinem Amtsantritt sehr deutlich gemacht, dass er die EU zum 31. Oktober 2019 verlassen will. Eine etwaige Entscheidung des Parlaments (wie es sie schon im März 2019 gegeben hat) die Regierung zur Beantragung einer weiteren Fristverlängerung anzuweisen, würde diese Pläne durchkreuzen.

Wenn Boris Johnson trotzdem, wie er angekündigt hat, einen ungeordneten Brexit (No-Deal Brexit) verhindern will, müsste er schnellstmöglich eine für die EU akzeptable Alternative zur Backstop-Lösung finden.

Backstop-Lösung soll harte Grenze zwischen Nordirland und Irland vermeiden

Das zwischen Theresa May und der EU ausgehandelte Austrittsabkommen sieht eine Übergangsphase bis zum 31. Dezember 2020 vor, während der das Vereinigte Königreich weiter Zugang zum Binnenmarkt erhält und an der Zollunion teilnimmt. Die Backstop-Lösung soll verhindern, dass nach dem 31. Dezember 2020 mit dem EU-Austritt eine harte Grenze zwischen der britischen Provinz Nordirland und dem EU-Mitgliedsstaat Irland entsteht. Dafür ist vorgesehen, dass das Vereinigten Königreich nach Ablauf einer Übergangsphase in der Zollunion und Nordirland zusätzlich noch im europäischen Binnenmarkt verbleibt, sofern und solange keine andere zufriedenstellende Lösung für die Grenze zwischen Nordirland und Irland gefunden wird.

Die Regierung Johnson kritisiert an dieser Regelung, dass das Vereinigte Königreich durch Bindung an die Zollunion daran gehindert ist, eine eigene und unabhängige Handelspolitik zu entwickeln. Aber gibt es überhaupt eine realistische Alternative?

Alternativen zum Backstop

Die Alternative, dass nur Nordirland im Binnenmarkt verbleibt und es eine Zollgrenze zwischen Nordirland und dem Rest des Vereinigten Königreichs gibt, findet (derzeit) keine uneingeschränkte politische Unterstützung im Vereinigten Königreich. Sie wird von Nordirischen Unionistischen Partei (DUP) (derzeitiger Koalitionspartner der Konservativen Partei) abgelehnt, weil sie keine Ungleichbehandlung oder Grenzziehung zwischen Nordirland und der Insel Großbritannien duldet. Die EU hatte dieser Lösung in den Verhandlungen zum Austrittsabkommen zugestimmt. Theresa May wurde jedoch diesbezüglich von der DUP ausgebremst.

Eine weitere Alternative wäre die Übergangsphase zu verlängern, um dem Vereinigten Königreich und der EU mehr Zeit für die Aushandlung und Umsetzung eines Assoziierungsabkommens und einer Lösung für den Handel über die Grenze zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich in Nordirland zu geben. Johnsons Zeitplan, der einen Austritt zum 31. Oktober 2019 vorsieht, schließt diese Lösung aber derzeit aus.

Die Lösung, dass Nordirland das Vereinigte Königreich verlässt und Teil des EU-Mitgliedsstaates Irland wird ist eher theoretischer Natur. Dies würde ein Referendum in Nordirland und die Unterstützung der Republik Irland erfordern. Es besteht die Gefahr von Gewalt seitens der nationalistischen Gruppierung (diejenigen, die weiterhin Teil des Vereinigten Königreichs bleiben wollen). Dies ist keine realistische kurz- bis mittelfristige Lösung.

Demgegenüber würde eine Wiederherstellung der Grenzinfrastruktur zwischen Nordirland und Irland der Ankündigung der Johnson-Regierung, die jegliche Grenzinfrastruktur zwischen Irland und Nordirland ausgeschlossen hat, widersprechen und wahrscheinlich auch eine Verletzung der Verpflichtungen des Vereinigten Königreichs aus dem Karfreitagsabkommen darstellen.

Misstrauensvotum oder Antrag auf Neuwahlen für stabile Regierung denkbar

Sofern die EU zu Nachverhandlungen am Austrittsabkommen bereit ist, könnten möglicherweise die Alternative der Zollgrenze zwischen Nordirland und dem Rest des Vereinigten Königreichs ein gangbarer Weg sein, da sie zu einem früheren Zeitpunkt schon die Zustimmung der EU hatte. Voraussetzung hierfür wäre aber eine politische Einigung im Vereinigten Königreich.

Die Johnson-Regierung ist eine Minderheitsregierung (mit nur einer Mehrheit von einem Sitz), die auf eine Koalition mit der Nordirischen Unionistischen Partei (DUP) angewiesen ist. Die DUP lehnt eine Zollgrenze zwischen Nordirland und dem Rest des Vereinigten Königreichs ab.

Eine zu gewinnende Neuwahl wäre die einzige Möglichkeit für Johnson eine stabile insoweit handlungsfähige Regierung zu gründen. Johnson kann eine Neuwahl beantragen, braucht dafür aber eine 2/3 Mehrheit der Abgeordnetenstimmen. Er kann aber auch zu einer Neuwahl gezwungen werden, wenn er eine Vertrauensfrage verliert. Dafür wäre eine einfache Mehrheit ausreichend. Nach einem Misstrauensvotum könnte eine sogenannte Einheit zur Bildung einer neuen Regierung formiert werden, die in einem Zeitrahmen von 14 Tagen die Aufgabe hätte, eine Fristverlängerung nach Artikel 50 Abs. 3 EUV zu beantragen und eine Neuwahl durchzuführen.

Ob es aber in dem kurzen Zeitrahmen nach der Parlamentspause dem britischen Parlament noch gelingen kann, ein Misstrauensvotum auf die Beine zu stellen und wie eine Neuwahl ausgehen könnte, ist schwierig zu beantworten.

Das einzige man derzeit sicher ist, dass das Thema Brexit spannend bleibt. Wir halten Sie gerne auf dem Laufenden.

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