Der Boom der Marken- und Produktpiraterie – eine von fünf Herausforderungen, denen die EU mit ihrem Aktionsplan für geistiges Eigentum Einhalt gebieten will.
In ihrem am 25. November 2020 veröffentlichten Aktionsplan für geistiges Eigentum (COM(2020) 760, EU Action Plan IP) bezeichnet die Europäische Kommission immaterielle Vermögenswerte völlig zu Recht als Eckpfeiler der Wirtschaft von heute. Mithilfe diverser Rechte des geistigen Eigentums, wie zum Beispiel Marken, Designs und Patenten, können Unternehmen ihre immateriellen Vermögenswerte fruchtbar machen und sich am Markt behaupten.
Ein gravierendes Problem ist jedoch die Marken- und Produktpiraterie, die trotz anhaltender intensiver Bekämpfungsbemühungen der EU boomt. Als Reaktion auf diese Herausforderung definiert die Europäische Kommission in ihrem Aktionsplan die Gewährleistung einer besseren Durchsetzung des geistigen Eigentums als einen von fünf Schwerpunktbereichen und kündigt in dem Kontext ein umfangreiches Maßnahmenpaket an.
Produkt- und Markenpiraterie ist ein Milliardengeschäft
Um das wirtschaftliche Ausmaß von Produktpiraterie zu verdeutlichen führt der Aktionsplan die Ergebnisse der OECD/EUIPO-Studie „Trends in Trade in Counterfeit and Pirated Goods, Illicit Trade“ aus dem Jahr 2019 an, die auf Basis von Schätzungen dazu kommt, dass im Jahr 2016 gefälschte und unerlaubt hergestellte Waren im Wert von maximal EUR 121 Mrd. in die EU eingeführt wurden, was 6,8 % (in 2013 waren es noch 5 %) aller Importe in die EU gleichkommt.
Schaut man zudem in die EU-Zollstatistiken der letzten Jahre, die allein Beschlagnahmen auf Basis der EU-Produktpiraterieverordnung (EU (VO) Nr. 608/2013) – und nicht auch auf anderer, z.B. strafrechtlicher, Grundlage – auswerten, so lässt sich mutmaßen, dass der Boom beim Handel mit Piraterieware auch insgesamt seit 2016 weiter zugenommen hat. Denn allein die Zahl der Aufgriffe auf Basis der EU-Produktpiraterieverordnung ist von 2016 bis 2019 noch deutlich gestiegen, ebenso der den aufgegriffenen Waren zugeschriebene Originalwert. Während die EU-Zollbehörden in 2016 mehr als 63.000 Aufgriffe tätigten, die verdächtige Waren im Wert von über EUR 672 Mio. zum Gegenstand hatten, hielten sie in 2019 mehr als 91.000 Mal verdächtige Waren mit einem Wert von über EUR 759 Mio. an, wobei sich jeweils letztlich um die 90 % dieser Waren als schutzrechtsverletzend herausstellten.
Es steht zweifelsohne fest: Produktfälscher fügen der EU-Wirtschaft einen immensen Schaden zu. Originalhersteller erleiden gravierende Umsatzeinbußen dadurch, dass Konsumenten gefälschte Waren erwerben. Hunderttausende Arbeitsplätze in der EU gehen in der Folge verloren. Zudem bringen Fälschungen oftmals erhebliche Gesundheits-, Sicherheits- und auch Umweltrisiken mit sich.
Aktionsplan der EU sieht Notwendigkeit für die Verstärkung der Anstrengungen vor, Marken- und Produktpiraterie zu bekämpfen
Aus der Erkenntnis, dass Marken- und Produktpiraterie ungebremst weiter zunimmt und welche außerordentlichen Schäden sie verursacht, zieht die Europäische Kommission den auf der Hand liegenden Schluss, die Anstrengungen zu ihrer Bekämpfung intensivieren zu müssen.
Dies soll mittels der folgenden vier Maßnahmen geschehen:
- Klarstellung und Erhöhung der Verantwortlichkeiten digitaler Dienste,
- Unterstützung der Zollbehörden bei der Verbesserung des Risikomanagements,
- Erhöhung der Kapazitäten der Strafverfolgungsbehörden,
- Einrichtung eines EU-Instrumentariums zur Bekämpfung von Nachahmungen.
Gesetz über digitale Dienste
Die erste Maßnahme, die Klarstellung und Erhöhung der Verantwortlichkeiten digitaler Dienste, wurde auf EU-Ebene schon angestoßen. Denn bereits Ende 2020 hat die EU-Kommission einen Vorschlag für ein Gesetz über digitale Dienste (Digital Services Act) unterbreitet.
Der Entwurf des an alle Online-Vermittler, insbesondere Online-Plattformen, gerichteten Rechtsaktes sieht unter anderem detaillierte Regelungen hinsichtlich der Entfernung illegaler Inhalte unter Einsatz eines „Notice and Take Down“-Verfahrens sowie in Bezug auf Haftungsausschlüsse vor.
Aktionsplan IP sieht Ausbau der Zollunion vor
Auch die zweite Maßnahme, die Unterstützung der Zollbehörden bei der Verbesserung des Risikomanagements und der Betrugsbekämpfung, wurde auf EU-Ebene bereits in Angriff genommen, und zwar mit einem gesonderten Aktionsplan für den Ausbau der Zollunion vom 28. September 2020 (COM(2020) 581 final).
Dem Risikomanagement kommt im Rahmen von Zollkontrollen enorme Bedeutung zu, da aufgrund des immensen Warenvolumens nicht jede zur Einfuhr bzw. Ausfuhr bestimmte Ware kontrolliert werden kann. Die Kriterien für ein zielgerichtetes Vorgehen der Behörden müssen daher stetig weiterentwickelt werden. Der vorgenannte gesonderte Aktionsplan zielt insofern unter anderem auf eine Verbesserung der Verfügbarkeit und Nutzung von Daten und Datenanalysen für Zollzwecke ab, um zur Effektivitätssteigerung insbesondere die Überwachung von Lieferketten und den Austausch relevanter Daten mit anderen Zollbehörden zu erleichtern. Er setzt aber auch auf die Verbesserung von personellen Ressourcen sowie die Einführung einer modernen und zuverlässigen Zollausrüstung in sämtlichen Mitgliedstaaten.
Erhöhung der Kapazität der Strafverfolgungsbehörden
Mit Nachdruck verdeutlicht die Europäische Kommission die Notwendigkeit der dritten Maßnahme, des erheblichen Ausbaus der Kapazitäten der Strafverfolgungsbehörden in der EU. Dieser soll durch drei parallele Aktionen gefördert werden.
Die Europäische Kommission appelliert an die Mitgliedstaaten und den Rat, das Thema „Kriminalität im Bereich des geistigen Eigentums“ auf die Prioritätenliste des nächsten EU-Politikzyklus der Europäischen Multidisziplinären Plattform gegen kriminelle Bedrohungen (EMPACT) für den Zeitraum 2022 bis 2025 aufzunehmen. In diesem mehrjährigen Projekt soll den bedeutendsten Bedrohungen, die für die EU von organisierter und schwerer internationaler Kriminalität ausgehen, auf methodische Weise anhand strafrechtlicher Erkenntnisse und durch Stärkung der Zusammenarbeit der relevanten Behörden in den einzelnen Mitgliedstaaten, EU-Institutionen und EU-Organisationen sowie Drittstaaten entgegengewirkt werden. Derzeit stehen unter anderem Cyberkriminalität, Drogenhandel, illegaler Waffenhandel, Geldwäsche, Dokumentenbetrug und Menschenhandel auf der Prioritätenliste des EMPACT. Der Appell wurde bereits gehört, denn Ende Mai 2021 hat der Europäische Rat bei der Festlegung der zehn Prioritäten für die nächsten vier Jahre „Kriminalität im Zusammenhang mit geistigem Eigentum, Nachahmung von Waren“ mit auf die Prioritätenliste gesetzt (unter dem Oberbegriff „Betrug, Wirtschafts- und Finanzkriminalität“). Die Aufnahme der IP-Kriminalität ist vor dem Hintergrund der immensen wirtschaftlichen Schäden, die von ihr ausgehen, in jedem Fall gerechtfertigt und ein deutliches Signal.
Zudem sollen die Kompetenzen des Europäischen Amts für Betrugsbekämpfung (OLAF) erweitert werden. Das OLAF arbeitet derzeit bereits mit nationalen Behörden in den Mitgliedstaaten und Drittländern zusammen, um zu verhindern, dass Produktfälschungen von außerhalb der EU in den Binnenmarkt gelangen. Das aktuelle Mandat des OLAF erstreckt sich jedoch nicht auf Fälle innerhalb der EU. Um die Handlungsmöglichkeiten zu erweitern, soll das OLAF in die Lage versetzt werden, auch gegen die illegale Herstellung von Produktfälschungen innerhalb der EU einschreiten zu können. Diese Strategie geht zurück auf die Mitteilung der Kommission vom 10. März 2020 mit dem Titel „Langfristiger Aktionsplan zur besseren Umsetzung und Durchsetzung der Binnenmarktvorschriften“ (COM(2020) 94 final). Die Kompetenzerweiterung wäre ein äußerst begrüßenswerter Schritt.
Schließlich drängt die Kommission darauf, (weiter) den Austausch mit dem Europäischen Polizeiamt (Europol), der Strafverfolgungsbehörde der EU, zu suchen, das die nationalen Strafverfolgungsbehörden bei der Bekämpfung schwerer internationaler Kriminalität unterstützt und als Schnittstelle für den Informationsaustausch fungieren kann. Hierdurch soll eine Verbesserung der allgemeinen Gefahrenbewertung sowie die Förderung effektiver und abgestimmter Maßnahmen zur Bekämpfung von IP-Kriminalität erreicht werden.
EU-Toolbox
Die vierte Maßnahme, die Einrichtung eines EU-Instrumentariums zur Bekämpfung von Nachahmungen (EU-Toolbox) steht für das 2. Quartal 2022 auf dem Plan der EU. Mit dem Ziel, die Zusammenarbeit zwischen allen beteiligten Akteuren, also Rechteinhabern, Händlern, Vermittlern aller Art und verwaltungs- und strafrechtlichen Durchsetzungsbehörden, zu verbessern, sollen Aufgaben und Zuständigkeiten definiert sowie Möglichkeiten der Zusammenarbeit aufgezeigt werden.
Eine zentrale Rolle für den Datenaustausch soll das EUIPO IP Enforcement Portal spielen. Hierbei handelt es sich um eine EU-weite Plattform, die es allen an der Durchsetzung von Rechten geistigen Eigentums beteiligten Akteuren ermöglicht, in einer sicheren Umgebung für die Rechtsdurchsetzung relevante Informationen auszutauschen. Rechtsinhaber können beispielsweise ihre Schutzrechte, Erkennungshinweise zu Originalen und Fälschungen sowie Details zu Transportbeteiligten und -wegen eingeben. Zoll- und Polizeibehörden können diese Informationen zwecks Unterstützung beim Erkennen gefälschter Waren abrufen und mit den Rechtsinhabern in Kontakt treten. Die EU-Toolbox wird sich auf Verfahren und Grundsätze stützen, die bereits im Rahmen verschiedener Initiativen unter maßgeblicher Beteiligung der Industrie entwickelt wurden, wie z.B. das Memorandum of understanding on the sale of counterfeit goods on the internet sowie das Memorandum of understanding on online advertising and IPR. Auch soll der Einsatz neuer Technologien wie Bilderkennung, künstlicher Intelligenz und Blockchain maßgebliche Bedeutung für die EU-Toolbox erlangen.
Wie genau das Instrumentarium ausgestaltet werden wird, geht aus dem Aktionsplan nicht hervor. Die bisherigen Ausführungen der Europäischen Kommission sind vielmehr als Anstoß für das Projekt zu verstehen, das es nunmehr mit Hochdruck auf EU-Ebene auszuarbeiten gilt.
Produktpirateriebekämpfung im Aktionsplan IP der EU: Ein Schritt in die richtige Richtung
Vor dem Hintergrund der großen Bedeutung gewerblicher Schutzrechte für die EU-Wirtschaft und der gravierenden Schäden, die von Produktpiraterie ausgehen, hat die Europäische Kommission in ihrem Aktionsplan die Gewährleistung einer besseren Durchsetzung des geistigen Eigentums als Schwerpunktbereich identifiziert, dem sie sich in den kommenden Jahren mit Nachdruck widmen will.
Die in dem Aktionsplan genannten Maßnahmen zur Intensivierung der Produktpirateriebekämpfung knüpfen an ganz unterschiedliche Ebenen an und bilden damit ein breites Spektrum der Möglichkeiten ab. Sie variieren allerdings erheblich im Hinblick auf ihre Konkretisierung; einige Maßnahmen wurden bereits angestoßen, für andere wurden jedenfalls Zeitpläne aufgestellt.
Mit Spannung ist vor allem der Einführung der EU-Toolbox entgegenzublicken, der noch am wenigsten konkreten, aber in Bezug auf die beteiligte Akteure und ihre geplante Reichweite umfangreichsten und vielleicht auch vielversprechendsten Maßnahme.
Mit dem EU Action Plan IP möchte die EU die Rechte des Geistigen Eigentums auch in Zukunft gesichert wissen. In unserer Blogreihe gehen wir auf die einzelnen Inhalte ein, begonnen mit dem Geschäftsgeheimnisschutz.