12. April 2024
#MeToo Compliance interne Untersuchung
#MeToo und Compliance

#MeToo: Besonderheiten der internen Untersuchung

Interne Untersuchung bei #MeToo-Verdacht: Eine Gratwanderung zwischen Opferschutz, Vermeidung falscher Verdächtigung und Erhalt des Betriebsfriedens.

Arbeitgeber* sind rechtlich dazu verpflichtet, Hinweisen auf sexuelle Belästigung im Arbeitsumfeld nachzugehen. Die Aufklärung solcher Hinweise unterscheidet sich dabei von den meisten anderen internen Untersuchungen. Hintergrund ist, dass Fälle sexueller Belästigung nicht gegen die (regelmäßig vermögensrechtlichen) Interessen des Unternehmens gerichtet sind. 

Vielmehr stehen die Interessen zweier natürlicher Personen im Vordergrund. Gegenüber beiden bestehen Schutzpflichten des Arbeitgebers. Auf der einen Seite ist das (vermeintliche) Opfer vor sexuellen Belästigungen zu schützen. Auf der anderen Seite ist der (mutmaßliche) Täter vor falschen Verdächtigungen zu bewahren. 

Hinzu kommt ein dritter Faktor: Zwischenmenschliche Konflikte wirken sich regelmäßig auch auf andere Beschäftigte aus und können zu einer Spaltung der Belegschaft führen. Der Arbeitgeber hat daher im Rahmen der internen Untersuchung zahlreiche Besonderheiten zu beachten, um die Gratwanderung zwischen Opfer- und Täterschutz sowie der Wahrung des Betriebsfriedens zu meistern.

Zuständigkeit für interne Untersuchung

Zunächst stellt sich die Frage, welche Einheit für die Durchführung der internen Untersuchung zuständig ist. Soll sie intern durchgeführt werden (in Frage kommen die Abteilungen HR, Legal, Internal Audit oder Compliance) oder soll sie an externe Anwälte vergeben werden? Hier gibt es kein richtig oder falsch. Entscheidend sind immer die Umstände der Verdachtsmeldung und die Charakteristika der internen Abteilungen.

Die Durchführung von Ermittlungen durch interne Stellen ist in folgenden Fällen ausreichend:

  • Erste Plausibilitätsprüfung eines Hinweises zur Beurteilung des Verdachts
  • Vorwurf erscheint nicht schwerwiegend
  • Eine Eskalation der Situation ist nicht zu befürchten 

Bei rein internen Untersuchungen sollte sich die Auswahl und Zusammensetzung der untersuchenden Stelle immer an den Ressourcen und Kompetenzen orientieren. So sollte das Untersuchungsteam über ausreichende Ermittlungserfahrung, insbesondere in der Interviewführung, verfügen. Idealerweise sollte sowohl das Geschlecht des Opfers als auch das des Täters im Ermittlungsteam vertreten sein. Interessenkonflikte zwischen Ermittlern und Opfern bzw. Tätern – sei es aufgrund regelmäßiger Zusammenarbeit oder sonstiger persönlicher Verbindungen – sind unbedingt zu vermeiden. Grundsätzlich sollte die Zahl der internen Mitarbeiter im Ermittlungsteam so gering wie möglich gehalten werden, um ein Höchstmaß an Vertraulichkeit zu gewährleisten.

Die Einschaltung externer Rechtsanwälte sollte dagegen immer bei folgenden Umständen erwogen werden:

  • Verdacht auf schwerwiegende sexuelle Belästigung mit potenziell strafrechtlicher Relevanz
  • Verdacht auf strukturell angewandte sexuelle Belästigung
  • Gefahr, dass der Verdacht im Betrieb verbreitet oder gar öffentlich wird
  • Geschäftsführung oder eine Führungskraft ist vom Verdacht betroffen 
  • Fehlen geeigneter interner Ressourcen

Die Einschaltung externer Anwälte fördert die Unabhängigkeit der Untersuchung und damit regelmäßig auch das Vertrauen der Betroffenen in die Untersuchung. 

Einschaltung der Strafverfolgungsbehörden

Steht eine strafrechtlich relevante sexuelle Belästigung im Raum, sollte der Arbeitgeber – in Absprache mit dem Opfer – frühzeitig die Strafverfolgungsbehörden einschalten. Zwar besteht keine strafrechtliche Anzeigepflicht des Arbeitgebers, da Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung keine Katalogtaten nach § 138 StGB sind. Allerdings haben die Strafverfolgungsbehörden nicht nur erweiterte Ermittlungsmöglichkeiten (z.B. Durchsuchung privater Räume und Beschlagnahme privater Endgeräte), sondern auch die Möglichkeit der Spurensicherung. Letzteres ist nicht zu unterschätzen: Führt der Arbeitgeber zunächst selbst Ermittlungen durch, besteht die Gefahr einer strafbaren Strafvereitelung nach § 258 StGB, wenn zwischenzeitlich Spuren beseitigt wurden.

Ziele der Untersuchung eines #MeToo-Verdachts

Bei der Durchführung einer internen Untersuchung sind drei zentrale Ermittlungsziele zu verfolgen:

  1. Hat die sexuelle Belästigung tatsächlich stattgefunden?
  2. Was war die Ursache der sexuellen Belästigung?
  3. Wie ist die sexuelle Belästigung zu bewerten?

Steht fest, dass die behauptete sexuelle Belästigung tatsächlich stattgefunden hat und es sich nicht um Missverständnisse oder falsche Anschuldigungen handelt, ist der Arbeitgeber nach § 12 Abs. 3 AGG verpflichtet, die sexuelle Belästigung zu unterbinden. Nur dann ist er auch berechtigt, gegen den Täter vorzugehen. Bei der Entscheidung über Gegenmaßnahmen hat sich der Arbeitgeber maßgeblich an den festgestellten Ursachen zu orientieren. So ist z.B. eine einmalige Affekthandlung anders zu behandeln als ein strukturelles Problem in der Unternehmenskultur. Ebenso spielt die Schwere der sexuellen Belästigung eine zentrale Rolle bei der Entscheidung über erforderliche Maßnahmen. Dabei sind nicht nur die rechtliche Einordnung (strafrechtlich oder AGG-relevant), die Anzahl der Vorfälle und die Beeinträchtigung des Opfers zu berücksichtigen, sondern auch die Reaktion des Täters auf die Konfrontation mit dem Vorwurf (Reue vs. Schuldzuweisung an das Opfer).

Vorbereitung der internen Untersuchung

Nach einer ersten Plausibilitätsprüfung sind zunächst alle vorliegenden Informationen sowie die zur Verfügung stehenden Informationsquellen zu sammeln und die einzelnen Ermittlungsschritte festzulegen. Frühzeitig ist zu prüfen, ob Sofortmaßnahmen zum Schutz des Opfers (z.B. räumliche Trennung von Opfer und Täter) erforderlich sind, um ggf. weitere Vorfälle zu verhindern. Daneben sind Maßnahmen zur Beweissicherung zu erwägen: Unter Umständen muss verhindert werden, dass sich wichtige Zeugen vor einer Vernehmung untereinander absprechen. In Betracht kommt zudem die Sicherung von Kommunikationsdaten oder Videoaufzeichnungen. In jedem Fall sollte darauf geachtet werden, dass die einzelnen Ermittlungsschritte, die jeweiligen Gründe hierfür sowie die Ermittlungsergebnisse ausreichend dokumentiert werden.

Besonderheiten der Interviewführung

Bei der Aufklärung von #MeToo-Vorfällen sind Gespräche mit den betroffenen Personen sowie Zeugen häufig die einzige und daher wesentliche Informationsquelle. Dabei sollten folgende Besonderheiten beachtet werden:

  • Über die Gespräche sollten Wortprotokolle angefertigt werden. Es empfiehlt sich, diese Wortprotokolle noch während des Interviews anzufertigen und den Inhalt direkt im Anschluss vom Gesprächspartner bestätigen zu lassen. 
  • Auf die Details kommt es an: Sowohl die konkreten Umstände der Situation als auch das persönliche Empfinden der Gesprächspartner sollten im Detail besprochen werden. Diese Informationen erhöhen nicht nur die Glaubhaftigkeit der Aussagen, sondern spielen auch eine wesentliche Rolle bei der Entscheidung über Folgemaßnahmen.
  • Ein Aufeinandertreffen von Opfer und Täter muss unbedingt vermieden werden.
  • Im Rahmen der Interviews sollte ausdrücklich die Vertraulichkeit der Angelegenheit betont werden. Die Befragten sollten darauf hingewiesen werden, mit Dritten oder anderen Beschäftigten nicht über den Vorwurf und die Ermittlungen zu sprechen.

Befragung des Opfers

Für das Opfer stellt die Schilderung des Erlebten regelmäßig eine große Überwindung dar. Aus diesem Grund ist auf Folgendes zu achten:

  • Mehrfachbefragungen stellen eine große Belastung für das Opfer dar und sollten daher vermieden werden.
  • Um Vertrauen zu schaffen, sollte eine angenehme Gesprächsatmosphäre geschaffen werden. Dies kann durch einen nicht einsehbaren Raum, die Sitzordnung sowie die Anzahl und das Geschlecht der Beteiligten erreicht werden.
  • Bei Bedarf kann psychologische Unterstützung angeboten werden.
  • Ein sensibler Umgang ist wichtig, um sicherzustellen, dass sich das Opfer wohl und respektiert fühlt und dass seine Aussagen weder manipuliert noch in Frage gestellt werden. Dazu sollten Ablauf des Gesprächs sowie Grund von Nachfragen stets im Einzelnen erläutert werden. Darüber hinaus sollte dem Opfer jederzeit vermittelt werden, dass der Vorwurf ernst genommen und mit hoher Priorität bearbeitet wird.
  • Um dem Opfer im weiteren Verlauf nicht das Gefühl zu geben, allein gelassen zu werden, sollten die nächsten Ermittlungsschritte (insbesondere Gespräche mit dem Täter) angekündigt werden. Außerdem sollte eine feste Ansprechperson aus dem Ermittlungsteam für Rückfragen benannt werden.

Befragung des Täters

Während der Schutz des Opfers von entscheidender Bedeutung ist, darf dies nicht auf Kosten der Rechte des (mutmaßlichen) Täters geschehen:

  • Es muss sichergestellt werden, dass die Befragung des Täters objektiv und unvoreingenommen erfolgt, ohne Vorurteile, Schuldzuweisungen oder Vermutungen über die Schuld oder Unschuld einer Partei.
  • Da der Täter die Vorwürfe in der Regel bestreiten wird, ist während der Befragung besonders auf seine Reaktionen und Emotionen zu achten, die Aufschluss über das Vorgefallene geben können.

Ungelöster Konflikt: Wahrung der Identität des Opfers

Aus Angst vor Repressalien wollen Opfer ihre Identität gegenüber dem Täter häufig nicht preisgeben. Gleichzeitig muss der mutmaßliche Täter die Möglichkeit haben, falsche Anschuldigungen zu widerlegen, was ohne Kenntnis der Identität des Opfers sehr schwierig sein kann. Erfolgt die Meldung über das Hinweisgebersystem, stellt § 8 HinSchG klar: Der Arbeitgeber darf die Identität des Opfers nicht offenlegen; ein etwaiger datenschutzrechtlicher Auskunftsanspruch des Täters tritt zwingend zurück. Geht die Meldung hingegen über einen anderen Meldeweg ein, gilt eine solche absolute Geheimhaltungspflicht nicht. Insofern steht der Arbeitgeber vor einer Konfliktsituation, für die es aufgrund der doppelten Schutzpflichten gegenüber Opfer und Täter keine eindeutige Lösung gibt. Die Entscheidung ist dann anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu treffen.

Interne Untersuchung von #MeToo-Vorwürfen nicht zu unterschätzen

Es bleibt festzuhalten, dass die Untersuchung von #MeToo-Vorwürfen nicht auf die leichte Schulter genommen werden sollte. Um die Aufklärungschancen zu erhöhen und zu verhindern, dass die Ermittlungen nach außen dringen, ist eine gut vorbereitete Planung der internen Untersuchung sowie die Sicherstellung ausreichender Ermittlungskompetenzen des Untersuchungsteams von entscheidender Bedeutung.

In unserer CMS-Blogserie informieren wir Sie mit Beiträgen über das Phänomen #MeToo im Kontext der Compliance-Beratung.

* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.

Tags: #MeToo und Compliance Interne Untersuchung Opfer Täter