Auch dank der breiten gesellschaftlichen Debatte ausgelöst durch #MeToo gibt es nun die EU-RL zum Schutz vor Gewalt gegen Frauen und Mädchen.
Gewalt gegen Frauen und Mädchen ist eine der strukturellen und häufigsten Menschenrechtsverletzungen weltweit. Dies gilt auch für die EU-Länder, wo bislang keine spezifischen EU-Rechtsvorschriften bestanden.
Die EU-RL zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt ist der erste Rechtsakt auf EU-Ebene, mit dem gezielt Gewalt gegen Frauen sowie häusliche Gewalt bekämpft wird und Opfer besser geschützt werden sollen.
#MeToo löst breite gesellschaftliche Debatte aus
Insbesondere die breite gesellschaftliche #MeToo-Debatte fungierte wie ein Scheinwerfer und warf Licht auf das Ausmaß geschlechterspezifischer Gewalt und Machtmissbrauch.
Was mit dem Hashtag #MeToo (Englisch für „ich auch“) als Synonym für sexuelle Übergriffe am Arbeitsplatz im Jahr 2017 im Zuge der von mehreren Frauen erhobenen Vorwürfe der sexuellen Belästigung, Nötigung oder Vergewaltigung gegen den Filmproduzenten Harvey Weinstein begann, verbreitete sich binnen kurzer Zeit und weltweit in den sozialen Medien. Mittlerweile wurde der Hashtag millionenfach verwendet, um auf das Ausmaß sexueller Belästigung und Übergriffe aufmerksam zu machen.
Auch die EU-Strategie für die Gleichstellung der Geschlechter 2020–2025 nimmt Bezug auf die #MeToo-Bewegung. Diese Strategie bildet den Rahmen für die Arbeit der Europäischen Kommission auf dem Gebiet der Gleichstellung der Geschlechter und gibt die politischen Ziele und die wichtigsten Maßnahmen für den Zeitraum 2020-2025 vor. Die EU-RL zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt ist einer ihrer wesentlichen Bausteine.
Einigung auf EU-Ebene
Am 8. März 2022 – dem internationalen Weltfrauentag – schlug die Europäische Kommission die Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt vor.
Nachdem der EU-Rat am 9. Juni 2023 seinen Standpunkt zur vorgeschlagenen Richtlinie zur Prävention und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt festgelegt hatte, haben sich der EU-Rat (unter belgischem Vorsitz) und das Europäische Parlament nach intensiven Verhandlungen am 6. Februar 2024 geeinigt.
Einigung mit einer großen Lücke
Ein zentrales Element der vorgeschlagenen EU-Richtlinie war der Tatbestand der Vergewaltigung. Er sollte nach Willen der Europäischen Kommission EU-weit vereinheitlicht werden, nach dem Einwilligungsansatz „Nur ja heißt ja“ – jeder sexuellen Handlung muss zugestimmt werden.
Die im Februar 2024 erzielte Einigung hat aber eine große Leerstelle – das Vergewaltigungsdelikt ist aus dem Entwurf der Richtlinie gestrichen worden. Daran hat auch die deutsche Bundesregierung mit ihrer Blockadehaltung ihren Anteil (neben Ungarn und Frankreich). Begründet wurde dies von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) mit einer möglichen Kompetenzüberschreitung durch die EU. Die geltend gemachten juristischen Bedenken zielen darauf ab, dass die EU nur im Bereich der als EU-Straftat eingeordneten Verbrechen einheitliche Mindeststandards und vor allem Mindeststrafen vorschreiben darf. Der Katalog der EU-Straftaten umfasst besonders schwere, häufig grenzüberschreitenden Kriminalität (z.B. Terrorismus, Geldwäsche, Menschenhandel). Hingegen ist die Vergewaltigung bisher nicht umfasst.
Das bedeutet, dass ein effektiver und EU-weit einheitlicher strafrechtlicher Schutz vor dieser schweren Form sexualisierter Gewalt gegen Frauen, unabhängig von ihrem Wohn- oder Aufenthaltsort, verhindert wurde. Es bleibt insoweit also bei dem EU-weiten Flickenteppich.
Mit der EU-RL werden folgende Straftaten in der gesamten EU unter Strafe gestellt:
- Weibliche Genitalverstümmelung
- Zwangsehen
- Cyberstalking
- Cybermobbing
- Nicht-einvernehmliche Weitergabe von intimen Bildern
- Aufstachelung zu Gewalt oder Hass im Internet
Zudem werden die Strafen und Verjährungsfristen für diese Straftaten EU-weit harmonisiert. So muss beispielsweise weibliche Genitalverstümmelung in allen Mitgliedstaaten mit einer Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens fünf Jahren geahndet werden.
Für eine effektive Bekämpfung von Cybergewalt sind Maßnahmen zur Entwicklung von Kompetenzen vorgesehen, die es den Nutzern ermöglichen, Cybergewalt zu erkennen und zu bekämpfen, Unterstützung zu suchen und ihre Begehung zu verhindern.
Die EU-RL legt ferner neue Standards für den Schutz, die Unterstützung und den Zugang der Opfer zur Justiz fest. So werden etwa die Mitgliedstaaten verpflichtet, zur Unterstützung von Opfern Hotlines und Krisenzentren für Vergewaltigungen einzurichten.
Geplante Evaluation des deutschen Sexualstrafrechts
Auf Initiative von Bundesministerin Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen) beabsichtigen das Bundesministerium der Justiz und das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend eine Evaluation des 2016 neu gefassten nationalen Sexualstrafrechts durchzuführen, denn in Deutschland gilt seitdem der „Nein heißt nein“-Grundsatz im Strafgesetzbuch.
Damit soll überprüft werden, ob die aktuell in Deutschland geltende Regelungen den Vorgaben des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention) von 2011 vollständig entsprechen. Die Istanbul-Konvention, die die EU erst im Oktober letzten Jahres unterzeichnet hat, gilt als Maßstab für internationale Standards im Bereich der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen.
Drei Jahre Zeit, die EU-RL zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt umzusetzen
Aufgrund der erzielten Einigung kann die Richtlinie nun noch vor den Europawahlen im Juni 2024 verabschiedet werden. Die Richtlinie muss dafür von den Vertretern der EU-Mitgliedstaaten im Rat gebilligt und sodann vom Rat und vom Europäischen Parlament angenommen werden*. Nach Inkrafttreten der Richtlinie haben die EU-Mitgliedstaaten drei Jahre Zeit, die Bestimmungen umzusetzen.
In unserer CMS-Blogserie informieren wir Sie mit Beiträgen über das Phänomen #MeToo im Kontext der Compliance-Beratung. Der nächste Beitrag befasst sich mit #MeToo und Hinweisgeberschutz.
* Aktualisierung: Der EU-Rat hat der Richtlinie am 7. Mai 2024 zugestimmt.