31. Mai 2023
Arbeitskampf Gewerkschaft Streik
Praxishinweise zum Arbeitskampf

Praxishinweise zum Arbeitskampf – Anforderungen auf Gewerkschaftsseite 

Der Streik ist ein äußerst scharfes Schwert der Arbeitnehmerseite im Arbeitskampf. Daher sind von der Gewerkschaft gewisse Rahmenbedingungen einzuhalten.

Ein Streik ist nur rechtmäßig, wenn er dazu dient, Ziele durchzusetzen, die in einem Tarifvertrag geregelt werden können. Ist er dagegen – jedenfalls auch – auf die Durchsetzung tarifwidriger Ziele gerichtet, z.B. die Verpflichtung des Arbeitgebers, Mitglied im Arbeitgeberverband zu bleiben, ist er insgesamt rechtswidrig (BAG, Urteil v. 26. Juli 2016 – 1 AZR 160/14). Bereits die Rechtswidrigkeit nur eines von mehreren verfolgten Zielen führt nach der sog. Rührei-Theorie zur Rechtswidrigkeit des gesamten Streiks. Denn letztlich verhält es sich mit Streikzielen wie mit einem Rührei: Bereits ein faules Ei genügt, um es zu verderben.

Die Rechtsprechung fasst das Erfordernis der Tarifbezogenheit des Streikziels allerdings eher weit. Es können etwa auch sog. Unterstützungsstreiks, bei denen eine Gewerkschaft zur Unterstützung eines auf den Abschluss eines Tarifvertrags gerichteten anderen Streiks aufruft, grds. rechtmäßig sein (BAG, Urteil v. 19. Juni 2007 – 1 AZR 396/06). Arbeitnehmer müssen folglich nicht zwingend für die Erfüllung eigener tariflicher Forderungen in den Ausstand treten. Ein Unterstützungsstreik ist jedoch dann rechtswidrig, wenn er zur Erreichung des Zieles, den Hauptarbeitskampf zu unterstützen, offensichtlich ungeeignet, nicht erforderlich oder unangemessen ist.

Ein Streik ist zudem rechtswidrig, wenn er – jedenfalls auch – auf die Beseitigung, Abänderung oder Ersetzung einer tariflichen Regelung vor dem Ende ihrer Laufzeit gerichtet ist. Dies stellt einen Verstoß gegen die sog. relative Friedenspflicht dar, die jedem Tarifvertrag immanent ist. Diese begründet für die Laufzeit des Tarifvertrags einen zeitlich begrenzten Waffenstillstand zwischen den Tarifvertragsparteien. Die Friedenspflicht soll den Tarifvertragsparteien Planungssicherheit geben, indem sie sicherstellt, dass der Tarifvertrag während seiner Laufzeit nicht in Frage gestellt wird. Welche Regelungsgegenstände der Friedenspflicht unterliegen, ist durch Auslegung des Tarifvertrags zu ermitteln.

Maßgeblich für die Ermittlung des Kampfziels ist der Streikbeschluss

Maßgeblich für die Beantwortung der Frage, welche Forderungen die Gewerkschaft mit dem Streik durchsetzen möchte, ist der Streikbeschluss. Daneben soll es möglich sein, auch Umstände und Erklärungen außerhalb des Streikbeschlusses, z.B. Pressemitteilungen, zur Bestimmung des Kampfziels heranzuziehen (LAG Baden-Württemberg, Urteil v. 20. Februar 2019 – 4 Sa 40/18; LAG Hessen, Urteil v. 9. September 2015 – 9 SaGa 1082/15). Entscheidend ist aber, dass sie der Gewerkschaft zugerechnet werden können.

Das Vorliegen eines Streikbeschlusses des zuständigen Gremiums ist zwingende Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit eines Streiks. Der Streikbeschluss ist Ergebnis eines gewerkschaftsinternen Vorgangs, der den Abschluss der Willensbildung der Gewerkschaft über das Ob, den Inhalt und den Umfang einer Arbeitskampfmaßnahme markiert. 

Das Gebot der fairen Kampfführung verlangt die Bekanntmachung des Streikbeschlusses

Der Streikbeschluss ist der Arbeitgeberseite als Arbeitgeberverband oder einzelnem Arbeitgeber zusammen mit dem Streikziel nach dem Gebot der fairen Kampfführung bekannt zu machen. Dabei muss über seinen Inhalt zwar nicht im Detail unterrichtet werden; der Arbeitgeber bzw. Arbeitgeberverband muss aber erkennen können, ob der Streik von einer Gewerkschaft getragen wird – er sich also keinem „wilden“ Streik gegenübersieht – und welche Forderungen gestellt werden (BAG, Urteil v. 31. Oktober 1995 – 1 AZR 217/95). 

Keine strengen Vorgaben zu Inhalt und Form der Bekanntmachung des Streikbeschlusses

An Inhalt und Form der Bekanntmachung des Streikbeschlusses gegenüber der Arbeitgeberseite werden keine hohen Anforderungen gestellt. Eine Verlautbarung in der Öffentlichkeit, etwa über die Medien, kann im Einzelfall ausreichen, wenn sie den Arbeitgeber erreicht, hinreichend genau über den Streik informiert und deutlich wird, dass diese Erklärung von der streikführenden Gewerkschaft stammt (vgl. BAG, Urteil v. 23. Oktober 1996 – 1 AZR 296/96). Dem Arbeitgeber kann jedoch nicht zugemutet werden, alle am Ort verfügbaren Medien ständig daraufhin zu verfolgen, ob sie eine Erklärung der Gegenseite über Kampfmaßnahmen enthalten. Bedient sich die Gewerkschaft der Medien, um den Arbeitgeber bzw. den Arbeitgeberverband von ihren Maßnahmen in Kenntnis zu setzen, trägt sie das Risiko, dass ihn diese Information nicht erreicht. Auch können Pressemeldungen nicht ausreichen, die sich auf „Informationen aus gut unterrichteten Kreisen“ berufen. 

Für die Bekanntmachung des Streikbeschlusses kann es andererseits sogar ausreichen, wenn im zu bestreikenden Betrieb Flugblätter der zuständigen Gewerkschaft ausliegen, die zum Streik aufrufen (sog. Streikaufruf), und sich aus diesen die Arbeitskampfmaßnahme und der Zeitraum des Streiks ergeben (BAG, Urteil v. 31. Oktober 1995 – 1 AZR 271/95).

Allerdings muss der Arbeitgeber die Nutzung eines für dienstliche Zwecke eingerichteten E-Mail-Accounts durch die bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer zu Zwecken des Arbeitskampfs, z.B. zur Verbreitung eines Streikaufrufs, nicht dulden. Die Mobilisierung von Arbeitnehmern zur Streikteilnahme ist Aufgabe der jeweiligen Koalition und ihrer Mitglieder. Vom Arbeitgeber kann nicht verlangt werden, hieran durch Bereitstellung eigener Betriebsmittel mitzuwirken (BAG, Beschluss v. 15. Oktober 2013 – 1 ABR 31/12).

Die Nichteinhaltung der Vorgaben der gewerkschaftlichen Satzung führt nicht zur Unwirksamkeit des Streikbeschlusses oder gar zur Rechtswidrigkeit des Streiks

Für die Rechtmäßigkeit eines Streiks bedarf es zwar eines Streikbeschlusses des zuständigen Gremiums. Unerheblich ist jedoch, ob die Beschlussfassung unter Beachtung der satzungsgemäßen Vorgaben erfolgt ist. Denn die Satzung ist gewerkschaftliches Binnenrecht, dessen Verletzung im Verhältnis zum Arbeitgeber regelmäßig keine rechtliche Bedeutung hat.

Dies gilt auch, wenn einem Streikbeschluss nach der Satzung der Gewerkschaft zunächst eine sog. Urabstimmung der Mitglieder über die Arbeitsniederlegung vorausgehen muss. Urabstimmung bedeutet die geheime Abstimmung aller von der Tarifbewegung betroffenen Gewerkschaftsmitglieder über die Frage, ob sie bereit sind, für die Durchsetzung ihrer Forderungen zu streiken. Stimmt die Mehrheit (i.d.R. sehen die Satzungen ein Quorum von 75 % vor) der stimmberechtigten und nicht verhinderten Mitglieder für einen Streik, fasst das zuständige Gremium im Anschluss den entsprechenden Streikbeschluss. Fast alle Gewerkschaften sehen in ihren Satzungen eine Urabstimmung als Voraussetzung des Streiks vor – häufig jedoch mit Ausnahme des Warnstreiks (vgl. z.B. § 70 der Satzung der ver.di, § 22 der Satzung der IG Metall, § 11 der Satzung der IGBCE). Wird ein Streikbeschluss ohne vorangegangene Urabstimmung gefasst, hat dies selbst dann nicht die Rechtswidrigkeit des Streiks zur Folge, wenn die Urabstimmung in der Satzung der Gewerkschaft zwingend vorgesehen ist (LAG Hessen, Urteil v. 6. November 2019 – 16 SaGa 1304/19).

Fazit: Gewerkschaften müssen bei der Durchführung von Streiks eine Reihe von Vorgaben beachten 

Die Rechtsprechung hat in einer Vielzahl von Entscheidungen Vorgaben entwickelt, die von den Gewerkschaften eingehalten werden müssen, wenn sie nicht die Rechtswidrigkeit eines Streiks riskieren wollen. Danach setzt ein rechtmäßiger Streik neben einem zulässigen Streikziel jedenfalls auch die ordnungsgemäße Bekanntgabe des Streikbeschlusses gegenüber der Arbeitgeberseite voraus. Verstößt die Gewerkschaft gegen einen dieser Grundsätze, ist der Streik rechtswidrig. Bei Teilnahme an einem solchen rechtswidrigen Streik können dem Arbeitnehmer arbeitsrechtliche Konsequenzen bis hin zur außerordentlichen Kündigung drohen (BAG, Urteil v. 17. Dezember 1976 – 1 AZR 772/75). Missachtet die Gewerkschaft allerdings lediglich ihre eigene Satzung oder sonstiges gewerkschaftliches Binnenrecht, führt dies allein noch nicht zur Rechtswidrigkeit des Streiks.

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Nach unserem Überblick über das Thema Arbeitskampf ist dies der zweite Beitrag unserer Blogreihe.

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