15. Juni 2023
Arbeitskampf Vergütungspflicht Beschäftigungspflicht
Praxishinweise zum Arbeitskampf

Praxishinweise zum Arbeitskampf – Folgen für die Vergütungs- und Beschäftigungspflicht

Ein Streik hat auch für die nur mittelbar vom Streik betroffenen Arbeitnehmer Folgen – dies gilt vor allem für die Vergütungs- und Beschäftigungspflicht.

Der Grundsatz „ohne Arbeit kein Lohn“ gilt während des Arbeitskampfs in jedem Fall für die streikenden Arbeitnehmer. Denn während der Teilnahme an einem (rechtmäßigen) Streik ruhen die Hauptleistungspflichten aus dem Arbeitsverhältnis (BAG, Urteil v. 3. August 1999 – 1 AZR 735/98). Nimmt der Arbeitnehmer an einem Streik teil und legt deshalb seine Arbeit nieder, hat er für diesen Zeitraum weder Anspruch auf Vergütung noch auf Beschäftigung, da unmittelbar an einem Arbeitskampf Beteiligte das Risiko der Nichtarbeit selbst tragen (sog. Arbeitskampfrisiko).

Ist der streikende Arbeitnehmer Mitglied in einer Gewerkschaft, erhält er allerdings aus den bei den Gewerkschaften gebildeten Streikkassen als Kompensation für die entgangene Vergütung ein sog. Streikgeld, das jedenfalls einen Teil des Verdienstausfalls auffängt. 

Betriebseinstellung 

Wenn dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Betriebs aufgrund eines rechtmäßigen Streiks jedenfalls teilweise unmöglich oder wirtschaftlich unzumutbar ist, verlieren auch die nicht streikenden und arbeitswilligen Arbeitnehmer ihren Vergütungsanspruch. Dies gilt auch, wenn sich der Arbeitgeber als Gegenmaßnahme zum Streik dazu entscheidet, den Betrieb vorübergehend ganz oder teilweise stillzulegen. In diesem Fall verlieren die dort beschäftigten, arbeitswilligen Arbeitnehmer ihren Vergütungsanspruch selbst dann, wenn dem Arbeitgeber die (teilweise) Aufrechterhaltung des Betriebs technisch möglich und wirtschaftlich zumutbar gewesen wäre. 

Die Stilllegung muss gegenüber den Arbeitnehmern ausdrücklich erklärt werden; die rein tatsächliche Stilllegung ist nicht ausreichend. Ihre gegenständliche und zeitliche Grenze bestimmt sich nach dem Streikaufruf. 

Von der Stilllegung ist die sog. Aussperrung zu unterscheiden. Hierbei handelt es sich um ein „eigenes“ Arbeitskampfmittel des Arbeitgebers. Will der Arbeitgeber den Betrieb über die Grenzen des Streikaufrufs hinaus stilllegen, ist dies nur durch eine Aussperrung möglich, die regelmäßig an andere formale Voraussetzungen geknüpft ist als die Betriebsstilllegung. 

Der Vergütungsanspruch kann schließlich für Beschäftigte eines Betriebs bzw. Unternehmens entfallen, in dem zwar nicht gestreikt wird, in dem sich der Streik aber unmittelbar auswirkt, z.B. weil erforderliche Komponenten nicht geliefert werden (sog. Fernwirkung von Arbeitskämpfen). Dies rechtfertigt sich nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts aus dem Umstand, dass solche Fernwirkungen erheblichen Einfluss auf das Kräfteverhältnis der Arbeitskampfparteien haben und daher kampftaktisch eingesetzt werden können. Davon ist auszugehen, wenn der für den Drittbetrieb / das Drittunternehmen „zuständige“ Verband, mit den kampfführenden Verbänden entweder identisch oder doch zumindest organisatorisch eng verflochten ist (BAG, Urteil v. 22. Dezember 1980 – 1 ABR 2/79).

Beschäftigungspflicht

Soweit aufgrund eines rechtmäßigen Streiks die Hauptleistungspflichten suspendiert sind, ist der Arbeitnehmer nicht zur Erbringung der Arbeitsleistung verpflichtet; der Arbeitgeber im Gegenzug also nicht zur Beschäftigung – auch eines gegebenenfalls arbeitswilligen Arbeitnehmers verpflichtet.

Die ausgefallene Arbeitsleistung muss nach Beendigung des Streiks nicht nachgearbeitet werden. Im Gegenzug kann der Arbeitgeber die nicht am Streik beteiligten Arbeitnehmer allerdings auch nicht einseitig anweisen, die Arbeit ihrer streikenden Kollegen zu übernehmen – sog. Streikarbeit. Eine solche Weisung ist unwirksam, weil Streikarbeit grundsätzlich als unzumutbar angesehen wird. Auch können Leiharbeitnehmer gem. § 11 Abs. 5 S. 1 AÜG nicht als Ersatz für streikende Arbeitnehmer im bestreikten Betrieb eingesetzt werden. Dennoch darf sich der bestreikte Arbeitgeber – wenn er sich nicht zu einer (Teil-) Stilllegung seines Betriebs entscheidet – bemühen, den Betrieb trotz des Streiks aufrechtzuerhalten. Diese Bemühungen sind indes nur in engen Grenzen zulässig. Wichtig ist, dass es sich bei Streikarbeit nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts um eine Arbeitskampfmaßnahme des Arbeitgebers handelt, weshalb die Beteiligungsrechte des Betriebsrats, etwa aus § 99 BetrVG, verkürzt sind. So hat der Betriebsrat eines abgebenden Betriebs bei einer arbeitskampfbedingten Versetzung arbeitswilliger Arbeitnehmer in einen bestreikten Betrieb des Arbeitgebers kein Mitbestimmungsrecht nach § 99 Abs. 1 BetrVG (BAG, Beschluss v. 13. Dezember 2011 – 1 ABR 2/10). 

Von der Streikarbeit zu unterscheiden sind sog. Not- und Erhaltungsarbeiten, d.h. Arbeiten, die zur Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung mit lebensnotwendigen Diensten und Gütern erforderlich sind (Notstandsarbeiten) sowie solchen, die erforderlich sind, um das Unbrauchbarwerden der Betriebsmittel zu verhindern und der Erhaltung und Sicherung von Produktionsmitteln und Arbeitsplätzen dienen (Erhaltungsarbeiten). Zu solchen Arbeiten können auch streikende Arbeitnehmer eingeteilt werden. In der Praxis schließen Gewerkschaft und Unternehmen insbesondere der Energieversorgung, im Gesundheitswesen oder Luft-/Eisenbahnverkehr häufig sog. Notdienstvereinbarungen, die den Einsatz von Arbeitnehmern für solche Arbeiten regeln. Der Abschluss solcher Notdienstvereinbarungen wird von der Mittelstands- und Wirtschaftsunion in der kritischen Infrastruktur nicht für ausreichend gehalten, weshalb sie im Bereich der sensible Daseinsvorsorge eine Regulierung des Streikrechts fordert (u.a. vorgeschaltetes, verbindliches Schlichtungsverfahren, Ankündigungsfrist). Ob der Gesetzgeber hier tätig wird, bleibt abzuwarten. 

Auswirkungen der Teilnahme an rechtswidrigem Streik auf Hauptleistungspflichten

Nimmt ein Arbeitnehmer an einem rechtswidrigen Streik teil, werden die Hauptleistungspflichten aus dem Arbeitsverhältnis nicht suspendiert. Dies bedeutet, dass der Arbeitnehmer weiterhin zur Erbringung seiner Arbeitsleistung verpflichtet ist. Legt der Arbeitnehmer seine Arbeit im Rahmen eines rechtswidrigen Streiks nieder, wird der Arbeitgeber von der Vergütungspflicht frei.

Teilnahme an einem rechtswidrigen Streik als Kündigungsgrund

Bedeutsamer sind indes die möglichen arbeitsvertraglichen Konsequenzen, die eine Teilnahme an einem rechtswidrigen Streik oder an einzelnen rechtswidrigen Streikmaßnahmen, z.B. Ausschreitungen oder Exzessen von Streikposten, nach sich ziehen kann. Denn in der Teilnahme an einem rechtswidrigen Streik liegt die Verletzung einer arbeitsvertraglichen Pflicht. Eine solche kann – regelmäßig allerdings erst nach erfolgter Abmahnung – eine ordentliche, in Ausnahmefällen auch eine außerordentliche, verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen. Dabei ist der Arbeitgeber nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts nicht gehalten, sämtliche Arbeitnehmer, die an einem rechtswidrigen Streik teilgenommen haben, zu entlassen. Er kann auch nur einzelne Arbeitnehmer oder eine bestimmte Gruppe kündigen und diese Kündigung dazu nutzen, Druck auf die übrigen rechtswidrig streikenden Arbeitnehmer auszuüben. Zulässig ist dieses Vorgehen allerdings nur unter engen Voraussetzungen, beispielsweise dann, wenn die Entscheidung des Arbeitgebers, nur bestimmte Arbeitnehmer zu kündigen, auf sachliche Kriterien gestützt werden kann. Diese können in besonderen Verhaltensweisen während des Streiks liegen, wobei die bloße Zugehörigkeit zur Streikleitung und/oder das Stehen als Streikposten allerdings kein solches Kriterium ist (BAG, Urteil v. 29. November 1983 – 1 AZR 469/82). 

Erfolgt die Kündigung als Reaktion auf die Teilnahme an einem rechtswidrigen Streik noch während eines rechtswidrigen Streiks (sog. Kampfkündigung), entfällt das Beteiligungsrecht des Betriebsrats nach § 102 BetrVG. Erfolgt der Kündigungsausspruch nach Beendigung des Streiks, ist der Betriebsrat uneingeschränkt nach § 102 BetrVG zu beteiligen. Dies gilt auch dann, wenn die Kündigung mit der Teilnahme an einem rechtswidrigen Streik begründet wird.

Mögliche Schadensersatz- und Unterlassungsansprüche

Die Teilnahme an einem rechtswidrigen Streik kann zudem Schadensersatzansprüche des Arbeitgebers gegen den Arbeitnehmer begründen sowie Unterlassungsansprüche rechtfertigen. 

Fazit: Die Folgen eines Streiks für die Beschäftigungs- und Vergütungspflicht beurteilen sich nach der Frage, ob dieser rechtmäßig oder rechtswidrig ist

Welche Folgen ein Streik für die Beschäftigungs- und Vergütungspflicht hat, hängt zunächst davon ab, ob der Streik rechtmäßig oder rechtswidrig war. Auswirkungen auf die Hauptleistungspflichten können sich dabei auch für nicht streikende Arbeitnehmer ergeben. Das gilt insbesondere, wenn der Arbeitgeber bestimmte Gegenmaßnahmen zum Streik ergreift oder im Fall der sog. Fernwirkung. Gegenüber streikenden Arbeitnehmern kann der Arbeitgeber bei Teilnahme an einem rechtswidrigen Streik (nach erfolgter Abmahnung) mit einer verhaltensbedingten Kündigung reagieren, bei der aufgrund des Streiks allerdings verschiedene Besonderheiten zu berücksichtigen sind.

Wenn Sie das Thema „Streik“ interessiert, hören Sie doch auch mal in unseren aktuellen Podcast rein…

Nach unserem Überblick über das Thema Arbeitskampf und einem Beitrag zu den Anforderungen auf Gewerkschaftsseite ist dies der dritte Beitrag unserer Blogreihe.

*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.

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