27. Oktober 2023
Digitalisierung Ukraine Gerichtsverfahren
Rebuilding Ukraine

Digitalisierung von Gerichtsverfahren in der Ukraine

UCITS sichert in der Ukraine Justizzugang in Pandemie und Krieg mit E-Gericht und Online-Verhandlungen für alle.

Das 2017 in der Ukraine eingeführte einheitliche Gerichtsinformations- und Telekommunikationssystem (UCITS), welches das System „Elektronisches Gericht“ sowie ein Tool für Online-Gerichtsverhandlungen umfasst, ermöglichte es, während der Pandemie und des Krieges in der Ukraine den Zugang zur Justiz für alle zu gewährleisten.

Entwicklung, Umsetzung und Nutzung des UCITS in der Ukraine

Der ukrainische IT-Sektor entwickelt sich schnell. Neue IT-Technologien werden in allen Bereichen des Lebens eingesetzt, auch im Justizwesen. Ihr Anwendungsbereich dort ist breit gefächert: von der einfachen Online-Stellung verschiedener Register und Informationssysteme bis zur vollständigen Digitalisierung von Gerichtsverfahren.

Die COVID-19-Pandemie hat die Welt und das Leben von Millionen von Menschen erheblich – und meist negativ – verändert, aber sie gab auch einen Anstoß zur Digitalisierung von Gerichtsverfahren in der ganzen Welt und in der Ukraine im Besonderen.

Tatsächlich begann die „Digitalisierung der Justiz“ in der Ukraine bereits im Jahr 2017. Die im Dezember 2017 in Kraft getretenen neuen Verfahrensgesetze enthielten Bestimmungen zu einem neuen System mit der Bezeichnung „Einheitliches Gerichtsinformations- und Telekommunikationssystem“ (UCITS). Das System umfasst eine Plattform „Elektronisches Gericht“ und ein Tool für Online-Gerichtsverhandlungen. Auch wenn es vor der Einführung dieser Änderungen bereits verschiedene nützliche digitale Rechtsinstrumente gab (z. B. Suchplattformen, Register für Gerichtsentscheidungen, Plattformen für die Überwachung und den Erhalt von Informationen über Gerichtsverfahren usw.), war die Zusammenführung all dieser Instrumente unter dem Dach des UCITS und die Einführung der genannten Instrumente ein wirklich großer Schritt in die technologische Zukunft, auch wenn die Umsetzung an Bedingungen geknüpft war (hauptsächlich technische Bedingungen in Bezug auf die Entwicklung bestimmter Module des Systems und die Gewährleistung der technischen Möglichkeiten für den Zugang der Gerichte zum System). 

Elektronisches Gericht in der Ukraine: Pandemie beschleunigt Implementierung und Nutzung

Die Umsetzung der Plattform „Elektronisches Gericht“ kam allerdings wegen mangelnder Finanzierung und mangelnder Proaktivität der zuständigen Regierungsstellen nicht wirklich voran. Nach mehr als zwei Jahren des Betriebs der Plattform im Versuchsmodus war weiter nicht klar, ob die über die Plattform eingereichten elektronischen Dokumente (oder elektronischen Kopien von Papierdokumenten) von einem bestimmten Richter in gleicher Weise wie Papierdokumente als zulässige Beweismittel im Prozess berücksichtigt werden. Um das Risiko der Ablehnung von Beweismitteln und Schriftsätzen zu vermeiden, reichten Verfahrensbeteiligte Dokumente weiter auf herkömmliche Weise ein.

Mit der Pandemie und der Einführung von Lockdown-Regelungen entstand die Notwendigkeit, Mittel und Instrumente zu finden, die die Gesundheitssicherheit gewährleisten, ohne das Recht auf ein faires Verfahren zu verletzen. Hier kam die bereits eingeführte elektronische Gerichtsplattform zum Tragen. Eine bislang fehlende Finanzierung im Staatshaushalt wurde gefunden. Die davor zögerliche Verwaltung wurde angewiesen, die tatsächliche Umsetzung in die Wege zu leiten. Dies wurde in kurzen Fristen umgesetzt, was zu einer breiten Nutzung durch die Gerichte der Ukraine führte. 

Ziel der Plattform war es, die Gerichtsverfahren papierlos zu machen und jedes Dokument in elektronischer Form bereitzustellen, um so die Verfahrenskosten und die Zeit für den Versand der Dokumente zu reduzieren. Auch der ESG-Aspekt spielte eine wichtige Rolle, da die Plattform im Idealfall die Gerichte von Papieren entlasten soll. 

Elektronische Dokumenteneinreichung im UCITS: Vereinfachte Prozesse und erweiterte Registrierungsanforderungen

Die Plattform wurde so konzipiert, dass alle Verfahrensbeteiligten (einschließlich des Gerichts) die Möglichkeit haben, Dokumente in elektronischer Form zu erhalten und einzureichen. Gleichzeitig blieben die Bestimmungen, die die Einreichung von Dokumenten in Papierform zulassen, in den Verfahrensvorschriften bestehen, aber wenn eine erste Klage in elektronischer Form eingereicht wurde, durfte die Partei das Dokument nur mit Genehmigung des Gerichts in Papierform einreichen. 

Um Dokumente in elektronischer Form einzureichen zu können, muss ein Verfahrensbeteiligter in dem System registriert sein und eine E-Mail-Adresse angeben, an die alle Benachrichtigungen und Dokumente im Zusammenhang mit dem Verfahren geschickt werden. Neben anderen üblichen Dingen während des Registrierungsprozesses und des weiteren Zugriffs verlangt das System eine elektronische Unterschrift zur Identifizierung der Person, die sich registriert, und zur Unterzeichnung der beim Gericht eingereichten Dokumente. In Anbetracht der allgemeinen Verbreitung elektronischer Dienste in der Ukraine war dies jedoch kein Problem, da fast jeder eine solche vom Finanzamt beglaubigte Signatur oder einen Bankausweis besitzt. Außerdem waren Anwälte, Notare, Insolvenz- und Vollstreckungsbeamte, Sachverständige und staatliche Stellen verpflichtet, ihre E-Mails innerhalb des UCITS zu registrieren. Kürzlich hat das Parlament ein Gesetz verabschiedet, das private juristische Personen verpflichtet, sich ebenfalls in dem System zu registrieren. Mit Unterzeichnung des Gesetzes durch den Präsidenten wird es in Kürze in Kraft treten.

Die Aufnahme des Vollbetriebs des elektronischen Gerichts setzt noch voraus, dass bestimmte Vorschriften erlassen werden und die Gerichte die technische Möglichkeit haben, auf elektronischen Dokumentenfluss umzustellen. Diese Bedingungen sind weiter nicht vollständig erfüllt. Die Gerichte sind nicht verpflichtet, die über das UCITS-System eingereichten Dokumente zuzulassen und zu akzeptieren. Es gibt daher weiterhin Gerichte, die es den Parteien nicht gestatten, sich mit der Plattform vertraut zu machen und über sie Zugang zu den Fallunterlagen zu erhalten, da sie entweder nicht über die technischen Möglichkeiten verfügen oder einfach nicht wissen, wie sie dies tun sollen, um alle rechtlichen Anforderungen zu erfüllen und die Einhaltung aller regulären Verfahrensregeln und Rechte der Prozessbeteiligten zu gewährleisten. 

Fernverhandlungen im UCITS: Pandemie zwingt zur Gesetzänderung und technischen Herausforderungen

Der zweite wesentliche Bestandteil der Digitalisierung der Gerichtsverfahren und des UCITS ist die Möglichkeit für die Parteien, aus der Ferne per Videokonferenz an den Gerichtsverhandlungen teilzunehmen. In der Pandemie war die Frage, ob die Parteien aus der Distanz an Gerichtsverhandlungen teilnehmen können, von entscheidender Bedeutung für das Justizwesen. Infolgedessen verabschiedete das Parlament Änderungen der Prozessordnungen, die es den Teilnehmern an Gerichtsverfahren ermöglichen, mit ihren eigenen technischen Geräten an den Verhandlungen teilzunehmen. Die Teilnahme an Gerichtsverhandlungen aus der Distanz war zwar schon vorher erlaubt, aber nur im Gerichtssaal eines anderen Gerichts, während jetzt eine Partei von überall aus teilnehmen kann, sofern sie alle verfahrensrechtlichen Anforderungen erfüllt.

Will eine Partei aus der Distanz an einer Verhandlung teilnehmen, muss sie dies dem Gericht fünf Tage vor der Verhandlung mitteilen. Eine Gerichtsverhandlung per Videokonferenz muss zwingend mit einer speziellen Software namens „EasyCon“ und nicht über Plattformen wie Teams, Skype, Zoom usw. durchgeführt werden „EasyCon“ ist Teil des UCITS und mit dem elektronischen Gericht verbunden, sodass jede an der Gerichtsverhandlung per Videokonferenz teilnehmende Partei durch ihre elektronische Unterschrift identifiziert werden kann, was bei anderen Konferenzplattformen nicht möglich ist. 

Dieses Instrument wird mittlerweile von den Gerichten in großem Umfang genutzt, wobei es immer noch einige Probleme mit seiner Anwendung gibt. Diese hängen vor allem mit technischen Problemen beim Verbindungsaufbau während einer Videokonferenz zusammen, die nicht immer für die Durchführung einer Gerichtsverhandlung geeignet ist, und damit, dass nicht alle Gerichte über ausreichende Räumlichkeiten und Geräte verfügen, um eine gute Bild- und Tonqualität zu gewährleisten. Rechtlich gesehen trägt die Partei, die einen Antrag auf Teilnahme an der Verhandlung aus der Distanz gestellt hat, alle Risiken im Zusammenhang mit der Verbindungsqualität. Das bedeutet, dass bei einem Ausfall der Verbindung die Rechtssache in Abwesenheit dieser Partei verhandelt werden kann. 

In den Regionen, die ständig von Russland angegriffen werden (z. B. Saporischschja, Charkiw, Cherson usw.), stellt die physische Teilnahme an Gerichtsverhandlungen ein Risiko dar. Die Einführung der Möglichkeit, Beweise per E-Mail einzureichen und aus der Ferne an der Gerichtsverhandlung teilzunehmen, gewährleistet daher den Zugang zur Justiz und die Möglichkeit, die Rechte jeder Partei zu schützen.

UCITS: Zukunftsvision für elektronische Gerichtsverfahren und erweiterte Funktionen

Das UCITS entwickelt sich und wächst weiter. Eine weitere geplante Funktion ist der Block, der es den Parteien ermöglicht, Korrespondenz im Zusammenhang mit dem Fall über das elektronische Gericht zu senden und zu empfangen. Nach Angaben der zuständigen Behörden wird dieser Block derzeit entwickelt und soll in naher Zukunft eingeführt werden.

Ein weiterer wichtiger Teil des Systems in der Entwicklung ist das Register der Vollstreckungsverfahren. Es soll in das UCITS integriert und mit allen anderen Blöcken vernetzt werden, sodass die Parteien leicht auf die mit dem Fall verbundenen Vollstreckungsverfahren zugreifen können. Die technischen Anforderungen für diesen Teil wurden bereits ausgearbeitet, und das Vergabeverfahren für den IT-Entwickler ist derzeit im Gange.

Ein weiteres großes Ziel des Systems ist es, Gerichtsarchive in elektronischer Form bereitzustellen. Dies wird einen sehr schnellen und einfachen Zugang zu den Archiven ermöglichen, erfordert aber auch einen sehr großen Aufwand bei der Umsetzung. Derzeit werden die technischen Anforderungen und die für die Umsetzung dieses Teils erforderlichen Rechtsvorschriften erörtert.

Das UCITS zusammen mit dem elektronischen Gericht und der EasyCon-Software wurde im Rückblick gerade rechtzeitig eingeführt, um die Probleme der ukrainischen Justiz zu lösen. Es ist schwer vorstellbar, wie die Verfahren ohne dieses System hätten ablaufen können und wie viel Zeit die geschädigten Parteien für den Schutz ihrer Rechte benötigen würden. Die Einführung und breite Nutzung der genannten Systeme gewährleisteten den Schutz der Rechte aller Geschädigten und den Zugang zum Recht für alle.

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