Trotz des laufenden Kriegs in der Ukraine bereiten sich Nationen und internationale Gemeinschaft auf den Wiederaufbau vor. Wir zeigen rechtliche und wirtschaftliche Aspekte auf.
Obwohl der Krieg, mit dem Russland die Ukraine seit der Invasion im Februar 2022 überzieht, weiter andauert, laufen bereits jetzt auf nationaler wie auf internationaler Ebene die Vorbereitungen für einen Wiederaufbau der Ukraine. Die nachstehende Übersicht ist der erste Beitrag einer Blogserie, die die verschiedenen Aspekte beleuchten will, die in diesem Zusammenhang rechtlich und wirtschaftlich relevant sind. Kommende Beiträge werden einzelne Aspekte im Detail aufgreifen.
Von zentraler Bedeutung ist der nationale Wiederaufbauplan der Ukraine. Hier werden die Schwerpunkte für den Wiederaufbau gesetzt. Ebenfalls von erheblicher Bedeutung ist die Angleichung der ukrainischen Gesetzgebung an EU-Standards, die aktuell vorgenommen wird. Die Übernahme von EU-Regelungen wird auch lange vor einem Beitritt der Ukraine zur EU zu einer erheblichen Erleichterung der Investitionstätigkeit in der Ukraine führen.
Auswirkungen des Krieges auf die ukrainische Wirtschaft
Die ukrainische Wirtschaft wurde durch die militärische Aggression Russlands schwer getroffen. Im März 2023 schätzte die Weltbank die Kosten für den Wiederaufbau der Ukraine auf 411 Mrd. EUR, wobei sich die Schäden an Eigentum und Infrastruktur auf über 135 Mrd. EUR beliefen. Das Büro des Präsidenten der Ukraine beziffert die wirtschaftlichen Auswirkungen mittlerweile auf 550 Mrd. EUR. Ferner wurde geschätzt, dass rund 40 % der Unternehmen in der Ukraine durch den Krieg direkte Verluste erlitten haben und rund 30 % der Unternehmen über Anlagen, Maschinen und Vermögenswerte in den besetzten Gebieten verfügen. Im Jahr 2022 hatten die ukrainischen Gerichte den Unternehmen bereits Ersatz von Schäden in Millionenhöhe zugesprochen, die durch den Krieg verursacht wurden.
Trotz aller Herausforderungen haben sich die Wirtschaftsindikatoren in der Ukraine im Jahr 2022 verbessert. Das BIP schrumpfte im Jahr 2022 um 30 %, wobei die ursprüngliche Prognose des Wirtschaftsministeriums bei 37 % lag. Außerdem geht die Inflation schneller zurück als von der ukrainischen Nationalbank prognostiziert. Wirtschaft und Handel laufen ununterbrochen weiter, und 97 % der ukrainischen Unternehmen sind ganz oder teilweise in Betrieb.
Das nationale Konjunkturprogramm der Ukraine
Der Wiederaufbau der Ukraine stellt sowohl für die Ukraine als auch für Europa eine große Chance dar. Bereits im Sommer 2022 legte die ukrainische Regierung den Nationalen Wiederaufbauplan der Ukraine (NWPU) vor, der über die Entwicklung nationaler Programme in verschiedenen Bereichen (z. B. Verteidigung und Sicherheit, Energieunabhängigkeit, Verbesserung des Geschäftsumfelds, digitaler Staat, EU-Integration, Umweltsanierung) weiterentwickelt wird. Der NWPU sieht kumulierte Investitionen in Höhe von USD 750 Mrd. und ein jährliches BIP-Wachstum von mindestens 7 % bis 2032 vor. Die Säulen des NWPU sind intelligente Systeme, erneuerbare Energien und nachhaltiges Bauen. Es wird erwartet, dass die Infrastruktur der Ukraine auf innovative Technologien umgestellt wird.
Ausländische Regierungen und internationale Finanzinstitutionen haben 1 Billion USD zur Unterstützung des NWPU zugesagt. Die internationalen Geber stellen bereits die erforderlichen Mittel bereit. So kündigte die Weltbank einen Zuschuss von USD 200 Mio. für die Instandsetzung der ukrainischen Energieinfrastruktur an, die bis zu 50 % beschädigt ist. Die EIB (European Investmentbank) hat eine Finanzierungsstruktur mit Investitionen von bis zu EUR 100 Mrd. vorgeschlagen. Die EBRD hat für den Zeitraum 2022-2023 bis zu EUR 3 Mrd. für Wiederaufbauprojekte zugesagt. Die IFC hat ein mit USD 2 Mrd. ausgestattetes Maßnahmenpaket zur Unterstützung des ukrainischen Privatsektors auf den Weg gebracht. Die internationale Unterstützung zielt dabei nicht nur auf den Wiederaufbau der durch den Krieg verursachten Zerstörungen ab, sondern auch auf die künftige wirtschaftliche Entwicklung und das Wachstum der Ukraine.
Investitionsbedarf und Geschäftsmöglichkeiten
Die Notwendigkeit, in der Nachkriegszeit Sicherheit und Stabilität in der Ukraine zu gewährleisten, hat Reformen in vielen Bereichen beschleunigt. Die Reformen zielen insbesondere auf die Stärkung der Wirtschaft und die Gewinnung von privatem Kapital, die Liberalisierung des Handels und die EU-Integration ab. Die Ukraine hat 72 % ihrer Vereinbarungen zur Integration in den EU-Markt abgeschlossen. Die Regierung ist sich darüber im Klaren, dass der Privatsektor eine entscheidende Rolle beim Wiederaufbau des Landes spielen wird, und führt zügig investorenfreundliche Reformen durch, um private Investitionen in dem erforderlichen Umfang zu ermöglichen.
Die Kriegswirtschaft der Ukraine erfordert erhebliche Investitionen in Verteidigung und Sicherheit, die Widerstandsfähigkeit des Energiesystems, den Wiederaufbau der Infrastruktur, die Erholung des Wohnungsmarktes und die finanzielle Stabilität. Die Nachkriegswirtschaft wird sich auf viele weitere Sektoren konzentrieren, z. B. auf den ökologischen Wandel, die Reform des Geschäftsklimas und ausländische Direktinvestitionen, die EU-Integration, die Sanierung (oder sogar den Wiederaufbau von Grund auf) der besetzten Städte und Gebiete und die Wiederherstellung der Logistik.
Fortschritte im Wiederaufbau und Energiewende in der Ukraine
Die ukrainische Regierung hat bereits Pilot-Wiederaufbauprojekte in den Regionen Kyjiw, Tschernihiw, Cherson, Sumy und Charkiw mit einem Budget von UAH 17,9 Mrd. (EUR 430 Mio.) gestartet. Die Wiederaufbaumaßnahmen werden von einer neu eingerichteten Wiederaufbauagentur über das DREAM-System (ein elektronisches System für die Einleitung und Verwaltung von Wiederaufbauprojekten) koordiniert. Im Jahr 2022 wurden in der Region Kyjiw mehr als 300 Mehrfamilienhäuser und 120 Privathäuser wiederhergestellt, und auch im Jahr 2023 werden zahlreiche Wohnungen wiederaufgebaut.
Da die Angriffe auf die Energieinfrastruktur zurückgegangen sind und die Stromversorgung wiederhergestellt wird, hat der grenzüberschreitende Energiehandel mit Gas und Strom im Jahr 2023 zugenommen. Das ukrainische Übertragungsnetz wurde 2022 vollständig in das EU-Netz integriert. Darüber hinaus wurde der staatliche Fonds für Dekarbonisierung und energieeffiziente Transformation angekündigt, der zur Widerstandsfähigkeit des Energiesystems beitragen soll.
Die Erzeugung erneuerbarer Energien wird als Kapazitätsersatz für die beschädigten Kern-, Wärme- und Kombikraftwerke in Betracht gezogen. Die Ukraine hat die rechtlichen Bedingungen für neue Projekte im Bereich der erneuerbaren Energien verbessert. Eine Reihe neuer Windkraftprojekte wurde bereits von privaten Investoren in der Region Odessa und am Fluss Dnister in den Jahren 2022-2023 in Betrieb genommen. Darüber hinaus wurde die erste Biomethananlage in der Ukraine in Betrieb genommen, und es wird erwartet, dass der Biomethansektor in den nächsten Jahren erheblich wachsen wird. Die Ukraine und die EU haben außerdem eine strategische Partnerschaft im Bereich Wasserstoff vereinbart, die bis 2030 einen Wasserstoff-Importkorridor von der Ukraine in die EU vorsieht.
In den Jahren 2022-2023 steht die Ukraine vor einer weiteren Liberalisierung des Handels und der Investitionen. Das Privatisierungsprogramm wurde vom Staatlichen Eigentumsfonds neu aufgelegt, und das Parlament verabschiedete wichtige Gesetzesänderungen zur Vereinfachung der Privatisierungsverfahren. Kürzlich wurden auch attraktivere PPP-Vorschriften erlassen. Die staatliche Unterstützung von Investitionsprojekten ist jetzt einfacher zu erlangen. Darüber hinaus ist jetzt eine Kriegsrisikoversicherung über die MIGA (Multilateral Investment Guarantee Agency) und die DFC (U.S. International Development Finance Corporation) erhältlich.
Im Februar 2023 unterzeichnete die Ukraine ein Abkommen mit der Europäischen Union über die Teilnahme am Binnenmarktprogramm und eine Vereinbarung über eine strategische Partnerschaft im Bereich der erneuerbaren Gase. Das auf sieben Jahre (2021-2027) angelegte Binnenmarktprogramm soll den Zugang zu den Märkten der EU vereinfachen und die Wirtschaft und ihre Entwicklung, die Wettbewerbsfähigkeit und die Stabilität von Unternehmen und Wirtschaftszweigen fördern.
Ende November 2022 wurde das Abkommen über den digitalen Handel zwischen dem Vereinigten Königreich und der Ukraine unterzeichnet. Das Abkommen erweitert das Freihandelsabkommen zwischen dem Vereinigten Königreich und der Ukraine, indem es den bilateralen Handel im digitalen Zeitalter modernisiert und die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den Ländern vertieft.
Liberalisierung des Handels und Investitionen in der Ukraine: Neue Chancen und Partnerschaften
Der Bankensektor erwies sich als stabil, ohne dass es zu Unterbrechungen bei den Bankdienstleistungen für Privat- und Geschäftskunden kam. Seit kurzem werden mehr digitale Bankdienstleistungen angeboten. Im dritten Quartal 2022 meldeten die ukrainischen Banken bereits Rentabilität. Obwohl es Beschränkungen für Fremdwährungstransfers gibt, die Unternehmen betreffen, werden sie allmählich aufgehoben. Fintech, Insuretech (Versicherungstechnologie) und andere Unternehmen entwickeln sich und expandieren in die EU und andere Länder.
Der IT-Sektor in der Ukraine war 2022 die einzige voll funktionsfähige Exportindustrie und weist ein traditionelles Wachstum auf. Insbesondere im Bereich der Verteidigungstechnik sind viele neue Unternehmen entstanden, die sich dynamisch entwickeln und ausländische Investitionen anziehen. Das von der Regierung angebotene Diia-City-Regime, das den IT-Unternehmen eine komfortable und effiziente Geschäftstätigkeit ermöglicht, wurde weiter verbessert.
Rechtliche Beratung für internationale Unternehmen
In loser Folge werden wir in den kommenden Wochen Informationen zu folgenden Themenbereichen darstellen:
- Eine Darstellung zu Grundlagen und Praxis der öffentlich-privaten Partnerschaft (PPP),
- Privatisierungsprozesse und -möglichkeiten,
- Entwicklungen auf dem Energiemarkt, einschließlich des Marktpotenzials für erneuerbare Energien,
- Versicherungs- und Finanzierungsanforderungen unter dem Kriegsrecht,
- Verbesserung des Gerichtssystems und der Rechtsstaatlichkeit im Allgemeinen,
- Veränderungen in traditionell interessanten Geschäftsbereichen, wie Biowissenschaften, Landwirtschaft, IT-Sektor und vielen anderen.