Im Rahmen von M&A-Transaktionen gewinnt die Compliance-Due Diligence durch den Entwurf des Verbandssanktionengesetzes stark an Bedeutung.
Der derzeitig kursierende Entwurf zum Verbandssanktionengesetz stellt Unternehmen vor viele neue Herausforderungen, um im Falle einer Verbandsstraftat nicht etwaig drakonische Verbandssanktionen auferlegt zu bekommen. Während vor allem die Bedeutung der Implementierung oder Aktualisierung von Compliance-Maßnahmen und die konkrete Ausgestaltung interner Ermittlungen diskutiert werden, bleibt ein virulentes Risiko bisher weitgehend außer Betracht: M&A-Transaktionen.
Wirtschaftliche Einheit als Bemessungsgrundlage für die Obergrenze des Sanktionsrahmens
Im Gegensatz zur bisherigen Rechtslage werden die starren Obergrenzen bei Verbandsstraftaten für leistungsstarke Unternehmen mit einem Jahresumsatz von mehr als EUR 100 Mio. durch das Verbandssanktionengesetz aufgehoben. Stattdessen können künftig die Verbandsgeldsanktionen bei fahrlässigen Verbandsstraftaten bis zu 5% bzw. bei vorsätzlichen Verbandsstraftaten bis zu 10% des durchschnittlichen Jahresumsatzes betragen. Grundlage für die Bemessung des durchschnittlichen Jahresumsatzes ist der weltweite Umsatz der letzten drei Geschäftsjahre aller natürlichen Personen und Verbände, die als wirtschaftliche Einheit operieren (§ 9 Abs. 2 S. 2 VerSanG-E). Angelehnt an das Kartellrecht bejaht der Entwurf die wirtschaftliche Einheit für alle (Tochter-)Unternehmen, die in einem Konzernverbund unter einheitlicher Leitung stehen (vgl. auch BGH, Beschluss vom 26. Februar 2013 – KRB 20/12).
Für die Bemessung des durchschnittlichen Jahresumsatzes ist allerdings nicht auf den Zeitpunkt der Verbandsstraftat abzustellen, sondern auf den der Verbandssanktionierung, welcher erfahrungsgemäß deutlich nachgelagert sein wird. Ausgeschlossen ist eine Verbandssanktionierung erst mit Eintritt der Verjährung. Für die typischerweise einschlägigen Delikte beträgt die Verjährungsfrist regelmäßig fünf Jahre. Werden in der Zeitspanne zwischen der Begehung einer Verbandsstraftat und deren Sanktionierung M&A-Transaktionen durchgeführt, so können im Falle einer Gesamtrechtsnachfolge gemäß § 6 VerSanG-E die Verbandssanktionen gegen den Rechtsnachfolger verhängt werden. Ausgenommen hiervon sind allerdings die öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung und die – ohnehin nur im Extremfall einschlägige – Verbandsauflösung. Zentraler Anwendungsbereich wird die Verbandsgeldsanktion sein. Der Vollständigkeit halber weisen wir kurz darauf hin, dass Umstrukturierungen und Vermögensverschiebungen nach Einleitung eines Verfahrens dazu führen, dass beherrschende Unternehmen und Nachfolger in Anspruch genommen werden können (§ 7 VerSanG-E).
Inwiefern zwischenzeitliche M&A-Transaktionen das Risiko einer (höheren) Sanktionierung verschärfen, soll im Folgenden anhand zweier Konstellationen verdeutlicht werden.
1. Konstellation: Innerhalb der Tochtergesellschaft wurde vor der Übernahme eine Verbandsstraftat verübt, die erst nach der Übernahme sanktioniert wird
Es stellt sich folglich die Frage, ob der durchschnittliche Jahresumsatz der gesamten, neuen wirtschaftlichen Einheit die Bemessungsgrundlage für die Verbandssanktion der vergangenen Verbandsstraftat darstellt. Oder auch drastisch ausgedrückt: Kauft sich ein leistungsstarkes Unternehmen durch eine kleine Gesellschaft einen riesigen finanziellen Schaden ein, der den Wert des aufgekauften Unternehmens sogar erheblich übersteigen kann?
Die Begründung des Entwurfs zum Verbandssanktionengesetz verweist für die Frage der Bemessung des Jahresumsatzes auf das Kartellrecht (§ 81 Abs. 4 S. 3 und 4 GWB). In der Gesetzesbegründung zu dessen Novellierung wird ausdrücklich auf die Anpassung mit der europäischen Rechtslage hingewiesen, welche maßgeblich durch die Rechtsprechung des EuGH geprägt ist. Danach ist das Merkmal der wirtschaftlichen Einheit an drei Voraussetzungen geknüpft (EuGH, Urteil v. 16. November 2000 – C-286/98):
- die kapitalmäßige Verflechtung zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften,
- die tatsächliche einheitliche Leitung und
- das kartellrechtswidrige Verhalten unter dem Einflussbereich der einheitlichen Leitung als bußgeldbegründender Vorgang.
An letzterem Merkmal fehlt es in dieser Konstellation, da die Verbandsstraftat zeitlich vor der Übernahme und somit vor der einheitlichen Leitung stattgefunden hat. In präziser Anwendung dürfte das bedeuten, dass Bemessungsgrundlage für die Verbandssanktion nicht der durchschnittliche Jahresumsatz der gesamten, neuen wirtschaftlichen Einheit ist. Eine entsprechende Klarstellung des Gesetzgebers im hiesigen Entwurf ist allerdings wünschenswert!
2. Konstellation: Das Fehlverhalten innerhalb der Tochtergesellschaft wird auch nach der Übernahme fortgeführt
Der erfolgreiche Abschluss der M&A-Transaktion als rechtliche Zäsur führt denklogisch dazu, dass das nicht abgestellte Fehlverhalten in der Tochtergesellschaft nach der Übernahme nunmehr dem leistungsstarken Unternehmen zuzurechnen ist. Insofern kann doch davon gesprochen werden, dass sich das akquirierende Unternehmen einen Problemfall einkauft.
Verhindert werden kann dies nach deutscher Rechtslage nur durch eine saubere Compliance-Due Diligence, die die vorangegangenen Verbandsstraftaten entdeckt und das Unternehmen diese Praxis umgehend abstellt. Durch die Integration des akquirierten Unternehmens hat sich regelmäßig die wirtschaftliche Einheit vergrößert und somit auch deren Umsatz erhöht. Für leistungsstarke Unternehmen kommt es dementsprechend zu einer Erweiterung des möglichen Sanktionsrahmens, der sich prozentual am durchschnittlichen Jahresumsatz bemisst.
Vom Sanktionsrahmen zu unterscheiden ist allerdings die konkrete Bemessung der einzelnen Verbandsgeldsanktion. Nach § 16 Abs. 3 VerSanG-E sind hierfür die wirtschaftlichen Verhältnisse des Unternehmens zu berücksichtigen. Ausweislich der Gesetzesbegründung sind die wirtschaftlichen Verhältnisse der Konzernmutter aber nur dann mit zugrunde zu legen, wenn eine konzernrechtliche Verlustübernahme besteht; folglich, wenn Beherrschungs- oder Gewinnabführungsverträge existieren. In diesen Fällen kann es zu drakonischen Sanktionen kommen.
Gibt es jedoch keine Beherrschungs- oder Gewinnabführungsverträge zwischen dem Tochter- und Mutterunternehmen, mag der mögliche Sanktionsrahmen wegen des Jahresumsatzes zwar sehr groß ausfallen, die konkrete Höhe der Verbandsgeldsanktion bemisst sich in diesem Fall allerdings nur nach den wirtschaftlichen Verhältnissen des einzelnen Unternehmens, in dem die Verbandsstraftat verübt wurde.
Compliance-Due Diligence relevant für die Sanktionsmilderung
Neben der Identifikation von Compliance-Risiken im Rahmen einer M&A-Transaktion könnte eine genaue Compliance-Due Diligence sich auch bei der Bemessung der Geldsanktion nach § 16 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 VerSanG-E sanktionsmildernd für das Unternehmen auswirken. Explizit wird diese Berücksichtigung zwar nicht in der Gesetzesbegründung genannt. Jedoch spricht der Wortlaut der Norm von „Vorkehrungen zur Vermeidung und Aufdeckung von Verbandsstraftaten“ und ist damit bewusst weit gefasst, um die Compliance-Bemühungen von Unternehmen honorieren zu können.
Die genauen Anforderungen an die Compliance-Maßnahmen, die zu einer Sanktionsmilderung führen, bleiben allerdings auch weiterhin unklar. Es wird lediglich auf die im Rahmen von § 130 OWiG entwickelten Grundsätze verwiesen. Aus diesem Grund lohnt sich ein Blick über den Tellerrand: Das U.S. Department of Justice (DOJ) hat im April 2019 einen aktualisierten und detaillierten Leitfaden zur „Evaluation of Corporate Compliance Programs” veröffentlicht. Die Bewertung der Effektivität von Compliance-Programmen erfolgt anhand verschiedener Fragestellung in den unterschiedlichsten Kategorien.
Hiernach ist zentraler Bestandteil einer gelungenen Programm-Konzeption auch die Beachtung der Compliance-Standards bei M&A-Transaktionen. Das Ausmaß, in dem ein Unternehmen seine Akquisitionsziele einer angemessenen Prüfung unterzieht, ist ein Hinweis darauf, ob die Compliance-Maßnahmen auf allen Ebenen des Unternehmens wirksam durchgesetzt werden. Ansonsten besteht die Befürchtung, dass das Fehlverhalten nach Übernahme fortgeführt wird. Die Leitlinien des DOJ hinterfragen den Due Diligence Prozess an sich, die Integration im Rahmen einer M&A-Transaktion und die damit verbundene Umsetzung wie beispielsweise die Reaktion auf identifiziertes Fehlverhalten. Der Leitfaden sollte auch der deutschen Praxis in diesen Fällen als wichtige Orientierungshilfe dienen.
Fazit: Compliance-Due Diligence auf dem Vormarsch
Die zahlreichen Verweise auf das Kartellrecht in der Gesetzesbegründung des Entwurfs legen den Schluss nahe, dass die Bemessungsgrundlage für nach einer M&A-Transaktion abgestelltes Fehlverhalten nicht der durchschnittliche Jahresumsatz der gesamten, neuen wirtschaftlichen Einheit ist. Nichtsdestoweniger ist einer M&A-Transaktion das Risiko immanent, dass das Fehlverhalten noch nicht abgestellt wurde und dessen Fortführung dem Unternehmen nunmehr zuzurechnen ist. Schließlich können sich hieraus erhebliche Sanktionsrisiken ergeben. Im Rahmen zukünftiger M&A-Transaktionen wird ein verschärfter Fokus auf die bisweilen teilweise stiefmütterlich behandelte Compliance-Due Diligence zu legen sein – sei es für die Identifikation und Abstellung von Fehlverhalten oder als Nachweis von Compliance-Bemühungen für eine Sanktionsmilderung.
Nach dem Auftakt zu unserer Serie zum Referentenentwurf zum Verbandssanktionengesetz folgten Informationen zu Änderungen bei Internal Investigations, zum faktischen Kooperationszwang und der Aushöhlung von Verteidigungsrechten sowie zu den Verbandsgeldsanktionen und der „fachkundigen Stelle„.