4. Dezember 2025
Fallstrick Betriebsübergang
Sicher durch den Betriebsübergang

Fünf Fallstricke beim Betriebsübergang

Ein Betriebs- bzw. Betriebsteilübergang gemäß § 613a BGB birgt zahlreiche rechtliche Fallstricke. Diese gilt es, sicher zu umschiffen.

Die Rechtsfolgen eines Betriebsübergangs sind in § 613a Abs. 1 S. 1 BGB geregelt: Geht ein Betrieb oder ein Betriebsteil auf einen neuen Inhaber über, so tritt dieser in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen ein. Dies scheint klar geregelt. Dennoch bestehen eine Vielzahl praktischer und rechtlicher Herausforderungen. 

Dieser Beitrag – Teil unserer neuen Blogserie „Sicher durch den Betriebsübergang“– beleuchtet die fünf Fallstricke beim Betriebsübergang und zeigt auf, wie sich diese vermeiden lassen.

Fallstrick Nr. 1: Der Betriebsübergang wird „übersehen“ 

Nach ständiger Rechtsprechung setzt ein Betriebsübergang voraus, dass eine wirtschaftliche Einheit unter Wahrung ihrer Identität auf der Grundlage eines Rechtsgeschäfts auf den Erwerber übergeht. Die Prüfung, ob ein Betriebsübergang vorliegt, erfordert eine Einzelfallbewertung unter Berücksichtigung sämtlicher relevanter Umstände. Dazu zählen insbesondere: 

  • die „Art“ des Betriebs (betriebsmittelarm oder betriebsmittelgeprägt),
  • der Übergang der materiellen Betriebsmittel,
  • der Wert der immateriellen Aktiva,
  • die Übernahme des nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Personals und 
  • der Grad der Ähnlichkeit zwischen der vor und nach dem Übergang verrichteten Tätigkeit. 

Diese Gesamtwürdigung ist komplex und fehleranfällig. Eine Vielzahl gerichtlicher Entscheidungen konkretisieren die Kriterien: 

So ist z.B. zu beachten, dass das zugrunde liegende Rechtsgeschäft, das Voraussetzung eines Betriebsübergangs ist, nicht zwingend zwischen bisherigem Arbeitgeber und Erwerber abgeschlossen sein muss. Ein Betriebsübergang kann z.B. auch bei Beendigung eines Pachtvertrags zum bisherigen Pächter* und Abschluss eines neuen Pachtvertrags mit dem zukünftigen Betreiber des Betriebs vorliegen. Auch wenn es regelmäßig an einer Vertragsbeziehung zwischen bisherigem und künftigem Pächter fehlt, gehen die Arbeitsverhältnisse kraft Gesetzes über, wenn der neue Pächter die wirtschaftliche Einheit unter Wahrung ihrer Identität fortsetzt (BAG, Urteil v. 25. Februar 1981 – 5 AZR 991/78).  

Bei Unterbrechungen der Betriebstätigkeit stellt sich die Frage, ob noch von der Wahrung der Identität des Betriebes ausgegangen werden kann. Hierzu wurde in der Rechtsprechung zu unterschiedlichen Branchen herausgearbeitet, wann eine Unterbrechung so gravierend ist, dass von etwas Neuem ausgegangen werden muss, statt von der Fortsetzung des bisherigen Betriebs (vgl. z.B. zur Unterbrechung der Verkaufstätigkeit im Textileinzelhandel BAG, Urteil v. 22. Mai 1997 – 8 AZR 101/96).

  • Besonders kritisch sind Fälle, in denen weniger die Betriebsmittel als die Mitarbeitenden im Vordergrund stehen. Hier gilt es zu ermitteln, ob ggf. die Übernahme einzelner Know-How-Träger einer Abteilung dazu führt, dass das nach Zahl und Sachkunde wesentliche Personal übergeht (BAG, Urteil v. 9. Februar 1994 – 2 AZR 781/93). Als Folge gehen nicht nur die Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer über, mit denen der Erwerber seine Zielstruktur aufbauen möchte, sondern eben auch alle Arbeitsverhältnisse der zum Zeitpunkt des Übergangs im Betrieb(steil) beschäftigten Arbeitnehmer. 
  • Wichtig ist daher, im Vorfeld genau zu analysieren, welche Assets (materieller / immaterieller Art) übertragen sowie welche Mitarbeitenden ggf. fortbeschäftigt werden sollen und wie die bisherige Tätigkeit sich von der zukünftigen unterscheiden wird. Kommt man zu dem Ergebnis, dass eine organisatorische Einheit vorhanden ist, die identitätswahrend übernommen wird, ist zu prüfen, welche Mitarbeitenden in dieser Einheit beschäftigt sind. Denn eine Tätigkeit lediglich für diese Einheit (etwa als HR-Business Partner) reicht nicht aus, um Teil des Betriebsteils zu sein. 

Fallstrick Nr. 2: Fehlerhafte oder unvollständige Unterrichtung und ihre Folgen

Bei einem Betriebsübergang sind die betroffenen Arbeitnehmer nach § 613a Abs. 5 BGB in Textform rechtzeitig über den bevorstehenden Übergang ihres Arbeitsverhältnisses zu informieren. Eine unvollständige oder fehlerhafte Unterrichtung führt dazu, dass die einmonatige Widerspruchsfrist nicht zu laufen beginnt, § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB. Die betroffenen Arbeitnehmer können dem Übergang dann noch Monate oder sogar Jahre später (bis zur Grenze der sog. Verwirkung) widersprechen (BAG, Urteil v. 24. August 2017 – 8 AZR 265/16). 

So kann das Unterrichtungsschreiben einen erheblichen Umfang annehmen und letztlich für die Mitarbeitenden eher zur Verwirrung als zur Klarheit beitragen. Leider ist die Komplexität der Schreiben den hohen Anforderungen der Rechtsprechung geschuldet.

Risiko Nr. 3: Fehlbeurteilung der Fortgeltung kollektivrechtlicher Regelungen

Besonders herausfordernd ist mitunter die korrekte Darstellung der rechtlichen Folgen des Übergangs. Dies gilt insbesondere für die richtige Einordung der Folgen des Betriebsübergangs und ggf. der Integration in einen vorhandenen Betrieb im Hinblick auf Arbeitsbedingungen aus Kollektivvereinbarungen.

Zwar ist nach Auffassung des BAG keine detaillierte Bezeichnung einzelner Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen erforderlich (BAG, Urteil v. 10. November 2011 – 8 AZR 430/10). Notwendig ist aber die korrekte Darstellung, ob und welche Regelungen kollektivrechtlich oder individualrechtlich fortgelten. Die Darstellung der fortgeltenden kollektivrechtlichen Regelungen kann bei einer Vielzahl bestehender Vereinbarungen auf verschiedenen Regelungsebenen nicht nur in tatsächlicher Hinsicht durchaus kritisch sein; sie kann vor allem auch die Beantwortung komplexer Rechtsfragen erfordern. So ist zu differenzieren nach der bisherigen Tarifbindung des Veräußerers und einer etwaigen (ggf. abweichenden) Tarifbindung des Erwerbers. Hiervon ist die Frage abhängig, ob bisherige Tarifbedingungen kollektivrechtlich fortgelten oder ggf. zum kollektiven Bestandteil des Arbeitsverhältnisses transformieren. Je nach Fallkonstellation ist auch eine Ablösung durch beim Erwerber geltende tarifliche Regelungen denkbar. Daneben sind etwaige Bezugnahmeklauseln in den Arbeitsverträgen zu beachten. Für deren Auslegung kommt es nicht nur auf den konkreten Wortlaut an, sondern unter anderem auch darauf, wann diese abgeschlossen oder ggf. ganz oder teilweise angepasst wurden (vgl. BAG, Urteil v. 26. August 2009 – 4 AZR 290/08).

Ähnlich komplex ist die Einordung von Konzern-, Gesamt- und lokalen Betriebsvereinbarungen und deren Wirkung beim Erwerber. 

Diese Fragen sind nicht nur im Hinblick auf die korrekte Darstellung im Unterrichtungsschreiben zu beantworten. Das Ergebnis der Analyse dürfte auch relevante wirtschaftliche Konsequenzen haben und für die Möglichkeit etwaiger späterer Änderungs- und Ablösemöglichkeiten im Rahmen der Post Merger Integration entscheidend sein. 

Es sollte daher genau geprüft werden, welche kollektiven Regelungen beim Veräußerer und beim Erwerber gelten und welche Folgen der beabsichtigte Betriebsübergang hat. So kann es sinnvoll sein, Anpassungen ggf. bereits im Vorfeld einer Transaktion umzusetzen.

Fallstrick Nr. 4: Haftung für (alte) Ansprüche aus Arbeitsverhältnissen kann zu Kostenrisiko werden

Mit Übergang des Arbeitsverhältnisses tritt der Erwerber in alle Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Betriebsübergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen ein. Der Erwerber wird neuer Arbeitgeber der übergehenden Arbeitnehmer. Hierdurch wird der Erwerber gleichzeitig auch Schuldner aller (auch vor dem Betriebsübergang entstandener) Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis gegenüber dem Arbeitnehmer.

Für Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, die vor dem Betriebsübergang entstanden und fällig geworden sind (bzw. innerhalb eines Jahres nach dem Betriebsübergang fällig werden), sieht § 613a Abs. 2 BGB vor, dass Erwerber und Veräußerer im Außenverhältnis (d.h. jeweils im Verhältnis zu den Arbeitnehmern) als Gesamtschuldner haften. Die Arbeitnehmer können hierdurch etwaige Ansprüche sowohl gegenüber dem Erwerber als auch dem Veräußerer geltend machen. Vertraglich zwischen Erwerber und Veräußerer zu regeln ist, wer im Innenverhältnis die wirtschaftliche Last trägt.  

Fehlt eine Regelung sind Erwerber und Veräußerer gemäß § 426 Abs. 1 S. 1 BGB als Gesamtschuldner im Verhältnis zueinander „nur“ zu einem Ausgleich in gleichen Anteilen verpflichtet. Dies kann in der Praxis jedoch – sowohl für den Erwerber als auch den Veräußerer – zu unbefriedigenden Ergebnissen führen. Vor diesem Hintergrund sind insbesondere Ansprüche aus Arbeitszeitkonten, Altersteilzeitregelungen, Urlaubsansprüche und Überstundenvergütung sowie Ansprüche auf variable Vergütungen der Mitarbeitenden zu ermitteln und sinnvollerweise im Innenverhältnis zwischen Veräußerer und Erwerber abzugrenzen.

Zu überlegen ist daneben, wie mit etwaigen Widersprüchen (eigentlich) übergehender Arbeitnehmer und den hieraus resultierenden wirtschaftlichen Folgen umzugehen ist. 

Fallstrick Nr. 5: Umfang der Beteiligungsrechte des Betriebsrats

Der Betriebsübergang als solcher löst – entgegen weitverbreiteter Annahme – keine Beteiligungsrechte des Betriebsrats nach den §§ 111 ff. BetrVG aus. Der bloße Eigentümerwechsel stellt also keine Betriebsänderung dar. Entsprechend ist weder über einen Interessenausgleich noch einen Sozialplan zu verhandeln. 

Soweit der übergehende Betrieb in seiner (organisatorischen) Identität gewahrt bleibt, bestehen also keine Mitbestimmungsrechte. Die Rechtsfolgen im Hinblick auf Betriebsvereinbarungen ergeben sich unmittelbar aus dem Gesetz (und der hierzu ergangenen Rechtsprechung). Im Einzelfall mag es aber dennoch sinnvoll sein, gemeinsam mit den Arbeitnehmervertretern Regelungen zur Überleitung bisheriger Vereinbarungen zu treffen. Dies gilt umso mehr, wenn kraft Gesetzes ergebende Ablösungen bisheriger Regelungen zu einem unerwünschten Ergebnis führen. 

Im Fall eines Betriebsteilübergangs wird zudem häufig der Wunsch bestehen, den übergegangenen Betriebsteil aus dem bisherigen (betriebsverfassungsrechtlichen) Betrieb herauszulösen, um diesen dann entweder als eigenständigen Betrieb des Erwerbers fortzuführen oder diesen in einen bereits vorhandenen Betrieb zu integrieren. In diesen Fällen wird in aller Regel eine Betriebsänderung nach §§ 111 ff. BetrVG im Hinblick auf die organisatorischen Änderungen vorliegen. Somit ist die (betriebsverfassungsrechtliche, organisatorische) Trennung bzw. Ausgliederung aus dem bisherigen Betrieb mit dem Betriebsrat zu verhandeln. Der Übergang des Betriebsteils kann allerdings losgelöst vom Abschluss der Verhandlungen durchgeführt werden – soweit Erwerber und Veräußerer (jedenfalls vorübergehend) bereit sind, die Einheit betriebsverfassungsrechtlich zunächst als gemeinsamen Betrieb verschiedener Unternehmen (§ 1 Abs. 1 S. 2 BetrVG) weiterzuführen. Auch in diesem Fall sollten frühzeitig Überlegungen dazu angestellt (und umgesetzt) werden, wie die zukünftige Struktur aussehen soll und wann in Verhandlungen mit den Betriebsräten mit welcher Zielrichtung eingetreten wird. 

Losgelöst von etwaigen Beteiligungsrechten nach §§ 111 BetrVG bestehen freilich Informationspflichten gegenüber dem Wirtschaftsausschuss (soweit vorhanden) gem. § 106 Abs. 2 BetrVG.

Fallstricke vermeiden: Praxisempfehlungen für einen sicheren Betriebsübergang

Vorbereitung und Umsetzung von Betriebsübergängen sind mit einer Reihe tatsächlicher, aber auch rechtlicher Herausforderungen verbunden. Die Fehler- und damit Risikovermeidung setzt eine genaue Analyse der bestehenden Situation und Definition der Zukunftsstrukturen voraus. Hierdurch sowie ggf. gestaltender Vorbereitung lassen sich dann Fallstricke vermeiden. 

Wichtig bei allen Themen rund um den Betriebsübergang sind aber nicht nur die rechtlichen Anforderungen und Folgen. Maßgeblich für ein erfolgreiches Gelingen ist vor allem auch eine gute Kommunikation mit Belegschaft und den Arbeitnehmervertretungsgremien zur rechten Zeit – auch dann, wenn keine Beteiligungsrechte eingreifen.

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* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.

Tags: Arbeitsrecht Betriebsübergang Sicher durch den Betriebsübergang Transaktion Unterrichtungsschreiben