31. Juli 2023
Arbeitsrecht

BAG zu Kettenbetriebsübergang und Widerspruchsrecht

BAG bestätigt Möglichkeit eines Kettenbetriebsübergangs und klärt die Voraussetzungen und Folgen für die Ausübung des arbeitnehmerseitigen Widerspruchs.

Das BAG hat sich im Urteil vom 15. Dezember 2022 (Az. 2 AZR 99/22) erneut mit der Frage befasst, ob und unter welchen Voraussetzungen sog. „Kettenbetriebsübergänge“ möglich sind. Bei solchen Betriebsübergängen gehen die betroffenen Arbeitsverhältnisse gegebenenfalls vom Veräußerer auf einen ersten Erwerber und dann auf einen zweiten oder weitere Erwerber über. 

In dem angesprochenen Urteil ging es darüber hinaus um die praxisrelevante Frage, in welcher Form und gegenüber welchen Gesellschaften Arbeitnehmer* dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses gem. § 613a Abs. 6 BGB widersprechen müssen. In unserem Blogbeitrag fassen wir die Entscheidung und die Folgen für die Praxis zusammen.

Zunächst: Voraussetzungen eines sog. „Kettenbetriebsübergangs“

Ein sog. Kettenbetriebsübergang beschreibt die Fallkonstellation, in der im Rahmen von Unternehmenstransaktionen oder sonstigen Umstrukturierungen ein Betrieb oder Betriebsteil vom Veräußerer erst auf einen Zwischenerwerber und im engen zeitlichen Zusammenhang auf einen weiteren Erwerber übertragen wird. In der Praxis können Kettenbetriebsübergänge sowohl bei reinen gesellschaftsrechtlichen Übertragungsvorgängen auf der Grundlage des Umwandlungsgesetzes als auch bei rechtsgeschäftlichen Übertragungen eines Betriebs(teils) auftreten.

Stehen beide Vorgänge in einem engen zeitlichen Zusammenhang, finden sie also am gleichen Tag oder sogar innerhalb einer „juristischen Sekunde“, wie bei Kettenumwandlungen statt, stellt sich die zentrale und folgenreiche Frage, ob die Übertragungen arbeitsrechtlich als ein oder als zwei Betriebsübergänge zu qualifizieren sind. 

Im Ausgangspunkt sind beide Varianten denkbar: Die Übertragungsvorgänge können entweder als ein Betriebsübergang i.S.d. § 613a Abs. 1 BGB bewertet werden, mit der Folge, dass die betroffenen Arbeitsverhältnisse unmittelbar vom Veräußerer auf den Enderwerber gem. § 613a Abs. 1 S. 1 BGB übergehen. 

Möglich ist aber auch, dass die Arbeitsverhältnisse zunächst auf dem Zwischenerwerber und erst durch den zweiten Übertragungsvorgang auf den Enderwerber übergehen.

Das wirkt sich an zwei wesentlichen Stellen aus, nämlich einerseits bei der Gestaltung des Unterrichtungsschreibens gem. § 613a Abs. 5 BGB und andererseits bei der Frage, wann und wie gem. § 613a Abs. 6 BGB widersprochen werden kann. Wie immer verbieten sich pauschale Bewertungen.

Arbeitnehmer bemängelt fehlende Betriebsführung durch Zwischenerwerber

Im zugrundeliegenden Sachverhalt veräußerte die spätere Beklagte ihren Betrieb, ein Einrichtungshaus, an eine Zwischenerwerberin (P-Immobilien GmbH). Das sollte zum Übergang der Arbeitsverhältnisse der dortigen Arbeitnehmer – zu denen auch der Kläger zählte – auf die P-Immobilien GmbH führen. Hierüber wurden alle Arbeitnehmer unterrichtet.

Zum Betrieb des Einrichtungshauses wurde jedoch die P-Markt GmbH & Co. KG gegründet. Mit dieser schloss der Kläger noch vor dem vermeintlichen Betriebsübergang von der Beklagten auf die P-Immobilien GmbH einen Arbeitsvertrag, den die P-Markt GmbH & Co. KG noch innerhalb des ersten Beschäftigungsmonats kündigte. Der Kläger einigte sich sodann mit der P-Markt GmbH & Co. KG auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung.

Anschließend widersprach der Kläger einem von ihm behaupteten Übergang seines Arbeitsverhältnisses von der Beklagten auf die P-Markt GmbH & Co. KG. Dies mit der Begründung, ein Betriebsübergang auf die P-Immobilien GmbH habe – anders als geplant – niemals stattgefunden, da diese den Betrieb nicht geführt habe. Sein Arbeitsverhältnis sei unmittelbar auf die P-Markt GmbH & Co. KG übergegangen. Weil der Kläger, dieses Ergebnis zugrunde gelegt, auch nicht richtig unterrichtet wäre, sei sein Widerspruch auch nicht verfristet. 

BAG: Auf das tatsächliche Betreiben durch den Zwischenerwerber kommt es nicht an

Das BAG führt aus, dass ein Kettenbetriebsübergang grundsätzlich möglich sei, was die bisherige Rechtsprechung des Achten BAG-Senats bestätigt (vgl. BAG, Urteil v. 21. August 2014 – 8 AZR 619/13; BAG, Urteil v. 19. November 2015 – 8 AZR 773/14). 

Für die Abgrenzungsfrage, ob bei einer hintereinander geschalteten Übertragung eines Betriebs ein oder mehrere Betriebsübergänge i.S.d. § 613a BGB vorliegen, sei für jeden Vorgang nach den allgemeinen Maßstäben zu prüfen, ob ein Betriebsübergang vorliegt: Der Übergang eines Betriebs  als Identität bewahrende wirtschaftliche Einheit – ist dabei anhand einer Gesamtabwägung mehrerer Teilaspekte zu beurteilen.

Dass die Zwischenerwerberin (P Immobilien GmbH) den Betrieb zu keinem Zeitpunkt „tatsächlich betrieben“ habe, genügt laut BAG nicht, um die Voraussetzungen für einen Betriebsübergang gem. § 613a BGB abzulehnen. Ein Betriebsübergang sei nur dann ausgeschlossen, wenn die Zwischenerwerberin eine (sofortige und endgültige) Stilllegung des Betriebs beabsichtigt habe (so bereits BAG, Urteil v. 14. Mai 2020 – 6 AZR 235/19). 

Steht – wie in dem vorliegenden Urteil – fest, dass im Rahmen der Übertragung des Betriebs von der Veräußerin (Beklagte) auf die Zwischenerwerberin (P Immobilen GmbH) und sodann auf die zweite und vorerst endgültige Erwerberin (P Markt GmbH & Co. KG) nur eine vorrübergehende Unterbrechung der Betriebstätigkeit eingetreten ist, komme dem Umstand, ob der Betrieb durch die Zwischenerwerberin tatsächlich betrieben wurde, nur eine nachrangige Bedeutung zu. Entscheidend sei stattdessen, ob im Rahmen einer umfassenden Beurteilung aller Einzelheiten des Vorganges, jeweils die Voraussetzungen für einen Betriebsübergang vorlagen und wenn ja, zwischen welchen Beteiligten.

Eine solche Gesamtbetrachtung hatte das LAG nicht angestellt. Wegen der in diesem Zusammenhang fehlenden tatsächlichen Feststellungen konnte das BAG keine abschließende Entscheidung in der Sache treffen. Denn es blieb offen, ob eine – den Betriebsübergang auslösende – tatsächliche Betriebsfortführung der Zwischenerwerberin (P Immobilien GmbH) vorlag. Ist die Frage des Betriebsübergangs geklärt, kann in einem weiteren Schritt überprüft werden, ob die versendeten Unterrichtungsschreiben korrekt waren und ob der vom Arbeitnehmer erklärte Widerspruch gegenüber dem zweiten Erwerber (P Markt GmbH & Co. KG) dazu führt, dass das Arbeitsverhältnis mit dem ursprünglichen Arbeitgeber (Beklagte) fortbesteht.

Die rechtliche Beurteilung mehrerer Transaktionen hat auch Auswirkungen auf etwaige Widerspruchsrechte

Für die Beurteilung der Wirksamkeit eines erklärten Widerspruchs durch einen Arbeitnehmer gegen den vorangegangenen Betriebsübergang ist entscheidend, ob der Arbeitnehmer von seinem Widerspruchsrecht auch hinsichtlich des weiteren Betriebsübergangs ordnungsgemäß Gebrauch gemacht hat (vgl. BAG, Urteil v. 19. November 2015 – 8 AZR 773/14). 

Arbeitnehmer müssen bei mehrfachen Betriebsübergängen grundsätzlich dem zeitlich nachgelagerten Übergang des Arbeitsverhältnisses vom letzten auf den aktuellen Betriebsinhaber zuerst widersprechen (Kettenwiderspruch). Erst, wenn dieser Widerspruch erfolgreich ist, ist ein Widerspruch gegen den vorangegangenen Übergang denkbar. Jeder erklärte Widerspruch ist somit auf seine Wirksamkeit hin zu untersuchen. Widersprüche gegen vorangegangene Übergänge des Arbeitsverhältnisses sind deswegen nur in engen Grenzen möglich. 

Entscheidend ist in den Fällen des ausgeübten Widerspruchs zunächst, dass die individuelle Widerspruchsfrist i.S.d. § 613a Abs. 6 S. 1 BGB gewahrt wird. Ob und wann die Widerspruchsfrist des jeweiligen Übergangs zu laufen anfängt, hängt von einer ordnungsgemäßen Unterrichtung der Arbeitnehmer ab, vgl. § 613a Abs. 5 BGB. Besonderheiten sind jedoch bei Kettenbetriebsübergängen zu beachten. Denn hier kann das Widerspruchsrecht gegen den vorgelagerten Betriebsübergang bereits erloschen sein, obwohl keine ordnungsgemäße Unterrichtung erfolgt ist. Dies ist anzunehmen, wenn eine Unterrichtung über die „grundlegenden Informationen“ des Übergangs in Textform erfolgt ist, eine Monatsfrist verstrichen ist und der weitere Übergang erst nach Ablauf dieser Frist vollzogen wird. In diesem Fall kommt es nach der höchstrichterlichen Rspr. nämlich nicht darauf an, ob das Unterrichtungsschreiben den Anforderungen nach § 613a Abs. 5 BGB genügt; das Widerspruchsrecht erlischt dennoch (vgl. BAG, Urteil v. 21. April 2016 – 8 AZR 728/14). 

Im hiesigen Fall bestand zusätzlich die (kuriose) Besonderheit, dass der Kläger sich noch vor dem vermeintlichen Betriebsübergang mit dem Enderwerber auf eine Fortführung des Arbeitsverhältnisses und später auf ein Ende des Arbeitsverhältnisses geeinigt hatte. Das schließt unseres Erachtens einen Widerspruch ohnehin aus: Einigt sich ein Arbeitnehmer in einer Kettenbetriebsübergangs-Konstellation mit dem Enderwerber auf ein einvernehmliches Ausscheiden und verfügt er hiermit über sein Arbeitsverhältnis, kann er anschließend dem ersten Betriebsübergang nicht mehr wegen fehlerhafter Unterrichtung widersprechen. Interessanterweise ist das BAG auf diesen Gesichtspunkt in den Entscheidungsgründen nicht eingegangen.

Arbeitnehmer müssen über den Umstand und die Folgen des Kettenbetriebsübergangs informiert werden 

Für die Anfertigung des Unterrichtungsschreibens gem. § 613a Abs. 5 BGB bedeutet dies, dass die Arbeitnehmer über den Umstand und die Folgen des Kettenbetriebsübergangs informiert werden müssen. Dies umfasst insbesondere das Folgende:

  • Zunächst einmal sind die Arbeitnehmer darüber zu informieren, ob bei mehreren Transaktionen auch die wirtschaftliche Verantwortung für den Betrieb rechtlich übergeht, also ein Betriebsinhaberwechsel (auch) auf den Zwischenerwerber stattfindet. Denn dieser stellt die Ausgangsvoraussetzung für einen Betriebsübergang im Sinne des § 613a Abs. 1 BGB dar. 
  • In diesem Zusammenhang können Arbeitgeber erwägen, jeweils ein eigenständiges Unterrichtungsschreiben für jeden Übertragungsvorgang zu erstellen. Da aber Folgeübertragungen zumindest Teil der für die Arbeitnehmer geplanten Maßnahmen sind, müssten diese Informationen ohnehin bereits im ersten Unterrichtungsschreiben enthalten sein. Daher wird sich zumeist ein einheitliches Unterrichtungsschreiben empfehlen. 
  • Den betroffenen Arbeitnehmern ist in dem Unterrichtungsschreiben hinreichend deutlich zu machen, gegenüber wem sie ein Widerspruchsrecht haben und, dass sie bei einem Kettenübergang – abhängig vom Einzelfall – ggf. ausschließlich einen einzigen Widerspruch erklären müssen.
  • Für den Zeitpunkt eines wirksam ausgeübten Widerspruchs ist insofern entscheidend, wann die jeweilige Widerspruchsfrist endet und wie sich diese Frist zum Zeitpunkt des weiteren Übergangs verhält.

Transaktion sorgfältig planen und Gestaltungsoptionen nutzen

Die zentrale Feststellung des BAG, dass dem Kriterium der „tatsächlichen Führung“ für die Frage eines Betriebsübergangs auf den Zwischenerwerber nur nachrangige Bedeutung zukäme, überrascht. Richtig ist zwar, dass eine vorübergehende, im Rahmen einer Gesamtabwägung als unerheblich zu qualifizierende Unterbrechung der betrieblichen Tätigkeit das Kriterium der tatsächlichen Führung des Betriebs und damit einen Betriebsübergang nicht per se ausschließt. Doch wenn der übergehende Betrieb unstreitig zu keinem Zeitpunkt vom Zwischenerwerber betrieben wurde und wird, dann ist u.E. ein Betriebsübergang auf diesen schwer begründbar. Denn nach bisheriger Rechtsprechung kommt es für den Betriebs(teil)übergang grade (auch) auf die tatsächliche Übernahme der Leitungsmacht an. 

Dennoch müssen sich Unternehmen bei der Planung und Umsetzung mehrschrittiger Transaktionen mit den Folgen des Urteils befassen. Um hierbei nur einen Betriebsübergang unmittelbar auf den Enderwerber sicherzustellen, sollte 

  • der zeitliche Abstand zwischen mehreren Transaktionen minimal sein, bestenfalls beschränkt sein auf eine „juristische Sekunde“,
  • der übergehende Betrieb faktisch nicht vom Zwischenerwerber betrieben werden (ggf. auch in den vertraglichen Regelungen ein Zwischenbetrieb ausgeschlossen sein) und
  • in den jeweiligen Vereinbarungen zwischen Veräußerer, Zwischen- und Enderwerber geregelt sein, dass es der Enderwerber ist, der den Betrieb unmittelbar fortführt.

Erneut zeigt sich, dass die schematische Bewertung von Betriebsübergängen nicht möglich ist. Bei mehreren Asset Deals oder Umwandlungsvorgängen kommen mehrere Betriebsübergänge in Betracht – auch bei engem zeitlichem Abstand und auch dann, wenn der Zwischenerwerber den übergehenden Betrieb in der Zwischenzeit tatsächlich nicht betreibt.

Insbesondere bei in der Praxis zur Ausnutzung von steuerrechtlichen Vorteilen beliebten Kettenumwandlungen kann die Lage wiederum anders zu bewerten sein: Dort kann nur ein einziger Betriebsübergang i.S.d. § 613a BGB vorliegen, wenn die Übertragung wegen der taggleichen handelsregisterlichen Eintragung unmittelbar vom ursprünglichen Inhaber auf die Zielgesellschaft erfolgt und damit auch ein Übergang auf den Zwischenerwerber ausgeschlossen ist. 

Vor diesem Hintergrund sollten Unternehmenstransaktionen sorgfältig geplant werden. Dabei können die verschiedenen Varianten als Gestaltungsoption genutzt werden. In der konkreten Umsetzung kommt es dann auf die richtige Ausgestaltung der Unterrichtungsschreiben an.

* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.

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