9. September 2021
Betriebsübergang Widerspruch
Arbeitsrecht

Betriebsübergang: Einsatz beim Erwerber trotz Widerspruch gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses

Der dem Übergang des Arbeitsverhältnisses widersprechende Arbeitnehmer kann im Wege der Arbeitnehmerüberlassung zur Arbeitsleistung beim Erwerber aufgefordert werden.

Im Fall eines Betriebsübergangs kann der Arbeitnehmer* dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses widersprechen. Je nach Zeitpunkt des Betriebsübergangs droht dem Veräußerer, die Vergütung als Annahmeverzugslohn zahlen zu müssen, ohne den widersprechenden Arbeitnehmer beschäftigen zu können, da der bisherige Arbeitsplatz auf den Betriebserwerber übergegangen ist. Das BAG hat mit seiner Entscheidung vom 19. Mai 2021 (5 AZR 420/20) bestätigt, dass der Veräußerer den widersprechenden Arbeitnehmer zur Arbeitsleistung beim Erwerber im Wege der Leiharbeit auffordern kann. Lehnt der Arbeitnehmer diese Tätigkeit ab, stellt dies ein böswilliges Unterlassen anderweitigen Verdienstes dar. Diesen muss sich der Arbeitnehmer anrechnen lassen. 

Trotz Annahmeverzug: Anrechnung der anderweitigen Verdienstmöglichkeit

Die Klägerin hatte dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses widersprochen. Die beklagte Arbeitgeberin wies die widersprechenden Arbeitnehmer schriftlich darauf hin, dass mit der Erwerberin des Betriebsteils vereinbart sei, dass im Fall des Widerspruchs die bei der Erwerberin entstehenden Vakanzen für einen Zeitraum von zwölf Monaten im Wege der Arbeitnehmerüberlassung besetzt würden. Entsprechend bot die Beklagte auch der Klägerin an, ein Jahr lang als Leiharbeitnehmerin auf ihrer alten Stelle im Betrieb der Erwerberin zu ansonsten unveränderten Arbeitsbedingungen tätig zu werden. Dies lehnte die Klägerin ab. 

Die Beklagte informierte die Klägerin daraufhin, dass aufgrund des Betriebsteilübergangs der bisherige Arbeitsplatz mit dem Übergang nicht mehr zur Verfügung stehe. Da sie eine zumutbare und gleichwertige Beschäftigung abgelehnt habe, werde sie auch keine Gehaltszahlungen mehr erhalten. Nach Krankheit und Urlaub erschien die Klägerin zur Arbeit bei der Beklagten, wurde aber von dieser nach Hause geschickt. Die Klägerin begehrte Entgeltzahlung während der Krankheitszeit, Urlaubsabwesenheit und der weiteren Zeit bis zum Antritt einer neuen Stelle. Sie hielt die Leiharbeit in dem übergegangenen Betrieb(steil) für unzumutbar. 

Das BAG gab der Beklagten recht und bestätigte die Entscheidung des LAG: Danach habe sich die Beklagte zwar in Annahmeverzug befunden – außerhalb der Krankheits- und Urlaubszeit müsse sich die Klägerin jedoch die anderweitige Verdienstmöglichkeit durch Einsatz als Leiharbeitskraft auf ihrem bisherigen Arbeitsplatz bei der Erwerberin anrechnen lassen. 

Annahmeverzug des Veräußerers häufige Folge des Widerspruchs

Im Falle eines Betriebs(teil)übergangs gehen die Arbeitsverhältnisse der im Betrieb(steil) beschäftigten Arbeitnehmer gem. § 613a Abs. 1 BGB auf den Erwerber über, es sei denn, der Arbeitnehmer widerspricht dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses form- und fristgerecht. Im Falle eines solchen Widerspruchs verbleibt das Arbeitsverhältnis beim Betriebsveräußerer. Für den Veräußerer führt dies in aller Regel dazu, dass mit dem Übergang des Betriebs(teils) die Beschäftigungsmöglichkeit für den widersprechenden Arbeitnehmer fehlt (soweit dieser nicht ggf. in anderen Betriebs(teilen) des Unternehmens eingesetzt werden kann), denn der Arbeitsplatz ist auf den Erwerber übergegangen. Der Veräußerer gerät damit regelmäßig in Annahmeverzug, da er den Arbeitnehmer nicht einsetzen kann. Die Vergütung muss der Verkäufer dennoch leisten, § 615 BGB

Gemäß § 615 S. 2 BGB muss sich der Arbeitnehmer jedoch anrechnen lassen, was er durch anderweitige Nutzung seiner Arbeitskraft erwirbt oder böswillig zu erwerben unterlässt. Der Arbeitgeber wird also von der Vergütungspflicht aus Annahmeverzug in entsprechender Höhe frei, wenn der Arbeitnehmer eine anderweitige zumutbare Beschäftigungsmöglichkeit ablehnt und damit böswillig unterlässt, anderweitigen Verdienst zu erzielen. 

In seiner Entscheidung hat das BAG bestätigt, dass dem Arbeitnehmer grundsätzlich auch der Einsatz als Leiharbeitnehmer im Betrieb des Erwerbers auf seinem bisherigen Arbeitsplatz zumutbar ist. Dem stehe weder der Widerspruch noch die Eigenart der Leiharbeit oder eine fehlende Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis entgegen. 

Keine generelle Unzumutbarkeit der Tätigkeit beim Erwerber 

Dass der Arbeitnehmer dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den Erwerber widersprochen hat, führt nicht zur Unzumutbarkeit einer (vorübergehenden) Tätigkeit bei genau diesem Erwerber. Das BAG stellt jedoch klar, dass es im Einzelfall auf die Gesamtumstände ankommt. Eine Abwägung der Interessen kann also auch zulasten des Veräußerers ausfallen, wenn besondere Umstände hinzutreten. Diese können in der Person des Erwerbers liegende Gründe oder eine erhebliche Veränderung der Arbeitsbedingungen, unter denen die bisherige Tätigkeit erbracht werden soll, sein. In dem hier entschiedenen Fall hatte die Klägerin jedoch keine dahin gehenden Bedenken geäußert, sondern sich vielmehr allein auf den Widerspruch als solchen bezogen. 

Keine Unzumutbarkeit aufgrund der Leiharbeit 

Nach Auffassung des BAG steht auch die Tatsache, dass der Klägerin ihre bisherige Tätigkeit im Wege der Leiharbeit angeboten wurde, der Zumutbarkeit nicht entgegen. Denn hier handelte es sich nicht um ein „klassisches“ Leiharbeitsverhältnis, in welchem der Leiharbeitnehmer ihm unbekannten Arbeitgebern zur Verfügung gestellt wird. Vielmehr ging es um die vorübergehende Fortsetzung ihrer bisherigen Tätigkeit in demselben Betriebsteil. Allein die Tatsache, dass ein „gespaltenes Direktionsrecht“ bestehe und sie gegebenenfalls dem Direktionsrecht zweier Arbeitgeber unterstellt sei, begründe keine Unzumutbarkeit. Denn der Zweck des § 615 S. 2 BGB bestehe darin, die Rücksichtnahmepflicht des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber zu konkretisieren. Die Erzielung anderweitigen Verdienstes durch Ausübung auch einer nicht vertragsgerechten Arbeit stelle insoweit eine Obliegenheit des Arbeitnehmers dar. 

Auch das LAG Hessen als Vorinstanz war dieser Auffassung und hatte sie unter anderem damit begründet, dass es um dieselbe der Klägerin bereits bekannte Tätigkeit ging und sich nicht einmal der Vertragsarbeitgeber oder der Arbeitsvertrag ändern sollten (Urteil v. 12. August 2020 – 2 Sa 331/20).

Keine Unzumutbarkeit wegen fehlender Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis 

Das BAG sieht den Einsatz als Leiharbeitnehmer im übergegangenen Betrieb auch dann nicht als unzumutbar an, wenn der Veräußerer nicht über eine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis verfügt. Im konkreten Fall hatte die Klägerin zwar das Vorliegen der zu den Akten gereichten Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis mit Nichtwissen bestritten. Sie hatte sich aber nicht darauf berufen, dass ihr die Leiharbeit gerade wegen des Fehlens unzumutbar sei. 

Das BAG hat hiervon losgelöst ausgeführt, dass das Fehlen einer solchen Erlaubnis den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses zwischen der Klägerin und der Beklagten jedenfalls bei Abgabe einer Festhaltenserklärung durch die Klägerin (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 Hs. 2 AÜG) gar nicht berührt hätte. Folglich könne hieraus auch keine Unzumutbarkeit hergeleitet werden. 

Kein böswilliges Unterlassen während Krankheitszeit und Urlaub

Das BAG hat der Klägerin den Annahmeverzugslohn jedoch sowohl für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit als auch für die Urlaubszeit zugesprochen. Denn auch wenn für die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall der Grundsatz der Monokausalität gilt, trifft den Arbeitnehmer während der Dauer der Arbeitsunfähigkeit keine Obliegenheit zu anderweitiger Arbeit. Gleiches gilt für die Dauer des Urlaubs: Auch während des Urlaubs besteht keine Obliegenheit zu anderweitigem Verdienst.  

Zumutbarkeit einer vorübergehenden Beschäftigung beim Erwerber 

Zurecht verweist das BAG auf seine ständige Rechtsprechung, dass dem Arbeitnehmer unabhängig von einer Leiharbeit auch die Aufnahme einer – gegebenenfalls befristeten – Tätigkeit im Betrieb des Erwerbers zumutbar sei (Urteil v. 19. März 1998 – 8 AZR 139/97). Lehnt der Arbeitnehmer ein solches Angebot des Erwerbers ab, befindet sich der Arbeitgeber dann zwar weiterhin im Annahmeverzug. Wie bei der Möglichkeit der vorübergehenden Beschäftigung im Wege der Leiharbeit entfällt der Anspruch auf Entgeltfortzahlung gemäß § 615 S. 2 BGB, wenn der Arbeitnehmer eine anderweitige Verdienstmöglichkeit damit böswillig unterlässt.

Da der Widerspruch nicht an einen sachlichen Grund gebunden ist und sogar grundlos erfolgen könne, sei die Erklärung, kein Arbeitsverhältnis mit dem Erwerber eingehen zu wollen, nicht mit einem Werturteil verbunden und könne daher keinen Schutz des Arbeitnehmers bewirken. Vielmehr handele der Arbeitnehmer böswillig, wenn er es unterlässt, unter unveränderten Arbeitsbedingungen vorübergehend beim Erwerber zu arbeiten. Es müssen auch hier weitere Gründe hinzutreten (und durch den Arbeitnehmer dargelegt und nachgewiesen werden), um eine Unzumutbarkeit des anderweitigen Verdienstes zu begründen.

(Kaufvertragliche) Regelung für den Fall widersprechender Arbeitnehmer vereinbaren

Veräußerer und Erwerber sind gut beraten, im Fall eines Betriebs(teil)übergangs nicht nur zu regeln, welche Seite die wirtschaftlichen Kosten widersprechender Arbeitnehmer trägt. Insbesondere sollte auch festgelegt werden, wie rein faktisch für die entstehenden Vakanzen auf der einen und die überschüssige Arbeitskraft auf der anderen Seite ein Ausgleich geschaffen werden kann. Eine solche Regelung kann darin bestehen, dass sich der Erwerber verpflichtet, zumutbare Beschäftigungsmöglichkeiten in Form (befristeter) Arbeitsverhältnisse zu den bisherigen Bedingungen anzubieten. Alternativ kommt in Betracht, dass die Parteien vereinbaren, dass der Veräußerer vorübergehend die eintretenden Vakanzen im Wege der Leiharbeit ausgleicht. 

Auch wenn das BAG für die Frage der Zumutbarkeit der anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit nicht zwingend das Vorhandensein der entsprechenden Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis des Veräußerers verlangt, sollte der Veräußerer rechtzeitig eine solche beantragen. Andernfalls drohen Bußgelder sowohl für Veräußerer als auch für den Erwerber nach § 16 Abs. 1 Nr. 1, 1a AÜG. Auch mag die Unsicherheit für den Erwerber, dass aufgrund der gesetzlichen Fiktion doch ein (dauerhaftes) Arbeitsverhältnis begründet wird, inakzeptabel sein.

*Gemeint sind Beschäftigte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.

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