Sollten klimaneutrale Unternehmen die Möglichkeit haben, sich durch ein besonderes gesetzlich geregeltes Label als „klimaneutral“ zu kennzeichnen?
Die Bewältigung des Klimawandels ist eine zentrale Herausforderung des 21. Jahrhunderts. Die gesetzliche Regulierung zum Klimaschutz ist bisher in erster Linie öffentlich-rechtlich geprägt. Aber ebenfalls im privaten Unternehmensrecht spielt der Gedanke der Nachhaltigkeit (und damit auch des Klimaschutzes) eine immer größere Rolle. Jüngst hat sich auch der Deutsche Juristentag 2024 mit der Frage beschäftigt, ob sich im Kampf gegen den Klimawandel gesetzgeberische Maßnahmen auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts empfehlen. In diesem Zusammenhang wird unter anderem diskutiert, ob klimaneutrale Unternehmen die Möglichkeit haben sollten, dies durch die Führung eines Rechtsformzusatzes „klimaneutral“ im Geschäftsverkehr kenntlich zu machen. Der Gedanke dahinter ist, klimaneutralen Unternehmen durch ein geschütztes Label Reputations- und damit Wettbewerbsvorteile zu verschaffen.
Rechtsform und gesetzlicher Status
Der Rechtsformzusatz ist ein gesetzlich geregelter Bestandteil der Firma und kennzeichnet in erster Linie die Rechtsform des Unternehmensträgers (z.B. „AG“ oder „GmbH“), vgl. § 19 HGB, § 4, 5a Abs. 1 GmbHG, § 4 AktG. Der Rechtsformzusatz kann aber nicht nur die Rechtsform, sondern darüber hinaus auch einen besonderen gesetzlichen Status kennzeichnen. Das deutsche Recht erlaubt einer deutschen GmbH bzw. AG mit steuerlichem Gemeinnützigkeitsstatus etwa die Firmierung als „gGmbH“ bzw. „gAG“.
Zur Einführung eines (gesetzlichen) Rechtsformzusatzes für klimaneutrale Unternehmen bestünden dementsprechend zwei grundsätzliche Regelungsmodelle: Die Einführung einer neuen Rechtsform (bzw. Rechtsformvariante) oder die Einführung eines (rechtsformunabhängigen) besonderen gesetzlichen Status in Form einer gesetzlichen Zertifizierung.
Rechtsvergleichende Vorbilder
Die Frage nach Einführung eines Rechtsformzusatzes für klimaneutrale Unternehmen ist vor dem Hintergrund der breiteren Debatte um Nachhaltigkeit und Gemeinwohl im Gesellschaftsrecht zu sehen. Dabei werden sowohl die Einführung neuer, sog. „hybrider“ Rechtsformen (nämlich mit Gewinnerzielungszweck und Nachhaltigkeits- oder sonstigem Gemeinwohlzweck) als auch die Einführung von Formen einer (gesetzlichen) Zertifizierung nachhaltiger oder gemeinwohlorientierter Unternehmen diskutiert. Für beide Modelle gibt es rechtsvergleichende Vorbilder. Zwei besonders prominente Beispiele aus dem Ausland, auf die auch das Gutachten für die Verhandlungen der wirtschaftsrechtlichen Abteilung des 74. Deutschen Juristentags Bezug nimmt, bilden die US-amerikanische Benefit Corporation sowie die französische Société à Mission.
USA: Benefit Corporation
Die Gesellschaftsrechtsordnungen zahlreicher Bundesstaaten der USA bieten die Benefit Corporation als eigenständige Rechtsform an. Diese weisen im Wesentlichen jeweils ähnliche Strukturelemente auf. Es handelt sich um eine Gesellschaftsform mit „hybrider“ Zwecksetzung: Gewinnerzielung und Gemeinwohlförderung (profit and purpose). Die Gesellschaft muss (auch) den Zweck haben, einen Beitrag zum Gemeinwohl zu leisten. Ihre Direktoren sind verpflichtet, neben den Interessen der Anteilseigner und Arbeitnehmer auch diese Gemeinwohlinteressen zu berücksichtigen. Die Gesellschaft muss regelmäßig einen Bericht über ihre gemeinwohlorientierte Tätigkeit veröffentlichen. Zur Sicherstellung der Verfolgung der Gemeinwohlziele existieren spezifische Durchsetzungsmechanismen, wobei etwa Gesellschafter, die über einen bestimmten Prozentsatz der Anteile verfügen, klageberechtigt sind.
Frankreich: Société à Mission
Im Gegensatz zur Benefit Corporation handelt es sich bei der französischen Société à Mission nicht um eine eigene Rechtsform, sondern um einen besonderen gesetzlichen Status, den grundsätzlich sämtliche Handelsgesellschaften erlangen können. Um den Status einer Société à Mission zu erlangen, muss die Gesellschaft bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Der Gesellschaftsvertrag muss bestimmte Mindestangaben enthalten. Dazu gehören eine raison d’être, ein oder mehrere soziale oder ökologische Ziele sowie die Regelung eines internen Kontrollmechanismus zur Überwachung der Umsetzung dieser Ziele. Danach ist ein besonderer Ausschuss einzurichten, der die Umsetzung der sozialen oder umweltbezogenen Ziele zu überwachen und darüber jährlich zu berichten hat. Zudem ist die Erfüllung dieser Ziele durch einen unabhängigen Dritten zu überwachen.
Einführung eines neuen Rechtsformzusatzes im deutschen Recht?
Rechtspolitische Diskussion
Die rechtspolitische Diskussion um neue Gesellschaftsformen oder Zertifizierungsformen für gemeinwohlorientiertes oder nachhaltiges Wirtschaften hat sich auch in Deutschland intensiviert. Nach entsprechenden Vorschlägen enthält der Koalitionsvertrag 2021‑2025 die Ankündigung der Erarbeitung einer nationalen „Strategie für Sozialunternehmen, um gemeinwohlorientierte Unternehmen und soziale Innovationen stärker zu unterstützen“ sowie der Schaffung einer neuen geeigneten Rechtsgrundlage für „Unternehmen mit gebundenem Vermögen“. Insbesondere um die Einführung einer neuen Gesellschaft mit gebundenem Vermögen ist eine intensiv geführte Debatte entstanden. Dabei sind die bisherige Diskussion und Regelungsvorschläge (ebenso wie die zuvor skizzierten ausländischen Regelungsvorbilder) nicht (allein) auf den Aspekt des Klimaschutzes fokussiert, sondern beziehen sich auf ein an Gemeinwohl- oder Nachhaltigkeitszielen orientiertes Wirtschaften in einem weiten Sinne.
Bestehende Regelungsmöglichkeiten ausreichend?
Mit Blick auf den Vorschlag zur Einführung eines Rechtsformzusatzes zur Kennzeichnung klimaneutraler Unternehmen stellt sich vorgelagert die Frage, ob es einen entsprechenden Regelungsbedarf gibt oder ob die Gestaltungsmöglichkeiten, die das bisher geltende Recht bietet, sowie die Möglichkeit einer privaten Zertifizierung ausreichend sind.
Gegen ein Bedürfnis für einen neuen gesetzlichen Rechtsformzusatz spricht, dass Unternehmen bereits bisher die Möglichkeit haben, eine Ausrichtung am Ziel der Klimaneutralität in ihrem Firmennamen deutlich zu machen. Auch darüber hinausgehende Elemente, welche die ausländischen Beispiele für hybride Gesellschaftsformen aufweisen, dürften bereits nach geltendem Recht durch gesellschaftsrechtliche Gestaltung zumindest in wesentlichen Zügen nachgebildet werden können. Zudem stellt sich die Frage, ob nicht im Bereich der Nachhaltigkeitszertifizierung private Lösungen (wie die häufig als Prototyp genannte private Zertifizierung als „B Corp“) ausreichend und erfolgversprechender sind.
Ein wesentlicher Unterschied einer gesetzlichen Regelung eines Rechtsformzusatzes „klimaneutral“ könnte jedoch in der besonderen staatlichen Legitimation eines solchen Labels liegen, die nur mit einer gesetzlichen Regelung verbunden wäre. Denn im Fall einer gesetzlichen Regelung würde sich der Firmenzusatz nicht auf eine bloße Selbstauskunft des jeweiligen Unternehmens (oder eine private Zertifizierung durch einen anderen privaten Akteur) beschränken, sondern wäre zugleich ein staatlich legitimiertes Gütesiegel. Die Signalwirkung eines gesetzlichen Zusatzes wird von den Befürwortern eines gesetzlichen Rechtsformzusatzes als deutlich stärker eingeschätzt. Eine gesetzlich anerkannte Zertifizierung dürfte im Vergleich zu einer privaten Zertifizierung oder bloßen Selbstaussage ein besonderes Vertrauen genießen.
Eckpunkte einer möglichen Regelung
Sofern man die Schaffung eines gesetzlichen Rechtsformzusatzes „klimaneutral“ im Grundsatz befürwortet, wären weitere Fragen zur konkreten Umsetzung zu klären.
Neue Rechtsform oder gesetzlicher Status?
Dabei stellt sich zunächst die Frage, auf welche Weise ein solcher Rechtsformzusatz eingeführt werden sollte. Dabei wäre einerseits die Einführung einer neuen eigenständigen Rechtsform oder andererseits die Einführung eines (rechtsformneutralen) besonderen gesetzlichen Status denkbar. Für eine Ausgestaltung als eigene Rechtsform könnte sprechen, dass eine solche im Detail maßgeschneidert für ihren Zweck ausgestaltet werden könnte und im Vergleich zu einer rechtsformübergreifenden Lösung eine stärkere Signalwirkung aufweisen dürfte. Der besondere Reiz einer Ausgestaltung als gesetzlicher Status oder gesetzlicher Zertifizierung besteht darin, dass ein solches Label grundsätzlich Unternehmen jeglicher Rechtsform zur Verfügung gestellt werden könnte. Zudem dürfte der Regelungsaufwand für den Gesetzgeber im Vergleich zur Schaffung einer vollständig neuen Rechtsform erheblich geringer ausfallen.
Materielle Voraussetzungen
Dann müssten die (materiellen) Voraussetzungen geklärt werden, an welche die Erlaubnis zur Führung eines neuen Rechtsformzusatzes geknüpft sein sollte.
Das DJT-Gutachten, das sich für die Einführung eines rechtsformübergreifend ausgestalteten Rechtsformzusatzes ausspricht, sieht als materielle Voraussetzung insbesondere vor, dass die Gesellschaft klimaneutral sein und sich gemäß ihrem Gesellschaftsvertrag oder ihrer Satzung zur Klimaneutralität verpflichten muss. Die entscheidende Frage lautet damit: Wann ist ein Unternehmen „klimaneutral“ und wie soll das kontrolliert werden? Der Regelungsvorschlag des DJT-Gutachtens für den Rechtsformzusatz stellt hinsichtlich der Klimaneutralität allein auf Scope 1- und Scope 2-Emissionen ab und verweist zur Konkretisierung auf das europäische Klimaschutzrecht. Der Regelungsvorschlag des DJT-Gutachtens sieht zusätzlich eine teilweise Berücksichtigung der Scope 3-Emissionen durch die ergänzende Voraussetzung vor, dass Gesellschaftsvertrag oder Satzung regeln müssen, dass sich das Geschäftsmodell der Gesellschaft weit überwiegend auf klimaneutrale Produkte oder Dienstleistungen bezieht. Eine interessante Frage ist, ob diese grundsätzliche Ausklammerung von Scope 3-Emissionen aufrechterhalten bleiben sollte.
Im Vergleich zu den oben genannten ausländischen Beispielen fällt zudem auf, dass die Benefit Corporation sowie der Société à Mission bestimmte nachhaltige bzw. gemeinwohlorientierte Zwecksetzungen oder Zielrichtungen zu bestimmen haben, während die Gesellschaft (klimaneutral) nach dem Regelungsvorschlag im DJT-Gutachten einen bestimmten Zielzustand, nämlich eine bestimmte Definition von Klimaneutralität, bereits erreicht haben muss.
Kontrollmechanismen
Weiter stellt sich die Frage nach einer Kontrolle dieser Voraussetzungen. Hier liegt ein weiterer Knackpunkt. Denn einerseits muss die Einhaltung der Anforderungen an die Berechtigung zur Führung des Rechtsformzusatzes kontrolliert werden, um das Vertrauen in den gesetzlichen Zusatz zu schützen, andererseits dürfte eine effektive Überwachung einen nicht unerheblichen Aufwand verursachen. Dabei kommen zum einen interne Kontrollmechanismen in Betracht, wie etwa die Einrichtung eines besonderen Ausschusses oder Unternehmensbeauftragten. In einer ähnlichen Stoßrichtung sieht das DJT-Gutachten vor, dass die Klimaneutralität in Gesellschaftsvertrag oder Satzung einem Ressort der Geschäftsleitung zugeordnet werden muss. Zum anderen stellt sich die Frage nach einer externen Kontrolle. Das DJT-Gutachten sieht vor, dass für das vorangegangene Geschäftsjahr eine Bestätigung der Klimaneutralität von einem Abschlussprüfer oder von einem unabhängigen Erbringer von Bestätigungsleistungen vorliegen muss und die Bestätigung zu veröffentlichen ist. Als weitere Kontrollmechanismen wären insbesondere Berichts- und Dokumentationspflichten denkbar. Zudem ist an Formen der privaten oder öffentlichen Rechtsdurchsetzung zu denken, wie etwa Klagerechte für Gesellschafter oder interessierte Dritte oder die Kontrolle und Sanktionierung durch Aufsichtsbehörden. Zudem wäre die Gültigkeitsdauer einer entsprechenden Zertifizierung festzulegen. Der Vorschlag im DJT-Gutachten scheint von einer jährlich erneut einzuholenden Bestätigung auszugehen.
Folgen
Zudem wären die Folgen eines solchen gesetzlichen Nachhaltigkeitslabels zu bestimmen. Sie könnten sich, wie es der Vorschlag des DJT-Gutachtens vorsieht, auf die bloße Berechtigung zur Führung des Rechtsformzusatzes und die damit verbundene Signalfunktion beschränken. Denkbar wäre aber darüber hinaus auch eine Regelung von weiteren Vorteilen für entsprechend „zertifizierte“ Unternehmen, etwa Steuervergünstigungen.
Vorschlag belebt Diskussion um Rechtsrahmen für nachhaltiges Wirtschaften
Die Diskussion um neue Gesellschaftsformen oder gesetzliche Zertifizierungsmodelle für nachhaltiges Wirtschaften ist in vollem Gange. Der im DJT-Gutachten unterbreitete Vorschlag zur Einführung eines Rechtsformzusatzes für klimaneutrale Unternehmen hat zwar nicht die Zustimmung der wirtschaftsrechtlichen Abteilung des 74. Deutschen Juristentags gefunden, aber er dürfte dennoch dazu beitragen, die bereits bisher vielschichtige Debatte weiter zu beleben.