Häufiger Auslöser und von erheblicher Bedeutung für interne Ermittlungen sind Hinweise von Whistleblowern. Wir zeigen, wie Sie schnell und adäquat reagieren.
Einen konkreten rechtlichen Rahmen für die Durchführung interner Ermittlungen gibt es bislang nicht. Das neue LkSG, die EU-Hinweisgeber-Richtlinie (EU) 2019/1937, der Referentenentwurf und der Regierungsentwurf (nachfolgend: RegE-HinSchG) des HinSchG statuieren wichtige Verfahrensschritte nach Erhalt eines Hinweises. Diese betreffen die Hinweisprüfung, die Kommunikation mit dem Hinweisgeber* sowie die zu treffenden Abhilfemaßnahmen. Bei der Art und Weise – also bei dem „Wie“ – der Durchführung interner Ermittlungen wird dem Unternehmen allerdings ein weiter Ermessensspielraum eingeräumt.
Die nachfolgenden Aspekte helfen bei jeder internen Ermittlung, diese zügig, effizient und vor allem zielorientiert durchzuführen:
1. Prozesse schaffen, Zuständigkeiten definieren
Sobald (anonyme) Hinweise eingehen, muss es meist schnell gehen. Eine besondere Gefahr liegt darin, dass ein unkoordinierter und übereilter Aktionismus entsteht. Dem kann und sollte im Unternehmen dadurch vorgebeugt werden, dass frühzeitig und idealerweise ohne konkreten Hinweisgeber-Anlass Prozesse und Zuständigkeiten für den Umgang mit Hinweisen und internen Untersuchungen geschaffen werden.
Entsprechend § 15 Abs. 1 und 2 RegE-HinSchG soll die zuständige Stelle im Unternehmen unabhängig und frei von Interessenkonflikten sein sowie über die zur ordnungsgemäßen Aufgabenwahrnehmung notwendige Fachkunde verfügen. Hier bieten sich typischerweise gleich mehrere Einheiten an, u.a. Compliance, Recht, HR. Um Zuständigkeitsstreit oder Zuständigkeits-Pingpong auszuschließen, gilt es Verantwortlichkeiten und ein Standardvorgehen in Richtlinien zu definieren.
Um größtmögliche Objektivität bei einer Untersuchung zu erzielen und eigene Beschäftigte zu schützen, kann es auch angezeigt sein, sie extern durchführen zu lassen.
2. Vorprüfung insbesondere auf Kündigungsrelevanz
Bevor umfangreiche Ermittlungen eingeleitet werden, ist es angezeigt, die Qualität des Hinweises im Wege einer Art Vorprüfung zu bewerten: Ist der Hinweis valide? Bezieht sich der Hinweis auf einen Einzelfall oder gibt er Anhaltspunkte für strukturelle Defizite? Enthält er abstrakte Informationen oder Indizien für konkrete Pflichtverletzungen? Letztlich ist die Frage zu beantworten, ob der Hinweis plausibel ist und somit Grund für weitere Befassung gibt oder nicht.
Eine weitere Befassung ist entsprechend des Referentenentwurfs § 3 Abs. 3 des HinSchG jedenfalls dann geboten, wenn es Verdachtsmomente gibt oder Kenntnis von möglichen Verstößen besteht. Dieser greift also das auf, was schon immer im Compliance-Bereich galt: Untersuchungen sind erforderlich, wenn Rechts- oder Regelverstöße naheliegen und die im Hinweis enthaltenen Vorwürfe nicht haltlos erscheinen.
Insbesondere wenn mehrere Hinweise eingehen, gilt es in der Vorprüfung zu priorisieren:
- Um welche Art von Verstößen/Verdachtsmomenten handelt es sich?
- Welche Rechtsgebiete sind betroffen?
- Welche rechtlichen Folgen könnte der Verstoß für das Unternehmen haben?
- Gibt es zwingend zu wahrende Fristen?
- Sind Behörden bereits in die Vorgänge eingebunden?
Ein zügiges Vorgehen ist in dieser Phase auch deshalb geboten, weil jedenfalls kündigungsrelevante Sachverhalte wegen der Frist gem. § 626 Abs. 2 BGB priorisiert bearbeitet werden sollten. Die Zwei-Wochen-Frist wird bekanntlich nicht (mehr) für die gesamte Dauer einer umfassenden Compliance-Untersuchung gehemmt. So dienen etwa Ermittlungen, mit denen jenseits der Identifikation und Gewichtung bereits begangener Pflichtverstöße unternehmensbezogene (Präventions-)Ziele verfolgt werden, grds. nicht mehr der Aufklärung der für die Entscheidung über den Fortbestand eines Arbeitsverhältnisses relevanten Tatsachen (BAG, Urteil v. 5. Mai 2022 – 2 AZR 483/21). Das Unternehmen darf also zunächst ermitteln; der Fristlauf beginnt aber mitunter deutlich früher als gedacht, weswegen eine vorrangige Bearbeitung von möglichen Kündigungssachverhalten in jedem Fall empfehlenswert ist.
3. Sachverhaltsermittlung abhängig von der Abwägung der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen
Klassische Instrumente der Sachverhaltsermittlung und somit Informationsquelle im Rahmen der internen Untersuchung sind u.a.:
- Durchsicht von Geschäftsunterlagen und E-Mails
- Befragung von Beschäftigten als Auskunftspersonen oder Beschuldigte
- Videoüberwachung von (konkreten) Räumen oder Unternehmensbereichen
- Observation durch einen Privatdetektiv
- Durchsuchung des Büros, Schreibtisches oder Spinds
Allen diesen Maßnahmen ist gemein, dass penibel auf ihre rechtskonforme Anwendung geachtet werden muss. Dazu zählt auch, dass die ermittelnde Einheit konstant die verschiedenen Interessen gegeneinander abwägen muss: das Aufklärungs- und Informationsinteresse des Arbeitgebers einerseits und das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Beschäftigten andererseits. Wird der rechtliche Rahmen des Zulässigen verlassen, drohen Beweisverwertungsverbote oder auch Schadenersatzforderungen betroffener Beschäftigter.
Ungeachtet des rechtlichen Beweiswerts ermittelter Informationen sollten jedenfalls Befragungen von Beschäftigten immer im Vier-Augen-Prinzip erfolgen. Dies gewährleistet zum einen eine effiziente Befragung und zum anderen wird der Situation vorgebeugt, dass Aussage gegen Aussage steht. Um ein „Umschwenken“ der Befragten zu einem späteren Zeitpunkt zu vermeiden, kann es sich zudem anbieten, das Protokoll von der befragten Person unterzeichnen zu lassen. Eine Aufzeichnung des Gesprächs (Video, Audio) ohne ausdrückliches Einverständnis aller Gesprächsteilnehmer ist verboten.
4. Einbeziehung des Betriebsrats ist essentiell
Hat das Unternehmen einen Betriebsrat, sind etwaige Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats stets im Blick zu behalten.
5. Lückenlose Dokumentation als Pflicht der EU-Richtlinie
Eine ausführliche und möglichst lückenlose Dokumentation ist ein wesentlicher Schlüssel für eine interne Untersuchung. Die EU-Hinweisgeber-Richtlinie (EU) 2019/1937 schreibt insoweit auch vor, dass spätestens sieben Tage nach Eingang eines Hinweises eine entsprechende Bestätigung und spätestens nach drei Monaten eine Rückmeldung zum aktuellen Bearbeitungsstatus erfolgen muss.
Die Dokumentation erleichtert aber nicht nur das Nachhalten von Fristen, sondern insbesondere auch die Darlegung von Pflichtverstößen sowie einen Vorhalt bei widersprüchlichen Aussagen.
Fehlerhafte Ermittlungen gehen zulasten des Arbeitgebers
Interne Ermittlungen sind bereits seit Jahren fester Bestandteil der Compliance-Praxis vieler Unternehmen. Durch die EU-Hinweisgeber-Richtlinie (EU) 2019/1937 und deren Umsetzung ins deutsche Recht ist das Thema noch mehr ins Rampenlicht gerückt und so bedeutsam für die Compliance-Praxis wie nie zuvor.
Interne Ermittlungen stellen Unternehmen vor hohe rechtliche und praktische Hürden. Es gibt kein allgemeingültiges Rezept bzgl. des „Wie“ der Ausgestaltung interner Ermittlungen. Es ist Fingerspitzengefühl gefragt. Besonders wichtig sind eine gute Planung, eine strukturierte Vorgehensweise und eine effektive Umsetzung.
Fehler bei der Durchführung interner Ermittlungen können die Qualität der Ermittlungsergebnisse und deren rechtliche Verwertbarkeit beeinträchtigen. Es empfiehlt sich daher – um Rechtsverstößen vorzubeugen –, auf externe Unterstützung zurückzugreifen. Schließlich stellen die Ermittlungsergebnisse das Fundament für die Auswahl und die Durchsetzung von Abhilfemaßnahmen dar. Fehler bei der Durchführung interner Ermittlungen gilt es vor diesem Hintergrund unbedingt zu vermeiden.
Alles in allem ein spannendes Feld, das Schnittstellenkompetenz verlangt. Wir freuen uns darauf, Ihnen in unserer Blog-Serie zum Whistleblowing dieses Feld durch unser arbeitsrechtliches Brennglas vorzustellen.
*Gemeint sind Mitarbeiter jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.