Melden Whistleblower Gesetzesverstöße, muss die Geschäftsführung handeln und den Vorgang aufklären. Aber darf sie das überhaupt, ohne den Betriebsrat einzubinden?
Wird der Verdacht von Straftaten und anderen Gesetzesverstößen im Unternehmen bekannt, muss schnell und diskret gehandelt werden. Jedes Unternehmen sollte bereits in ruhigen Zeiten sicherstellen, dass es im Ernstfall kurzfristig dazu in der Lage ist, interne Ermittlungen effektiv durchzuführen. Dazu gehört auch, dass sich die Geschäftsführung mit den zuständigen Betriebsräten* darüber abstimmt, wie man bei internen Ermittlungen zusammenarbeiten will.
Bei der Einführung von Whistleblowing-Meldestellen ist der Betriebsrat zu beteiligen. Betriebsrat und Arbeitgeber sollten dies zum Anlass nehmen, um die Beteiligungsrechte und das Beteiligungsverfahren im Fall von internen Ermittlungen festzulegen und ggf. in Betriebsvereinbarungen zu regeln.
Interne Ermittlungen sind eine Rechtspflicht
Die Geschäftsführung ist dazu verpflichtet, für das Unternehmen eine angemessene Compliance-Organisation einzurichten (LG München I, Urteil v. 10. Dezember 2013 – 5 HKO 1387/10). Die Einrichtung einer Meldestelle, an die sich Whistleblower wenden können, ist ein Teil selbiger.
Allein die Einrichtung einer Meldestelle reicht jedoch nicht. Das Unternehmen muss auf ernsthafte Meldungen auch reagieren – und zwar zeitnah. Liegen der Geschäftsführung plausible Anhaltspunkte für Straftaten oder andere Rechtsverstöße durch Mitarbeiter des Unternehmens vor, muss sie umgehend tätig werden und den Vorgang aufklären (sog. Legalitätspflicht; BGH, Urteil v. 1. Oktober 1984 – II ZR 175/83). Bleibt die Geschäftsführung in einer solchen Situation untätig und „guckt sie weg“, droht ihr die persönliche Haftung (§§ 43 GmbHG, 93 AktG). Es besteht daher eine Rechtspflicht zur internen Ermittlung.
Kann im Ernstfall eine interne Ermittlung nicht durchgeführt werden, weil der Betriebsrat „blockiert“, gerät die Geschäftsführung in ein Compliance-Dilemma.
Beteiligungsrechte des Betriebsrats bei bestimmten Ermittlungshandlungen wie Kameraüberwachung und Auswertung von PC-Daten
Grds. benötigt der Arbeitgeber nicht die Zustimmung des Betriebsrates, um intern zu ermitteln. Es existieren allerdings bestimmte Ermittlungshandlungen und -maßnahmen, die nur nach Beteiligung des zuständigen Betriebsrates durchgeführt werden dürfen:
- Die Auswertung elektronisch gespeicherter Aufzeichnungen von Arbeitnehmern unterliegt umfassend dem Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG. Hierzu gehören alle E-Mails, die Arbeitnehmer schreiben und die auf dem betrieblichen Server abgelegt werden. Hierzu zählen auch die Logfiles, die das IT-Sicherheitssystem des Unternehmens anlegen sollte, um Zugriffe der Arbeitnehmer auf den Servern zu dokumentieren. Häufig legen Arbeitgeber und Betriebsrat in einer Betriebsvereinbarung fest, unter welchen Voraussetzungen der Arbeitgeber solche elektronischen Aufzeichnungen zum Zwecke der Leistungs- und Verhaltenskontrolle auswerten darf. An die getroffenen Vereinbarungen muss sich der Arbeitgeber (selbstverständlich) halten (dazu BAG, Beschluss v. 23. März 2021 – 1 ABR 31/19). Arbeitgeber sollten sich in diesem Punkt gut überlegen, was sie mit ihren Betriebsräten vereinbaren, und einen sachgerechten Kompromiss aushandeln. Schränkt der Arbeitgeber sein Recht zur Leistungs- und Verhaltenskontrolle zu sehr ein, kann dies im Ernstfall dazu führen, dass ihm die Hände gebunden sind.
- Beabsichtigt der Arbeitgeber, eine (versteckte) Kamera aufzustellen, z.B. um einen angezeigten Dieb auf frischer Tat zu überführen, ist nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG die vorherige Zustimmung des Betriebsrates erforderlich.
- Nutzt der Arbeitgeber Fragebögen zur Erhebung von Informationen, bedürfen diese regelmäßig nach § 94 Abs. 1 BetrVG der Zustimmung des Betriebsrates.
- Soweit der Betriebsrat bei internen Ermittlungsmaßnahmen zu beteiligen ist, fordert er häufig Informationen vom Arbeitgeber zum Stand der Ermittlungen an. Aus § 80 Abs. 2 S. 1 BetrVG können sich entsprechende Auskunftsansprüche ergeben.
Bei großen Betriebsratsgremien ist eine Betriebsratsbeteiligung im üblichen Verfahrensgang oft nicht sachgerecht möglich, wenn interne Ermittlungen schnell und diskret durchgeführt werden müssen.
Werden Informationen zum Anlass und Stand einer internen Ermittlung mit einem (personell) großen Betriebsratsgremium geteilt, kann dies die Geheimhaltung der internen Ermittlung gefährden. Beschließt der Betriebsrat immer erst in wöchentlichen Betriebsratssitzungen nach eingehender Beratung des Gesamtgremiums, ob er bestimmte Ermittlungshandlungen genehmigt oder nicht, verzögert dies die Untersuchung des relevanten Vorfalls unangemessen.
Viele Unternehmen ziehen in einer solchen Situation in Betracht, die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates zu missachten. Dies ist problematisch: Wenn Unternehmen gezwungen sind, groß angelegte interne Untersuchungen durchzuführen, ist das Vertrauen in die Unternehmenskultur oft in Gefahr. In diesen Fällen benötigt die Geschäftsführung die Unterstützung des Betriebsrates, um dieses Vertrauen zurückzugewinnen. Durch Übergehung von Mitbestimmungsrechten würde die Geschäftsführung dagegen in einer unternehmenspolitisch ohnehin schwierigen Situation einen weiteren betriebspolitischen Konflikt provozieren.
Sinnvolle Beteiligungsverfahren, z.B. durch Ausschussbildung
Folgende Lösungen sind denkbar:
- Der Arbeitgeber kann mit dem Betriebsrat in Betriebsvereinbarungen festlegen, dass ihm in Not- und Eilfällen bestimmte Handlungsspielräume zugestanden werden, um einseitig und ohne Genehmigung des Betriebsrates tätig zu werden (BAG, Beschluss v. 23. März 2021 – 1 ABR 31/19).
- Alternativ können Arbeitgeber und Betriebsrat einen gemeinsamen Dauerausschuss bilden, in den z.B. nur zwei ausgewählte Betriebsratsmitglieder entsandt werden. Innerhalb des Ausschusses können die Informationen zum Stand der internen Ermittlungen in kleinem Kreis geteilt werden. Hat ein Betriebsrat neun oder mehr Mitglieder, kann er seine Mitbestimmungsrechte an den Ausschuss delegieren (§ 28 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 BetrVG, dazu Grimm/Singraven, Digitalisierung und Arbeitsrecht, Rz. 14.47 f.). Eine Pflicht des Betriebsrats dazu besteht freilich nicht.
Es kommen eine Vielzahl weiterer Lösungen in Betracht, um die Beteiligungsverfahren mit dem Betriebsrat sachgerecht auszugestalten. Zu empfehlen ist, dass hierzu frühzeitig mit dem Betriebsrat gesprochen wird und nicht erst im Ernstfall. Dann nämlich ist die Zeit knapp und die Emotionen sind aufgeladen, sodass sachgerechte Lösungen erschwert werden dürften.
Alles in allem ein spannendes Feld, das Schnittstellenkompetenz verlangt. Wir freuen uns darauf, Ihnen in unserer Blog-Serie zum Whistleblowing dieses Feld durch unser arbeitsrechtliches Brennglas vorzustellen.
*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.