Der BFH hat für die Eigenverwaltung entschieden, dass die Umsatzsteuer beim Forderungseinzug eine Masseverbindlichkeit i. S. v. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO begründet.
Mit Urteil vom 27. September 2018 (V R 45/16) hat der V. Senat des BFH seine fiskusfreundliche und ergebnisorientierte Rechtsprechung zum Forderungseinzug nun auch auf die Eigenverwaltung übertragen. Der eigenverwaltende Insolvenzschuldner hat die Umsatzsteuer selbst dann als Masseverbindlichkeit an die Finanzverwaltung abzuführen, wenn der Umsatz bereits vor der Insolvenz ausgeführt worden ist, er aber das entsprechende (Brutto-)Entgelt erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens vereinnahmt.
Der V. Senat des BFH knüpft letztlich an die Grundsätze der sog. Dezember-Rechtsprechung vom 9. Dezember 2010 (V R 22/10) zur Regelinsolvenz an und führt diese fort. Dahinter steht der Gedanke, dass die Umsatzsteuer immer dann auch zugunsten des Fiskus zu realisieren ist, wenn sie als Anteil des vereinnahmten Rechnungsbetrages erfolgreich zur Insolvenzmasse gezogen wird. Der Weg zur Begründung einer Masseverbindlichkeit soll bei der sog. Soll-Versteuerung mitunter über eine doppelte Berichtigung nach § 17 UStG führen. Dies ist nach Auffassung der Verfasser weder aus steuerrechtlicher noch insolvenzrechtlicher Sicht mit dem Gesetz zu vereinbaren. Gleichwohl hat sich die Praxis auf die Rechtsprechung des BFH einzustellen und sowohl im Vorfeld der Liquiditätsplanung als auch im Rahmen der Durchführung eines Eigenverwaltungsverfahrens bei der notwendigen Erfüllung steuerlicher Pflichten zu berücksichtigen.
Weiterer Meilenstein einer ungebrochen fiskusfreundlichen Rechtsprechung des BFH
Der BFH hat in seinem Urteil vom 27. September 2018 eine für die Sanierungspraxis wesentliche Fallgruppe zulasten der Insolvenzmasse entschieden. Damit steht nun fest, dass auch in der Eigenverwaltung nach § 270 Abs. 1 InsO die aus vorinsolvenzlich erbrachten Leistungen vereinnahmte Umsatzsteuer als Masseverbindlichkeit zu qualifizieren ist. Damit ist die Rechtsprechung ein weiteres Mal im Ergebnis wie in der rechtlichen Herleitung der Auffassung der Finanzverwaltung gefolgt. Ausgehend von der so beabsichtigten Leitlinie war es dem BFH nicht möglich, zum Zwecke der insolvenzrechtlichen Differenzierung zwischen Insolvenzforderung und Masseverbindlichkeit an die Ausführung des Umsatzes anzuknüpfen. Andernfalls müsste sich der Fiskus letztlich wie private Gläubiger in vergleichbarer Lage auf die Insolvenzquote verweisen lassen.
Masseverbindlichkeit über Mechanismus einer „Doppelberichtigung nach § 17 UStG″
Stattdessen hat der BFH die für die Regelinsolvenz geschaffene Doppelberichtigungstechnik angewendet. Dabei knüpft er an die bekannte Doktrin einer Aufspaltung des schuldnerischen Unternehmens in verschiedene Unternehmensteile an, namentlich die Insolvenzmasse, den vorinsolvenzrechtlichen Unternehmensteil und den insolvenzfreien Vermögensbereich an.
Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens soll es nun zu einer ersten Berichtigung gem. § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG kommen. Diese hat im vorinsolvenzrechtlichen Unternehmensteil („Insolvenzsteuernummer″) zu erfolgen und „neutralisiert″ mithin den dort bereits zuvor umsatzsteuerrechtlich erfassten Umsatz. Diese erste Berichtigung ist zentraler Bestandteil der schöpferischen Rechtsfortbildung des BFH. Bei den Gerichtsentscheidungen zur Regelinsolvenz hatte der BFH noch daran angeknüpft, dass im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den Insolvenzverwalter überginge (§ 80 Abs. 1 InsO). Daher sei es dem Insolvenzschuldner aus Rechtsgründen nicht länger möglich, die Forderung zu vereinnahmen (grundlegend BFH, Urteil v. 9. Dezember 2010 – V R 22/10). Gerade diesen Aspekt konnte der BFH nunmehr indes nicht bemühen. Stattdessen stellte er darauf ab, dass der Schuldner in der Eigenverwaltung „nicht mehr kraft eigener Privatautonomie tätig″ werde, sondern er die ihm in der Insolvenz verbliebenen „Befugnisse im Insolvenzverfahren als Amtswalter innerhalb der in §§ 270 ff. InsO regelten Rechte und Pflichten″ ausübe.
Nach dieser Null-Stellung kommt es auf der Grundlage der BFH-Rechtsprechung im Zeitpunkt der Entgeltvereinnahmung zu einer zweiten Berichtigung gem. § 17 Abs. 2 Nr. 1 S. 2 UStG. Dies führt in der Insolvenz zu einer faktischen Ist-Besteuerung. Damit hat sich der BFH zunächst den notwendigen steuerrechtlichen Anknüpfungspunkt gebildet, um darauffolgend die insolvenzrechtliche Qualifikation in den Unternehmensteil „Insolvenzmasse″ zu verlagern. Hierbei knüpft er nunmehr an die Vereinnahmung durch den Insolvenzschuldner an, die gem. § 270 Abs. 1 S. 2 i. V. m. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO als Masseverbindlichkeit gewertet wird.
Kein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH
Der BFH hat es nicht für erforderlich gehalten, einzelne Fragen des Streitfalls dem EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchen (Art. 267 AEUV) vorzulegen und das Verfahren zunächst auszusetzen. Dies wäre vor allem angesichts der vom BFH angewandten gegenläufigen Mechanik gem. § 17 UStG wünschenswert gewesen. Denn das unionsrechtliche Pendant in Art. 90 MwStSystRL dürfte mit der Auslegung des BFH nicht zu vereinbaren sein. Damit ist abermals eine Chance verstrichen, der fiskusfreundliche Rechtsprechungstendenz des BFH auf dem Gebiet des Umsatzsteuerinsolvenzrechts Einhalt zu gebieten.
Bislang keine Rechtsprechung zur Fallgruppe des Forderungseinzugs im Eröffnungsverfahren in Eigenverwaltung
Bislang liegt keine Rechtsprechung zum Forderungseinzug in der vorläufigen Eigenverwaltung vor. Das gilt sowohl für das Verfahren nach § 270a InsO als auch für das sog. Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO.
Es steht aber zu befürchten, dass der BFH den Zeitpunkt der Doppelberichtigung bei sich bietender Gelegenheit (auch) in diesen Fällen bereits auf den Zeitpunkt der Anordnung von Sicherungsmaßnahmen respektive der Bestellung des vorläufigen Sachwalters vorverlagern wird. Im Ergebnis dürfte er auch hier zu der Begründung von Masseverbindlichkeiten gelangen. Dies würde seiner bisherigen Rechtsprechung für das Regelinsolvenzverfahren entsprechen, die er mit seinem Urteil vom 24. September 2014 (V R 48/13) manifestiert hat. Abzuwarten bleibt dann beispielsweise, wie er in Fällen des § 270a InsO die Anwendung von § 55 Abs. 4 InsO begründen will, die richtigerweise nach der ganz herrschenden Meinung ausgeschlossen ist. Ebenso schwierig dürfte es bei Schutzschirmverfahren (§ 270b InsO) werden, da § 55 Abs. 2 InsO analog auf Grundlage der Beschlüsse des Insolvenzgerichts – wenn überhaupt (vgl. hierzu den jüngst erschienenen Gerichtsbescheid des FG Nürnberg vom 28. März 2018 – 2 K 1105/15) – nur für im Eröffnungsverfahren ausgeführte Umsätze gilt.
Urteil nicht überzeugend aber ein Schritt hin zur Rechtssicherheit
Das Urteil des BFH vom 27. September 2018 ist letztlich weder rechtlich überzeugend noch überraschend. Es folgt von seiner Grundwertung konsequent der bereits bekannten Linie des V. Senats des BFH. Der – ebenfalls für die Umsatzsteuer zuständige – XI. Senat des BFH hat sich in der Vergangenheit in Fragen des Umsatzsteuerinsolvenzrechts stets dem V. Senat des BFH angeschlossen; er dürfte es auch dieses Mal tun. Vor diesem Hintergrund erscheint die Einlegung von Rechtsbehelfen gegen die entsprechenden Umsatzsteuerbescheide eher wenig opportun.
Von der generellen Kritik abgesehen, führt das Urteil aber zumindest zu Rechtssicherheit in einem normativ ansonsten nicht geregelten Bereich. Die Veröffentlichung des Urteils im Bundessteuerblatt und damit die verbindliche Handlungsanweisung an die Finanzämter dürfte nicht lange auf sich warten lassen.
Die Berater und entscheidungsbefugten Personen auf Seiten der eigenverwaltenden Schuldner (Sanierungsberater, CROs, Generalbevollmächtigte) werden das Urteil fortan vor allem bei der Liquiditätsplanung berücksichtigen müssen, können sie doch nunmehr nicht mehr mit der Umsatzsteuer als Finanzierungselement rechnen. Der Insolvenzschuldner bzw. dessen Organe sind in eigenem Interesse angehalten, die Umsatzsteuerklärungen entsprechend der neuen Rechtsprechung abzugeben und die entsprechenden Steuerschulden zu begleichen. Andernfalls droht insbesondere eine persönliche Haftung nach § 69 AO. Daneben ist der Sachwalter gut damit beraten, die Einhaltung der steuerlichen Pflichten des Insolvenzschuldners zu überwachen. Einerseits gebietet dies die insolvenzrechtliche Aufsichtspflicht, andererseits schützt es auch ihn vor einer steuerlichen Inhaftungnahme, die Finanzämter zum Teil durchzusetzen versuchen.