6. Mai 2019
Steuerrecht

Bundesfinanzhof: Geschäftsführer kann ständiger Vertreter ausländischer Kapitalgesellschaft sein

Mit der Auffassung, dass der Geschäftsführer einer ausländischen Kapitalgesellschaft ständiger Vertreter einer Kapitalgesellschaft sein kann, stellt sich der BFH gegen die vorherrschende Ansicht.

Die inländische Tätigkeit des Geschäftsführers einer ausländischen Kapitalgesellschaft kann zu beachtlichen steuerlichen Folgen in Deutschland führen. Bei einer schwerpunktmäßigen Ausübung der Geschäftsführertätigkeit i.S.d. Tagesgeschäfts im Inland ist von einer inländischen Geschäftsleitung und einer inländischen unbeschränkten Steuerpflicht der ausländischen Kapitalgesellschaft auszugehen. Doch auch die lediglich nachhaltige Besorgung von Geschäften im Inland durch einen Geschäftsführer führt zu einer, wenn auch beschränkten, inländischen Steuerpflicht der ausländischen Kapitalgesellschaft. Letzteres hat der BFH mit Urteil vom 23. Oktober 2018 (Az. I R 54/16) in der nachfolgend dargestellten Entscheidung entgegen der Ansicht verschiedener Finanzgerichte und der vorherrschenden Meinung im Schrifttum jüngst entschieden.

Vereinfachter Sachverhalt

Der vom BFH entschiedene Fall betraf eine luxemburgische Kapitalgesellschaft in der Rechtsform einer S.A. (Lux S.A.), deren Geschäftsführer sich in den Streitjahren 2001 bis 2007 regelmäßig in Deutschland aufhielt, um dort Goldgeschäfte für diese anzubahnen, abzuschließen und abzuwickeln. Das Finanzamt ging für den streitigen Zeitraum von der beschränkten Körperschaftsteuerpflicht der Lux. S.A. in Deutschland aus, weil der Geschäftsführer ständiger Vertreter der Lux S.A. im Sinne des § 13 AO gewesen sei, d.h. eine Person, die nachhaltig die Geschäfte eines Unternehmens besorgt und dabei dessen Sachweisungen unterliegt. Das Finanzgericht Rheinland-Pfalz sah mit Verweis auf die sog. Organtheorie die Sache in seinem Urteil vom 15. Juni 2016 (AZ: 1 K 1685/14) anders und gab der Klage statt. Die Finanzbehörde legte gegen das Urteil Revision ein.

Entscheidungsgründe des BFH

Der BFH hob das Urteil auf und wies die Sache an die Vorinstanz zurück. Zunächst ging er auf die Frage ein, ob ein Geschäftsführer einer ausländischen Kapitalgesellschaft ständiger Vertreter i.S.d. § 13 AO sein kann. Zur Beantwortung der Frage rekurrierte er insbesondere auf den Wortlaut sowie auf den Sinn und Zweck des § 13 AO.

Wortlaut des § 13 AO

Der Wortlaut von § 13 S. 1 AO definiert den ständigen Vertreter als eine Person, die nachhaltig die Geschäfte eines Unternehmens besorgt und dabei dessen Sachweisungen unterliegt. § 13 S. 1 AO setzt demgemäß einen (ständigen) Vertreter und ein (vertretenes) Unternehmen voraus, so dass der Inhaber eines Unternehmens nicht zugleich sein eigener (ständiger) Vertreter sein kann. Erforderlich ist vielmehr die Personenverschiedenheit von Unternehmer/Unternehmen und (ständigem) Vertreter. Zwar soll es hieran nach der Organtheorie fehlen, da das Handeln des Geschäftsführers nicht als Handeln für die Gesellschaft, sondern rechtlich als Handeln der Gesellschaft zu werten ist. Allerdings hindert die Organtheorie nicht die Anwendung der Vertretungsvorschriften (§§ 164 ff. BGB). Darüber hinaus wird in anderen Regelungen der AO das Organhandeln als Vertreterhandeln angesehen (§ 34 Abs. 1 und § 79 Abs. 1 Nr. 3 AO).

Normzweck des § 13 AO

Der Normzweck des § 13 AO spricht ebenfalls dafür, dass ein Organ einer ausländischen Kapitalgesellschaft grundsätzlich als ständiger Vertreter qualifiziert werden kann. Telos des § 13 AO ist die wirtschaftliche Gleichbehandlung ausländischer Unternehmen, die über eine inländische Betriebsstätte verfügen und deshalb der beschränkten Körperschaftsteuerpflicht unterliegen (gegenständlicher Anknüpfungspunkt), mit ausländischen Unternehmen, die zwar keine Betriebsstätte unterhalten, aber in wirtschaftlich vergleichbarer Weise im Inland durch einen Generalagenten oder Vertreter Geschäfte betreibt (personeller Anknüpfungspunkt). Da der gegenständliche und personelle Anknüpfungspunkt sich gleichwertig gegenüberstehen, ist der Begriff des ständigen Vertreters nach dem Normzweck dahingehend auszulegen, dass ein ständig im Inland geschäftlich aktiv tätiges Organ einer Kapitalgesellschaft gleichfalls einen hinreichenden personellen Anknüpfungspunkt begründet und damit grundsätzlich unter den Begriff des ständigen Vertreters fällt.

Zudem umfasst das Tatbestandsmerkmal der Geschäftsbesorgung begrifflich auch geschäftsführende Tätigkeiten eines Organs. Schließlich unterliegt auch das Organ einer Kapitalgesellschaft dessen Sachweisungen. Soweit es hierzu maßgeblich darauf ankommt, ob das Handeln des Vertreters durch den Willen und die Entscheidungen des Unternehmers bestimmt wird, wird dies z.B. aufgrund der Einheitlichkeit der Willensbildung oder durch das Bestehen gesellschaftsrechtlicher Weisungsbefugnisse gegenüber dem Organ sichergestellt.

Somit kann das Organ einer Kapitalgesellschaft bei entsprechender Intensität sowohl nachhaltig für das Unternehmen tätig sein als auch dessen Sachweisungen unterliegen.

Organ kann abkommensrechtliche Vertreterbetriebsstätte begründen

Zur Beantwortung der Frage, ob die Voraussetzung der Nachhaltigkeit im Sinne des § 13 S. 1 AO tatsächlich vorliegt sowie zu der Folgefrage, nämlich ob das deutsche Besteuerungsrecht durch das Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Deutschland und Luxemburg (DBA-Lux) begrenzt wird, verwies der BFH die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurück. Diesbezüglich wies er darauf hin, dass für abkommensrechtliche Zwecke auch das Organ einer Kapitalgesellschaft eine sog. Vertreterbetriebsstätte nach dem DBA-Lux begründen kann, insbesondere, da der im DBA-Lux verwendete Vollmachtsbegriff die Fälle der rechtsgeschäftlichen, gesetzlichen und satzungsmäßigen Vertretungsmacht erfasst. Weiterhin kommt es hinsichtlich des abkommensrechtlichen Merkmals der „gewöhnlichen Vollmachtsausübung″ – wie bei dem Merkmal der Nachhaltigkeit in § 13 AO – maßgeblich auf die Regelmäßigkeit und die Zeitdauer an.

Konsequenzen für die Praxis

Bislang konnten sich Geschäftsführer einer ausländischen Gesellschaft bei einer Inlandstätigkeit mit Berufung auf die sog. Organtheorie insoweit sicher fühlen, als keine steuerlichen Konsequenzen resultieren, wenn sie im Inland – ohne feste Geschäftseinrichtung – nur Geschäftsbesorgungen tätigen, nicht aber die laufenden Geschäftsführertätigkeiten ausüben i.S.v. tatsächlichen, organisatorischen und rechtsgeschäftlichen Handlungen, die der gewöhnliche Betrieb mit sich bringt (sog. Tagesgeschäft). In dieser Sicherheit können sie sich seit dem zuvor beschriebenen BFH-Urteil nicht mehr wiegen.

Zukünftig kommt es maßgebend auf die Intensität der Inlandstätigkeiten an, insbesondere, ob der Geschäftsführer nachhaltige Geschäftsbesorgungen i.S.d. § 13 AO ausführt:

  • Als Geschäftsbesorgung kommt jede Tätigkeit wirtschaftlicher Art für das Unternehmen in Betracht. Ein rechtsgeschäftliches Auftreten ist nicht erforderlich, so dass auch Handlungen tatsächlicher Art ausreichend sind.
  • Nachhaltig ist eine Geschäftsbesorgung, wenn sie mit einer gewissen Plan- und Regelmäßigkeit erfolgt.
  • Dies setzt grundsätzlich ein wiederholtes, mehr als kurzfristiges Tätigwerden auf der Grundlage eines im Voraus gefassten Willensentschlusses voraus.
  • Vereinzelte, gelegentliche oder vorübergehende Entsendungen von Vertretern einer ausländischen Gesellschaft in das Inland reichen hierzu nicht aus.
  • Eine zeitliche Mindestdauer schreibt das Gesetz nicht vor. Nach einer Entscheidung des BFH soll zumindest ein Inlandsaufenthalt von 60 Tagen über einen Zeitraum von mehr als 6 Monaten nicht ausreichend sein. Zeitlich unpräzise sind insoweit auch die Ausführungen des BFH in einer anderen Entscheidung, wonach eine Person, die über einen längeren Zeitraum hinweg jede Woche oder mehrmals im Monat immer wieder das Inland aufsucht, um Aufträge hereinzuholen oder Auslieferungen vorzunehmen, ständiger Vertreter ist.

Liegen die Voraussetzungen des § 13 AO vor, ist die ausländische Gesellschaft im Inland beschränkt körperschaftsteuerpflichtig – unabhängig davon, ob sie im Inland eine Betriebsstätte unterhält – mit der Folge, dass sämtliche inländische Einkünfte der inländischen Besteuerung unterliegen (Territorialprinzip).

Begriff der Vertreterbetriebsstätte im abkommensrechtlichen Sinne

Für die tatsächliche Besteuerung ist im Regelfall zusätzlich zu prüfen, ob Deutschland, nach den Regelungen des bestehenden Doppelbesteuerungsabkommens (DBA) mit dem Sitzstaat der ausländischen Gesellschaft, auch das Besteuerungsrecht zusteht oder ob dies dem Sitzstaat zugeordnet wird. Dies bestimmt sich danach, ob die Geschäftsführertätigkeiten der ausländischen Gesellschaft zugleich die Voraussetzungen des abhängigen Vertreters bzw. einer Vertreterbetriebsstätte im abkommensrechtlichen Sinne erfüllen. Der Begriff der Vertreterbetriebsstätte ist dabei nicht dahingehend zu verstehen, dass der Vertreter eine feste Geschäftseinrichtung unterhalten muss.

Die von Deutschland abgeschlossenen DBA setzen für die Annahme einer Vertreterbetriebsstätte regelmäßig voraus, dass die für die Gesellschaft tätige Person eine Vertragsabschlussvollmacht besitzt und diese Vollmacht gewöhnlich ausübt, ohne dass reine Hilfstätigkeiten vorliegen oder diese Person als sog. unabhängiger Vertreter agiert. Die Vertragsabschlussvollmacht erfasst die Fälle der rechtsgeschäftlichen, gesetzlichen und satzungsmäßigen Vertretungsmacht. Bei dem Merkmal der gewöhnlichen Vollmachtsausübung kommt es nach der Rechtsprechung des BFH – wie bei dem Merkmal der Nachhaltigkeit i.S.d. § 13 AO – maßgebend auf die Regelmäßigkeit und die Zeitdauer an. Vorausgesetzt wird ein planvolles und auf eine gewisse Dauer angelegtes Handeln:

  • Die OECD gibt insoweit keine Vorgaben an eine zeitliche Mindestdauer, sondern macht das Vorliegen dieser Voraussetzung von der Art der Verträge und der Geschäftstätigkeit des Auftraggebers abhängig.
  • In der Literatur wird darauf abgestellt, ob der Vertreter mehr als sechs Monate tätig wird, da der Vertreter dann ein ähnliches Maß an Verwurzelung mit dem Tätigkeitsort aufweist wie dies bei einer festen Geschäftseinrichtung der Fall ist.

Wesentliche Gemeinsamkeit des ständigen Vertreters i.S.d. nationalen Rechts (§ 13 AO) und dem abhängigen Vertreter bzw. der Vertreterbetriebstätte i.S.d. Abkommensrechts ist somit das auf gewisse Plan- und Regelmäßigkeit angelegte Handeln. Allerdings sind die Begriffe nicht deckungsgleich. Wesentliche Unterschiede sind:

  • § 13 AO verlangt keine Abschlussvollmacht;
  • § 13 AO enthält keine Einschränkung der Vertretertätigkeiten auf Hilfstätigkeiten;
  • § 13 AO umfasst auch unabhängige Vertreter.

Verschärfungen des Betriebsstättenbegriffs

Besonderes Augenmerk ist in diesem Zusammenhang auf neuere DBA, die nach den Verschärfungen des Betriebsstättenbegriffs gemäß Aktionspunkt 7 des OECD Base-Erosion-and-Profit-Shifting-Projekts abgeschlossen wurden, zu richten. Zwar sieht die deutsche DBA-Verhandlungsgrundlage keine Erweiterung der Vertreterbetriebsstätte vor. Dies schließt jedoch nicht aus, dass einzelne neuere DBA die Verschärfung umsetzen. Demgemäß wird bspw. nach dem neu verhandelten DBA mit Australien bereits dann eine Vertreterbetriebsstätte begründet, wenn eine Person gewöhnlich den wesentlichen Beitrag zum Abschluss von Verträgen, die routinemäßig ohne wesentliche Änderung durch das Unternehmen abgeschlossen werden, leistet.

Eine Person kann folglich ständiger Vertreter i.S.v. § 13 AO sein, jedoch abkommensrechtlich keine Vertreterbetriebsstätte begründen. Dementsprechend sind stets beide Begrifflichkeiten zu prüfen. Denn nur wenn beides vorliegt, ist von einer Steuerpflicht im Inland auszugehen und hat der Betriebsstättenstaat das Besteuerungsrecht.

Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte

Erfüllt der Geschäftsführer einer ausländischen Gesellschaft sowohl nach nationalem Recht als auch nach Abkommensrecht die Voraussetzungen des ständigen Vertreters / einer Vertreterbetriebsstätte ist zentrale Folgefrage die der Gewinnzurechnung zwischen Stammhaus und Vertreterbetriebsstätte.

Grundsätzlich ist nicht der gesamte Gewinn aus der Realisierung der vom (abhängigen) Vertreter abgeschlossenen Geschäfte der Vertreterbetriebsstätte zuzurechnen. Vielmehr sind dieser, nach Maßgabe der allgemeinen Betriebsstätten-Ergebnisabgrenzungsregelungen (vgl. Art. 7 OECD-MA und § 1 Abs. 5 S. 5 AStG) nur die Gewinne aus der Vertretertätigkeit zuzuordnen. Hierzu bedarf es nach dem sog. Authorized OECD-Approach (AOA) einer entsprechenden Funktions- und Risikoanalyse sowie der Gewinnabgrenzung nach dem Fremdvergleichsgrundsatz. Der Vertreterbetriebsstätte ist demzufolge jener Gewinn zuzuordnen, den sie für die von ihr übernommenen Personalfunktionen, Vermögenswerte, Chancen und Risiken und den damit verbundenen Kapitaleinsatz erwirtschaften würde, wäre sie ein unabhängiges und selbständiges Unternehmen. Damit ist der Vertreterbetriebsstätte im Ergebnis ein zusätzlicher, durch die fremdübliche Vergütung des Stammhauses an die Vertreterbetriebsstätte nicht abgegoltener Residualgewinn (=Betriebsergebnismarge/Umsatzrendite) zuzurechnen. Es resultiert somit gerade keine Nullsumme. Berücksichtigt, dass die bloße Vertretertätigkeit regelmäßig keine umfangreiche Personal- und Sachausstattung erfordert, wird der Betriebsstättengewinn jedoch lediglich in Höhe einer fremdüblichen Marge bestehen. Im Vergleich dazu fällt dann der administrative Mehraufwand für die steuerlichen Registrierungs-, Aufzeichnungs- und Erklärungspflichten der Vertreterbetriebsstätte stark ins Gewicht.

Sorgfältige Dokumentation der Inlandstätigkeiten

Nach alle dem sollten grenzüberschreitend tätige Unternehmen mit Blick auf die Entscheidung des BFH sorgfältig prüfen, ob und ggf. mit welcher Intensität ihre Organe entsprechende Inlandstätigkeiten ausüben, um das Risiko einer Besteuerung (u.U. einer drohenden Doppelbesteuerung bzw. mehrjährigen Verständigungs- und Schiedsverfahren) sowie von administrativem Mehraufwand gering zu halten bzw. vollständig zu vermeiden. Um langatmige Diskussionen mit den Finanzbehörden zu vermeiden, empfiehlt sich zudem eine genaue Dokumentation über die Intensität der Inlandstätigkeit des Organs.

Tags: ausländische Kapitalgesellschaft ständiger Vertreter Steuerpflicht