4. Oktober 2016
rückwirkende Rechnungsberichtigung,
Steuerrecht

EuGH lässt rückwirkende Rechnungsberichtigung zu

Nationale Regelungen dürfen einer rückwirkenden Rechnungskorrektur hinsichtlich zwingender Angaben in der Rechnung nicht entgegenstehen.

Der EuGH (Urteil vom 15.09.2016 – C-518/14) entschied, dass das Recht auf Vorsteuerabzug für das Jahr der ursprünglichen Rechnungsausstellung in Anspruch genommen werden könne. Entgegenstehende nationale Regelungen verstoßen gegen die Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem.

Finanzamt: Anforderungen für den Vorsteuerabzug nicht erfüllt

2013 führte das Finanzamt Hannover-Nord eine Außenprüfung bei der Senatex GmbH für die Jahre 2008 – 2011 durch. Im Ergebnis hielt das Finanzamt den Vorsteuerabzug für nicht möglich, weil die von Senatex an ihre Handelsvertreter erteilten Gutschriften wegen der fehlenden Angabe der Steuernummer und der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer ihres Empfängers keine ordnungsgemäßen Rechnungen im Sinne des Umsatzsteuergesetzes seien.

Daraufhin berichtigte Senatex noch während der Außenprüfung die Provisionsabrechnungen an ihre Handelsvertreter für die Streitjahre, indem sie die Steuernummer bzw. Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des betreffenden Handelsvertreters ergänzte.

Das Finanzamt war der Ansicht, dass die Anforderungen für den Vorsteuerabzug nicht in den Jahren 2008 – 2011 erfüllt waren, sondern erst ab dem Zeitpunkt der Berichtigung der Rechnungen, also in den Jahren 2013 und 2014. Daher seien die von Senatex als Vorsteuer abzugsfähigen Beträge in 2008 – 2011 herabzusetzen. Die Berichtigung der Rechnungen entfalte keine Rückwirkung.

Niedersächsisches Finanzgericht legt dem EuGH vor

Das Finanzgericht hielt mehrere Punkte für ungeklärt und rief den EuGH u.a. mit folgenden Fragen an:

  1. Lässt der EuGH im Hinblick auf seine bisherige Rechtsprechung die rückwirkende Berichtigung einer Rechnung für die Jahre, in denen die Rechnung ursprünglich ausgestellt wurde, zu?
  2. Welche Voraussetzungen sind an eine der Rückwirkung zugängliche berichtigungsfähige Rechnung zu stellen? Muss in der ursprünglichen Rechnung bereits eine Steuernummer oder Umsatzsteuer-Identifikationsnummer enthalten sein oder kann diese später hinzugefügt werden, sodass der Vorsteuerabzug aus der ursprünglichen Rechnung erhalten bleibt?

Zur ersten und zweiten Frage

Es gilt nach ständiger Rechtsprechung des EuGH, dass das Recht auf Vorsteuerabzug integraler Bestandteil des Mechanismus der Mehrwertsteuer ist. Eine Einschränkung ist grundsätzlich nicht möglich. Dieses Recht kann für die gesamte Steuerbelastung der vorausgehenden Umsatzstufen sofort in Anspruch genommen werden.

Der Vorsteuerabzug soll den Unternehmer vollständig von der im Rahmen aller seiner wirtschaftlichen Tätigkeiten geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlasten. Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem garantiert damit die Neutralität hinsichtlich der steuerlichen Belastung aller ökonomischen Tätigkeiten unabhängig von ihrem Zweck oder ihrem Ergebnis, solange diese Tätigkeiten selbst der Mehrwertsteuer unterliegen.

Das deutsche Steuerrecht, das Nachzahlungszinsen für die Dauer zwischen Rechnungsstellung und Rechnungsberichtigung für den Rechnungsbetrag erhebt, belegt diese ökonomischen Tätigkeiten mit einer steuerlichen Belastung als unmittelbarer Folge der Mehrwertsteuer und verletzt deshalb den Neutralitätsgedanken.

Recht auf Vorsteuerabzug als Grundprinzip

Der EuGH entschied bereits, dass das Recht der Steuerpflichtigen, von der von ihnen geschuldeten Mehrwertsteuer den Anteil der Mehrwertsteuer abzuziehen, die für die von ihnen auf einer vorausgehenden Umsatzstufe erworbenen Gegenstände und empfangenen Dienstleistungen als Vorsteuer geschuldet wird und entrichtet wurde, ein Grundprinzip des durch das EU-Recht errichtete Mehrwertsteuersystems ist. Daher wird bei Erfüllung der materiellen Bedingungen der Vorsteuerabzug eingeräumt, selbst wenn der Steuerpflichtige bestimmten formellen Anforderungen nicht genügt hat.

Vermeintlich inkonsequente Rechtsprechung

Zwar gibt es  ein Urteil des EuGH, in dem das Recht auf Vorsteuerabzug für den Erklärungszeitraum auszuüben ist, in dem die Lieferung der Gegenstände oder die Dienstleistung erfüllt wurde und in dem der Steuerpflichtige über eine Rechnung verfügte (EuGH-Urteil, Aktenzeichen C-152/02). Jedoch lag dieser Entscheidung ein Sachverhalt zugrunde, bei dem das betroffene Unternehmen zum Zeitpunkt der Inanspruchnahme des Vorsteuerabzugsrechts keine Rechnung – also auch keine unvollständige – vorweisen konnte. Daher blieb die Frage über die zeitlichen Wirkungen der Berichtigung einer Rechnung bislang offen.

EuGH folgt nicht den Auffassungen der deutschen Regierung

Selbst die deutsche Regierung gestand in der mündlichen Verhandlung zu, dass es Umstände gibt, die trotz späterer Berichtigung einer Rechnung der Ausübung des Vorsteuerabzugsrecht im Jahr der Rechnungsausstellung nicht entgegenstehe. Nach Ansicht des EuGH vermochte die deutsche Regierung keine überzeugenden Gründe für eine unterschiedliche Behandlung von solchen Umständen und denen des vorliegenden Falles zu nennen.

Ferner war nach Auffassung der deutschen Regierung die Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts erst im Jahr der Rechnungsberichtigung als Sanktion anzusehen. Diese Ansicht teilt der EuGH nicht, denn schließlich kämen andere Strafen, wie z. B. die Verhängung einer Geldbuße oder einer angemessenen finanziellen Sanktion, in Betracht.

EuGH: Vorsteuerabzug für das Jahr der ursprünglichen Rechnungsausstellung

Die Richtlinie 2006/112 ist so auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der im deutschen Steuerrecht entgegensteht. Die Berichtigung einer Rechnung in Bezug auf eine zwingende Angabe wie der Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer entfaltet Rückwirkung. Im Ergebnis kann das Recht auf Vorsteuerabzug für das Jahr der ursprünglichen Rechnungsausstellung in Anspruch genommen werden. Das Recht auf Vorsteuerabzug muss für das Jahr ausgeübt werden dürfen, in dem die fehlerhafte Rechnung ursprünglich ausgestellt wurde.

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