28. Juni 2022
Unternehmen in Schwierigkeiten Stromsteuergesetz
Steuerrecht

Wann ist ein Unternehmen ein „Unternehmen in Schwierigkeiten“?

Unternehmen in Schwierigkeiten kann aufgrund Beihilferechts keine Stromsteuerentlastung gewährt werden. Sie sind stand-alone zu betrachten.

Der Bundesfinanzhof (BFH) befasste sich in einem am 9. Juni 2022 veröffentlichten Urteil (VII R 28/19) im Kern mit der Frage, ob ein Unternehmen in Schwierigkeiten (UiS) i.S.d. Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung (AGVO) auch dann vorliegt, wenn dieses zwar Verluste erzielt hat, aber wegen der Einbindung des Unternehmens in einen Konzern eine positive Fortführungsprognose besteht.

Hauptzollamt verweigerte einer überschuldeten Gesellschaft mit positiver Fortführungsprognose Stromsteuerentlastungen

Die Klägerin, eine GmbH, war bereits Ende 2014 überschuldet und verfügte über keine stillen Reserven. Jedenfalls zu den Bilanzstichtagen am 31. Dezember 2015 und 31. Dezember 2016 war mehr als die Hälfte des gezeichneten Stammkapitals der Klägerin infolge aufgelaufener Verluste verlorengegangen. Es bestand jedoch eine positive Fortführungsprognose.

Für das erste Halbjahr 2016 gewährte das Hauptzollamt der Klägerin eine Stromsteuerermäßigung. Ende 2017 beantragte sie weitere Stromsteuerentlastungen für das vergangene Jahr. Das Hauptzollamt lehnte diese aber im April 2018 mit der Begründung ab, dass die Klägerin ein sog. UiS sei und ihr daher nach Maßgabe des unionsrechtlichen Beihilferechts die Entlastungen nicht gewährt werden dürften.

Steuerentlastungen nach dem Stromsteuergesetz stellen EU-Beihilfen dar

Der BFH stufte die Steuerentlastungen nach §§ 9b und 10 StromStG im Ergebnis als unionsrechtliche Beihilfen (Art. 107 AEUV) ein. 

Nach Art. 108 Abs. 3 AEUV dürfen Beihilfen nur dann gewährt werden, wenn diese zuvor bei der Europäischen Kommission angemeldet und von dieser genehmigt wurden (sog. Durchführungsverbot). Unter bestimmten Voraussetzungen können Beihilfen jedoch von dieser Anmeldepflicht freigestellt werden, etwa nach der AGVO. Die AGVO gilt indes nicht für UiS. Der BFH hatte sich daher im konkreten Fall mit der Frage zu beschäftigen, wann ein Unternehmen ein UiS ist.

Wann liegt ein UiS vor?

Ein Unternehmen ist nach Art. 2 Nr. 18 AGVO ein UiS, wenn mind. eine der folgenden Voraussetzungen zutrifft. Für KMU gelten teilweise Ausnahmen.

  • Im Falle von Gesellschaften mit beschränkter Haftung: Mehr als die Hälfte des gezeichneten Stammkapitals ist infolge aufgelaufener Verluste verlorengegangen. 
  • Im Falle von Gesellschaften, bei denen zumindest einige Gesellschafter* unbeschränkt für die Schulden der Gesellschaft haften: Mehr als die Hälfte der in den Geschäftsbüchern ausgewiesenen Eigenmittel ist infolge aufgelaufener Verluste verlorengegangen. 
  • Das Unternehmen ist Gegenstand eines Insolvenzverfahrens oder erfüllt die Voraussetzungen für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens auf Antrag der Gläubiger.
  • Das Unternehmen hat eine Rettungsbeihilfe erhalten und der Kredit wurde noch nicht zurückgezahlt oder die Garantie ist noch nicht erloschen bzw. das Unternehmen hat eine Umstrukturierungsbeihilfe erhalten und unterliegt immer noch einem Umstrukturierungsplan. 
  • Bei einem Unternehmen, ausgenommen KMU, lag in den vergangenen beiden Jahren der buchwertbasierte Verschuldungsgrad über 7,5 und das anhand des EBITDA berechnete Zinsdeckungsverhältnis unter 1,0.

Ausnahmen im Zoll-Merkblatt: Kein UiS, wenn Dritterklärung zur vollständigen Übernahme von Verlusten vorliegt

Die Klägerin berief sich in dem Verfahren u.a. auf eine angeblich bestehende vertragliche Verpflichtung der Konzernmutter, ausreichend Finanzmittel in der Gesellschaft zu belassen, was einer Einstufung als UiS entgegenstehe. 

In diesem Zusammenhang erwähnte der BFH in seiner Entscheidung das Merkblatt 1139a_2020 der Bundeszollverwaltung. Nach Ziff. 3.3 dieses Merkblatts soll der Grund für den Ausschluss eines Unternehmens als „Unternehmen in Schwierigkeiten“ nicht „relevant“ sein, wenn z.B. eine unbedingte, unbeschränkte und rechtlich bindende Verpflichtung eines weiteren Unternehmens oder eines anderen Rechtsträgers zur vollständigen Übernahme von Verlusten zugunsten dieses Unternehmens vorliegt. 

Als Nachweis der Voraussetzungen soll u.a. eine Patronatserklärung dienen. Der BFH setzte sich in seiner Entscheidung jedoch gar nicht mit der Vereinbarkeit der im Zoll-Merkblatt behaupteten Ausnahme mit den unionsrechtlichen Regelungen auseinander. Denn das Gericht kam zu dem Ergebnis, dass im Streitfall keine Verlustübernahme vereinbart worden war.

Eindeutiger Wortlaut der AGVO

Nach Auffassung des BFH ist der Wortlaut des Art. 2 Nr. 18 AGVO eindeutig. Der Unionsgesetzgeber habe im Interesse der Rechtssicherheit konkret in Bezug auf Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit dem Verlust des gezeichneten Stammkapitals in einer bestimmten Höhe zur Definition von UiS ein Kriterium gewählt, das einer Auslegung nicht bedürfe.

Dieses Kriterium solle ohne eine detaillierte Untersuchung der besonderen Lage eines Unternehmens überprüfbar sein. 

Betrachtet wird die einzelne Gesellschaft

Der BFH stellt weiter fest, dass die AGVO bei der Definition eines UiS konkret auf die einzelne Gesellschaft abstellt, welche die Beihilfe beansprucht. Die Berücksichtigung einer wirtschaftlichen Einheit (Konzernverbund) laufe dem Ziel einer Vereinfachung zuwider, weil die zuständigen Behörden dann erforderlichenfalls einen gesamten Konzern prüfen müssten.

Positive Fortführungsprognose ebenfalls unbeachtlich

Gerade aufgrund des klar formulierten Kriteriums für die Einstufung als UiS sei eine positive Fortführungsprognose zudem unbeachtlich. Die AGVO würde eine solche Einschränkung nicht vorsehen. Eine entsprechende Ausnahme stehe im ausdrücklichen Widerspruch zu den Erwägungsgründen der AGVO, wonach keine detaillierte Untersuchung notwendig sein soll. Nach dem Sinn und Zweck der Regelung sei für die Berücksichtigung von Prognosen kein Raum.

Entscheidung wegen neuer Gesetzeslage nur bedingt relevant

Das Urteil erging zu einer älteren Fassung der §§ 9b und 10 StromStG, die noch keinen UiS-Ausschluss enthielten. Zu dieser Zeit bestand jedoch bereits der UiS-Ausschluss in der AGVO. Somit ist der Fall ein praktisches Beispiel für den Anwendungsvorrang des unmittelbar anwendbaren Unionsrechts vor dem nationalen Recht. 

In steuerrechtlicher Hinsicht steht das Urteil im Einklang mit der seit dem 1. Januar 2018 bestehenden Gesetzeslage. Die Neuregelung des § 2a Abs. 2 S. 1 StromStG legt nunmehr ausdrücklich fest, dass die Inanspruchnahme einer Stromsteuerentlastung für UiS nicht zulässig ist. Hinsichtlich der Definition eines UiS verweist das StromStG auf die AGVO. 

Im Ergebnis hilft das Urteil, den Begriff des UiS weiter zu definieren und ermöglicht betroffenen Unternehmen eine bessere Selbsteinschätzung. 

Von praktischer Relevanz ist in diesem Zusammenhang vor allem die im Zoll-Merkblatt genannte Ausnahme, dass der Ausschlussgrund in Bezug auf UiS nicht greift, wenn z.B. eine unbedingte, unbeschränkte und rechtlich bindende Verpflichtung eines weiteren Unternehmens oder eines anderen Rechtsträgers zur vollständigen Übernahme von Verlusten zugunsten dieses Unternehmens vorliegt (s.o.). Ob und wie eine solche Patronatserklärung – vorausgesetzt, sie ist werthaltig – tatsächlich bei der Frage der Einstufung als UiS eine Rolle spielt, war lange nicht eindeutig geklärt. Bekannt ist, dass es im Jahr 2020 eine Verständigung mit der Europäischen Kommission über die Behandlung von Nachrangdarlehen beim UiS-Kriterium gab. 

Vor diesem Hintergrund erscheint es möglich, dass eine solche Verständigung auch mit Blick auf Patronatserklärungen vorliegt. Der BFH jedenfalls konnte dieses Mal (leider) vermeiden, zu dieser Frage Farbe zu bekennen. 

*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.

Tags: Kartellrecht Steuerentlastung Steuerrecht Stromsteuergesetz UiS Unternehmen in Schwierigkeiten