23. Mai 2025
Unternehmen Verteidigung Strafrecht
Strafrecht

Unternehmensverteidigung im Wirtschaftsstrafrecht: Strategien und Perspektiven

Wie Unternehmen sich bei wirtschaftsstrafrechtlichen Vorwürfen effektiv verteidigen: Compliance, interne Untersuchungen, Verteidigung und Kooperation im Überblick.

Die „strafrechtliche“ Verfolgung von Unternehmen ist längst keine Ausnahme mehr. Ob durch Vorwürfe gegen Leitungspersonen, Whistleblower-Hinweise oder regulatorische Verschärfungen – Unternehmen geraten häufig in den Fokus von Ermittlungsbehörden. In solchen Fällen ist die Unternehmensverteidigung nicht nur eine sachliche Notwendigkeit, sondern eine strategische Führungsaufgabe.

Große strafrechtliche Risiken für Unternehmen

Dieser Beitrag beleuchtet die rechtlichen Grundlagen, strategischen Optionen und praktischen Herausforderungen der Unternehmensverteidigung – mit besonderem Fokus auf die Entscheidung zwischen Verteidigung und Kooperation im Rahmen einer strukturierten Verteidigungsstrategie.

Wie Unternehmen in den Fokus strafrechtlicher Verfahren geraten

Obwohl Unternehmen in Deutschland nicht selbst Täter im strafrechtlichen Sinne sein können, können sie Objekt eines Strafverfahrens werden. Zwei zentrale Einfallstore sind dabei zu unterscheiden:

1. Verbandsgeldbuße (§ 30 OWiG)

Ein Unternehmen kann mit einer Geldbuße belegt werden, wenn eine Leitungsperson – etwa ein Geschäftsführer oder Vorstandsmitglied – eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begeht und dadurch entweder Pflichten des Unternehmens verletzt oder das Unternehmen bereichert wird. Besonders praxisrelevant ist in diesem Zusammenhang § 130 OWiG: Danach kann bereits eine Aufsichtspflichtverletzung der Leitungsebene zur Haftung des Unternehmens führen – auch wenn die eigentliche Tat von einem Mitarbeitenden unterhalb der Leitungsebene begangen wurde.

2. Einziehung von Vermögenswerten (§§ 73 ff. StGB)

Unabhängig von einer Geldbuße kann das Unternehmen auch dann betroffen sein, wenn es durch eine Straftat wirtschaftlich profitiert hat – etwa durch unrechtmäßig erlangte Umsätze. In solchen Fällen kann das Unternehmen als sogenannte Einziehungsbeteiligte in das Verfahren einbezogen werden, obgleich es nicht selbst Täter oder Teilnehmer der Straftat war.

Prozessuale Stellung des Unternehmens

In beiden Konstellationen – ob als Bußgeldadressat oder Einziehungsbeteiligte – wird das Unternehmen formell in das Strafverfahren einbezogen. Es erhält eine beschuldigtenähnliche Stellung mit weitreichenden Rechten:

  • Recht auf anwaltliche Vertretung,
  • Akteneinsicht,
  • Stellen von Beweisanträgen,
  • Teilnahme an der Hauptverhandlung,
  • Einlegen von Rechtsmitteln.

Diese Stellung erfordert eine eigenständige Verteidigungsperspektive – unabhängig von der Verteidigung etwaiger beschuldigter Leitungspersonen.

Unternehmensinteresse als Maßstab der Verteidigung

Die Verteidigung eines Unternehmens orientiert sich nicht allein an der juristischen Bewertung des Vorwurfs, sondern am übergeordneten Unternehmensinteresse. Dieses umfasst neben der Vermeidung finanzieller Sanktionen und Folgen auch Aspekte wie:

  • die Wahrung der gesellschaftsrechtlichen Legalitätspflichten,
  • die Einhaltung regulatorischer Anforderungen,
  • die Vermeidung zivilrechtlicher Haftungsrisiken,
  • und den Schutz der Unternehmensreputation.

Die Verteidigung muss diese Interessenlage analysieren, priorisieren und in eine konsistente Strategie überführen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich das Unternehmensinteresse im Verlauf des Verfahrens verändern kann – etwa durch neue Erkenntnisse aus internen Untersuchungen oder durch Entwicklungen im Verhältnis zu beschuldigten Leitungspersonen.

Verteidigung oder Kooperation – strategische Grundoptionen

Wenn ein Unternehmen mit strafrechtlichen Vorwürfen konfrontiert wird, stellt sich frühzeitig die Frage nach der grundsätzlichen strategischen Ausrichtung: Verteidigung oder Kooperation?

Verteidigung bedeutet, dass das Unternehmen die Vorwürfe bestreitet oder rechtlich angreift und seine beschuldigtenähnlichen Rechte wahrnimmt. Kooperation hingegen zielt darauf ab, durch aktive Mitwirkung an der Aufklärung des Sachverhalts eine mildere Sanktion oder eine Verfahrensvereinfachung zu erreichen.

Beide Ansätze schließen sich nicht zwingend aus – in vielen Fällen ist eine Kombination beider Strategien sinnvoll. Um die Möglichkeiten und Grenzen der Kooperation besser einordnen zu können, ist es hilfreich, zunächst zu klären, was Kooperation im strafrechtlichen Kontext konkret bedeutet.

Was bedeutet Kooperation im Strafverfahren?

Kooperation im strafrechtlichen Kontext bedeutet, dass das Unternehmen gegenüber den Strafverfolgungsbehörden aktiv und offen zur Aufklärung des Sachverhalts beiträgt. Dies setzt in der Regel voraus, dass nicht nur intern Sachverhaltsaufklärung betrieben wird, sondern die Ergebnisse dieser internen Aufklärungsmaßnahmen auch gegenüber den Behörden offengelegt werden.

Typische kooperative Maßnahmen können sein:

  • die Durchführung interner Untersuchungen mit anschließender Offenlegung der wesentlichen Ergebnisse,
  • die freiwillige Herausgabe relevanter Unterlagen,
  • die Benennung von potenziellen Zeugen,
  • oder die proaktive Mitteilung eigener Erkenntnisse zum Sachverhalt.

Eine interne Untersuchung allein – ohne Weitergabe der Erkenntnisse – kann zwar ein wichtiger Bestandteil der Verteidigung sein, erfüllt aber nicht die Voraussetzungen einer strafprozessualen Kooperation im engeren Sinne.

Ziel der Kooperation

Kooperation zielt in erster Linie darauf ab, das Verfahren zu versachlichen, Vertrauen bei den Ermittlungsbehörden aufzubauen sowie – wo möglich – eine sachgerechte und verhältnismäßige Lösung zu fördern. Sie kann dazu beitragen, eine mildere Sanktion zu erreichen, etwa durch Berücksichtigung des kooperativen Verhaltens bei der Bußgeldbemessung oder bei der Entscheidung über eine Verfahrenseinstellung.

Selbst wenn eine öffentliche Hauptverhandlung nicht in jedem Fall vermieden werden kann, kann eine kooperative Haltung dennoch sinnvoll sein – etwa um den Verfahrensverlauf zu beeinflussen, die Dauer zu verkürzen oder die Darstellung des Unternehmens im Verfahren zu steuern. Darüber hinaus kann Kooperation reputationsstrategisch motiviert sein – etwa um gegenüber Kunden, Investoren oder der Öffentlichkeit Handlungsfähigkeit und Transparenz zu demonstrieren.

Entscheidungskriterien für Verteidigung oder Kooperation

Die Entscheidung über die Verteidigungsstrategie sollte auf Basis einer strukturierten Bewertung der Sachlage erfolgen, wobei u.a. folgende Faktoren häufig relevant sind:

  • Art und Ausmaß der Vorwürfe: Einzelverfehlung oder systemisches Problem?
  • Beweislage: Besteht Aussicht auf Entkräftung des Vorwurfs?
  • Reputationsrisiken: Wie wirkt sich die Strategie öffentlich aus?
  • Ressourcen: In welchem Ausmaß ist eine interne Untersuchung organisatorisch und finanziell leistbar?
  • Auslandsbezug: Bestehen Risiken durch Verlust von Privilegien (z. B. legal privilege in den USA)?
  • Verfahrensdauer und -komplexität: Ist eine zügige Erledigung realistisch?

Diese Kriterien sind nicht abschließend, sondern müssen im Einzelfall gewichtet und in eine Gesamtstrategie überführt werden.

Verteidigung als aktive Option

Verteidigung bedeutet, dass das Unternehmen die Vorwürfe bestreitet oder rechtlich angreift und seine beschuldigtenähnlichen Rechte ausschöpft. Dies kann insbesondere dann sinnvoll sein, wenn die Vorwürfe unbegründet erscheinen oder die Beweislage unklar ist.

Gleichzeitig sollte die reine Verteidigung kein Dogma sein. Oftmals kann auch eine Kombination aus Verteidigung und Kooperation die beste Strategie darstellen. Dazu kann beispielsweise die selektive Offenlegung von Untersuchungsergebnissen oder die Abstimmung der Kommunikation mit den Behörden gehören. Unternehmen sollten daher frühzeitig eine flexible und situationsabhängige Verteidigungsstrategie entwickeln.

Verteidigungsansätze im Wirtschaftsstrafrecht – ein Überblick

Die Unternehmensverteidigung kennt eine Vielzahl bewährter Argumentationsmuster und strategischer Ansätze. Diese können – je nach Fallkonstellation – einzeln oder kombiniert zur Anwendung kommen. Klassische Verteidigungsansätze sind etwa:

  • Nachweis funktionierender Compliance-Strukturen zur Abwehr des Vorwurfs einer Aufsichtspflichtverletzung nach § 130 OWiG,
  • Herabstufung von Vorsatz zu Fahrlässigkeit, um die Schwelle zur Strafbarkeit zu unterlaufen,
  • Verlagerung der Verteidigung auf öffentlich-rechtliche Anknüpfungsnormen, etwa bei spezialgesetzlichen Straftatbeständen,
  • Betonung individuellen statt systemischen Versagens, um eine Unternehmenshaftung zu vermeiden,
  • Strategische Begrenzung der Aufklärung, um Eskalation oder Ausweitung des Verfahrens zu vermeiden,
  • Herausarbeitung von Lücken in der Ermittlungsakte oder nicht nachgewiesenen Tatbestandselementen,
  • Hinterfragen vermeintlicher Zuständigkeiten („organisierte Unzuständigkeit“),
  • Angriff auf die Schadensberechnung oder deren Grundlagen,
  • Hervorhebung positiven Nachtatverhaltens, z. B. durch Compliance-Verbesserungen oder Schadenswiedergutmachung.

Diese Verteidigungsansätze sind nicht schematisch anzuwenden, sondern müssen auf den konkreten Sachverhalt abgestimmt und taktisch klug kombiniert werden.

Fazit: Unternehmensverteidigung ist strategische Führungsaufgabe

Die Verteidigung gegen strafrechtliche Ermittlungen bedeutet nicht nur zu reagieren, sondern ist ein aktiver, strategischer Prozess. Unternehmen, die frühzeitig handeln, eigene Strukturen aufbauen und professionell kommunizieren, können nicht nur Sanktionen vermeiden oder zumindest abmildern, sondern auch ihre Integrität und Handlungsfähigkeit bewahren.

Die Entscheidung zwischen Verteidigung und Kooperation ist dabei keine dogmatische, sondern eine situationsabhängige Entscheidung, die stets im Lichte des Unternehmensinteresses getroffen werden muss.

Wir informieren Sie in unserer Blog-Serie zum Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD fortlaufend mit aktuellen Beiträgen zu diesem Thema. Sie können diese Blog-Serie über den RSS-Feed abonnieren und werden von uns über neue Beiträge informiert. 

Tags: behördliches Ermittlungsverfahren Compliance Criminal Compliance Interne Untersuchungen Sanktionen Sanktionsrecht Strafrecht Strafverteidigung Unternehmensverteidigung Wirtschaftsstrafrecht