6. August 2012
Datenschutzrecht

Frau Schröder und die Kita-Geheimnisse – ein Damaskuserlebnis für die Informationsfreiheit?

Die Familienministerin ist verärgert. Über verschiedene Bundesländer, die – so entnehmen wir der Wochenendpresse – wichtige Informationen zu dem von ihrem Ministerium mitfinanzierten Kita-Ausbau unter Verschluss hielten, „als ob es ein Staatsgeheimnis wäre„. Kristina Schröder fühlt sich darob gar ein wenig an ihre „Zeit im Geheimdienst-Untersuchungsausschuss″ erinnert. Das ist starker Tobak aus dem Kreise einer Regierung, die mit der Informationsfreiheit in eigener Sache auch sechs Jahre nach Inkrafttreten des entsprechenden Gesetzes bisweilen gewaltig fremdelt.

Und darüber sind jetzt wir verärgert.

Am 1. Januar 2006 trat  das  „Gesetz zur Regelung des Zugangs zu Informationen des Bundes″ (Informationsfreiheitsgesetz oder kurz „IFG″)  in Kraft. Es gewährt jeder Person einen Zugangsanspruch zu amtlichen Informationen der Bundesbehörden. Dieser Anspruch ist „voraussetzungslos″ (die Darlegung eines Interesses rechtlicher, wirtschaftlicher oder sonstiger Art ist nicht erforderlich), aber keineswegs grenzenlos. Denn in §§ 3 –  6 IFG hat der Gesetzgeber zahlreiche Ausnahmen vom Zugangsanspruch vorgesehen. Diese beziehen sich teilweise auf die Interessen von außerhalb der Verwaltung stehenden Dritten – so beim Zugang zu personenbezogenen Daten (§ 5 IFG), zu geistigem Eigentum oder zu Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen (§ 6 IFG). Weitere Ausnahmen gelten für besondere öffentliche Belange (§ 3 IFG) und den behördlichen Entscheidungsprozess (§ 4 IFG).

Bereits der Weg zu jenem Gesetz war ein etwas langwieriger, ohnehin galt der Bund in puncto Informationsfreiheit als Spätzünder: In Brandenburg gab es ein Informationsfreiheitsgesetz bereits seit 1998, im Jahre 1999 folgte Berlin, 2000 Schleswig-Holstein und 2002 Nordrhein-Westfalen; heute verzichten lediglich Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Niedersachsen und Sachsen noch auf entsprechende landesrechtliche Regelungen (während Hamburg – wie wir gerade hier berichteten – schon die nächste Stufe der Transparenz verabschiedet hat). Auf Bundesebene hatte es bereits 1997 einen ersten Gesetzentwurf gegeben, bis zur Verabschiedung des Gesetzes dauerte es dann satte acht Jahre; als Grund werden auch gewisse Widerstände aus der Ministerialbürokratie kolportiert. Das letztlich verabschiedete Gesetz basierte übrigens nicht auf einem Regierungs-, sondern auf einem Fraktionsentwurf.

Selbst im Gesetzgebungsverfahren auf der spätentwickelnden Bundesebene wurde überdies auf die informationsfreiheitsrechtliche „Schlusslichtstellung″ Deutschlands im internationalen Vergleich hingewiesen. Dies zog aus rechtsvergleichender Sicht nicht ganz zu Unrecht Kritik auf sich, gleichwohl hadert man in Deutschland in ganz besonderer Weise mit der Zugänglichkeit von Behördeninformationen: Während Schweden schon in einem Gesetz aus dem Jahre 1766 Zugangsrechte zu öffentlichen Dokumenten garantierte und seither den „Öffentlichkeitsgrundsatz″ pflegt und die Vereinten Nationen  „freedom of information″ bereits in einer Resolution aus dem Jahre 1946 als fundamentales Menschenrecht bezeichneten, sind die hiesigen Behördenschränke üblicherweise verschlossen.

Der Staatsrechtler Bernhard W. Wegener hat sich in seiner fast politthrillerhaft betitelten Habilitationsschrift  „Der geheime Staat″ nicht nur ausführlich mit der Geschichte der Verwaltungsverschwiegenheit seit dem Absolutismus befasst (hier in Form eines kürzeren Tagungsvortrages), sondern postuliert überdies ein subjektives, aus einem gewandelten Verständnis von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG abgeleitetes Recht auf grundsätzlich freien Zugang zu Informationen innerhalb der Verwaltung. Damit widerspricht er der  ständigen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte und der herrschende Meinung in der Verwaltungsrechtswissenschaft, die einen öffentlichen Zugang zu Verwaltungsinformationen nur im Rahmen ausdrücklich normierter Zugangsansprüche anerkennen.

Was hat das nun mit Kristina Schröder und den vermeintlichen Kita-Geheimnissen zu tun?

Einiges: Denn die Bundesfamilienministerin macht gerade offensichtlich eine Erfahrung, die dem ein oder anderen IFG-Anspruchsteller in ähnlicher Weise von den Häusern ihrer Kabinettskollegen beschert wurde. Im Lichte der jahrhundertelangen „Arkantradition″ verwundert es nicht, dass die Informationsfreiheit einigen Teilen der Verwaltung  noch gelegentlich als ungeliebtes Kind gilt. Der Bundesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit weiß ein Lied davon zu singen: Auch in seinem jüngsten Tätigkeitsbericht finden sich wieder zahlreiche Beispiele für unzulässige oder jedenfalls zweifelhafte Beschränkungen des Informationszugangs. Es wäre kein schlechtes Ergebnis, wenn die von der Familienministerin empfundene Informationsverweigerung bei ihr und den Kabinettskollegen jedenfalls zu einem kleinen informationsfreiheitlichen Damaskuserlebnis beiträgt.

Eine wichtigere Rolle bei der Durchsetzung des gesetzlichen Anspruchs dürften indes die Verwaltungsgerichte spielen: Sie scheinen den Paradigmenwechsel von der Regelvertraulichkeit zur Informationsfreiheit leichter angenommen zu haben: Sattsam bekannt ist die Entscheidung des OVG Berlin-Brandenburg, die das Bundeskanzleramt zur Offenlegung bestimmter Informationen zum Geburtstagsessen von Josef Ackermann verpflichtete und lediglich den Terminkalender der Kanzlerin ausnahm. Nach einem kleinen Scharmützel mit Öffentlichkeit und IFG-Aufsichtsbehörde dürfen diese Dokumente jetzt auch veröffentlicht werden. Auch das Bundesinnenministerium musste jüngst erst durch eine verwaltungsgerichtliche Eilentscheidung (auf presserechtlicher Grundlage) zur Preisgabe seiner olympiarelevanten Zielvereinbarungen mit Sportverbänden  gezwungen werden. Weniger öffentlichkeitswirksam, aber rechtlich gleichwohl wegweisend sind die Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts zur Anwendung des IFG auf Dokumente zum sog. „Regierungshandeln″ ( hier).

Bei aller Transparenzfreude wollen wir nicht verhehlen, dass die Reichweite der Informationsfreiheit kein triviales Thema ist: Denn das Recht auf Informationszugang kollidiert in der Tat mit relevanten Rechtspositionen von Dritten. Anschaulich illustriert dies etwa  die Auseinandersetzung über die Veröffentlichung der Empfänger von Agrarsubventionen, die letztlich vom EuGH entschieden wurde. Die Abwägung zwischen Informationsinteresse und Datenschutz kann man so oder so sehen. Relevanter für Unternehmen (insbesondere beim Kontrahieren mit der öffentlichen Hand) ist wohl die Reichweite des Ausnahmetatbestandes zum Schutz von geistigem Eigentum und von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen. Vorsicht ist insoweit geboten: Auch wenn der Verweis auf Geschäftsgeheimnisse vor Gericht bereits dann und wann Gehör fand, hat längst nicht jede interne Information eines Unternehmens bereits Geheimnisqualität. Auch möglicherweise bestehende Urheberrechte führen nicht automatisch zu weitere Geheimhaltung.

Und über den Geheimnisbegriff wird vielleicht auch Kristina Schröder mit ihren Länderkollegen beizeiten noch ein wenig philosphieren…

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