Der BGH legt dem EuGH Fragen zur Klagebefugnis von Wettbewerber bei DSGVO-Verstößen vor.
Nachdem der Bundesgerichtshof (BGH) bereits am 10. November vergangenen Jahres zur Klagebefugnis von Verbraucherverbänden bei Verstößen gegen die europäische Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) entschied, dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) erneut Rechtsfragen zur Klärung vorzulegen, stand am 12. Januar dieses Jahres eine weitere mit Spannung erwartete Entscheidung des BGH mit datenschutzrechtlichem Bezug an. Nun ist klar: Auch diese Sache wird eine Extrarunde vor dem EuGH drehen. In diesen Verfahren (I ZR 222/19 und I ZR 223/19) ging es nicht um die Befugnis zur Verfolgung von datenschutzrechtlichen Verstößen durch die Verbraucherverbände, sondern durch Wettbewerber* des Verstoßenden.
Der BGH sollte am 12. Januar 2023 darüber entscheiden, ob ein Verstoß eines Apothekers gegen datenschutzrechtliche Verpflichtungen zugleich auch wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche begründen kann sowie ob diese von einem anderen Apotheker als dessen Wettbewerber klageweise vor der ordentlichen Gerichtsbarkeit zivilrechtlich verfolgt werden können. Der für das Wettbewerbsrecht zuständige I. Zivilsenat des BGH entschied, dem EuGH Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen (Beschlüsse vom 12. Januar 2023 –I ZR 223/19; I ZR 222/19): Zum einen betrifft dies die Frage, ob der Vertrieb von Arzneimitteln über eine Online-Plattform durch einen Apotheker aufgrund einer etwaigen Betroffenheit von Gesundheitsdaten einen DSGVO-Verstoß darstellt. Zum anderen soll in dem Falle das Vorliegen eines Verstoßes gegen die DSGVO die Frage geklärt werden, ob Wettbewerber des Apothekers diese Verstöße klagefugt verfolgen dürfen.
Die besagten Verfahren gliedern sich in zwei Sachverhalte auf: I ZR 222/19 (1. Verfahren) und I ZR 223/19 (2. Verfahren).
1. Verfahren: Der Vertrieb sog. OTC-Arzneimittel vor dem LG Magdeburg und dem OLG Naumburg
In dem ersten Verfahren mit dem Aktenzeichen I ZR 222/19 streiten zwei Apotheker darüber, ob der mit Versandhandelserlaubnis erfolgende Vertrieb von sog. OTC-Arzneimittel, die zwar der Apotheken-, nicht aber der Verschreibungspflicht unterliegen, über eine Internetplattform durch den Beklagten gegen die DSGVO, das Arzneimittelgesetz (AMG) und das Heilmittelwerbegesetz (HWG) sowie gegen die Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) und die Berufsordnung für Apotheker verstoße.
Der Kläger musste eine Niederlage vor dem LG Magdeburg (Urteil vom 18. Januar 2019 – 36 O 48/18) hinnehmen. Das LG hat keine Verstöße gegen § 43 AMG, § 11 Abs. 1 Nr. 11 HWG, §§ 3 Abs. 5, 17 Abs. 3 ApBetrO oder gegen die Apotheker-Berufsordnung feststellen können und stufte den Kläger als Wettbewerber des Beklagten für die Geltendmachung von DSGVO-Verstößen aufgrund des abschließenden Sanktionssystems der Verordnung als nicht klagebefugt ein.
In der zweiten Instanz konnte der Kläger mittels einer Berufung allerdings vor dem OLG Naumburg (Urteil vom 7. November 2019 – 9 U 6/19) einen Teilerfolg hinsichtlich der Geltendmachung von DSGVO-Verstößen für sich verbuchen, da das Gericht die Entscheidung des LG teilweise abänderte und zugunsten des Wettbewerbers für den konkreten Fall entschied, dass es sich bei den Vorschriften der DSGVO um Marktverhaltensregelungen i.S.d. § 3a des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) handele. Dieser Vorschrift zufolge handelt derjenige unlauter, der gegen eine gesetzliche Vorschrift verstößt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln, wenn der Verstoß zur spürbaren Beeinträchtigung der Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern geeignet ist. Ähnlich hatte bereits das Hanseatische OLG in einem anderen Verfahren entschieden.
Zur Begründung führte das OLG Naumburg aus, dass der Beklagte zur Erledigung der Bestellungen über die Internetplattform gesundheitsbezogene und damit besonders sensible Daten i.S.d. Art. 9 Abs. 1 DSGVO ohne die nach der DSGVO erforderliche ausdrückliche Einwilligung der Betroffenen verarbeite. Die DSGVO schütze zwar vorrangig das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Betroffenen, verfolge aber auch weitere Ziele, da ein unterschiedliches Datenschutzniveau bei grenzüberschreitenden Datenverarbeitungen ein Hemmnis für Wirtschaftstätigkeiten auf EU-Ebene darstellen und zur Verfälschung des Wettbewerbs geeignet sein könne. Dem Kläger stehe daher der wettbewerbsrechtliche Unterlassungsanspruch des § 8 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 3a UWG wegen Verstoßes gegen Art. 9 Abs. 1 DSGVO zu.
Das OLG eröffnete die Möglichkeit der Revision zum BGH, wovon sowohl der Kläger als auch der Beklagte Gebrauch gemacht haben, sodass nun der BGH zu entscheiden hatte.
2. Verfahren: Vom LG Dessau-Roßlau zum OLG Naumburg
Dem zweiten Verfahren mit dem Aktenzeichen I ZR 223/19 liegt eine ähnliche Konstellation wie dem gerade beschriebenen Verfahren zugrunde. Auch hier sind beide Parteien Apotheker, von denen der Beklagte nach Ansicht des Klägers apothekenpflichtige Produkte über eine Internetplattform ohne die hierfür datenschutzrechtlich erforderliche Einwilligung der Betroffenen für die Verarbeitung von gesundheitsbezogenen Daten vertreibe.
Mit dem LG Dessau-Roßlau (Urteil vom 28. März 2018 – 3 O 29/17) entschied die erste Instanz in diesem Verfahren ähnlich zu der zweiten Instanz in dem oben beschrieben Verfahren: Das LG stufte die Vorschriften der DSGVO als dem Schutz der Interessen der Mitbewerbern dienende Marktverhaltensregelungen i.S.d. § 3a UWG ein und bejahte neben den Verstößen gegen das Datenschutzrecht darüber hinaus Verstöße gegen das Berufsrecht der Apotheker.
Auch dieses Verfahren landete in zweiter Instanz vor dem OLG Naumburg (Urteil vom 7. November 2019 – 9 U 39/18), welches die Entscheidung der ersten Instanz bestätigte, sich der o.g. Hanseatische Rechtsprechung anschloss und die Berufung des Beklagten zurückwies. Allerdings ließ das OLG auch in diesem Verfahren die Revision zum BGH zu, die der Beklagte einlegte.
Die für diese Verfahren maßgeblichen Vorlagefragen sind durch den EuGH zu klären
Für die Frage, ob Mitbewerber und Verbraucherschutzverbände DSGVO-Verstöße verfolgen können, hatte der BGH dem EuGH bereits ein Vorabentscheidungsersuchen in einem anderen Verfahren vorgelegt und die Verfahren ausgesetzt. Hier hatte der BGH den EuGH gefragt,
ob die in Kapitel VIII und insbesondere in Art. 80 Abs. 1 und 2 sowie Art. 84 Abs. 1 DSGVO getroffenen Bestimmungen nationalen Regelungen entgegenstehen, die einerseits Mitbewerbern und andererseits nach dem nationalen Recht berechtigten Verbänden, Einrichtungen und Kammern die Befugnis einräumen, wegen Verstößen gegen die Datenschutzgrundverordnung unabhängig von der Verletzung konkreter Rechte einzelner betroffener Personen und ohne Auftrag einer betroffenen Person gegen den Verletzer im Wege einer Klage vor den Zivilgerichten vorzugehen.
Der EuGH hat daraufhin lediglich zugunsten der Klagebefugnis von Verbraucherverbänden entschieden und darauf verwiesen, dass der Fall in diesem vorgelegten Verfahren nicht die Frage der Klagebefugnis eines Mitbewerbers aufwerfe.
Die beiden oben beschriebenen Verfahren zur Klagebefugnis von Wettbewerbern wurden mit dem Verhandlungstermin, der am 29. September 2022 stattfand, fortgesetzt. Da die für die Verfahren zur Klagebefugnis von Wettbewerbern maßgeblichen Fragen nicht höchstrichterlich durch den EuGH geklärt worden sind, setzt der BGH die genannten Verfahren nunmehr aufgrund der offenen Vorlagefragen nochmals aus. Der BGH nimmt das zweite Verfahren mit dem Aktenzeichen I ZR 223/19 zum Anlass, um durch den EuGH die Frage klären zu lassen, ob die auf der Internetplattform für den Verkauf von apotheken-, aber nicht verschreibungspflichtigen Medikamenten benötigten Kundendaten wie Name, Adresse und Informationen zur Individualisierung eines bestellten apothekenpflichtigen Medikaments Gesundheitsdaten i.S.v. Art. 9 Abs. 1 DSGVO sowie Daten über Gesundheit i.S.v. Art. 8 Abs. 1 der Datenschutz-Richtlinie (Richtlinie 95/46/EG) darstellen. In diesem Fall wäre eine Datenverarbeitung ohne die für Gesundheitsdaten DSGVO-konforme Einwilligung ein datenschutzrechtlich relevanter Verstoß. Mit einer zweiten Frage möchte der BGH vor dem EuGH klären, ob ein solcher DSGVO-Verstoß von den Wettbewerbern des Verstoßenden, in diesem Fall von anderen Apothekern, zivilgerichtlich mit einer Klage verfolgt werden darf. Von der Beantwortung dieser Fragen hängt auch das erste der beiden beschriebenen Verfahren mit dem Aktenzeichen I ZR 222/19 ab.
Aufgrund der Dauer von Vorlageverfahren vor dem EuGH wird mit einer Antwort nicht vor 2024 oder sogar Ende 2024 zu rechnen sein. Sollte der EuGH die Frage der Klagebefugnis der Wettbewerber bejahen, bleibt zusätzlich abzuwarten, ob und in welchem Umfang Wettbewerber eine solche Klagebefugnis – nicht zuletzt mit Blick auf mögliche Gegenabmahnungen wegen DSGVO-Verstößen und den damit verbundenen Risiken – überhaupt nutzen würden.
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*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.