Trotz einer Lesedauer von ca. 80 Minuten liege keine unangemessene Benachteiligung von Verbrauchern vor – neben dem Umfang komme es auf weitere Faktoren an.
Der Verbraucherzentrale Bundesverbands e.V. (vzbv) versuchte, dem Zahlungsdienstleister PayPal deutschlandweit die Verwendung seiner Allgemeinen Geschäftsbedingungen in ihrer Gesamtheit gerichtlich zu untersagen.
Der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln wies in zweiter Instanz die Berufung des vzbv ab (Urteil v. 19. Februar 2019 – 6 U 184/19) und bestätigte damit das klageabweisende Urteil des Landgerichts Köln.
vzbv wirft PayPal Verstoß gegen Transparenzgebot vor
Der Kläger machte einen Verstoß gegen das AGB‑rechtliche Transparenzgebot aus § 307 Abs. 1 S. 2 BGB geltend. Demnach kann sich eine unangemessene Benachteiligung für den Vertragspartner daraus ergeben, dass die Bestimmungen nicht klar und verständlich formuliert sind. Insbesondere die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen, welche die Anwendung der Klauseln mit sich bringen, müssen für den Vertragspartner deutlich werden. Rechtsfolge ist die Unwirksamkeit der intransparenten Bestimmungen nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB.
Die Lektüre der 83-seitigen AGB würde bei einem durchschnittlichen Leser ca. 80 Minuten Zeit in Anspruch nehmen, so der vzbv. Dies ergebe sich durch eine Auswertung der AGB mit der Verständlichkeitssoftware TextLab und einer angenommenen Lesegeschwindigkeit von 250 Wörtern pro Minute. Daher sei es für einen Verbraucher unzumutbar, den Inhalt der Bestimmungen zur Kenntnis zu nehmen. Zur Substantiierung seines Vorbringens berief sich der vzbv auf den Verständlichkeitsindex der Universität Hohenheim (HIX), der bei der Frage nach der Transparenz von AGB herangezogen werden könne. Den für Fachtexte nach dem HIX geltenden Zielwert verfehlten die AGB von PayPal deutlich – damit seien die AGB als formal unverständlich und zeitlich unzumutbar zu bewerten. Zudem nannte der Kläger einzelne Klauseln, die aus seiner Sicht überflüssig seien.
OLG Köln: Nicht allein der Umfang von AGB ist entscheidend
Die Kölner Richter folgten dem Vorbringen des vzbv nicht. Es sei zwar grundsätzlich möglich, dass ein Verstoß gegen das Transparenzgebot vorliege, wenn die AGB im Verhältnis zur Bedeutung des Geschäfts einen vertretbaren Umfang überschreiten. Dies sei im konkreten Fall durch den Kläger jedoch nicht hinreichend substantiiert dargelegt worden.
Trotz der erheblichen Seitenanzahl müsse im Fall der PayPal‑AGB berücksichtigt werden, dass durch diese die Abwicklung einer Zahlung zwischen insgesamt bis zu fünf verschiedenen Parteien ermöglicht werde. Neben Zahlendem, Zahlungsempfänger und PayPal selbst seien auch noch Banken und Kreditkartenunternehmen involviert. Ein weiterer zu regelnder Fall entstehe zudem dann, wenn der Zahlende die Rolle des Zahlungsempfängers einnehme, z.B. bei Rückerstattungen.
Die Heranziehung des „Verständlichkeitsindexes″ sei nicht hinreichend substantiiert. Bei der Bewertung der Unwirksamkeit von AGB in ihrer Gesamtheit seien vielmehr zahlreiche Faktoren zu berücksichtigen – zu diesem Zweck tauge ein pauschaler Index nicht. Darüber hinaus genüge es nicht, wenn der Kläger einzelne Klauseln benenne, die aus seiner Sicht überflüssig seien. Diese könnten die Unzulässigkeit des Gesamtwerks nicht begründen.
Auswirkungen auf die Praxis: Hohe Hürden für Gesamtunwirksamkeit von AGB
Mit der Klage hatte sich der vzbv einiges vorgenommen: Nicht eine oder mehrere für Verbraucher nachteilige Klauseln sollten für unwirksam erklärt werden, sondern gleich die gesamten AGB des Branchenprimus im Bereich E‑Payment. Dieses Vorgehen ist höchst ungewöhnlich – in der Regel moniert auch der vzbv konkrete AGB‑Klauseln. Insofern kann der Entscheidung des OLG Köln durchaus eine gewisse Bedeutung beigemessen werden.
Im Ergebnis stellte der 6. Zivilsenat an dieses Anliegen zu Recht hohe Anforderungen. Der Bewertung mittels eines „Verständlichkeitsindexes″ wurde zu Gunsten einer einzelfallbasierten, sämtliche konkreten Umstände einbeziehenden Wirksamkeitsprüfung eine Absage erteilt. Komplexe Regelungsmaterien, zu denen die von PayPal angebotenen Zahlungsdienstleistungen zweifelsfrei gehören, bedürfen auch komplexer vertraglicher Grundlagen – nicht zuletzt, um verbraucherschutzrechtlichen Informationspflichten nachzukommen.
Andere Unternehmen erhalten durch das Urteil aus Köln keineswegs einen Freibrief für die Formulierung ausufernder, intransparenter und komplizierter AGB. Diese müssen stets in einem angemessenen Verhältnis zur Regelungsmaterie stehen. So wird ein Ausgleich zwischen legitimen Unternehmensinteressen auf der einen und Verbraucherschutzinteressen auf der anderen Seite hergestellt.