29. November 2016
Sprachsoftware Bewerbung
IT-Recht Arbeitsrecht Datenschutzrecht

Sprachsoftware im Bewerbungsgespräch

Software soll es Unternehmen künftig ermöglichen, Bewerber nach ihrer Sprechweise auszuwählen. Diesem technischen Fortschritt setzt das Recht aber Grenzen.

Glaubt man Softwareentwicklern, ersetzt ein Telefonat mit dem Computer zukünftig jedes Bewerbungsgespräch. Hintergrund ist die Annahme, die Sprechweise eines Menschen sei so individuell wie sein Fingerabdruck.

Spracherkennung statt Bewerbungsgespräch: So arbeitet die Software

Um die in der Sprache versteckten Informationen sichtbar zu machen, soll ein 20-minütiges Bewerbungsgespräch aus unzusammenhängenden Fragen genügen. Dabei teilt die Software Antworten des Bewerbers in bis zu 500.000 Bausteine auf und wertet sie aus. Ein Algorithmus vergleicht die Bausteine sodann mit denen einer hinterlegten Referenzgruppe. Daraus berechnet die Software, ob der Bewerber nach seinen kommunikativen Fähigkeiten, seiner Persönlichkeit und seinen Kompetenzen für das Unternehmen und die Stelle geeignet ist. Software kann inzwischen durch einen niederschwelligen Test auch akute psychische und mentale Belastungen bei Bewerbern oder Mitarbeitern, ausgelöst durch Stress, erkennen.

Die Vorteile der umfassenden, automatischen Analyse sollen darin liegen, die Kündigungsraten der Bewerber zu senken und die Zeit bis zu einer passenden Einstellung zu reduzieren.

Auswertungskriterien: Das darf die Sprachsoftware

Bisher musste sich die Rechtsprechung noch nicht damit beschäftigten, welche Grenzen bei einem Bewerbungsgespräch für die Sprachsoftware mit ihrer gefühlt unbegrenzten Auswertungstiefe gelten. Es ist aber zu erwarten, dass die Arbeitsgerichte insbesondere die etablierten Grundsätze zum Fragerecht des Arbeitgebers in einem Bewerbungsgespräch, aber auch zur Zulässigkeit von graphologischen Gutachten, psychologischen Tests und von Internetrecherchen so fortentwickeln werden, dass sie auch für das neue Analyse-Mittel passen.

Wie weit dürfen Fragen gehen?

Ausgangspunkt des arbeitgeberseitigen Fragerechts ist stets das Bestehen eines berechtigten und schützenswerten Interesses des Arbeitgebers an der Beantwortung einer bestimmten Frage. Dies ist z. B. regelmäßig bei Fragen der Fall, wenn Informationen für den zu besetzenden Arbeitsplatz relevant sind. Das Fragerecht endet immer dort, wo der Bewerber vor ungerechtfertigten Diskriminierungen und vor dem Eingriff in sein allgemeines Persönlichkeitsrecht zu schützen ist. Ob der Bewerber schwanger oder homosexuell ist oder einer Gewerkschaft angehört, ist für den Arbeitgeber deshalb tabu.

Schwieriger ist die Abgrenzung bei Krankheiten oder bei Straftaten: Die Frage nach einer bestehenden Krankheit oder der Verurteilung wegen einer Straftat ist zulässig, wenn die Erkrankung oder die begangene Straftat die Eignung des Bewerbers für die angestrebte Tätigkeit erheblich beeinträchtigt. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) schränkt das Fragerecht nach Krankheiten zudem dann ein, wenn der Arbeitgeber damit mittelbar nach einer Behinderung fragt.

Auf unzulässige Fragen darf der Bewerber mit einer Lüge antworten, ohne später die Anfechtung und Aufhebung seines Arbeitsvertrags fürchten zu müssen. Nutzt der Arbeitgeber rechtswidrig erlangte Antworten, schuldet er dem Bewerber Schadenersatz sowohl auf vorvertraglicher als auch auf deliktischer Ebene. Der Arbeitgeber haftet dabei auch für das Verschulden Dritter, die er für die Bewerberauswahl nutzt. Indiziert eine Frage auch nur eine Diskriminierung entgegen des AGGs, droht dem Arbeitgeber darüber hinaus eine Entschädigungszahlung, die dem Bewerber unabhängig von jedem (Sach-)Schaden zusteht. Der Bewerber benötigt dafür nur Indizien; der Arbeitgeber ist für seine Entlastung voll beweispflichtig. Nur, wenn der Bewerber auch ohne Diskriminierung die Stelle nicht erhalten hätte, ist diese Entschädigung auf das dreifache Monatsgehalt der Stelle begrenzt.

Recherchen nur soweit auch Fragen zulässig wären

Längst greifen Personalabteilungen aber auch auf andere Informationsquellen als das direkte Gespräch zurück, um einen Bewerber einzuordnen.

Schon für die früher beliebten graphologischen Gutachten verlangte die Rechtsprechung eine Einwilligung des Bewerbers, die nur so weit reichte, wie die gewünschte Stelle die Aufdeckung der Persönlichkeitsmerkmale über das Schriftbild erforderlich machte. Auch psychologische Tests und Einstellungsuntersuchungen sind nur zulässig, wenn der Bewerber darin einwilligt und deren Ergebnis nur arbeitsplatzbezogene Daten sind.

Die Grenzen des Fragerechts bestehen parallel: Wonach der Arbeitgeber nicht direkt fragen darf, kann er nicht über den Umweg eines Tests ermitteln lassen. Sammelt der Arbeitgeber Bewerberdaten im Internet, muss er sich auf allgemein zugängliche Informationen und berufsorientierte Netzwerke wie z. B. Xing beschränken. Er darf solche Daten auch nicht über einen Account mit falschem Namen sammeln.

Ausforschung durch softwaregestützte Analyse wohl unzulässig

Überträgt man diese etablierten Grundsätze auf die Sprachsoftware, darf auch eine Sprachsoftware bei einem Bewerbungsgespräch unzulässige direkte Fragen (wie der nach Schwangerschaft, Behinderung oder Gewerkschaftszugehörigkeit) nicht stellen. Auf solche Fragen kann der Bewerber mit einer Lüge antworten und Schadenersatzansprüche geltend machen.

Die rechtliche Herausforderung sind die „verdeckten″ Auswertungsmöglichkeiten der Software. Analysiert die Software die Antworten des Bewerbers zum Beispiel wie ein Lügendetektor auf ihren Wahrheitsgehalt, hilft das Recht zur Lüge bei unzulässigen Fragen nicht weiter. Noch schwieriger wird die Situation, wenn die Software gar keine (für den Bewerber erkennbaren) unzulässigen Fragen stellt, sondern zulässige Einzelfragen in der Analyse so verknüpft, dass der Arbeitgeber daraus Rückschlüsse auf diskriminierende Merkmale wie z. B. Schwangerschaft, Behinderung o. ä. ziehen kann. Bei solchen „verdeckten″ Auswertungsmöglichkeiten gilt das gleiche wie bei graphologischen Gutachten und psychologischen Tests:

  • Der Arbeitgeber darf nur das indirekt bzw. verdeckt untersuchen lassen, was er auch direkt fragen dürfte. Jede Analyse muss deshalb einen Bezug zum Arbeitsplatz aufweisen, von einem berechtigten und schützenswerten Interesse des Arbeitgebers gerechtfertigt sein und darf nicht die Person des Bewerbers „an sich″ ausforschen.
  • Der Bewerber muss über die geplante Analyse der Sprachsoftware im Detail informiert werden und in diese einwilligen. Die Auswertung ist nur zulässig, soweit die Einwilligung des Bewerbers reicht. Klärt der Arbeitgeber den Bewerber nicht über die Auswertungstiefe der Analyse auf, ist dessen Einwilligung in die Analysesoftware unwirksam.
  • Um die Beweissituation eines Bewerbers, der von unzulässigen Auswertungen nichts mitbekäme, im Fall von Rechtsstreitigkeiten zu stärken, liegt nahe, dass Gerichte dem Bewerber mit einer abgestuften Darlegungs- und Beweislast helfen. Dann würde bereits die hinreichend konkretisierte Behauptung des Bewerbers genügen, etwa seine nicht ausdrücklich angesprochene Behinderung sei indirekt erforscht und er deswegen nicht eingestellt worden. Danach müsste der Arbeitgeber im Einzelnen vortragen und beweisen, wie er die Software einsetzt, welche Analysen sie durchführt und warum er nicht indirekt nach unzulässigen Merkmalen untersucht hat.

Unzulässig bleibt es vor diesem Hintergrund wohl, die Sprachsoftware nach einer Disposition des Bewerbers zu psychischen Erkrankungen (Burn-out) suchen zu lassen. Auch diese Auswertung kann (weiterhin) nur in den sehr engen Grenze zulässig sein, in denen der Arbeitgeber nach Krankheiten des Bewerbers fragen darf. Da eine psychische Erkrankung nicht per se zu erheblichen Ausfallzeiten führt, kann die Software danach wohl nicht „verdeckt″ forschen. Nach spezifischen Krankheiten hingegen, für die solche langen Ausfallzeiten generell vorhersehbar sind (etwa eine Alkoholsucht), wird die Software hingegen forschen dürfen. Allerdings muss der Arbeitgeber dabei die Einwilligung des Bewerbers und die Rechtsprechung des EuGH im Blick haben, wonach „Behinderungen″ gemäß AGG auch vermehrt „Krankheiten″ sind.

Mitbestimmung des Betriebsrats

Besteht ein Betriebsrat beim Arbeitgeber, haben dessen Mitglieder ein zwingendes Mitbestimmungsrecht bei der standardisierten Datenerhebung über ein Testverfahren. Die Beteiligung reicht so weit, die einzelnen untersuchten Merkmale einer Sprachsoftware mitzubestimmen: Fragen, denen der Betriebsrat nicht zugestimmt hat, darf die Software nicht stellen. Um die Auswertung erhaltener Antworten durch die Software einzugrenzen, kann der Betriebsrat eine Beschränkung des Verwendungszwecks erhobener Daten verlangen. Setzt der Arbeitgeber die erhobenen Daten des Bewerbers später ein, um Leistung und Verhalten im Arbeitsverhältnis zu kontrollieren, hat er den Betriebsrat erneut zu beteiligen.

Zusätzlich zu den oben dargestellten Grenzen wird der einzelne Bewerber also dadurch geschützt, dass ein Arbeitgeber Funktionen und Auswertungskriterien seiner Analysesoftware ausführlich mit dem vorhandenen Betriebsrat verhandeln muss, bevor er sie einsetzen darf.

Datenschutzrechtliche Grenzen für die Sprachsoftware

Da die Stimme in der Regel ein personenbezogenes Datum ist, greifen auch die Grenzen des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG). Die Auswertung der Stimme ist eine Verarbeitung und Nutzung solcher personenbezogener Daten, wofür eine gesetzliche Erlaubnis notwendig ist. Legt der Arbeitgeber dem Bewerber eine Einwilligungserklärung vor, ist bei der Formulierung dieser Erklärung darauf zu achten, dass der Bewerber die Einwilligung später hinreichend informiert abgibt. Bei einer Auswertung von mehreren hundert Kriterien sind an die Information besonders hohe Anforderungen zu stellen. So hat der Arbeitgeber zu beschreiben, was mit den Daten geschieht und wie sie ausgewertet werden.

Soll die Sprachsoftware neben der Analyse der Stimme noch automatisiert Entscheidungen treffen, wie etwa bezogen auf den weiteren Verlauf des Einstellungsprozesses, ist die Entscheidung des Gesetzgebers für ein Verbot automatisierter Einzelentscheidungen zu beachten (§ 6a BDSG). Hieran und an den Ausnahmetatbeständen des § 6a Abs. 2 BDSG, wie etwa der Wahrung der berechtigten Interessen des Bewerbers, sind Prozesse und Software auszurichten.

Erfolgt die Auswertung der Stimme nicht lokal beim Arbeitgeber, sondern wird dazu – wie regelmäßig der Fall – das Rechenzentrum eines Dienstleisters benutzt, ist darauf zu achten, mit dem Dienstleister eine Vereinbarung zur Auftragsdatenverarbeitung abzuschließen (§ 11 BDSG). Findet die Verarbeitung außerhalb der EU statt, sind überdies die Anforderungen an Drittstaatentransfers zu berücksichtigen.

Persönlicher Eindruck kann nicht ersetzt werden

Mit der beschriebenen Software könnte sich der Bewerbungsprozess auf freie Arbeitsplätze gravierend verändern, wenngleich keine Software den persönlichen Eindruck eines Bewerbers ersetzen kann. Von den technischen Neuerungen unbeeinflusst bleibt hingegen die Aufgabe des Arbeitgebers, den Bewerber vor unzulässigen Rechtseingriffen im Bewerbungsprozess zu schützen.

Tags: Bewerbung IT-Recht Sprachsoftware