17. Februar 2011
TMC – Technology, Media & Communications

Lobo und das Recht: Replik aus der digitalreaktionären Ecke

La Oliva ist eine Gemeinde im Norden der Kanareninsel Fuerteventura. Vom gleichnamigen Hauptort aus wurde die gesamte Insel zwischen 1708 und 1859 regiert – diese Zeit ist längst vergangen, heute zeugt nur noch der mächtige Gutshof des Herrscherclans der Coroneles von Ruhm und Glanz jener Tage. Sascha Lobo hat sich und seiner markanten roten Irokesenfrisur in La Oliva eine kleine Auszeit vom stressigen Alltag als „Autor, Blogger, Microblogger und Strategieberater mit den Schwerpunkten Internet und Markenkommunikation″ gegönnt und die interessierte (?) Öffentlichkeit selbstredend darüber informiert. Währenddessen – so weit reichte die Auszeit dann doch nicht – verkündete uns Lobo auf seinem neuen publizistischen Spielplatz „Die Mensch-Maschine″ auf Spiegel Online das Resultat seiner jüngsten rechtswissenschaftlichen Studien und fordert, dass Schmähungen und Abfälligkeiten im Internet im Rahmen einer fortschrittsbedingten Anpassung ohne rechtliche Sanktionen bleiben müssen. „Pöbler an die Maus″ ist fortan sein Schlachtruf.

Das klingt knackig. Humbug bleibt es trotzdem.

Der geschätzte Kollege Thomas Stadler hat bereits einen „Thema verfehlt!″-Zwischenruf platziert und darauf hingewiesen, dass sich relevante Gefährdungen der von Lobo auf der roten Liste verorteten Meinungsfreiheit nicht aus dem Verbot von Beleidigungen und Schmähkritik ergeben, sondern viel eher durch die von Teilen der Rechtsprechung forcierte meinungs- und medienfeindliche Abwägung bei kritischer Berichterstattung.

Irritierend an Lobos Appell für eine „Beleidigungskultur″ speziell für das Internet ist noch ein weiterer, grundlegender Umstand. Lobo begründet sein Ansinnen mit der Meinungsfreiheit als höchstem digitalen Gut: Zu fließend sei die Grenze zwischen berechtigter Sanktionierung und der Beschneidung des Rechts auf Meinungsfreiheit. Es folgt der übliche Seitenhieb auf „digitalreaktionäre Kräfte″, die dieses Recht zerstören wollen und „noch jede Abmahnung wegen eines angeblich ehrabschneidenden Kommafehlers für gerechtfertigt halten″. Deshalb dürfe es „kein Recht darauf geben, im Internet unbeschimpft zu bleiben″.

Da sind wir anderer Meinung.

Denn das Problem liegt genau in dem von Lobo zur Begründung seiner Thesen angeführten Umstand: Mit dem Internet, so Lobo, sei ein Kommunikationsraum entstanden, der mündliche Spontaneität mit schriftlicher Dauerhaftigkeit verbindet. Unter Verweis auf die angeblich nicht mehr existente Trennschärfte zwischen privater und öffentlicher Kommunikation meint Lobo den Schluss ziehen zu können, dass es „bigott″ sei, eine rasch im Internet veröffentlichte Äußerung rechtlich anders zu behandeln als eine mit Beleidigungen, ungerechten Unterstellungen bis hin zu Verleumdung, Schmähkritiken und übler Nachrede angefüllte Unterhaltung in der Firmenteeküche.

Das Netz ist ein Verbreitungsmedium wie jedes andere auch

Genau dies ist aber nicht bigott, sondern konsequent: Zum einen kann bereits ein mündlich vorgebrachter Rechtsverstoß sowohl straf- als auch zivilrechtlich sanktionierbar sein. Zum anderen würde die Privilegierung von Internetäußerungen genau jener Sorg- und Gedankenlosigkeit Vorschub leisten, die dem ein oder anderen digitalen Hans-guck-in-die-Luft unversehens Anwaltspost in den Briefkasten spült. Kurz gesagt: Das Internet ist objektiv Öffentlichkeit, mag sich der Nutzer noch so sehr im geschützten Raum seiner virtuellen Teeküche wähnen (ohne tatsächlich dafür zu sorgen, dass deren Tür geschlossen bleibt, die Kommunikation nicht-öffentlich ist und ungeachtet ihrer rechtlichen Zulässigkeit im privaten Raum verbleibt).  Letztlich, dies haben die vergangenen Jahre gezeigt, ist das Internet ein Verbreitungsmedium wie jedes andere auch, und rechtlich macht es im Regelfall keinen Unterschied, ob eine rechtswidrige Aussage auf einer Website, auf einem Flugblatt oder in einer Zeitungsanzeige veröffentlicht wird. Allenfalls das Nutzerverhalten mag ein anderes sein: Heutzutage scheint der weiland beim Flugblatt existente Kontrollreflex (will ich das wirklich so in der Öffentlichkeit verbreiten?) durch die unkomplizierte Möglichkeit der weltweiten Veröffentlichung durch einen Mausklick gelegentlich völlig abhanden gekommen zu sein.

Dabei mag es durchaus zutreffen, dass die Tendenz zum Aushalten und Ertragen potentiell sanktionierbarer Äußerungen gestiegen ist. Dies gilt beileibe nicht nur für das von Lobo bemühte Beispiel Guido Westerwelles, der „einen Doppeljahrgang Jura-Absolventen in Vollzeit″ mit der Verfolgung justitiabler Äußerungen beschäftigten könnte. Was Lobo als Argument für die von ihm gepriesene neue „Beleidigungskultur″ anführt, dürfte eher der in den existierenden Regelungen angelegten Notwendigkeit zur Abwägung zwischen Sanktion und dem verfassungsrechtlich garantierten Recht auf freie Meinungsäußerung geschuldet sein – die Lobo offensichtlich (zu Unrecht) vermisst: Jeder einschlägig tätige Jurist kennt die komplexen, oft genug schwer prognostizierbaren Gesamtwürdigungen, die die Rechtsprechung sowohl für das zivil- als auch das strafrechtliche „Äußerungsrecht″ vorgibt. Dies gilt nicht nur für die Abgrenzung zwischen Tatsachenbehauptung und Meinungsäußerung, sondern in weit größerem Ausmaß für diejenige zwischen zulässiger Meinungsäußerung und unzulässiger Schmähkritik. Damit trägt der existierende Rechtsrahmen gerade der überragenden Bedeutung der Meinungsfreiheit Rechnung.

„Fortschrittsbedingte Anpassung″ hat keine Grundlage

Auch und gerade im Hinblick auf kritische Äußerungen zu Unternehmen hätten Lobos plakativen Ausführungen („Es ist leichter, eine Bewertungsplattform im Netz zu programmieren als eine rechtlich unangreifbare Produktkritik darauf zu veröffentlichen.″) etwas mehr Recherche nicht geschadet. In „Heise Online-Recht„, einem Leitfaden nicht nur für Juristen, sondern auch für Praktiker heißt es zutreffend:

„Die wertende Kritik an unternehmerischen Leistungen oder einem Unternehmen genießt einen weitergehenden Freiraum als die Kritik an einer Privatperson. Grund hierfür ist abermals die nur eingeschränkte verfassungsrechtliche Dimension des Unternehmenspersönlichkeitsrechts.  Bis an die Grenze zur Schmähkritik sind Werturteile erlaubt (…).″ 

Und schließlich: Die Verlotterung der Sitten, das beharrliche und möglicherweise auch weit verbreitete Ignorieren rechtlicher Rahmenbedingungen alleine ist keine tragfähige Grundlage für eine „fortschrittsbedingte Anpassung″. Selbst wenn es zutrifft, dass die existierende rechtliche Sanktionsandrohung nicht „einen einzigen Internetvandalen von der Pöbelei abgehalten hätte″: Mit der gleichen Berechtigung könnte man § 211 StGB abschaffen, weil nach wie vor Morde geschehen, die StVO angesichts millionenfacher Verkehrsverstöße außer Kraft setzen oder auf die Regelungen zu Schleichwerbung (auch in Blogs) verzichten.

Dass Sascha Lobo selbst (trotz vorangegangener Bilderstürmer-Versuche gegen die Verpixelung bei Google Street View) in eigener Sache seinem „Pöbler an die Maus″-Vorstoß nicht so recht traut, ist auf seiner eigenen Website anschaulich zu besichtigen – dortselbst bittet er ausdrücklich um „freundliches und intelligentes, aber einigermaßen interessantes Kommentarverhalten innerhalb geltender Gesetze.″

Ein wenig digitalreaktionär sind wir doch alle.

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