Anbieter von illegalen Glücksspielen müssen Spielern Verluste zurückerstatten – und zwar auch dann, wenn die Spieler die Illegalität kannten.
Das OLG München hat am 20. September 2022 (Az. 18 U 538/22) entschieden, dass eine Online-Glücksspiel-Anbieterin mit Sitz auf Malta, die in Deutschland über keine Glücksspiellizenz verfügte, einem Spieler seine verlorenen Glücksspieleinsätze zurückerstatten muss.
Spieler verlor über EUR 18.000 beim Glücksspiel und klagte auf Rückzahlung
Zwischen Oktober 2018 und September 2020 nahm der in Bayern wohnhafte Kläger an dem Online-Glücksspiel-Angebot der beklagten Online-Glücksspiel-Anbieterin (Beklagte) teil. Diese hat ihren Sitz in Malta und verfügt über eine maltesische Glücksspiellizenz, eine deutsche Glücksspiellizenz hatte (und hat) sie nicht. Der Kläger verlor bei der Teilnahme an dem Online-Glücksspiel-Angebot der Beklagten im gesamten hier maßgeblichen Zeitraum insgesamt EUR 18.175.
Mit seiner Klage verlangte der Kläger Ersatz für seine Verluste. Das erstinstanzlich mit dem Fall befasste LG Traunstein (Az. 3 O 1549/21) gab der Klage statt und verurteilte die Beklagte, den gesamten Betrag nebst Zinsen an den Kläger zu zahlen.
Auch in der zweiten Instanz obsiegte der Kläger. Die von der Beklagten gegen das Urteil des LG Traunstein eingelegte Berufung wurde vom OLG München mit dem hier vorgestellten Beschluss verworfen.
Das OLG bejaht einen Rückzahlungsanspruch des Klägers aus § 812 Abs. 1 S. 1 1. Var. BGB
Das OLG bejaht – unter Berücksichtigung des alten Glücksspielrechts, das vor Inkrafttreten des Glücksspielstaatsvertrags 2021 galt – einen Rückforderungsanspruch des Klägers gegen die Beklagte aus Bereicherungsrecht (§ 812 Abs. 1 S. 1 Var. 1 BGB). Wegen der (nach dem hier maßgeblichen alten Glücksspielrecht gegebenen) Illegalität des Online-Glücksspiel-Angebots der Beklagten, an dem der Kläger teilgenommen hatte, sei der zwischen dem Kläger und der Beklagten geschlossene Glücksspielvertrag unwirksam (§ 134 BGB i.V.m. § 4 Abs. 4 GlüStV a.F.) gewesen. Folglich habe auch kein rechtlicher Grund für die Zahlung der Glücksspieleinsätze durch den Kläger an die Beklagte bestanden.
Keine Sperrung des Rückzahlungsanspruchs wegen eigenen Verstoßes des Klägers gegen das Online-Glücksspielverbot
Dem Rückforderungsanspruch des Klägers stehe nach Auffassung des OLG vorliegend auch nicht § 817 S. 2 BGB entgegen.
Sinn und Zweck der in § 817 S. 2 BGB geregelten, sog. Kondiktionssperre ist es, in den Fällen, in denen sowohl der Leistende* (hier also der Kläger) als auch der Empfänger (hier also die Beklagte) gegen ein gesetzliches Verbot (hier Verbot, illegal Glücksspiel zu betreiben / an illegalem Glücksspiel teilzunehmen) verstoßen, grds. bestehende Rückforderungsansprüche auszuschließen.
OLG: Beklagte hätte nachweisen müssen, dass Kläger Kenntnis von der Illegalität seiner Teilnahme an dem Online-Glücksspiel hatte
Das OLG kommt in der hier vorgestellten Entscheidung jedoch zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen der Kondiktionssperre aus § 817 S. 2 BGB vorliegend nicht gegeben seien. So führte das OLG zwar aus, dass seiner Auffassung nach auch der Kläger nicht an dem illegalen Online-Glücksspiel-Angebot der Beklagten hätte teilnehmen dürfen (und bejaht damit die objektiven Voraussetzungen von § 817 S. 2 BGB).
Gleichwohl greife die Kondiktionssperre hier nicht, weil die Beklagte nicht nachgewiesen habe, dass der Kläger auch Kenntnis von der Illegalität seiner Teilnahme an dem Online-Glücksspiel-Angebot der Beklagten gehabt habe bzw. sich dieser Kenntnis wenigstens leichtfertig verschlossen habe. Da die Beklagte aber insofern darlegungs- und beweispflichtig gewesen sei, hätte sie diesen Nachweis führen müssen.
Aber: Tatsächlich ist die Illegalität des Angebots vieler (Online-)Glücksspiel-Anbieter seit Jahren hinlänglich – auch unter Spielern – bekannt
Die Schlussfolgerung, die zwischen den Zeilen der Entscheidungsgründe des OLG anklingt, dass in Deutschland ansässige Spieler, die an einem (verbotenen) Online-Glücksspiel-Angebot teilgenommen haben, hierbei davon ausgegangen seien, dass dieses legal wäre, ist indes alles andere als zwingend.
So war die (frühere) Illegalität von Online-Casino-Angeboten in Deutschland auch schon vor dem hier maßgeblichen Zeitraum regelmäßig Gegenstand groß angelegter Berichterstattungen in den Medien gewesen, so z.B. im Beitrag der Süddeutschen Zeitung vom 17. August 2018 „Versteckspiel auf Malta“:
Online-Casinos sind in Deutschland eigentlich illegal. Doch über Firmen auf Malta gibt es trotzdem zahlreiche Angebote, die auch in Deutschland genutzt werden.
Oder auch im Spiegel, Meldung vom 3. Januar 2018 mit dem Titel „Onlinecasinos – Wie einfach es ist, seine Spielschulden loszuwerden″:
Trotz Verbots boomt das Glücksspiel im Netz. Laut einer Studie im Auftrag des staatlichen Anbieters Westlotto und des Automatenherstellers Löwen Entertainment wird in Deutschland jeder sechste Euro im Glücksspielsektor online umgesetzt – sechs Siebtel davon im nicht regulierten, illegalen Markt.
Nur weil eine Internetseite von Deutschland aus abrufbar ist, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass der durchschnittliche Verbraucher davon ausgeht, dass auch der Inhalt, der auf einer solchen Internetseite abrufbar ist, sich im Einklang mit dem deutschen (Glücksspiel-)Recht befindet. Selbst der Umstand, dass illegale Online-Glücksspiel-Angebote in dem hier maßgeblichen Zeitraum von einer Vielzahl verschiedener Anbieter auf unterschiedlichen Internetseiten angeboten wurden, ändert hieran nichts.
So ist auch dem durchschnittlichen Verbraucher bewusst, dass sich viele Anbieter von Inhalten im Internet über geltende Gesetze hinwegsetzen. Selbst bei Sperrung einer Internetseite durch die Aufsichts- und/oder Strafverfolgungsbehörden ist das in diesen Fällen zu beobachtende Phänomen, dass in kürzester Zeit nahezu identische Internetangebote an anderer Stelle wieder erscheinen, auch in der breiten Bevölkerung bekannt.
Eine andere Frage ist jedoch, ob dem durchschnittlichen Spieler zum Zeitpunkt seiner Teilnahme / der Einzahlung von Spieleinsätzen auch bekannt war, dass nicht nur solche (Online-)Glücksspiel-Angebote illegal waren, sondern dass auch seine Teilnahme an einem konkreten Online-Glücksspiel-Angebot u.U. strafrechtlich relevant gewesen ist (vgl. § 285 StGB).
OLG: Keine Sperrung von Rückzahlungsansprüchen trotz Kenntnis der Spieler von Illegalität des Online-Glücksspiels zum Schutz vor den Gefahren von Spielsucht?
Ohne dass es hierauf für den vorliegenden Rechtsstreit ankam, führt das OLG die grds. Überlegung aus, dass es geboten sei, Rückzahlungsansprüche von Spielern im Zusammenhang mit ihrer Teilnahme an einem illegalen Online-Glücksspiel-Angebot von dem Anwendungsbereich der Kondiktionssperre gem. § 817 S. 2 BGB auszunehmen. Das OLG begründet seine These mit Erwägungen zum Schutz der Spieler vor „suchtfördernden, ruinösen oder betrügerischen Erscheinungsformen des Glücksspiels“.
Konsequenz hiervon ist, dass das OLG damit die Voraussetzungen eines faktisch risikolosen Glücksspiels schafft: Gewinnt der Spieler, lässt er sich die Gewinne auszahlen; verliert er, fordert er seine Einsätze zurück.
Die Entscheidung des OLG führt die sich in der jüngeren Rechtsprechung abzeichnende Tendenz, das Bestehen von Rückzahlungsansprüchen im Zusammenhang mit der Teilnahme an illegalem Online-Glücksspiel zu bejahen, fort
Zuletzt entschieden eine ganze Reihe von Gerichten, dass Spieler gegen die Anbieter illegaler Online-Glücksspiel-Angebote Rückforderungsansprüche geltend machen könnten (so etwa LG Dresden, Urteil v. 27. Oktober 2022 – 10 U 736/22; OLG Köln, Urteil v. 31. Oktober 2022 – 19 U 51/22; OLG Frankfurt a.M., Hinweisbeschluss v. 8. April 2022 – 23 U 55/21; LG Köln, Urteil v. 2. September 2022 – 37 O 317/20; LG Dortmund, Urteil v. 11. Mai 2022 – 12 O 185/21; LG Hamburg, Urteil v. 12. Januar 2022 – 319 O 85/21; LG Gießen, Urteil v. 25. Februar 2021 – 4 O 84/20; LG Waldshut-Tiengen, Urteil v. 21. September 2021 – 2 O 296/20; LG Köln, Urteil v. 19. Oktober 2021 – 16 O 614/20).
Ein Teil der Rechtsprechung lehnt das Bestehen von Rückzahlungsansprüchen ab
Von einer gefestigten Rechtsprechung zum Bestehen von Rückzahlungsansprüchen gegen Anbieter von unerlaubtem Glücksspiel kann gleichwohl noch nicht ausgegangen werden. Ein Teil der Rechtsprechung lehnt das Bestehen von Rückzahlungsansprüchen ab.
So entschied das LG Bonn mit Urteil v. 30. November 2021 (Az. 5 S 70/21), dass ein Spieler keinen Anspruch auf Rückzahlung von Verlusten, die sich aus seiner Teilnahme an einem unerlaubten Online-Glücksspiel ergeben hatten, geltend machen konnte. Einem Rückzahlungsanspruch stand hierbei insbesondere § 817 S. 2 BGB entgegen. Das LG Bonn hielt die Annahme, dass der „gewinnspielerfahrene“ Kläger von der Gesetzeswidrigkeit des Online-Glücksspiel-Angebots keine Kenntnis gehabt haben wollte, für „lebensfremd“, da die Gesetzeswidrigkeit in hohem Maße Gegenstand der öffentlichen Wahrnehmung, etwa im Internet und in der überregionalen Presse, war.
Auch das LG München I entschied (Urteil v. 13. April 2021 – 8 O 16058/20), dass ein Spieler keinen Anspruch auf Rückzahlung seiner Verluste habe. Nach Auffassung des LG München I sei der Rückzahlungsanspruch wegen § 817 S. 2 BGB und § 242 BGB ausgeschlossen. So habe der Spieler mit seiner Teilnahme an dem Glücksspiel-Angebot selbst ein Verbotsgesetz missachtet. Zudem verstoße eine Rückforderung gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB), weil der Kläger „sehenden Auges und aus eigenem Handlungsantrieb heraus“ an unerlaubtem Glücksspiel teilgenommen habe.
Bereits ein Jahr zuvor hatte das LG Köln die Auffassung vertreten, dass der Rückzahlung von Spielverlusten, die im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme eines Online-Casino-Angebots entstanden sind, § 817 S. 2 BGB entgegenstünde (LG Köln, Beschluss v. 5. Oktober 2020 – 3 O 191/20).
In einer Entscheidung aus dem Jahr 2016 verneinte das LG Duisburg einen Rückzahlungsanspruch einer Spielerin. Das LG Duisburg stützte seine Entscheidung u.a. auf § 817 S. 2 BGB, weil sich die Spielerin selbst an dem unerlaubten Glücksspiel beteiligt hätte (LG Duisburg, Urteil v. 19. Oktober 2016 – 3 O 373/14).
Zu erwarten ist, dass weitere Spieler gegen Glücksspiel-Anbieter auf Rückzahlung ihrer Verluste klagen werden – bei Zweifeln über die tatsächliche Illegalität eines Angebots sollten Glücksspiel-Anbieter dies rechtlich prüfen lassen.
Die Entscheidung des OLG verdeutlicht die Risiken für Glücksspiel-Anbieter, die in Deutschland verbotenes Glücksspiel anbieten. Während in der Vergangenheit eher die straf- und aufsichtsrechtlichen Konsequenzen von illegalem Glücksspiel im Fokus standen, verlagert sich dieser nun zunehmend auf die mit illegalem Glücksspiel einhergehenden zivilrechtlichen Risiken für Glücksspiel-Anbieter. Vor dem Hintergrund der zuletzt eher spielerfreundlichen Gerichtsentscheidungen ist mit einer Zunahme von Zahlungsklagen gegen (Online-)Glücksspiel-Anbieter zu rechnen.
Glücksspiel-Anbieter sollten spätestens im Falle einer Inanspruchnahme auf Rückzahlung prüfen (lassen), ob das von ihnen angebotene Glücksspiel zum jeweiligen Zeitpunkt wirklich illegal war. So hat der EuGH im Jahr 2016 entschieden, dass die Regelungen im GlüStV (2012) zu der Erteilung von Sportwettenkonzessionen europarechtswidrig waren (EuGH, Urteil v. 4. Februar 2016 – C-336/14). Der EuGH hat in dieser Entscheidung auch bestimmt, dass die private Vermittlung von Sportwetten in Deutschland durch einen in einem anderen Mitgliedstaat zugelassenen Glücksspiel-Anbieter strafrechtlich nicht deswegen sanktioniert werden darf, weil die Vermittlung ohne deutsche Erlaubnis erfolgt ist. Der Entscheidung des EuGH ist zudem zu entnehmen, dass dieses Ahndungsverbot nicht nur von Strafverfolgungsbehörden, sondern auch von allen anderen Stellen des jeweiligen Mitgliedstaats befolgt werden muss.
Damit spricht vieles dafür, dass auch die nationalen Gerichte eine Unionsrechtswidrigkeit glücksspielrechtlicher Regelungen berücksichtigen müssen. Damit dürften in solchen Fällen die jeweiligen Glücksspielverträge wirksam sein und Rückzahlungsansprüche von Spielern nicht in Betracht kommen. Solange keine höchstrichterliche Entscheidung zu dem Bestehen von Rückforderungsansprüchen ergangen ist, ist die Rechtslage zwar lange noch nicht geklärt. Spätestens jetzt sollten aber die mit dem Angebot von illegalem Glücksspiel einhergehenden Risiken jedem Glücksspiel-Anbieter klar sein. Glücksspiel-Anbieter müssen sicherstellen, dass ihr in Deutschland angebotenes Glücksspiel im Einklang mit dem deutschen Glücksspielrecht ist, oder dafür Sorge tragen, dass ihre Angebote nicht in Deutschland abrufbar sind.
Erfreulicherweise enthält der GlüStV 2021 erstmals die Möglichkeit, eine im gesamten Bundesgebiet gültige Lizenz für bestimmte Online-Glücksspiele zu erhalten. Was Antragsteller dabei beachten müssen, haben wir für Sie hierzusammengefasst.
*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.