24. September 2018
negative Meinungsfreiheit
Presserecht Medienrecht

BGH schützt negative Meinungsfreiheit

Kann ein deutscher Fernsehsender durch ein ausländisches Urteil verpflichtet werden, eine Entschuldigung zu veröffentlichen? Der BGH sagt nein. 

Die negative Meinungsfreiheit – selten ist von ihr die Rede, aber sie gibt es. Gemeint ist die Freiheit, keine Meinung zu haben und auch nicht zum Äußern einer Meinung gezwungen werden zu dürfen. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit im demokratischen Rechtsstaat. Jüngst hat sich dem BGH Gelegenheit geboten, daran zu erinnern.

Es geht um die Vollstreckung eines polnischen Urteils in Deutschland. Ein polnischer Staatsangehöriger und ehemaliger Häftling der Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau und Flossenbürg hatte es gegenüber dem ZDF erwirkt. Das ZDF hatte in der Ankündigung einer Dokumentation die Konzentrationslager Majdanek und Auschwitz missverständlich als „polnische Vernichtungslager″ bezeichnet. Der Kläger hatte dies als Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte und seiner „Nationalwürde“ beanstandet und Veröffentlichung einer Entschuldigung verlangt. Das ZDF hatte sich in zwei Schreiben an den Kläger entschuldigt und sein Bedauern ausgedrückt; zudem hatte es eine korrigierte Nachricht veröffentlicht, mit der es die „unachtsame, falsche und irrtümliche Formulierung″ bedauerte und „alle Menschen, die sich hierdurch in ihren Gefühlen verletzt sehen“, um Entschuldigung bat. 

Polnisches Urteil zur Veröffentlichung einer Entschuldigung in Deutschland vollstreckbar?

Das genügte dem Kläger nicht, der ein Urteil des Appellationsgerichts Krakau erwirkte. Das ZDF wurde verpflichtet, auf der Startseite seines Internetauftritts eine Entschuldigung zu veröffentlichen, in der es u.a. hieß, dass der Sender bedaure, in der beanstandeten Veröffentlichung „eine inkorrekte und die Geschichte des polnischen Volkes verfälschende Formulierung″ publiziert zu haben.

Tatsächlich veröffentlichte das ZDF den vorgegebenen Text, allerdings in einer Weise, die der Kläger für unzureichend hielt. Der Kläger hat darauf in Deutschland beantragt, das polnische Urteil für vollstreckbar zu erklären, was ihm zunächst vor dem Landgericht Mainz und dann auch dem OLG Koblenz gelang.

BGH: Verstoß gegen die deutsche öffentliche Ordnung (ordre public)

Erst beim BGH war Schluss. Der BGH hat die Entscheidung der Vorinstanzen aufgehoben und den Antrag auf Erteilung der Vollstreckungsklausel abgewiesen. Er hat seine Entscheidung darauf gestützt, dass das polnische Urteil in Deutschland nach den maßgeblichen europarechtlichen Vorschriften nicht vollstreckbar sei, da es der deutschen öffentlichen Ordnung („ordre public″) offensichtlich widerspreche. Die zu vollstreckende Entscheidung verlange dem ZDF eine Erklärung ab, zu der sie nach deutschem Verfassungsrecht nicht gezwungen werden dürfe. Denn danach müsse das ZDF die in der Erklärung liegende Bewertung als eigene Meinung veröffentlichen. Das greife in unzulässiger Weise in einen wesentlichen Grundsatz des deutschen Rechts ein, nämlich das Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit des ZDF aus Art. 5 I GG, hier in Form der negativen Meinungsfreiheit.

Überdies sei der Eingriff auch unverhältnismäßig, nachdem das ZDF in den Briefen des Klägers persönlich um Entschuldigung gebeten und eine erläuternde Korrekturnachricht veröffentlicht habe. Hiernach – so der BGH in erfreulicher Klarheit – übersteige es jedes Maß, wenn das ZDF den ihm vorgegebenen Text auf der Startseite seines Internetangebots veröffentlichen müsse.

Die Entscheidung des BGH ist völlig richtig. Das ZDF hatte bereits überobligatorisch gegenüber dem Kläger persönlich und auch öffentlich in der Korrekturnachricht um Entschuldigung gebeten – schon dazu hätte es nach deutschem Recht nicht verpflichtet werden können. Auch ein solches Urteil wäre hier nicht vollstreckbar gewesen, erst recht nicht das nun in Polen erwirkte.

Nach deutschem Recht schon keine Klagemöglichkeit

Die Entscheidung des polnischen Gerichts ist aber auch insofern unverständlich, als die Klagebefugnis einer Person bejaht wurde, die gar nicht Gegenstand der angegriffenen Berichterstattung war. Hier hätte es für den Kläger nach deutschem Recht schon von vornherein keine Möglichkeit gegeben, den Inhalt des Beitrags gerichtlich überprüfen zu lassen. Eine Popularklagebefugnis gibt es in Deutschland bekanntlich nicht. Darauf ist der BGH leider nicht eingegangen.

Insgesamt verwundert es schon sehr, dass in einem EU-Mitgliedsstaat Urteile möglich sind, die sich als klare Missachtung des Kernbestands demokratischer Grundrechte darstellen. Und es verwundert fast noch mehr, dass das von keiner der beiden Vorinstanzen gesehen wurde und erst der BGH der Durchsetzung des gänzlich verfehlten polnischen Urteils einen Riegel vorschieben musste.

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